Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dankbar dafür, dass ich heute die Gelegenheit habe, vor dem Landtag zum Thema „Innere Sicherheit nach den Terroranschlägen in London“ zu sprechen. Ich habe das mit dem Herrn Fraktionsvorsitzenden kurz erörtert. Das ist aus zwei Gründen wichtig. Erstens. Sicherheitsvorkehrungen und präventive Maßnahmen gehören zum Kernbereich der Landeskompetenz. Neben der Kulturpolitik ist das eine der zentralen Aufgaben, für welche die Länder die Zuständigkeit haben. Deswegen ist es bei der Bedeutung dieses Themas auch wichtig, eine solche Frage im Landtag zu erörtern.
Zweitens. Mit vielen Sicherheitsexperten bin ich der Meinung, dass man nicht ernsthaft darüber diskutieren kann – wie das übrigens auch in England der Fall war –, ob es irgendwann auch in Deutschland zu einem Anschlag kommt, sondern nur darüber, wann das sein wird, wie das sein wird und wo das sein wird. Die Sicherheitsexperten sind ohnehin der Meinung, dass es überraschend war, dass in den letzten Jahren trotz mehrfach aufgedeckter Versuche nichts passiert ist. Das zeigt übrigens auch, dass das föderale Sicherheitssystem zwar recht ordentlich funktioniert, dass es aber keine Garantie dafür gibt, dass wir immer so glücklich aus den Schwierigkeiten wie bisher herauskommen bei einer Bedrohung, die wahrscheinlich nicht nur einige Jahre, sondern wahrscheinlich noch mehr als ein Jahrzehnt dauern wird; das ist jedenfalls die Einschätzung aller Innenminister in Deutschland. Das zeigt die Dimension dieser Problematik.
Viele fürchten, dass der Terrorismus nach den verheerenden Anschlägen in den USA am 11. September 2001 und den Anschlägen auf die Pendlerzüge in Madrid am 11. März 2004 und nach den Anschlägen in London immer näher auch an Deutschland heranrückt.
Unser Mitgefühl gilt zunächst den Opfern und deren Familien. Wir sind uns hoffentlich alle darin einig: Solche heimtückischen terroristischen Anschläge sind zutiefst verwerfl ich und richten sich gegen unsere Werte und die gesamte zivilisierte Welt.
Blenden wir kurz auf den 7. Juli 2005 zurück. An diesem Tag ereigneten sich in der Innenstadt von London vier Bombenanschläge, drei davon in U-Bahn-Zügen und einer in einem Bus. Es gab 55 Todesopfer und 735 Verletzte. Fünf deutsche Staatsangehörige sind bei den Anschlägen verletzt worden. Es handelt sich um vier Frauen, davon eine aus Bayern, und einen Mann. Das ist von Bedeutung, weil deswegen auch in Deutschland ein Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts eingeleitet worden ist.
Ob es sich bei den Anschlägen um Selbstmordattentate gehandelt hat, konnte bislang noch nicht zu 100 % geklärt werden. Durch Überwachungskameras wurden vier Verdächtige identifi ziert.
Dabei handelt es sich um britische Staatsbürger im Alter von 19 bis 30 Jahren aus der Region um Leeds. Drei sind pakistanischer Herkunft, einer stammt aus Jamaika. Scotland Yard geht davon aus, dass alle vier Attentäter bei den Anschlägen starben. Es besteht also eine Restunsicherheit, ob die Attentäter selbst ums Leben kamen. Das ist aber nur eine kleine Restunsicherheit.
Alles deutet darauf hin, dass Täter und Hintermänner aus Kreisen des islamistischen Terrorismus stammen. Dafür spricht nicht zuletzt, dass „weiche Ziele“ – vergleichbar mit den Anschlägen in Madrid – ausgewählt wurden. Auch die Vorgehensweise der Täter weist in diese Richtung.
Zu beachten sind weiterhin Erklärungen im Internet. Zunächst ist dabei auf die Erklärung der „Gruppe der Geheimorganisation – Organisation Qaeda des Jihad in Europa“ vom 07. Juli 2005 in hocharabischer Sprache hinzuweisen, in der die – ich zitiere – „frohe Botschaft an die islamische Gemeinde“ übermittelt wird. Der Zeitpunkt der Rache an der zionistischen britischen Regierung der Kreuzfahrer sei gekommen. Der Anschlag sei eine Reaktion auf die Massaker der Briten im Irak und Afghanistan. Den heldenhaften Mudjahedin sei es gelungen – so wörtlich –, „einen gesegneten Angriff in London durchzuführen“. Großbritannien stehe in allen Himmelsrichtungen in Flammen vor Angst und Furcht. Man habe die britische Regierung und das britische Volk immer wieder gewarnt. Weiterhin werden in der Erklärung die dänische und die italienische Regierung sowie alle anderen Regierungen – so wörtlich – „der Kreuzfahrer davor gewarnt“, dass sie dieselben Strafen erleiden werden, wenn sie ihre Truppen nicht aus dem Irak oder aus Afghanistan abziehen. Die Erklärung zeigt mit aller Deutlichkeit die Existenz eines terroristischen Potenzials in Europa auf.
Darüber hinaus hat eine Gruppe mit dem Namen „Abu Hafs al-Masri-Brigaden“ im Internet die Verantwortung für die Anschläge in London übernommen. Dieses Selbstbezichtigungsschreiben ist aber zweifelhaft, weil sich diese Gruppe schon mehrfach nach Anschlägen der
Großbritannien gilt aufgrund seiner engen Partnerschaft mit den USA, seiner militärischen Beteiligung in Afghanistan und vor allem im Irak sowie der fortgesetzten Nennung durch die Al Qaeda-Führungspersonen Bin Laden und Al-Zawahiri als die neben den USA und Israel gefährdetste Nation der westlichen Welt. Wie schwierig die Beurteilung einer tatsächlichen Bedrohung ist, ergibt sich aus der Einschätzung des britischen Geheimdienstes MI 5, der, wenn man einem Bericht des Magazins „Der Spiegel“ Glauben schenken kann, kurz vor dem Anschlag erklärte, es gebe zum gegenwärtigen Zeitraum keine Gruppe, die die Absicht habe und auch in der Lage sei, einen Angriff auf Großbritannien zu starten. Daraufhin soll die britische Regierung die Alarmstufe herabgesetzt haben.
Die generelle Einschätzung über die Gefahr für Großbritannien wird in den Lagefortschreibungen zum islamistischen Terrorismus regelmäßig wiederholt und gilt auch für britische Einrichtungen in Deutschland.
Selbstverständlich kann sich auch Deutschland nicht in Sicherheit wiegen. Deutschland engagiert sich im Rahmen des weltweiten Kampfes gegen den islamistischen Terrorismus nach wie vor in Afghanistan und am Horn von Afrika, und die Bundesrepublik bildet im Rahmen der NATO irakische Polizeibeamte und Offi ziere aus. Erst vor kurzem haben Bundesinnenminister Schily, Verteidigungsminister Struck und Bundesaußenminister Fischer die Bedrohung Deutschlands mit diesem Engagement ausdrücklich bestätigt. Zwar liegen den Sicherheitsbehörden derzeit keine Hinweise auf Anschläge islamistischer Terroristen in Deutschland vor; wir bleiben jedoch weiterhin im Fadenkreuz terroristischer Gruppierungen. Es gilt deshalb nach wie vor die Aussage, dass Deutschland, das bislang als Ruhe- und Vorbereitungsraum eingeschätzt wird, jederzeit auch zum Ausführungsraum islamistischer Gewalttäter werden kann. Die Innenminister haben eine Sprachregelung. Wir sprechen von einer „abstrakt erheblichen Gefahr“ und fügen hinzu, dass es – Gott sei Dank – keine konkreten Hinweise auf eine konkret beabsichtigte Tat gebe. Wie fraglich das ist, kann man an Großbritannien sehen. Dort hätte man sich mit dieser Formel eine Stunde vor der Tat an die Öffentlichkeit gewendet, wenn man gefragt worden wäre. Aus der Tatsache, dass wir keine detaillierten Hinweise haben, dürfen wir leider nicht ohne weiteres schließen, dass nicht irgendwelche kleinere Gruppen etwas planen.
In Bayern haben wir folgende Maßnahmen, die bundesweit abgestimmt sind, auf den Weg gebracht: Wir haben die Verstärkung der Schutzmaßnahmen im Umfeld insbesondere britischer und italienischer Einrichtungen sofort angeordnet und die polizeiliche Präsenz auf Bahnhöfen, Flughäfen und im Personennahverkehr erhöht. Ich will dazu anfügen, dass nicht, wie in Diskussionen gefordert wird, für U-, S-Bahnen oder Busse die gleichen Sicherheitsmaßnahmen wie auf Flughäfen ergriffen werden können, weil dies unrealistisch ist. Jedem muss klar sein, dass man dann eine halbe bis eine dreiviertel Stunde vorher zur U-Bahn gehen müsste. Abgesehen davon würden diese Zugangskontrollen enorme Kosten verursa
chen, sodass das herkömmliche Nahverkehrssystem nicht mehr organisierbar wäre. Man muss versuchen, die Sicherheit mit anderen Vorkehrungen zu erhöhen. Zusätzlich haben wir noch am Donnerstagvormittag in bundesweiter Abstimmung eine intensivere Überwachung islamistischer Extremisten angeordnet.
Das Landesamt für Verfassungsschutz hat unmittelbar nach den Anschlägen seine Präsenz in der islamistischen Szene verstärkt. Bisher haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass die Planung der Anschläge dort bekannt war. Die Erhöhung der Präsenz war nötig und ist nicht nur eine symbolische Geste, weil bei den meisten bisherigen Anschlägen von Al Qaeda ursprünglich geplant war, Nachfolgeanschläge durchzuführen. Das war in den USA nach dem 11. September 2001 geplant, und das war in Madrid geplant, wurde aber durch die hohe polizeiliche Präsenz verhindert. Deswegen musste man davon ausgehen, dass auch nach den Anschlägen von London möglicherweise Nachfolgeanschläge kommen werden. Aus meiner Sicht ist das die Begründung, dass bei den Erkenntnissen in Birmingham die Briten sehr sorgfältig reagiert haben.
Die islamistischen Aktivitäten sind seit langem im Blickfeld der bayerischen Sicherheitsbehörden. Ein Beispiel hierfür ist die bundesweite Durchsuchungsaktion in der islamistischen Szene Anfang des Jahres. Bei Razzien am 12. Januar 2005 waren über 700 Polizeibeamte einschließlich polizeilicher Spezialeinsatzkräfte in fünf Ländern im Einsatz, vor allem im Raum Ulm/Neu-Ulm, Freiburg im Breisgau, Frankfurt am Main, Düsseldorf und Bonn. Im Zuge dieser Razzien wurden gegen zwölf Personen Haftbefehle vollzogen und weitere zwölf Personen vorläufi g festgenommen. Sie und weitere Verdächtige sollen als Angehörige einer kriminellen Vereinigung islamisch-extremistische Netzwerke mit Logistikstraftaten wie Urkunds-, Vermögens- und Schleusungsdelikten unterstützt haben.
Dabei gingen sie arbeitsteilig, äußerst professionell sowie konspirativ zu Werke und missbrauchten auch Moscheen und andere islamische Einrichtungen als Tarnung.
So sollen mehrere Beschuldigte gewerbsmäßig mit gefälschten französischen, belgischen und holländischen Ausweispapieren gehandelt haben, um mit dem Erlös islamistische Aktivitäten zu fi nanzieren. Es gelang, zahlreiche Beweismittel sicherzustellen, unter anderem Blanko-Pässe, Computer, Fälschungsutensilien sowie schriftliche Unterlagen, aber auch Propagandamaterial. Bei den Ermittlungen hat sich gezeigt: Die islamistischen Netzwerke schaffen ähnliche Strukturen, wie wir sie von der organisierten Kriminalität her kennen, und nutzen sie für ihre Zwecke. Teilweise sind sie auch an Straftaten der Allgemeinkriminalität beteiligt.
Aus unseren Erfahrungen lassen sich drei Typen von Tätern herausarbeiten: Da gibt es zunächst den Typus der Hamburger Tätergruppe um Mohammed Atta. Es handelt sich um polizeilich unauffällige Personen mit legalem Aufenthaltsstatus. Um sie erkennen zu können, kommen in der Regel nur nachrichtendienstliche Maßnahmen wie der Einsatz von V-Leuten in Betracht. Nach dem 11. Sep
tember 2001 haben wir eine bundesweit abgestimmte Rasterfahndung nach ähnlichen Tätern auf den Weg gebracht. Diese Rasterfahndung hat keinen weiteren Täter dieses Typs den Fahndungsbehörden zur Kenntnis gebracht; allerdings eine Vielzahl von sonstigen Erkenntnissen.
Es gibt einen zweiten Tätertyp, nämlich den, der bei der so genannten Meliani-Gruppe in Erscheinung getreten ist, die einen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Straßburg mit Splitterbomben geplant hatte bzw. aus dem Al TawhidVerfahren. Er hatte umfangreiche Kontakte zu Islamisten in anderen westlichen Ländern. Bemerkenswert ist, dass sich derartige Personen vor ihren Anschlagsplanungen zum Teil in Ausbildungslagern in Afghanistan aufgehalten haben. Sie befassten sich unter anderem mit der Herstellung und Beschaffung von falschen Pässen, mit der Schleusung von Attentätern und Gruppenmitgliedern, und sie organisierten den Transfer von Geld und anderer Logistik. Hier setzen wir mit unserem „AKIS“-System an, dem delikts- und behördenübergreifenden Ansatz zur Aufklärung krimineller islamistischer Strukturen. Dieser wichtige Ansatz ist von meinen Mitarbeitern entwickelt worden. Ich denke, dass wir damit ein führendes Instrument für die Bekämpfung islamistischer Gewalttäter gefunden haben. Ich werde das nachher noch darstellen.
Einen dritten, weiteren Tätertypus bilden Konvertiten, die Muslime geworden sind. Wir wissen in einem Fall, dass sich ein solcher deutscher Konvertit als Kämpfer aufseiten tschetschenischer Mudjahedin an Kampfhandlungen gegen russische Truppen beteiligt hat und dabei erschossen wurde. Das Problem besteht darin, dass wir nur bei entsprechenden Hinweisen die potenzielle Gefährlichkeit solcher Personen überprüfen können.
Ich hebe hervor, dass Bayern nach dem 11. September 2001 mit dem umfangreichsten Sicherheitspaket aller Bundesländer reagiert hat. Ich bedanke mich dafür noch einmal bei der Fraktion. 650 Stellen wurden zur Verstärkung der bayerischen Polizei und 50 Stellen beim Landesamt für Verfassungsschutz geschaffen. Das Landesamt und die Polizei beobachten insbesondere die gewaltbereite islamistische Szene in Bayern intensiv und mit Erfolg. Wir wissen, dass die Szene dadurch außerordentlich verunsichert ist. Das ist gut. Zur Bekämpfung des islamistischen Extremismus und Terrorismus steht uns eine ganze Reihe von Maßnahmen zur Verfügung, die ich hier kurz darstellen will. Besondere Bedeutung besitzt das gerade schon erwähnte „AKIS“, das Konzept zur Aufklärung krimineller islamistischer Strukturen. Bei allen Polizeipräsidien Bayerns sind „AKIS“-Einheiten eingerichtet, die in enger Zusammenarbeit von Polizei, Staatsanwaltschaft, Landesamt für Verfassungsschutz, Steuerfahndung und anderen Sicherheits- und Verwaltungsbehörden ermitteln. Ziel ist es, Verbindungen und Strukturen krimineller Islamisten aufzudecken, Gefahren für die öffentliche Sicherheit abzuwehren und festgestellte Straftaten konsequent zu verfolgen. Die Informationen werden deliktsübergreifend erhoben, also ohne Unterschied, ob es sich um echte Staatsschutzdelikte oder Delikte der Allgemeinkriminalität handelt, zusammengeführt und gemeinsam bewertet. Das Landeskriminalamt beteiligt dabei neben dem Landesamt für Verfassungsschutz, wenn nötig, auch das Bundeskriminalamt, das Bundesamt für Verfassungs
schutz und den Bundesnachrichtendienst. Die Ergebnisse fl ießen in gemeinsame Strategien und koordinierte Maßnahmen ein. „AKIS“ hat sich außerordentlich bewährt, weil frühzeitig Strukturen aufgedeckt und Gefahren erkannt werden können, sodass reagiert werden kann.
Der Hintergrund ist, dass wir in diesen islamistischen Strukturen auch andere Straftaten vollständig ausermitteln. Damit sind beispielsweise Vergehen gegen den Umweltschutz gemeint, wenn also Autos im Gebrauchtwagenhandel abgestellt werden, aus denen Öl läuft, oder wenn Pässe gefälscht werden, oder wenn es um strafbare Scheinehen geht. Daraus werden nicht nur die unmittelbaren Bezüge für die einzelne Tat hergestellt – „Aha, hier war der Motor nicht dicht, sodass Öl ausgelaufen ist“ –, sondern man schaut gleichzeitig, welche Geschäftsbeziehungen zugrunde liegen. Daraus kann man Strukturen ableiten, die von den „AKIS“-Dienststellen in Bayern in solcher Ausführlichkeit erarbeitet worden sind, dass ich mir sicher bin, dass sie in keinem anderen Land so vorhanden sind. Man kann deswegen feststellen, wie die Geschäfts- und Kommunikationsbeziehungen zwischen Islamisten sind, welche und wie intensive Verhandlungen sie führen, wie und wie intensiv sie miteinander kommunizieren. Daraus können die Fachbehörden interessante Schlüsse ziehen.
Der zweite Bereich ist das Strategische Innovationszentrum der Bayerischen Polizei, ein Wissensverbund hoch qualifi zierter Akademiker und Polizeipraktiker. Das Strategische Informationszentrum verfügt über eine IslamismusExpertin, die in engem Kontakt zu den Fachleuten des Landesamtes für Verfassungsschutz steht und Kontakte zu internationalen Experten pfl egt. In diesem Bereich wird Pionierarbeit geleistet. Ein kleines Beispiel: Im Bereich des Arabischen entstehen häufi g Schwierigkeiten mit der Schreibweise. Schreibt man „Osama bin Laden“ oder „Usama bin Laden“? Im Englischen heißt es „Usama“. Im Computer würde das unterschiedlich in Erscheinung treten. Deswegen wurde von uns ein Synchronisationsprogramm entwickelt, das derart unterschiedliche Schreibweisen zusammenführt. Für „Al Zawahiri“ werden in fast allen Mitteilungen andere Schreibweisen gewählt. Durch das Programm wird die Zusammenführung nach den ursprünglichen arabischen phonetischen Gedanken herbeigeführt. Dieses System haben wir auch anderen Polizeien in Deutschland und außerhalb Deutschlands in der Zwischenzeit angeboten; es wird auch anderweitig verwendet.
Wir müssen terroristischen Aktivitäten natürlich entgegentreten. Wir müssen aber auch gegen islamistischen Fanatismus vorgehen, denn das ist das Milieu, aus dem die Gefahr entsteht.
Ich nenne hier die erschreckenden Fälle von Hasspredigern, die es inzwischen auch in Deutschland gibt. Ich verhehle nicht, dass es nach meiner persönlichen Meinung einer der Grundfehler in Großbritannien gewesen ist, auch fanatischen Hasspredigern über viele Jahre vollständige Freiheit zu geben in der Hydepark-Corner-Mentalität: Hier kann jeder alles sagen. Hier haben alle weltbekannten Hassprediger auch öffentlich große Predigten gehalten. Das war ja auch der Hintergrund, dass man im Jargon der Sicherheitsbehörden von „Londonistan“ gesprochen hat.
Denn dort haben sich die Hassprediger, die ich jetzt nicht namentlich aufführen will, in den Moscheen immer wieder verbreitet. Sie haben ganz offensichtlich auch teilweise einen fruchtbaren Nährboden geschaffen.
Wir müssen feststellen, dass es auch bei uns solche Hassprediger gibt. Das ist äußerst bedauerlich. So hatten wir einen Imam in Augsburg, der das Freitagsgebet regelmäßig mit der Aufforderung beendete: „Tod allen Ungläubigen“, „Tod allen Christen“. Erst vor wenigen Tagen wurde Mohammed E., bis vor kurzem Imam des Islamischen Zentrums Nürnberg, in Abschiebehaft genommen. Er hatte die Ideologie der extremistischen Muslimbruderschaft verbreitet und unter anderem zum Djihad gegen die Ungläubigen aufgerufen.
Ich meine, dass es hier völlig eindeutig ist, dass wir in solchen Fällen von den zusätzlichen Möglichkeiten des Zuwanderungsgesetzes und den bisherigen Möglichkeiten des Ausländerrechts ausführlich Gebrauch machen.
Wer Hass schürt und nicht auf der Grundlage unseres Grundgesetzes für Toleranz eintritt, wer vielmehr diese Grundlagen zerstört, der hat in unserem Lande nichts zu suchen. Wir werden alles tun, um solche Leute auszuweisen und abzuschieben.
Deshalb habe ich im Herbst letzten Jahres eine neue Arbeitsgruppe eingesetzt, die die Aufgabe hat, die Behörden zusammenzuführen, um mit diesen Problemen besser fertig zu werden. Diese Arbeitsgruppe hat den schönen Namen „BIRGiT“. Der vollständige Name ist etwas bürokratisch geraten, weshalb die Abkürzung wohl notwendig ist: „Beschleunigte Identifi zierung und Rückführung von Gefährdern aus dem Bereich des islamistischen Terrorismus und Extremismus“. Bei der Arbeitsgruppe werden alle Informationen zusammengeführt, die wir zu Gefährdern besitzen. In der Arbeitsgruppe sind Staatsschützer, Polizisten, Verfassungsschützer, Vertreter der Ausländerbehörden, der Regierung und des Innenministeriums. Dort wird für jeden einzelnen uns bekannten islamistischen Gefährder festgestellt, welche gerichtsverwertbaren Erkenntnisse wir haben oder welche Erkenntnisse vor den Gerichten verwertbar gemacht werden können, um gegen den Betreffenden vorzugehen. Wenn eine Abschiebung aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nicht möglich ist, dann wird der Bewegungs- und Handlungsspielraum der Gefährder eingeschränkt. Unter der Koordination der Arbeitsgruppe „BIRGiT“ wurden zwischenzeitlich 13 Extremisten abgeschoben oder haben Deutschland unter dem Druck der Ausländerbehörden verlassen. Wir haben noch eine nennenswerte zweistellige Zahl von Hinweisen zu Personen, die in den nächsten Wochen von uns in ähnlicher Weise behandelt werden.
Welche Folgerungen haben wir aus der Gefahr zu ziehen? – Ich meine, wir müssen zunächst feststellen: Die föderale Sicherheitsarchitektur in Deutschland hat sich bewährt. Ich bin überzeugt – das sage ich nach wirklich langer Diskussion und guter Überlegung –, dass föderale Behörden,
die ortsnah organisiert sind, besser geeignet sind, festzustellen, was im Hinterzimmer einer Moschee in Neu-Ulm, in Schweinfurt oder in Nürnberg passiert, besser als eine zentralistische Behörde, die in Köln, Wiesbaden oder wo auch immer ihren Sitz hätte. Die ortsnahe Behörde mit einer guten Beziehung zur örtlichen Polizei und mit einer engen Beziehung zur Bevölkerung weiß sehr wohl, welche Leute sich dort bewegen: Sind es tolerante Muslime? Sind es vielleicht fromme, konservative, rückwärts gewandte, aber absolut friedliche Leute? Sind es Personen, die ganz sorgfältig angesehen werden müssen? Die föderale Sicherheitsstruktur ist deshalb richtig. Es ist allerdings unbedingt notwendig, dass es zu einer zentralen Koordinierung und zu einem zentralen Informationsaustausch kommt.
Wir haben, das sage ich ganz bewusst, anders als es in dem NPD-Verfahren zum Ausdruck gekommen ist, bundesweit einheitliche Standards und eine vorzügliche Zusammenarbeit zwischen den Bundesländern, die auch funktioniert. Alle wichtigen Erkenntnisse werden fl ächendeckend und zentral ausgewertet. Wir müssen dafür sorgen, dass Polizei, Nachrichtendienste, Justiz und andere Behörden wie auch die Wirtschaft eng zusammenarbeiten. Ich füge hinzu: Ich weiß, das klingt für manche Ohren etwas ungewohnt. Wir müssen uns aber darüber im Klaren sein, wenn es um Erkenntnisse von unmittelbar Gefährdenden geht, dürfen wir nicht das Trennungsgebot zwischen den verschiedenen Behörden in den Mittelpunkt stellen, sondern die gegenseitige Informationspfl icht. Wir müssen dies tun, um alle Erkenntnisse zu bekommen, damit die Gefährlichkeit einer Person erkannt und bewertet werden kann. Nur so kann dafür gesorgt werden, dass sie keinen Anschlag durchführen kann. Es dürfen keine Hürden aufgebaut werden, wenn es darum geht, einen islamistischen Gefährder zu erkennen und zu bewerten. Alle Behörden des Staates müssen zusammenarbeiten und eine lückenlose Bewertung auf den Weg bringen. Nur so haben wir die Chance, möglichst frühzeitig vorzugehen.
Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir in diesem Bereich der Kriminalität völlig anders vorgehen müssen als in allen anderen Bereichen. Hier liegt die erste Aufgabe hier nicht darin, erkannte Straftäter nach begangener Straftat aufzugreifen und der Bestrafung zuzuführen. Gerade bei einem Selbstmordattentäter ist es nicht sonderlich effi zient, ihm in Aussicht zu stellen, dass er möglicherweise verhaftet und eingesperrt wird. Die herkömmlichen Präventionsmöglichkeiten helfen nicht. Jeder weiß, welche entsetzlichen Auswirkungen selbst ein kleiner Anschlag auf unser gesamtes Leben haben kann, das gilt erst recht für einen größeren Anschlag. Wir müssen deshalb frühzeitig zugreifen, selbst dann, wenn der Nachweis einer Straftat unter Umständen nicht möglich ist, weil nur Vorbereitungshandlungen erkannt werden. Wenn man beispielsweise auf seinem Computer Daten über die Herstellung chemischer und biologischer Waffen hat, dann ist das keine Straftat. Es handelt sich hierbei allenfalls um eine strafl ose Vorbereitungshandlung. Wir müssen den Beginn einer konkreten Straftat nachweisen. Das ist die Besonderheit: In diesem Bereich der Kriminalität können wir nicht warten, bis eine konkrete Straftat
begonnen ist. Wir müssen die Gefährder frühzeitig ausschalten. Das Ausländerrecht ist hierfür, soweit es sich um Ausländer handelt, ein wirksames Mittel, um dafür zu sorgen, dass solche Personen nicht dauerhaft im Land bleiben.
Die Anschläge in London haben vor allem klar gemacht, dass die Aufhebung der Sicherheitspakete, wie das in der letzten Zeit immer wieder diskutiert wurde, unverantwortlich wäre. Wir brauchen die unbefristete Verlängerung der Sicherheitspakete.
Ich will einige weitere Maßnahmen ansprechen. Bundesinnenminister Schily hat nach massivem Drängen endlich Ende des vergangenen Jahres ein gemeinsames Lage- und Analysezentrum zur Terrorabwehr eingeführt. Die konkrete Durchführung in Berlin ist allerdings alles andere als ideal. Unter dem Dach des gemeinsamen Lage- und Analysezentrums ist in einem Gebäude ein polizeiliches Informations- und Analyseteam eingeführt und in einem gesonderten Haus, mit gesonderten Zugangskontrollen, ist ein nachrichtendienstliches Informations- und Analysezentrum eingeführt worden. Das heißt, auf der einen Seite gibt es die Koordinierung der polizeilichen Tätigkeit und in dem anderen Haus gibt es die nachrichtendienstliche Koordinierung. Um wiederum die beiden Häuser zu koordinieren, wurden sieben Koordinationsgruppen eingeführt. Hintergrund des Ganzen ist, dass die GRÜNEN strikt auf dem Trennungsgebot bestanden haben. Das halte ich für falsch. Wir dürfen, wenn es darum geht, konkreter islamistischer Bedrohung entgegenzuwirken, das Trennungsgebot nicht in einer übersteigerten Weise in den Mittelpunkt stellen. Wir müssen vielmehr die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in den Mittelpunkt stellen, um aus kleinen Detailerkenntnissen eine umfassende Generalbewertung herbeizuführen. Wir wissen aus den USA, dass es mehrere einzelne Hinweise auf die Terroristen des 11. September gegeben hat. Jeder einzelne Hinweis war als solcher aber relativ unauffällig. Beispielsweise wusste man, dass ein Islamist eine Flugschule besuchte. Das war unauffällig. Ein anderer Hinweis war, dass sich ein Islamist um die statischen Pläne des World Trade Centers bemühte. Auch das war relativ unauffällig.
Wenn beide Erkenntnisse zusammengeführt worden wären, hätte sich möglicherweise eine andere Qualität der Beurteilung ergeben. Alle deutschen Innenminister sind deshalb der Auffassung, dass wir ein gemeinsames Lage- und Analysezentrum brauchen. Die Innenminister der Union sind überdies der Meinung: Beim bisherigen System mit zwei getrennten Zentren darf es nicht bleiben. Die beiden müssen zusammengeführt werden.
Wir brauchen eine Anti-Terror-Datei. Es ist unerträglich, dass sie noch immer nicht eingeführt ist. Es ist Zufall, wenn im Fall eines in Regensburg vor Gericht stehenden Islamisten herausgefunden wird, dass ein Nachrichtendienst über mehrere Ordner voller Material verfügt. Es kann nicht richtig sein, dass so etwas erst durch die Fernsehberichterstattung bekannt wird.
In einer solchen Anti-Terror-Datei müssen übrigens auch die Finanzbehörden ihre Erkenntnisse mitteilen, die für die Frage der Terrorfi nanzierung von Bedeutung sind.
Gerade aus Deutschland heraus gehen massive Finanzbeiträge in den Nahen Osten, um den Terror zu fi nanzieren. Wenn es hier Hinweise gibt, muss man sie aufnehmen.