Protocol of the Session on June 29, 2005

Die bereits angekündigte Überprüfung der Gastkinderregelung im Hinblick auf ihre Wirkung auf Einrichtungen mit besonderen pädagogischen Förderansätzen wird nach der Umsetzungs- und Beobachtungsphase, vor allem auch im Hinblick auf die Ausführungsverordnung, eine entscheidende Grundlage darstellen.

Es wurde in den Ausschussberatungen kritisiert, dass es sich um keine gesetzliche Änderung handelt. Ich versichere Ihnen aber an dieser Stelle, dass die CSU-Landtagsfraktion dadurch, dass sie diese Anträge mit großer Mehrheit beschlossen hat, selbst auf die Einhaltung und

Umsetzung achten wird. Wir laden Sie ein, diesen Weg mit uns zu gehen.

Ein wichtiger Meilenstein, um den Übergang in das neue System auch in den Waldorf- und Montessori-Einrichtungen zu schaffen, ist unser Ergänzungsantrag, mit dem sichergestellt wird, dass Kinder in Einrichtungen im überörtlichen Einzugsbereich unabhängig von der Bedarfsplanung und der Gastkinderregelung bis zu ihrem Schuleintritt in der Einrichtung verbleiben können.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Die Gemeinden fi nanzieren dabei wie bisher.

(Beifall bei der CSU – Joachim Wahnschaffe (SPD): Gilt da das Konnexitätsprinzip nicht?)

Die Begleitung und Stärkung der Eltern im Erziehungsprozess ist eines der Hauptanliegen einer gelingenden Familienpolitik im Sinne einer positiven Kindesentwicklung. Wir sehen hier die Notwendigkeit, neue Konzepte der Elternbegleitung gerade an der Schnittstelle zur Kindertagesstätte und sonstigen Kindertageseinrichtungen zu schaffen, damit die Eltern tatsächlich niederschwellig erreicht werden können. Davon wird übrigens auch die erfolgreiche Umsetzung des Bildungs- und Erziehungsplanes maßgeblich abhängen. Es ist gelungen, für die Eltern- und Familienbildung im Bereich der Kindertagesstätten in den Jahren 2007 und 2008 ein Förderprogramm in Höhe von jeweils 500 000 Euro festzulegen. Der von uns als dringend erforderlich angesehene Tagespfl egestrukturbedarf benötigt in der Aufbauphase eine Unterstützung durch eine einmalige zeitlich befristete staatliche Anschubfi nanzierung zur Schaffung einer fl ächendeckenden und die institutionellen Betreuungsformen ergänzenden Tagesmütterangebotsstruktur als Anlaufstelle zur Qualifi zierung, Organisation von Aus- und Fortbildung sowie von Ersatzkräften im Krankheitsfall und zur Vernetzung jeweils auf Landkreisebene.

Das heißt aber auch, dass zwangsläufi g nicht die Landkreise in eigener Regie tätig werden müssen. Manche Träger, zum Beispiel der Deutsche Kinderschutzbund, in Augsburg sind auf diesem Gebiet bereits erfolgreich tätig. Andere haben zum Beispiel im Rahmen der Landtagsanhörung des Sozialpolitischen Ausschusses Kindertagesstätten als Anlaufstellen benannt. Ich bin dem Landesverband der Katholischen Kindertagesstätten für diese Idee sehr dankbar.

Lassen Sie mich noch einige wenige Worte zur Rolle der Opposition sagen. Ich halte es im Interesse der Zukunft unserer Einrichtungen, der Mitarbeiterinnen, der Träger, der Eltern, vor allem aber der Kinder für mehr als problematisch, dass Sie mit Unwahrheiten und mit Unterstellungen eine unglaubliche Verunsicherungskampagne zu betreiben, wie dies momentan der Fall ist.

(Beifall bei der CSU – Karin Radermacher (SPD): Für wie blöd halten Sie eigentlich die Betroffenen, dass sie nicht selber merken, was los ist?)

Nicht die Modellerprobung, nicht der Gesetzentwurf, nicht die Vordiskussion über die Ausführungsverordnung – dank der großen Dialogfähigkeit von Frau Staatsministerin Stewens sehr breit geführt –, sondern Ihre Behauptungen haben Unruhe in die Einrichtungen gebracht. Ihre Schritte lauten – beim letzten Schritt darf ich ausdrücklich die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ausnehmen –: Behauptungen aufstellen, zu Petitionen auffordern, Menschen verunsichern und selber dann nichts Konstruktives beim Gesetzgebungsverfahren einbringen.

(Beifall bei der CSU)

So stelle ich mir einen konstruktiven Beitrag einer Parlamentsfraktion nicht vor, meine Damen und Herren! Was würde passieren – lassen Sie mich das noch ansprechen –, wenn das Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz nicht kommen würde?

Es gibt ja verschiedene Kräfte, insbesondere auch Sie von der SPD, die sagen: Weiter so mit dem bisherigen Gesetz! Wir brauchen nur mehr Geld. – Diesen Leuten sage ich: Ein Kindergartengesetz mit sechs Durchführungsverordnungen und drei Förderrichtlinien ist nicht in der Lage, ein zeitgemäßes und fl exibles Angebot zu machen.

(Beifall bei der CSU)

Ohne das neue Gesetz müssten wegen des Geburtenrückgangs allein im Kindergartenbereich voraussichtlich 3800 Gruppen im Freistaat Bayern schließen, und 8900 Arbeitsplätze gingen verloren. Dies kann durch Altersöffnung und Umwidmung freier Plätze für andere Altersgruppen vermieden werden.

(Karin Radermacher (SPD): Das hat man doch schon vor zehn Jahren gewusst!)

Ich frage Sie: Wollen Sie sich allen Ernstes einer solchen Entwicklung verschließen?

Die Ausführungsverordnung kann logischerweise erst nach dem Gesetz erlassen werden. Die Regelung des Artikels 30 des Gesetzentwurfes als Ermächtigungsgrundlage für die Staatsregierung, eine Ausführungsverordnung zu dem Gesetz zu erlassen, kann erst umgesetzt werden, wenn das Gesetz beschlossen ist. In der Ausführungsverordnung werden für die Einrichtungen wesentliche Fragen geregelt, zum Beispiel der Anstellungsschlüssel oder die Erziehungsziele. Ich halte es für wichtig, dass all diese wesentlichen Fragestellungen in einem umfassenden Anhörungs- und Mitwirkungsprozess mit den Trägern, den Mitarbeitern, den Elternvertretern und den Kommunen erörtert werden. Wir verbinden mit unserem Entschließungsantrag, gerade auch im Hinblick auf den wesentlichen Stellenwert des Erziehungspersonals, klare Erwartungen. Die praktische Umsetzung der Ausführungsverordnung sollte aber andererseits von den jetzt kritisierenden Verbänden als Chance gesehen werden, sich erstmals oder wieder konstruktiv in den Mitgestaltungsprozess einzubringen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe eingangs davon gesprochen, dass der Gesetzentwurf zum

Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz ein Meilenstein für eine moderne Kindertagesstättenlandschaft im Freistaat Bayern ist. Lassen Sie uns diesen Weg in die Zukunft gemeinsam für unsere Kinder und für moderne, qualitätvolle Einrichtungen gehen!

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Dr. Strohmayr.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Frau Ministerin, sehr geehrter Herr Unterländer! Ich habe doch mit einiger Verwunderung zur Kenntnis genommen, Herr Unterländer, dass Sie hier die Rede halten mussten. Gesetzesvorlagen werden normalerweise zunächst von der Ministerin begründet. Diese Tatsache zeigt mir den Stellenwert des Gesetzes in Ihrer Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, regen Sie sich nicht auf! Es kommt noch besser.

(Joachim Herrmann (CSU): Das war bisher ein ziemlicher Blödsinn, Frau Kollegin!)

Nach zwei Jahren im Bayerischen Landtag und angesichts des Gesetzgebungsverfahrens zum Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz frage ich mich: Was bedeutet Demokratie in Bayern? Rücksichtloses Durchpeitschen der eigenen Meinung, totale Missachtung der Kritik von Fachleuten, absolute Ignoranz trotz massiver Proteste von Bürgerinnen und Bürgern, brutalste Ausnützung der Zweidrittelmehrheit im Landtag?

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Über 20 000 Unterschriften liegen vor. Mehr als tausend Unterschriften wurden mir allein in meinen Stimmkreisen Augsburg-Land und Aichach-Friedberg übergeben. Mehr als 400 Petitionen sind eingegangen.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Das wollt ihr nicht hören!)

Zuletzt gab es eine Protestaktion mit über 4000 Teilnehmern. Ich kann Ihnen mitteilen: Heute kurz vor Beginn dieser Debatte im Landtag wurde mir erneut eine Petition übergeben. Dieses Gesetz bewegt viele,

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

aber Sie nehmen das einfach nicht wahr. All das hindert die Staatsregierung und die CSU-Fraktion nicht, auch bei der Betreuung von Kindern eine rücksichtslose Sparpolitik zulasten kommender Generationen zu betreiben.

Diese Art der Gesetzgebung war und ist eine totale Missachtung der Demokratie hier in Bayern. Ich möchte das verdeutlichen: Eine von der SPD nach Minderheitenrecht beantragte Expertenanhörung wurde durch Beschluss der

Mehrheitsfraktion nach d’Hondt besetzt. Jegliche sachliche Ausgewogenheit sollte damit im Keim erstickt werden. Die Redezeit von Petenten wurde auf drei Minuten beschränkt. Schließlich wurden über hundert Petitionen ohne Auseinandersetzung mit ihrem Inhalt von der Mehrheitsfraktion für erledigt erklärt.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Unerhört! – Susann Biedefeld (SPD): Die Arroganz der Macht!)

Unerhört! Das sind Fakten und Tatsachen, liebe Kolleginnen und Kollegen, Tatsachen zum Entwurf des neuen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes. So sieht Demokratie in Bayern aus. Das ist eine Schande für dieses Haus.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN – Hen- ry Schramm (CSU): So ein Quatsch!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen – ich spreche jetzt hier insbesondere die Kolleginnen und Kollegen von der CSU an –, durch Ihr Verhalten ist die SPD-Landtagsfraktion gezwungen, Fürsprecher für all diejenigen zu werden, die Sie bisher nicht haben zu Wort kommen lassen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ein Wort zu Herrn Unterländer: Herr Unterländer, nicht wir schüren Ängste, sondern Betroffene kommen Hilfe suchend auf uns zu. Das ist ein Unterschied, den Sie vielleicht nicht wahrhaben möchten.

(Beifall bei der SPD – Dr. Otmar Bernhard (CSU): Sie schüren doch die Ängste! – Joachim Wahnschaffe (SPD): Warum nehmen Sie diese Ängste denn nicht ernst?)

Wir wollen den heutigen Plenartag dazu nutzen, um durch unsere Redebeiträge Ihnen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen insbesondere der Mehrheitsfraktion, die Wichtigkeit dieses Gesetzentwurfes deutlich zu machen und Ihnen Ihre Verantwortung aufzuzeigen, bevor Sie über die vielen Petitionen, unsere Anträge und das neue Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz abstimmen.

Kinderbetreuung ist wichtig, auch wenn Herr Söder in der Zeitung immer noch von „Nischenpolitik“ spricht. Ich möchte – das ist vielleicht eher Ihre Wortwahl – auf den aktuellen „Newsletter“ der IHK Schwaben verweisen. Darin heißt es: Angesichts der in Ausbildungs- und Arbeitsplätzen benötigten Qualifi kationen zeichnet sich eine Problematik mit großer Brisanz ab, zu deren Lösung die gesamte Gesellschaft gefordert ist. Hauptansatzpunkt für solche Lösungen liegt bei den allgemeinbildenden Schulen und – man höre und staune: – im Kindergarten.

Was bei der Wirtschaft angekommen ist, ist durch Studien längst belegt. Eine Studie aus den USA mit 58 Kindern aus sozial benachteiligten Familien hat gezeigt: Lässt man Kindern eine gute frühkindliche Bildung zukommen, profi tieren diese ein ganzes Leben lang davon. Sie sind besser motiviert, haben bessere Schulabschlüsse, fi nden leichter einen Job, haben meist bessere Jobs als andere Kinder

aus sozial schwächeren Familien. Ein Gutachten – und auch das ist interessant – des Deutschen Instituts für Wirtschaftsförderung hat ergeben: Für jeden Euro, den der Staat in Kinderbetreuung investiert, nimmt er mittelfristig 3,8 Euro wieder ein. All das sind Daten, die Sie sich doch zu Gemüte führen sollten, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der geschilderte Gesetzgebungsprozess allein ist skandalös. Aber ein weitaus größerer Skandal ist der Gesetzentwurf selbst.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ein neues Kindertagesstättengesetz eröffnet so viele Chancen. Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf hat jedoch außer dem wohlklingenden Namen „Bayerisches Gesetz zur Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern in Kindergärten und anderen Kindertageseinrichtungen“ – kurz: BayKiBiG – kaum etwas zu bieten; denn längst ist allen, die mit diesem Gesetzentwurf beschäftigt waren, klar: Wo Bildung draufsteht, ist keine drin.