Wenn Sie sagen, Haushalts- und Sozialpolitik seien eine Medaille mit zwei Seiten, dann ist dem entgegenzuhalten, dass sich diese beiden Seiten in Bayern nicht sehen. Das merkt man ganz besonders bei Ihrer Kürzungspolitik. Mit Ihrer Politik der Kürzung haben Sie im Nachtragshaushalt 2004 angefangen. Sie haben damals begonnen, sozialpolitische und staatliche Aufgaben zur privaten Angelegenheit zu machen, und zwar unter dem Stichwort „Eigenverantwortung“. Unter Eigenverantwortung verstehen wir aber, jemanden in die Lage zu versetzen, für sich selbst eigenverantwortlich zuhandeln, und das bedeutet: jemanden stärken. Für Sie bedeutet Eigenverantwortung seit 2004 aber, Risiken in das Private zu verschieben.
In Anlehnung an die Werbekampagne eines einzelnen Herrn, der einem Sozialverband in Bayern vorsteht, könnte man auch sagen: „Unsoziale Politik hat in Bayern einen Namen: CSU.“ Das könnte man sagen, das wäre nicht falsch.
Ihre Kürzungen im Nachtragshaushalt 2004 für Menschen mit Behinderung waren nichts anderes als ein sozialer Kahlschlag. Sie haben den Landesplan für Menschen mit Behinderung um über 20 % gekürzt und den Landesaltenplan um über 16 %. Frau Stewens hat letzte Woche in der „Süddeutschen Zeitung“ erklärt:
Bei den Baukostenzuschüssen haben wir im Bereich der Behinderten sehr stark eingeschnitten. Hier sehe ich Schwierigkeiten auf uns zukommen. Einfach weil die Zahl der Menschen mit Behinderung wächst.
Nächster Punkt: Blindengeld. Es ist interessant, wie viele Broschüren und Berichte von der Staatsregierung und von den nachgeordneten Behörden vorliegen. Es ist äußerst aufschlussreich, diese Broschüren zu lesen. Dort ist zum Beispiel Folgendes zu lesen:
Mit der Kürzung des Blindengeldes um 15 % konnte das ursprünglich beabsichtigte Kürzungsvolumen deutlich reduziert werden.
Dieses Zitat stammt aus dem Bericht der Verwaltung für Versorgung und Familienförderung. Wo gibt es denn so was? Erst kündigt man 30 % Kürzung an, dann, um sich selbst zu beweihräuchern, erklärt man: Wir haben nur 15 % gekürzt. Das ist doch wirklich dreist!
Das ist besonders dreist, wenn man bedenkt, wer hiervon betroffen ist: Zwei Drittel der Betroffenen sind über 65 Jahre alt und 68 % der Menschen, die Blindengeld beziehen, sind Frauen. Dazu kommt die mangelnde Finanzausstattung der Bezirke durch den Freistaat. Infolgedessen kam es zur Streichung der Betreuung von Kindern mit Behinderung in den Ferien. Folge waren auch Zweibettzimmer für Sozialhilfeempfänger in Pfl ege. Folge war des Weiteren die Ablehnung von Anträgen für neue Integrationsplätze in den Kindergärten. Schließlich kommt noch das Manko in den Ausführungsgesetzen des SGB nach bayerischer Art hinzu, nämlich: keine Zusammenlegung bei der Zuständigkeit der ambulanten und der stationären Hilfe für Menschen mit Behinderung.
Sie lehnen die Fortschreibung des Sozialberichtes ab, denn der erste ergab – und hier müssen die Alarmglocken schrillen –, dass wir in Bayern Bildungsarmut haben. Bildungsarmut bedeutet, dass die Auslese in den höheren Bildungsabschlüssen so hoch wie in keinem anderen Bundesland ist.10 % der Kinder verlassen die Schulen ohne Abschluss. In einem reichen Land wie dem Freistaat Bayern ist das nicht hinnehmbar.
Wenn Sie auf die Zukunft der Kinder verweisen, so machen Sie mit Ihrer Sparpolitik die Zukunft vieler Kinder schlichtweg kaputt. Dazu tragen folgende Einsparungen bei: das Büchergeld, der Stundenausfall aufgrund der fehlenden Lehrer. Die Liste ließe sich ohne Ende fortsetzen. Sie sparen – aber damit belasten Sie die Familien.
Sie haben ein beispielloses Sparkonzert angestimmt. Beim Programm „Arbeit statt Sozialhilfe“ haben Sie die Landesmittel gestrichen. Beim Jugendprogramm haben sie ebenfalls gestrichen. Gestrichen haben Sie auch bei
der Betreuung von Aussiedlern und bei den berufl ichen Anpassungsmaßnahmen. Auch diese Liste ließe sich fortsetzen. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU-Fraktion, die Folgen dieser Politik haben Sie selbst gespürt. Ziehen Sie endlich die Konsequenz und ändern Sie Ihre politische Ausrichtung in der Sozialpolitik.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Wahnschaffe, das Thema, welches Sie heute zum Thema der Aktuellen Stunde gekürt haben, begleitet uns wie ein Dauerbrenner über lange Zeit.
Dadurch wird es aber weder aktueller noch dringlicher. Wir werden uns hier immer wieder damit auseinander setzen und wahrscheinlich nicht auf den gleichen Nenner kommen.
(Joachim Wahnschaffe (SPD): Wer nicht hören will, muss fühlen! – Zuruf von den GRÜNEN: Reden Sie doch mehr dazu!)
Nach der Bundestagswahl wurde sehr schnell darüber diskutiert, was eigentlich sozial ist. – Was aber ist sozial? Was ist soziale Balance? Was ist soziale Gerechtigkeit?
Überlegen Sie sich einmal, was „sozial“ für den Einzelnen bedeutet. Ich glaube, für den Einzelnen bedeutet „sozial“ etwas völlig Unterschiedliches. Der eine sagt, für mich ist es sozial, wenn ich möglichst viele Leistungen vom Staat erhalten kann.
Für andere ist es sozial, wenn sie möglichst eigenverantwortlich sich selbst organisieren, sich selbst erhalten und über Wasser halten können. Für andere Personen ist es sozial, wenn sie möglichst viel Freiraum erhalten. Für den Dritten ist es sozial, wenn er von der Solidargemeinschaft dann Hilfe bekommt, wenn er selbst in Nöten ist. So gehen die Auffassungen darüber, was sozial bzw. was soziale Gerechtigkeit ist, in unserem Lande weit auseinander.
Ich frage Sie, ob es sozial ist – wir werden darüber intensiv diskutieren und den Begriff neu defi nieren müssen –, wenn eine immer kleiner werdende Arbeitnehmerschaft in unserem Lande alles an sozialen Sicherungssystemen schultern muss. Auch das ist nicht sozial.
Die größte soziale Ungerechtigkeit in diesem Lande ist die hohe Arbeitslosigkeit. Deshalb ist alles sozial, was die Arbeitslosigkeit vermindert und die Menschen wieder in Lohn und Brot bringt, damit sie sich selbst organisieren und mit ihrem Verdienst ihr Leben bestreiten können. Diese Diskussion werden wir führen müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die größte Herausforderung wird die Demographie sein, die die sozialen Probleme verschärfen wird. Deshalb sage ich klipp und klar: Die beste Sozialpolitik besteht darin, in Kinder und Familien zu investieren. Das muss Priorität haben. Wir müssen investieren zum einen in eine wertgebundene Erziehung, weil diese die Qualität unserer Gesellschaft in der Zukunft ausmacht, und zum anderen in Bildung und Ausbildung. Auf diese Weise werden über Forschung und Innovationen Arbeitsplätze und damit Wohlstand geschaffen und damit Sozialpolitik im weitesten Sinn gesichert.
Frau Ackermann hat hier am Rednerpult viele Wünsche geäußert. Ich frage Sie: Wo kommt das Geld dafür her? – Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, Sie vergessen alle miteinander, dass wir weniger Geld in den Kassen haben durch die unsägliche Politik, die Rot-Grün in den letzten sieben Jahren betrieben hat. Die hohe Arbeitslosenzahl ist mit dafür verantwortlich, dass wir das Geld nicht mehr haben, um vieles zu fi nanzieren. Deshalb müssen wir Prioritäten setzen. Der Ministerpräsident hat ganz klar darauf gesetzt: Sparen, reformieren, investieren – investieren in Familien, Bildung und Hochschulen.
Frau Kollegin, einen Augenblick, ich möchte Ihnen ein wenig mehr Ruhe verschaffen. Zwischenrufe sind in Ordnung, aber Rede und Zwischenrufe sollten sich die Waage halten. Ich bitte um etwas mehr Disziplin. Frau Kollegin, bitte schön.
Frau Präsidentin, ich sage es noch einmal: Investieren sollte man in Familien, Bildung und Hochschulen. Das ist die wichtigste Voraussetzung dafür, dass wir in Bayern sozial bleiben können. Deshalb bekennen wir uns uneingeschränkt dazu, dass wir uns nicht auf Teufel komm raus zulasten der folgenden Generationen verschulden. Auch das wäre in höchstem Maße unsozial. Aus diesem Grund kann ich Ihnen nur noch einmal deutlich machen, Bayern ist Familienland. Familienpolitische Leistungen machen knapp ein Drittel der Gesamtausgaben des Einzelplans 10 aus. Sie waren es, die das Landeserziehungsgeld im Grunde abschaffen wollten. Wir haben es erhalten und gesichert; auch das muss einmal gesagt werden.
Lassen Sie sich auch bitte noch einmal sagen, dass wir ganz bewusst mehr als 300 Millionen Euro aus Privatisie
Das ist in viele Kinderbetreuungsplätze gefl ossen. Das sehen Sie, wenn Sie vor Ort genauer hinschauen. Diese Kinderbetreuungsplätze versetzen viele Familien in die Lage, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir einen letzten Satz. Auch wenn Sie es tausendmal bestreiten, in der Bildungspolitik machen wir Sozialpolitik im besten Sinne. Tausende von Lehrerstellen, die wir geschaffen haben, und die notwendigen Umstrukturierungen im Schulsystem haben uns beste Pisa-Ergebnisse beschert. Wir sind fest entschlossen, das alles fortzuführen zum Wohle unserer Kinder; denn dann haben wir künftig die Leistungsträger, die eine gute Sozialpolitik weiter ermöglichen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Manche Parlamentarier der CSU sollen durch Schaden klug werden. So entnimmt man der Presse, dass das auch für einige CSU-Kolleginnen und -Kollegen gilt, die die Ursache des Stimmenverlustes ihrer Partei in der mangelhaften Sozial- und Familienpolitik sehen. Für Sie, liebe Frau Dodell, scheint das leider nicht zu gelten.
Sie stellen heute noch einmal die Frage, was denn sozial ist, und beantworten die Frage mit der Aussage: Sozial ist, was Arbeit schafft. Ich sage Ihnen: Sozial ist das, was vor allen Dingen Behinderten, Benachteiligten, Aids-Kranken und insbesondere Familien hilft. Die größten Verlierer der bayerischen Sparpolitik sind die Familien. Deshalb möchte ich darauf ein besonderes Augenmerk richten.