Protocol of the Session on June 29, 2005

(Zuruf von der CSU: Jeder wie er es verdient! – Gegenruf der Abgeordneten Karin Radermacher (SPD): Das ist ja ein tolles Demokratieverständnis! – Margarete Bause (GRÜNE): Das Ministerium wird es schon richten!)

Kolleginnen und Kollegen, letztendlich fehlt in den Einrichtungen auch die Zeit für die Umsetzung des Rechtes des Kindes auf Bildung. Ich sage hier ganz bewusst: des Rechtes. Das Recht des Kindes auf Bildung ist in der UNKinderrechtskonvention in Artikel 28 festgelegt. Deutschland hat diese UN-Kinderrechtskonvention 1992 unterzeichnet. Bekanntlich war zu diesem Zeitpunkt auch die CSU mit an der Regierung. Wir haben in der Bayerischen Verfassung – das ist noch gar nicht lange her, das war im Jahre 2003 – die Kinderrechte festgeschrieben. Aber in diesem Gesetz kommt Bildung leider nur in der Überschrift vor.

Dabei wissen wir alle, wie wichtig die frühkindliche Bildung ist. Das betont auch die Pisa-Studie ausdrücklich, auf die auch ich hier hinweisen muss. Das alte Sprichwort „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ gilt, glaube ich, heute umso mehr. Heute gibt es neuere Hirnforschungen – wobei ich mich frage, ob man die noch gebraucht hat; denn das habe ich schon vor 30 Jahren in Psychologie gelernt –, die festgestellt haben, wie richtig dieser Satz nach wie vor ist.

Wir haben den Bildungs- und Erziehungsplan, schön und gut. Darauf gibt es positive Reaktionen, und er wird auch sehr gut in der Praxis angenommen. Das ist hervorragend. Aber die Umsetzung dieses Bildungs- und Erziehungsplans passt mit dem Finanzierungsmodell überhaupt nicht zusammen, und das ist das Problem dabei.

Zur Bildung gehört übrigens auch die Sprachkompetenz. Darüber wurde heute schon ein bisserl was gesagt, deshalb spare ich mir das. Über dem ganzen Gesetzentwurf hängt das Damoklesschwert der Kostenneutralität. Deshalb ist und bleibt das Gesetz, das sage auch ich, ein Spargesetz.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren – Herr Unterländer, auch Sie haben es heute Morgen in Ihrer Rede gesagt –, es ist wunderbar, wir haben in diesem Gesetz eine Deregulierung. Wir haben keine Vorgaben, beispielsweise auch keine Raumvorgaben. Das ist wunderschön. Auch ich denke, an den bisherigen Vorschriften musste einiges geändert werden. Es muss beispielsweise nicht unbedingt festgelegt werden, dass die Handtuchhalter im Kindergarten mindestens 25 cm auseinander sind. Darin stimmen wir überein. Das Gesetz von 1972 wurde aber auch eingeführt, um gewisse Mindeststandards festzuschreiben.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): So ist es! – Beifall bei der SPD)

Ich weiß das noch. Jetzt haben wir das nicht mehr. In der Konsequenz heißt das – und ich sage das hier ganz bewusst: in der theoretischen Konsequenz, und hoffentlich auch nur in der theoretischen Konsequenz –, dass eine Kinderbetreuungseinrichtung genauso gut in irgendeinem Wohnzimmer oder in einer verräucherten Bude eingerichtet werden könnte. Ich sage deshalb „theoretisch“, weil die Bayerische Verfassung dem entgegensteht. Ich möchte deshalb die Bayerische Verfassung zitieren, und zwar Artikel 125. Dort heißt es unter Absatz 1:

Gesunde Kinder sind das köstlichste Gut eines Volkes.

Und in Absatz 2 steht:

Die Reinhaltung, Gesundung und soziale Förderung der Familie ist gemeinsame Aufgabe des Staates und der Gemeinden.

Zur Familie gehören die Kinder. Ich bitte deshalb, wenn die Ausführungsverordnung bzw. die Durchführungsverordnung, oder wie immer sie heißen mag, kommt, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Bayerische Verfassung das gesunde Aufwachsen von Kindern fordert.

Zur Gastkinder-Regelung: Seien Sie mir nicht böse, aber darauf muss ich noch einmal zurückkommen. Die Probleme, die diese Regelung bringt, werden auf dem Rücken der Eltern ausgetragen. Die Wahlfreiheit der Eltern wird sehr stark eingeschränkt. Ich muss jetzt noch einmal die Bayerische Verfassung zitieren. Ich weiß nicht, wer von Ihnen sich die Bayerische Verfassung, was diesen Punkt betrifft, schon einmal angeschaut hat.

(Thomas Kreuzer (CSU): Die Auslegung ist das Problem, Frau Kollegin!)

Ich zitiere Artikel 126 Absatz 1:

Die Eltern haben das natürliche Recht und die oberste Pfl icht, ihre Kinder zur leiblichen, geistigen und seelischen Tüchtigkeit zu erziehen. Sie sind darin durch Staat und Gemeinden zu unterstützen. In persönlichen Erziehungsfragen gibt der Wille der Eltern den Ausschlag.

Das heißt übersetzt, die Eltern entscheiden, wohin sie ihre Kinder geben, in welche Einrichtung mit welchem pädagogischen Konzept, und nicht die Kommune, die noch irgendwo freie Plätze hat.

(Beifall bei der SPD)

Zu dieser Gastkinderregelung gibt es übrigens – ich wundere mich, dass das heute noch nicht angesprochen wurde – ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. November 2004. Es bezieht sich zwar auf BadenWürttemberg, aber ich denke, dass das auch für bayerische Verhältnisse, also für dieses Gesetz, wenn es so kommt, angewendet werden könnte, wenn jemand klagt. Es geht in diesem Urteil um Einrichtungen der WaldorfPädagogik. Danach begründen Überkapazitäten – im bayerischen Gesetz wären das die freien Plätze – nicht,

dass die Einrichtungen mit besonderer Pädagogik nicht auch gleichermaßen gefördert werden. „Das verletzt Bundesrecht“ steht ausdrücklich drin.

Elternrecht ist, sich für eine Einrichtung mit besonderer pädagogischer Konzeption entscheiden zu können. Der Hinweis auf das Fehlen fi nanzieller Mittel rechtfertigt nicht die Einschränkung des Wunsch- und Wahlrechts der Eltern sowie der Trägervielfalt.

Zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts gibt es auch ein Rechtsgutachten von der Anwaltskanzlei Quaas & Partner aus Stuttgart über die Konsequenzen dieses Urteils. Ich denke, das ist sehr interessant. Es ist ein dickes Kompendium. Ich erspare Ihnen das jetzt, aber Sie können sich das gern bei mir kopieren, wenn Sie es vielleicht doch interessiert. Ich denke, auch dies könnte relevant werden. Dort steht nämlich:

Durch die Rechtsprechung wurden Fragen geklärt, die sich in der Praxis stellen. Das Bundesverwaltungsgericht hat den Anspruch der Eltern gestärkt, einen Kindergarten nach eigenen Vorstellungen auszuwählen. Bestehende und nachgefragte Einrichtungen sind bei der Bedarfsplanung zu berücksichtigen. Übergemeindliche Einrichtungen können nicht wegen eines Platzangebots vor Ort ausgeklammert werden. Der Kreis (Stadt-, Landkreis) kann seine Verantwortung nicht formlos an die Gemeinden abgeben. Der Kreis kann sich nicht darauf berufen, dass er keine Haushaltsmittel für die Förderung vorgesehen hat.

Meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen, es wäre der Bedeutung und Tragweite dieses Gesetzes angemessen gewesen, wenn Sie, meine Damen und Herren von der CSU, Anregungen und Bedenken aus den Petitionen ernst genommen und den Entwurf, den wir jetzt vor uns liegen haben, substanziell verändert hätten und nicht mit Marginalien, wie Sie es mit Ihren Anträgen getan haben, wobei Sie in den Veranstaltungen draußen immer Ihre Anträge hoch gehalten und erklärt haben: Wir haben ja etwas verändert! – Ja, was haben Sie denn verändert? Sie haben zum Beispiel das Wort „wöchentlich“ eingefügt.

Sie degradieren – ich sage es, wie es ist – Kinder zum Kostenfaktor. Es bleibt nach wie vor bei Ihren Sonntagsreden: Kinder sind unsere Zukunft – wenn sie es sind, dann müssen wir auch etwas für sie tun.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Weikert.

Kolleginnen und Kollegen! Viele sind nicht mehr da. Das Fußballspiel ist offensichtlich interessanter als die Diskussion über die Zukunft bei uns im Land.

(Zurufe von der CSU)

Bei uns muss ab und zu vielleicht auch einmal jemand einem Bedürfnis nachgehen. Aber ich will jetzt meine Redezeit gar nicht dazu benutzen, dies jetzt anzuprangern, sondern ich stelle es einfach nur fest.

Kollegin Narnhammer hat ihren Beitrag damit begonnen, dass sie gesagt hat: Dieses Gesetz ist eines der wichtigsten Gesetze, das in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird. – Ich füge hinzu: Es ist nicht nur eines der wichtigsten Gesetze, sondern das, was letztlich hinter diesem Gesetz steckt und was es bewirken soll, ist eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Aufgaben für die nächsten Jahre. Eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Aufgaben für die nächsten Jahre ist die adäquate individuelle, frühe Förderung unserer Kinder. Der Kernpunkt meines Beitrages ist also die Frage: Ist dieses Gesetz wirklich modern? Wie viel Bildung steckt in diesem Gesetz letztlich drin, außer dass dieses Wort im Titel vorkommt?

Als wir im Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport diesen Gesetzentwurf diskutiert haben, hat mich ein bisschen überrascht, dass die Kolleginnen und Kollegen von der CSU auf diesen speziellen Bildungsaspekt in ihren Diskussionsbeiträgen so gut wie überhaupt nicht eingegangen sind.

(Zustimmung bei der SPD)

Auch wenn Sie behaupten, Sie hätten schon rauf- und runterdiskutiert – diesen Punkt habe ich auch in den wenigen Beiträgen, die dazu von Ihnen heute kamen, kaum beleuchtet gesehen. Von Ihnen sind ja nur wenige Beiträge gekommen, deswegen kann ich mich auch nur auf wenige Zitate aus der heutigen Diskussion beziehen.

Ich beziehe mich jetzt auf das Eingangsstatement der Ministerin Stewens. Die Frau Ministerin hat am Schluss der Vorstellung des Gesetzes gesagt, man könne von München aus, vom Ministerium aus keine heile Welt schaffen. Dieser Satz als solcher ist vielleicht gar nicht so falsch. Nicht alles, was schief läuft in dieser Gesellschaft, ist letztlich dem Ministerium geschuldet. Ich bedaure es aber sehr, dass der neue Kultusminister, Minister Schneider, den das sehr wohl betreffen sollte, wenn ich nur an den Titel dieses Gesetzes denke, heute dieser Diskussion leider nicht folgt. Ich habe ihn vielleicht eine halbe Stunde wahrgenommen und ich war fast immer im Raum.

Sie können also vielleicht die heile Welt nicht allein vom Ministerium aus ausrufen, aber, Frau Ministerin Stewens, Ihr Auftrag und Ihre Verpfl ichtung ist es, die Rahmenbedingungen zu schaffen, die es jedem Kind in unserer Gesellschaft in Bayern – denn für Bayern sind wir zuständig – ermöglichen, bildungsmäßig das Beste gemäß seinen Fähigkeiten zu erreichen. Dieser Grundsatz, nämlich diese Rahmenbedingungen zu schaffen, ist etwas, Frau Ministerin Stewens, was sich durch alle Stellungnahmen aller großen Verbände zieht, die sich mit diesem Gesetz auseinander gesetzt haben. Überall kommt genau dieser Anspruch, kommen diese Rahmenbedingungen letztlich zur Diskussion.

Bei den vielen Veranstaltungen, die wir durchgeführt haben, die sehr lebendig waren, wurden in diesen Diskussionsprozess viele, viele qualifi zierte Beiträge von Erzieherinnen eingebracht. Es gab viele qualifi zierte Beiträge von Erzieherinnen, die sich auf das Kind und auf folgende Frage bezogen haben: Was brauchen wir, um die Kinder entsprechend zu fördern? Bei all diesen Diskussionen ist die Besorgnis zum Ausdruck gekommen, dass genau die Rahmenbedingungen für diese gesellschaftspolitische Aufgabe, nämlich die frühe, möglichst individuelle Förderung, durch dieses Gesetz nicht erfüllt werden.

Frau Ministerin, egal was Sie im Haushalt stehen haben, entscheidend ist, dass mit der Verabschiedung dieses Gesetzes jede Einrichtung aufgrund der im Gesetz festgelegten Finanzierungsgrundlagen, nämlich der Basiswerte, zukünftig arbeiten muss. Und die Hauptkritik, die geäußert wurde, bezog sich auf diese Basiswerte. Da haben Einrichtungen über längere Zeit Nebenrechnungen gemacht und festgestellt: Mit diesen Basiswerten können wir dem gesellschaftlichen Anspruch, den wir haben, nicht gerecht werden.

(Beifall der Abgeordneten Joachim Wahnschaffe (SPD) und Ulrike Gote (GRÜNE))

Das ist der Kernpunkt, und da ist es gar nicht so entscheidend, wie viele Millionen bei Ihnen im Haushalt stehen, sondern jede Einrichtung muss sich letztlich an diesen Finanzierungsgrundlagen orientieren. Ich bleibe dabei: Das ist die Hauptkritik.

Das ist auch die Hauptkritik, zum Beispiel des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes. Dem Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband kann sicherlich auch nicht unterstellt werden, dass er vielleicht sehr SPDnahe oder sonst wie sei oder irgendwie Argumente aufnehme, die er nicht überprüft.

Ich muss sagen, der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband macht immer eine sehr gründliche Analyse und wendet sich auch an die Abgeordneten des Bayerischen Landtags, wenn es ihm wichtig ist und wenn es wirklich um etwas geht. In der jüngsten Presseerklärung des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes am 23. Juni steht deutlich zu lesen:

So fragt die kind- und nutzungszeitbezogene Finanzierung nicht nach berechtigten Bedürfnissen des einzelnen Kindes, nicht nach dem Bildungsbedarf, Förderbedarf, sondern ausschließlich nach dem Buchungsbedarf der Eltern, also der Zeit, in der Eltern ihr Kind bringen und wieder abholen.

Kinder werden zu Förderfaktoren degradiert und müssen mit Gewichtungsfaktoren verrechnet werden. Was Kinder brauchen, Frau Ministerin Stewens, haben Sie überhaupt nicht geprüft und nicht erprobt.

Erinnern wir uns, Kollegin Strohmayr hat uns heute Morgen noch mal kurz die Entwicklung dieses Gesetzes vorgestellt. Erinnern wir uns, die Geschichte liegt einige Zeit zurück. Ich komme aus Nürnberg. Sie können sich

sicher denken, dass ich ab und an auch mal mit ISKA und den Leuten, die mit der Modellausarbeitung beschäftigt waren, diskutiert habe. Klar war, der Auftrag des Sozialministeriums ging an ISKA: Findet ein Modell, das unter den neuen Geburtenraten, die es jetzt in Bayern gibt, – –

(Karin Radermacher (SPD): Das war vor der Ministerin!)

Das weiß ich, aber die Ministerin hat es nicht korrigiert. Insofern ist es weiter Grundbestandteil.

Der Auftrag war also: Findet ein Modell unter Berücksichtigung der veränderten Geburtenrate und unter Beibehaltung der bisherigen fi nanziellen Förderung des Staates, und zwar nur des Freistaats Bayern, Zugegeben, ein Teil der Probleme wird durch dieses Gesetz gelöst werden, nämlich die Ausweitung auf 0 bis 14 Jahre, und es werden die unterschiedlichen Töpfe zusammengeführt.

Es ist eben nicht der Auftrag an ISKA oder an ein Institut, das sich mit Bildungsfragen, das sich mit pädagogischer Frühförderung beschäftigt, wie zum Beispiel das Staatsinstitut ergangen: Diskutiert, erprobt ein Modell, in dem Rahmenbedingen garantiert sind, damit Kinder sich entsprechend ihrer Möglichkeiten entwickeln können und diese Förderung durch die entsprechenden Kindertagesstätteneinrichtungen erfolgen kann. Es war umgekehrt: Das Geld stand im Vordergrund, nicht das Kind. So ist es letztlich auch wieder mit diesem Gesetzentwurf. Welche Chance Sie hiermit vertun, ist vielleicht erst in einigen Jahren abzuschätzen. Leider wird es dann nicht so aufgearbeitet werden, wie es dem Ganzen gerecht würde.