Protocol of the Session on June 21, 2006

Sie begründet das beispielsweise so – ich zitiere –:

Dadurch, dass nun Beiträge für die Rentenversicherung gezahlt werden, hat man vielen Menschen einen Anreiz gegeben, in das neue System zu gehen. Auch für die befristeten Zuschläge, die den Übergang vom Arbeitslosengeld I ins Arbeitslosengeld II abfedern sollen, gibt es keine Rechtfertigung.

Ich halte das für bodenlos. – Der letzte Satz in diesem Pseudointerview heißt:

Es kann kein Recht auf Faulheit mit Anspruch auf gute Bezahlung durch den Steuerzahler geben.

Kolleginnen und Kollegen, dieser Zynismus ist wirklich unglaublich. Das gab es noch nicht. Solches hat niemand vorgehabt. Das hat auch niemand vor. Aber es ist ein Zynismus sondergleichen, Menschen in Not, die ihre Arbeit verloren haben und in die Arbeitslosigkeit kommen, so zu diffamieren.

(Beifall bei der SPD)

In Ihrem Antrag stehen einige Passagen, die sicherlich richtig sind. Sie fangen darin so an:

Der Landtag stellt fest, dass die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zur Grundsicherung für Arbeitssuchende richtig war, …

Das ist okay, ist überhaupt keine Frage. Dass einiges knirscht, wissen wir alle. Das weiß auch die Bundesregierung. Das wusste die alte und weiß die neue. Auch das ist also richtig.

Aber was Sie sonst in Ihren Antrag hineinschreiben und vorhin in Ihrer Rede ausgeführt haben, ist schlichtweg falsch. Denn Sie schreiben: „Angesichts unnötiger Leistungsausweitungen (u. a. durch höhere Regelsätze, höhere Schonvermögen)“ wird der Anreiz nicht mehr gegeben sein. Aber das ist falsch. Ich habe Ihnen ja gesagt: Das ist eine Verlagerung in eine bessere Altersversorgung. Und es trifft nicht zu, dass eine vierköpfi ge Bedarfsgemeinschaft mehr bekommt, als wenn ein Verdiener dabei wäre.

Wenn Sie schreiben „Arbeit soll sich lohnen!“, dann haben Sie Recht. Natürlich soll sich Arbeit lohnen. Aber Arbeit muss vorhanden sein. Ich erwarte von einem Wirtschaftsminister Glos, dass er mindestens die gleichen Aktivitäten an den Tag legt, wie es sein Amtsvorgänger Clement gemacht hat, und wirklich Klinken putzen geht.

Sicherlich gibt es in den Bereichen der ARGEn und der Optionskommunen Sachen, die verbesserungswürdig

sind. Wenn es in manchen Bereichen wunderbar funktioniert, wie es gerade für Würzburg beschrieben worden ist, dann ist das sehr gut. Aber es funktioniert eben in vielen Bereichen nicht.

Hinzu kommt, dass viele, die in den ARGEn tätig sind und aus dem Bereich der kommunalen Verwaltung herüberkommen, erst qualifi ziert werden müssen und die Vermittler ihre Probleme mit der zum Teil schwierigen Klientel haben, mit der sie sich beschäftigen müssen.

Ihre Aufgabe, Kolleginnen und Kollegen von der CSU und auch von der Staatsregierung, ist, in Bayern für Voraussetzungen zu sorgen, dass es Arbeits- und Ausbildungsplätze gibt. Junge Menschen müssen eine Chance haben.

Ich sage Ihnen: Lesen Sie den Artikel in der „Welt“ vom 20. Juni mit der Überschrift „Beruf Hartz-IV-Empfänger“. Das ist ein düsteres Zukunftsbild für junge Menschen, die eine mangelnde Schulausbildung haben und aufgrund dessen keinen Ausbildungsplatz bekommen. Die laufen in diese Falle. Genau das wollen wir aber nicht. Dafür brauchen wir andere Voraussetzungen. Das heißt: kleine Klassen, individuelle Förderung, Schulsozialarbeit, berufsbegleitende Sozialarbeit, ein Werkstattjahr. Wenn man aber nur eine Stelle für Schulsozialarbeit in einem ganzen Regierungsbezirk vorsieht und das in einem vierspaltigen Presseartikel feiert, dann ist das ein Armutszeugnis. Das Werkstattjahr ist genauso notwendig, denn JoA-Klassen sind ohne eine Perspektive. Nur so kommen wir weiter, aber nicht mit diesem Antrag, Herr Unterländer.

Wie gesagt, können wir einzelnen Sätzen zustimmen. Insgesamt lehnen wir den Antrag aus den genannten inhaltlichen Gründen ab, aber auch, weil er ein Eingeständnis Ihrer offenbaren Einfl usslosigkeit in Berlin ist, außerdem weil er Aktionismus und Populismus verbreitet und weil Sie es offensichtlich immer noch nicht verinnerlicht haben, dass Sie in Berlin Regierungsverantwortung haben, dass Sie die Hartz-Gesetzgebung mit beschlossen haben, dass Sie sich vorrangig darum kümmern müssen, was in Bayern passiert, Kolleginnen und Kollegen von der CSU.

(Beifall bei der SPD)

Als Nächster hat Herr Kollege Hallitzky das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wir mischen in der Bundesregierung“ – damit zitiere ich jetzt irgendeinen beliebigen Artikel von heute – „ganz deutlich mit.“ Das sind starke Worte. Die spricht Ihr Wirtschaftsminister, Herr Huber, heute als Mutmacher in der „Süddeutschen Zeitung“. Ein nettes Späßchen vom Herrn Minister! Wer in Berlin mit in der Regierung sitzt und es dann für nötig erachtet, hier im Landtag zu einer rein bundespolitischen Frage einen Dringlichkeitsantrag einzubringen, der offenbart doch nichts weiter

(Zuruf des Abgeordneten Manfred Ach (CSU))

Herr Ach, ich freue mich, dass Sie sich wünschen, dass wir in Berlin in der Regierung sitzen; das ist aber bisher leider nicht so; wir arbeiten jedoch daran, dass sich die Situation möglichst schnell ändert – als die Einsicht in die absolute eigene Machtlosigkeit in Berlin. Liebe Kolleginnen und Kollegen, niemand braucht Sie in Berlin.

Das Schöne ist, dass Sie durch den Antrag dokumentieren – das wissen Sie mittlerweile selber –: Auch wenn Sie einen anerkannt schwachen Wirtschaftsminister und einen Minister für entfesselnde Selbstdarstellung am Rande des Kabinettstisches dazu haben dürfen, so hat Ihre Bundestagsfraktion in Berlin doch keinerlei Relevanz. Deshalb gibt es hier ersatzweise derartige Schaufensteranträge. Ihre eigene Ohnmacht treibt Sie zu diesem Antrag. Immerhin zeugt dies – dazu gratuliere ich Ihnen wirklich aufrichtig – von zaghafter Selbsterkenntnis. Das ist allerdings schon das Einzige, was man dem Antrag an Positivem abgewinnen kann.

Dieser Antrag der CSU dient, kaum ist die Tinte trocken, der weiteren Verschärfung von Hartz IV. Kollegin Steiger hat das bereits formuliert:

Es ist ein Antrag von Pharisäern. Im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat haben Sie vor drei Jahren Hartz IV zugestimmt. Heute distanzieren Sie sich davon. Aber so lange hat es gar nicht gedauert; Sie haben sich ja schon vorher distanziert.

In Berlin können Sie als Regierungspartei Hartz IV verschärfen, wenn Sie die Kraft dazu hätten. Lieber predigen Sie hier für die Galerie.

Für die ausbildungsplatzsuchenden Jugendlichen und die arbeitslosen Erwachsenen tun Sie viel zu wenig. Lieber treten Sie – Herr Unterländer hat es, wenn auch mit einem charmanten Tonfall, inhaltlich wieder getan – eine unheilvolle gesellschaftliche Neiddebatte los, als wäre jeder und jede, der bzw. die in diesem Land nicht arbeitet, ein Müßiggänger oder eine Müßiggängerin, der sein bzw. die ihr Schicksal in griechischer Philosophentradition selbst erwählt habe. Das nenne ich in der Tat pharisäerhaft.

Wer wie Sie zu Beginn Ihres unsäglichen Beschlusstextes, den Sie uns heute vorgelegt haben, die Botschaft formuliert „Arbeit soll sich lohnen!“ und weiter sagt: „Angesichts unnötiger Leistungsausweitungen … stellen die geltenden Regelungen keinerlei Anreiz zur Aufnahme einer Arbeit mehr dar“ und sein politisches Instrument dann daran ausrichtet – ich zitiere hier wieder –, „den Druck auf Langzeitarbeitslose zur Aufnahme von Arbeit zu erhöhen“, der handelt angesichts der heutigen Arbeitsmarktlage nicht christlich, sondern zynisch.

Apropos christlich! Sie sind ja alle bibelfest. Im zweiten Brief von Paulus an die Thessaloniker – es ist Kapitel 3 Vers 10, den Sie als bibelfeste Christsoziale bei der ideologischen Absicherung Ihrer arbeitsmarktpolitischen Vorstellung, der Arbeitslose sei selber schuld, vermutlich im Hinterkopf hatten – heißt es in der Tat:

„Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.“ – Diese gesellschaftliche Position teilen die GRÜNEN übrigens nicht, weil nach unserem Menschenbild ein bedingungs

loses Grundeinkommen für jeden ethisch zwingend geboten ist. –

(Zuruf des Abgeordneten Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU))

Aber selbst wenn man diese Ansicht teilen würde – Herr Kollege Waschler, Sie hören zu, das ist gut, da können Sie lernen –, entscheidend für die Bewertung Ihres Antrags ist das Wörtchen „will“. Es heißt: „Wer nicht arbeiten will“. Und im nachfolgenden Absatz des Paulusbriefes heißt es: „Wir ermahnen sie und gebieten ihnen im Namen Jesu Christi des Herrn, in Ruhe ihrer Arbeit nachzugehen.“ Bei Paulus geht es also um die freie Entscheidung bei gegebener und gesellschaftlich akzeptabler Arbeitsmöglichkeit. Bei Paulus geht es darum, dass man nicht arbeiten will, obwohl man könnte.

(Zuruf des Abgeordneten Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU))

Herr Kollege Waschler, geben Sie Ihre Nachricht doch zu Protokoll, denn ich verstehe Sie schlecht.

(Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Was Sie bringen, Herr Kollege, ist etwas verwirrend!)

Ach, Herr Waschler, ich hatte Sie bisher für clever gehalten und gemeint, dass Sie kluge Gedankengänge nachvollziehen können.

Es geht bei Paulus nicht um erzwungene Nichtarbeit aufgrund fehlender Arbeitsmöglichkeiten. Um die fehlenden Arbeitsmöglichkeiten geht es aber in diesem Land, in dem Sie regieren. Deshalb sollte es mittlerweile auch bei Ihnen angekommen sein: Arbeitslosigkeit in unserer Gesellschaft ist fast nie ein selbst gewähltes Schicksal Müßiggang suchender Menschen. Die Wahrheit ist, dass es für Millionen von Menschen, die Arbeit suchen, keine Arbeit gibt.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Weidenbusch?

Aber gerne. Ich habe die Bibel aber nicht dabei.

Herr Kollege Hallitzky, stimmen Sie mir zu, dass das von Ihnen verwendete Bibelzitat nicht aus dem Brief an die Thessaloniker stammt, denn dort heißt es: „Wer nicht arbeiten will, braucht auch nicht zu essen.“, sondern dass das Zitat „Wer nicht arbeitet, soll nicht essen“ aus der Ideologie des Leninismus stammt?

(Heiterkeit)

Den zweiten Teil Ihres Zitats kann ich weder dementieren noch bestätigen, weil ich die Ideologie des Leninismus und die wörtlichen Zitate nicht parat habe. Sie müssen das entschuldigen. Die Formulierung, die ich genannt hatte, ich zitiere noch einmal: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.“, und der fortlaufende Text, den ich wie Sie aus dem Internet habe, schließt

nicht aus, dass es verschiedene Fassungen gibt. Ich sage die Quelle noch einmal, damit Sie das nachprüfen können. Das Zitat stammt aus dem Zweiten Brief von Paulus an die Thessaloniker, dritter Absatz Nummer 10. Ich gehe aber davon aus, dass es mehrere Bibelübersetzungen gibt. Das ist mir geläufi g.

(Zurufe von der CSU)

Ich habe mir allerdings eine einschlägige Fassung herausgesucht.

(Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Es gibt eine gültige Einheitsübersetzung!)

Darf ich bitten, zum Thema zurückzukommen.

Ja, mir würde auch die Rede erleichtert, wenn der eine oder andere der geneigten Zuhörer von der CSU sich darauf konzentrieren könnte.

Ihre Sichtweise ist falsch, weil es die Arbeitsplätze nicht gibt. Deswegen ist auch die Schuldzuweisung an die Arbeitslosen, die Sie betreiben, und die Kollege Unterländer wieder betrieben hat, billig und falsch. Das ist auch falsch und zynisch gegenüber den vielen Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz suchen und keinen fi nden, deren berufl iche Zukunft in Hoffnungslosigkeit endet und in eine Sackgasse führt, bevor sie überhaupt angefangen hat. Schlimmer noch: Diese Jugendlichen, die den Schaden haben, verspotten Sie auch noch. Diese Gruppe der unter 25-Jährigen verspotten Sie pauschal in der politischen Diskussion: Sie würden die eigene Wohnung nur beziehen, um bedürftig zu werden. Sie verweigern ihnen „vorsichtshalber“ die Kostenerstattung für Wohnung und Heizung. Zwar ist, wie mir die bayerische Sozialministerin dankenswerterweise auf eine Anfrage mitgeteilt hat, keinerlei statistischer Beleg für diese Behauptung vorhanden. Das ändert jedoch nichts daran, dass Sie diese Vorwürfe weiter zum Besten geben, obwohl Sie sie nicht begründen können. Ich fordere Sie auf: Beenden Sie diese falsche Missbrauchsdebatte.

(Beifall bei den GRÜNEN)