Protocol of the Session on October 18, 2006

Das haben Sie hier abgelehnt, Kolleginnen und Kollegen von der CSU. Es gehört schon einiges dazu, sich jetzt hier hinzustellen und das Gegenteil zu behaupten. Sie wollen die wohnortnahe Schule erhalten. Können Sie mir erklären, warum Sie dann 472 Teilhauptschulen in ganz Bayern geschlossen haben oder noch schließen werden? Das sind 30 % der Schulstandorte für Hauptschulen in Bayern. Das zum Thema Erhalt der wohnortnahen Schule.

Können Sie mir erklären, warum Sie zunächst die Hauptschule schwächen, dann die Teilhauptschulen schließen, dann weitere Hauptschulen schließen und sich zeitgleich hier im Hause mit dem Erhalt der wohnortnahen Schule beschäftigen? – Das ist Rosstäuscherei, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abgeordneten Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU))

Sie belügen die Menschen vor Ort. Das ist es und nichts anderes. Sie schließen Hauptschulen. Ich darf Ihnen das am Beispiel Niederbayern erläutern. Es gibt dort keine Teilhauptschulen mehr, aber das Schulsterben geht trotzdem weiter, Herr Dr. Waschler. Ihre grandiose Regierung plant die Schließung weiterer sechs Schulstandorte von Hauptschulen. im Landkreis Rottal-Inn, im Landkreis Regen, im Landkreis Freyung-Grafenau, im Landkreis Passau, im Landkreis Landshut schließen Sie die Hauptschulen und zeitgleich diskutieren Sie hier über den Erhalt derselben. Es geht um Planungen zum Schuljahr

2006/2007. Das ist zeitgleich. Während draußen im ländlichen Raum Schulen geschlossen werden, stellen Sie sich hier hin und sagen, Sie wollen die wohnortnahe Schule erhalten. Das ist Heuchelei pur.

(Beifall bei der SPD)

Das ist Politik des Lügenbarons; das sind keine seriösen Beiträge zum Erhalt der wohnortnahen Schule.

Sie beschließen am Samstag in Augsburg, dass Familien wohnortnahe Hauptschulen brauchen und dass sie deswegen erhalten bleiben sollen. Gleichzeitig aber machen Sie die Schulen dicht. Das muss man den Menschen sagen, damit sie wissen, was von dem zu halten ist, was Sie hier in diesem Hause von sich geben.

(Franz Maget (SPD): Ideen und Konzepte hat er auch nicht!)

Darauf komme ich gleich. Wenn das Ihr Verständnis von der wohnortnahen Schule ist, können wir gerne darauf verzichten, Herr Kollege Waschler. Nein, Sie wollen nach wie vor an den Schulen sparen und verkaufen hier etwas völlig anderes.

Nun erreichte die Öffentlichkeit gestern eine Mitteilung der CSU, man wolle, dass die kleinen Grundschulen auf dem Land, soweit es geht, bestehen bleiben. Was heißt eigentlich „soweit es geht“? Ich bitte Sie, diese Formulierung einmal zu definieren.

(Zuruf der Abgeordneten Simone Tolle (GRÜNE) – Gegenruf des Abgeordneten Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU))

Aber, Kolleginnen und Kollegen, Sie wollen die kleinen Grundschulen erhalten. Jetzt heißt es Obacht! Nach dem bisherigen Verfahren der CSU, in der Schulpolitik etwas anderes zu tun als verkündet wird, sind ab sofort die Grundschulstandorte in Bayern gefährdet. Nichts anderes! Sie haben hier schon immer etwas anderes gesagt, als Sie in Wahrheit getan haben. Ich darf Ihnen das in Erinnerung rufen.

Sie haben sich nun wieder das Instrument der jahrgangskombinierten Klassen einfallen lassen, um die kleinen Grundschulen zu erhalten. Jawohl, wir sind auch der Meinung, dass jahrgangskombinierte Klassen ein pädagogisches Konzept sein können. Keine Frage. Darauf können wir uns durchaus einigen. Die Frage ist hier aber, unter welchen Rahmenbedingungen das geschehen soll. Wenn wir zum Erhalt der wohnortnahen Schule jahrgangskombinierte Klassen machen, können wir diesen Weg mitgehen, aber unter der Voraussetzung, dass Sie die Rahmenbedingungen so gestalten, dass die Lehrerinnen und Lehrer dies auch vernünftig abwickeln können, nämlich die Limitierung der Klassen auf 20, eine Erhöhung der Lehrerstundenzuweisung und eine verbesserte Situation in diesen jahrgangskombinierten Klassen.

Genau das wollen Sie nicht. Deswegen ist Ihr Modell der jahrgangskombinierten Klassen ein Sparmodell, das Sie jetzt unter dem Deckmäntelchen des Erhalts der Schulen verkaufen wollen.

(Beifall bei der SPD)

In Wahrheit haben Sie keine schul- und bildungspolitischen Konzepte, meine Damen und Herren. Sie sind reformunfähig,

(Zuruf des Abgeordneten Bernd Sibler (CSU))

weil Sie ideologisch an Ihrer Schulstruktur festhalten, die seit Langem nicht mehr dem internationalen Standard entspricht, lieber Herr Sibler. Schauen Sie über die Grenzen, dann werden Sie das erkennen.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben keine Konzepte und keine Lösungen für die Probleme. Sie halten ideologisch an Ihrer Schulsystematik fest, wir dagegen suchen pragmatische Ansätze.

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Maria Scharfenberg (GRÜNE) – Zuruf des Abgeordneten Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU))

Herr Kollege Waschler, vor lauter Lobhudelei über Ihre schulpolitischen Erfolge vergessen Sie, dass die bayerischen Schulen Mordsprobleme haben,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

und zwar nicht nur beim Erhalt des Standorts, sondern auch bei den Rahmenbedingungen. Schauen Sie doch hinein in die Schulen. Fragen Sie die Lehrer, fragen Sie die Eltern – Leistungsdruck, zu große Klassen, zu wenig Lehrer und viele, viele andere Dinge –, dann wissen Sie, was los ist. Aber Sie haben keine Kraft, dies zu tun, weil Sie vor lauter Lobhudeln und Eigenlob vergessen, wo die wahren Probleme an den bayerischen Schulen sind.

Übrigens, der Erhalt der wohnortnahen Schule zur Stärkung der Regionen bedeutet eben nicht nur Standorterhalt der Grundschule, er bedeutet die Schaffung eines vernünftigen regionalen Bildungskonzeptes. Das ist mehr als der Erhalt des Schulstandorts Grundschule.

Er bedeutet, bessere Abschlüsse in die Regionen hineinzubringen, damit die Kinder, die Schülerinnen und Schüler, die Region nicht verlassen müssen. Die Schülerinnen und Schüler im Dorf zu lassen, das bedeutet wohnortnahe Schule und den Erhalt derselben. Insoweit greifen Sie mit Ihrer Vorstellung deutlich zu kurz.

Ich kann Sie nur auffordern und im Interesse der Regionen und Familien bitten: Machen Sie sich ernsthaft an die Erarbeitung eines vernünftigen Konzepts, das die wirtschaftliche Situation der Regionen mit pädagogischen Notwendigkeiten verbindet.

Notwendig ist es, Schul- und Bildungsplanung regional vor Ort abzuwickeln und nicht zentral durch das Ministerium vorzugeben und dann zu sagen: Jetzt setzt einmal um, liebe Bürgermeister; ansonsten habt ihr nichts zu melden. Sie brauchen regional abgestimmte Schul- und Bildungskonzepte vor Ort, die auch auf die unterschiedlichen strukturellen Gegebenheiten der Regionen eingehen und bei denen die Gemeinde- und Regionalvertreter deutlich mehr Mitspracherechte bekommen. Bevor Sie blind jeden Schulstandort schließen, der Ihnen gerade in den Sinn kommt, brauchen Sie eine verpflichtende Prüfung, ob der Schulstandort mit einer Modellschule nicht vielleicht doch erhalten werden kann. Diese Modellschule hat als Ergänzung zu gelten und bedeutet keine ideologische Ablösung. Sie sollte vielleicht den Anschluss zur mittleren Reife anbieten und kann Real- und Hauptschule integrieren, und dies wohlgemerkt dort, wo es sinnvoll ist und gewünscht wird.

Außerdem brauchen Sie eine verpflichtende Begrenzung der Schulwege. Es ist doch allemal besser, die Kinder vor Ort zu halten, als sie mit dem Bus durch die Gegend zu karren. Aber auch hierauf haben Sie keine Antwort.

(Beifall bei der SPD – Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Jetzt plötzlich keine Zusammenlegung mehr! Hört, hört!)

Zum Schluss darf ich Sie noch herzlich bitten und auffordern: Um das alles zu realisieren, müssen Sie natürlich die Bildungsinvestitionen erhöhen. Genau das ist der entscheidende Punkt. Aber wer den Haushalt liest, der erkennt: Kein Euro in die Bildung; das Gegenteil wäre notwendig.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Tolle.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ehrlicherweise muss ich gestehen: Als ich den Titel der Aktuellen Stunde gelesen habe, konnte ich nicht mehr an mich halten, und auch jetzt kann ich nicht an mich halten. Denn, Herr Kollege Waschler, die Zukunft des ländlichen Raums interessiert Sie doch nicht die Bohne. Sie beantragen hier im Landtag eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema. Dabei ist Ihnen das, was in den Dörfern geschieht, schlichtweg egal.

(Beifall bei den GRÜNEN – Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Das ist eine unzulässige Unterstellung, Frau Kollegin!)

Das ist keine unzulässige Unterstellung. Ob eine Unterstellung zulässig ist oder nicht, entscheiden nicht Sie.

(Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Aber es ist eine fehlerhafte Unterstellung!)

Der Titel der Aktuellen Stunde müsste anders lauten, nämlich: „Die Schulen im ländlichen Raum brauchen Zukunft“, eben weil die CSU der Totengräber der Schulen auf dem Land ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Wenn die Schule das Dorf verlässt, dann verlässt die Zukunft das Dorf. Dazu tragen Sie, Herr Kollege Waschler, wirklich alles Erdenkliche bei.

Ich beginne mit dem Haushalt, mit dem Sie den Volksschulen mehr als 1600 Stellen wegnehmen.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Das sind Fakten!)

Dann kann ich Sie doch nicht mehr ernst nehmen, wenn Sie sich hier zur Hauptschule auf dem Land bekennen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das sind insgesamt 3,58 % weniger Stellen. Da möchte ich schon hören, wie Sie das mit dem Rückgang der Zahl an Schülerinnen und Schülern an der Hauptschule abgleichen.

Für die Schulen in Bayern sind Sie verantwortlich, und zwar nicht erst, seit Ihnen die Föderalismus-Kommission die volle Verantwortung gegeben hat. Die Katastrophen, die an bayerischen Schulen zu verzeichnen sind, haben Sie alleine zu verantworten.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abgeordneten Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD))

Zwei Probleme bestehen. Das eine ist ein qualitatives Problem. Das bedeutet: Die Strukturen müssen mehr und bessere individuelle Förderung ermöglichen. Hierzu nenne ich Ihnen zwei Beispiele. Gestern haben wir über eine jahrgangskombinierte Klasse mit 27 Kindern geredet, letzte Woche im Bildungsausschuss über eine Grundschule mit drei Klassen mit 30, 30 und 31 Kindern. Da können Sie überhaupt nicht von Zukunft sprechen.

Auch im Gymnasium gibt es wenige Möglichkeiten für eine individuelle Förderung. Die durchschnittliche Schülerzahl beträgt dort in diesem Jahr 28, ebenso in der Realschule.

Da können Sie doch nicht sagen, dies liege Ihnen am Herzen. Eher das Gegenteil ist der Fall. Tatsachen sprechen für sich, nicht aber der bildungspolitische Sprecher der CSU in einer Aktuellen Stunde.