Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich will zunächst deutlich erklären: Das Innenministerium und ich als Innenminister werden in dieser Legislaturperiode das Thema in jedem Fall nicht weiterverfolgen.
Ich mache keinen Hehl daraus, dass das Innenministerium als Behörde – Sie haben erwähnt, dass der Staatssekretär im Jahr 2000 das schon einmal erklärt hat – diese Frage für nicht so bedeutend hält, dass sie weiter diskutiert würde, während ich seit vielen Jahren aus meiner Meinung keinen Hehl mache, dass ich die Stichwahl unter mehreren Aspekten für entbehrlich halte. Ich bin einer der wenigen, die in diesem Haus einmal eine Stichwahl mitgemacht und diese verloren haben. Ich weiß deswegen, welche Probleme das für eine Partei, welche Probleme das für den Kandidaten, welche Probleme das auch für die Öffentlichkeit mit sich bringt, dass es nämlich ungeheuer schwierig ist, die Leute zu einem zweiten Wahlgang zu motivieren.
In der Tat ist es so, dass im Durchschnitt die Wahlbeteiligung im zweiten Wahlgang, in der Stichwahl, deutlich niedriger ist als im ersten Wahlgang, sodass es in einer nicht unerheblichen Zahl von Fällen folgende absurde Situation gibt: dass der Kandidat in der Stichwahl mit einer niedrigeren Zahl von Stimmen gewählt wird, aber über 50 % hat.
Beispielsweise hat Landrat Dörfner in Passau nach der Stichwahl mehr als 10 000 Stimmen weniger als im ersten Wahlgang, aber über 50 % der Stimmen erreicht. Damit ist er gewählt. Aber die Wahl ist mit deutlich weniger Stimmen als bei der ersten Wahl erfolgt.
Der zweite, der seit vielen Jahren für eine Modifi zierung des Stichwahlrechts eintritt, ist der frühere Landrat Grimm, der sagt, in der Stichwahl sei ein Bewerber mit deutlich weniger Stimmen gewählt worden, als er im ersten Wahlgang erhalten habe. Ist dann, wenn jemand 7000 Stimmen weniger hat, die demokratische Legitimation höher, weil er 51 % hat? Landrat Grimm sagt, das Wahlrecht müsse in jedem Fall so verändert werden, dass derjenige gewählt ist, der die höchste Anzahl der Stimmen erhalten habe. Dieser Ausgangspunkt war mir Anlass zur Anfrage. – Bitte.
Herr Staatsminister, stimmen Sie der Aussage zu, dass die Wahlbeteiligung in der Regel höher als bei den Europawahlen und häufi g auch höher als bei der letzten Landtagswahl ist?
Ich stimme dieser Meinung nicht zu; sie stimmt jedenfalls bei den Landtagswahlen seit 1946 in Bayern nicht. Ich empfehle Ihnen, dasselbe zu tun, das der Herr Vorsitzende der SPD-Fraktion gemacht hat, nämlich sich darüber beim Statistischen Landesamt zu erkundigen; dort bekommt man diese Unterlagen. Es gibt mehrere Fälle, in denen derjenige, der die Stichwahl gewinnt, deutlich weniger Stimmen als derjenige hat, der in der Erstwahl geführt hat. Das ist eine Frage demokratischer Legitimation.
Frau Kollegin Schmitt-Bussinger, Sie waren bei der Veranstaltung beim Landrätetag dabei. Ich habe dort nicht etwa gesagt, wir führen dies ein, sondern ich rufe Sie als Zeugin dafür an, dass ich dort erklärt habe, mein Anliegen ist es, Politik in einer solchen Art und Weise zu machen, dass ich die Dinge zunächst mit den Betroffenen diskutiere und mir auch die Meinung der Betroffenen anhöre, um dann unter Umständen Dinge auch zu verändern.
Ich habe dort erklärt – das ist von einem der anwesenden Sitzungsleiter sogar auf unterschiedliche Meinung in der Staatsregierung zurückgeführt worden, was mir nicht gefallen hat –, mein Stil ist es, dass ich mit Betroffenen sehr frühzeitig rede. Ich habe diese Frage mit der Kommunalpolitischen Vereinigung, der KPV, in vielen Sitzungen erörtert. Ich habe diese Themen im Landtag mit dem Arbeitskreis mehrfach erörtert und auch mit vielen Landräten und Oberbürgermeistern – auch der SPD – diskutiert. Ich habe es für sinnvoll gehalten zu sagen, welche Dinge in welchem Bereich auf sie zukommen. Ich habe ferner gesagt, wir werden – Sie wissen, das Hauptthema war die Bezirksreform – auch eine Anhörung über das Gemeindewahlrecht mit vielen technischen Änderungen durchführen.
Weiter habe ich angesprochen, dass wir eine erleichterte Zusammenlegung von nicht turnusmäßigen Wahlen auf kommunaler Ebene mit übergeordneten Wahlen planen, was nur auf Antrag der Kommune erfolgt. Dabei habe ich gesagt, dass wir, wie wir es bei der letzten Europawahl gemacht haben, die im Gesetz vorgesehenen drei Monate unter allseitiger Zustimmung auf bis zu sieben Monate ausgedehnt haben. Ich habe viele Briefe von Abgeordneten bekommen, dass wir dieses Gesetz ändern sollen.
Ich habe dies angekündigt, um eine Reaktion zu provozieren. Ich habe jetzt die Äußerung von Herrn Grein bekommen, dass er dies ablehne, während er dort massiv Beifall geklatscht hat, ebenso wie der Landkreistag insgesamt in der Frage der erleichterten Zusammenlegung von Wahlen heftig Beifall geklatscht hat. Wir müssen das Thema weiter diskutieren.
Ich habe zur Frage der Stichwahl gesagt, ich stelle das zur Diskussion. Wir werden, wenn die Diskussion weiterläuft, unter Umständen einen Gesetzentwurf vorlegen, der in die Anhörung geht. Nach der Anhörung wird entschieden, ob der Vorschlag aufgenommen wird.
Ich wehre mich dagegen, dass jetzt so getan wird, als hätte ich insofern einen Riesenrückzieher gemacht. Ich habe vielmehr gesagt, ich selber vertrete diese Meinung, ich will das zur Diskussion stellen, weil ich bestimmte Dinge in der Tat nicht für überzeugend halte. Ich habe dort gesagt, man müsse beispielsweise darüber diskutieren, ob man ein Quorum einführt – Abstand mehr als 10 % – oder ob man sagt, es müssen beim Erstwahlgang mindestens 40 % erzielt werden. Ich habe beispielsweise die Frage zur Diskussion gestellt, ob man bei nur drei Kandidaten bereits bei der ersten Wahl einen Stichentscheid macht, wie beispielsweise bei Bürgerentscheiden. Was ist, wenn ein Kandidat nicht die Mehrheit bekommt? Für wen sind Sie dann? Das könnte man unterschiedlich gestalten. Ich habe darüber Vorschläge von Statistikern bekommen; auch das habe ich zur Diskussion gestellt. Ich gestehe aber, dass ich davon völlig überrascht bin, dass die Diskussion in einer Weise gelaufen ist, die ich für Quatsch halte und die heute im Parlament nicht wiederholt worden ist.
Es sind öffentliche Diskussionen gelaufen zu den Themen „Anschlag auf die Demokratie“ und „Manipulation durch eine Partei mit Zweidrittelmehrheit“. Bei einer so technischen Frage bin ich nicht bereit, mich auf eine Diskussion einzulassen und draußen etwa zu sagen, ich will die Demokratie wegrollen. Auf dieses Niveau gehe ich nicht ein. Dann wird dies halt nicht weitergeführt.
Aber ich hätte jetzt schon gerne ernsthaft gehört, ob es denn ein Anschlag auf die Demokratie ist. Dazu kann ich nur sagen: Wer das behauptet, hat entweder keine Ahnung oder lügt die Leute nach Strich und Faden an.
Zum Beispiel hat der Oberbürgermeister in Passau erst in der Stichwahl den SPD-Oberbürgermeister verdrängt. Frau Schmitt-Bussinger, 1996 lag Oberbürgermeister Schönlein in der ersten Wahl vorne, in der Stichwahl hat Ludwig Scholz gewonnen. Oberbürgermeister Wenning hat erst in der Stichwahl gegen Herrn Lichtenberg gewonnen. Deswegen sage ich, es gibt, wie immer bei Wahlen, Gewinner und Verlierer.
Ich wehre mich aber vehement dagegen, dass mir irgendjemand manipulative Gedanken unterstellt. Warum haben dies dann die Leute beim Landkreistag nicht gemerkt? Die
Vizepräsidentin des Landkreistags und Landrätin der Freien Wählergemeinschaft, Frau Bruni Mayer, hat erklärt, sie halte dies für einen Vorschlag, der ihr ziemlich gleichgültig sei. Sie gewinne immer im ersten Wahlgang, unabhängig davon, ob zehn andere Kandidaten gegen sie kandidieren. Landrat Grein, der Vorsitzende der Freien Wähler, hat dort nichts gesagt. Er hat dort nicht etwa gesagt, es sei ein Anschlag auf die Demokratie.
Daher muss ich sagen: Das ist eine nachgeschobene Begründung, die jetzt im Klima des Vorwahlkampfes erfolgt ist. Auf dieser Ebene wird eine technische Änderung – ich habe hier eine technische Änderung des Wahlrechts vorgeschlagen, die aus meiner Sicht gegenüber der Frage einer Zusammenlegung mit übergeordneten Wahlen nachrangig ist – mit Manipulation in Zusammenhang gebracht. Deswegen habe ich die Diskussion von mir aus beendet.
Mich überrascht sehr, dass hier dargelegt wird, die demokratische Legitimation eines Oberbürgermeisters oder Landrats sei, weil er in der Stichwahl mehr als 50 % der Stimmen erreicht habe, eine höhere als desjenigen, der eine relative Mehrheit habe. Das sind für eine Landtags- und Bundestagswahl komische Fragen: Sind bei Bundestags- und Landtagswahlen direkt gewählte Abgeordnete weniger legitimiert als Mandatsträger, die in einer Stichwahl mit 50,1 % gewählt wurden? Das ist abwegig; denn gewählt ist, wer in einer demokratischen Wahl nach demokratischen Kriterien die jeweilige Mehrheit erreicht. Wir kennen einen parteiinternen und parteiexternen Grund, dass man mit relativer oder absoluter Mehrheit gewählt werden muss.
Ich hatte übrigens auch die Frage zur Diskussion gestellt, ob man die Entscheidung unter Umständen der Gemeinde überlässt, wobei aus meiner Sicht sehr viel dagegen spricht. Es lohnt nicht, diese Fragen weiter intensiv zu diskutieren. Ich bin nicht bereit, über Auffassungen wie, es sei ein Anschlag auf die Demokratie und wer nicht durch eine absolute Mehrheit gewählt sei, habe keine demokratische Legitimation, eine Diskussion zu führen. Dagegen ist zu argumentieren: Es ist einfacher, zweckmäßiger, und es werden ein paar Millionen Euro eingespart.
Ich bin nicht bereit zu sagen: Demokratie ja oder nein. So habe ich nicht gewettet. Trotzdem sage ich Ihnen: Jeder, der als Parteivorsitzender eine Stichwahl organisieren muss, hat dafür zu sorgen, dass zur Stichwahl genügend Wähler gehen. Das kostet viel Geld und bedarf eindringlicher Argumente; denn meistens hat man die Argumente schon beim ersten Wahlgang verbraucht. Es gibt niemanden, der bei der Führung eines Wahlkampfes sagen kann: Ich reserviere Geld und Argumente für den zweiten Wahldurchgang. Deshalb noch einmal: Mein Herz hängt nicht daran. Bei einer solchen Konstellation lohnt es nicht, einen solchen Vorschlag weiterzuverfolgen. Deshalb habe ich auch die Konsequenzen gezogen und habe das zurückgenommen.
Bei den Standesämtern war es noch etwas eigenwilliger. Dazu darf ich Folgendes sagen. In einer Arbeitsgruppe des Innenministeriums auf Arbeitsebene mit Vertretern der kommunalen Spitzenverbände ist überlegt worden, wie
die Änderung der entsprechenden Gesetze umgesetzt werden könnte. Es ist in dieser Arbeitsgruppe gesagt worden, wenn man das alles elektronisch durchführen müsste, könnte die Registerführung zentralisiert werden. Gleichzeitig ist dort erklärt worden, dass die Trauung als solche natürlich immer noch von jeder Gemeinde vorgenommen werden kann.
Diese Frage, die noch nicht politisch abgesichert war, ist von denen, die in dieser Arbeitgruppe mitgearbeitet haben, massiv kritisiert worden. Ich bin gespannt, wie das Thema in den nächsten Monaten weiterbehandelt werden wird und wie es weitergehen würde, wenn die Bundesregierung, was sie beabsichtigt hatte, den Entwurf dahin verabschieden würde, dass die Register elektronisch zu führen sind. Wenn das 2009 eingeführt werden sollte, sollte man nicht übersehen, dass die teuren Programme und die Schulungen dann von den Gemeinden getragen werden müssten, auch von solchen, die vielleicht im Jahr nur ein bis fünf Fälle zu bearbeiten haben. Insofern stehe ich der elektronischen Registrierung sehr distanziert gegenüber.
Aus diesem Grunde habe ich auch von einer Machbarkeitsanalyse abgesehen. Ich möchte zunächst abwarten, ob die Bundesregierung dieses Gesetz überhaupt durchsetzt. Ich bin der Auffassung, dass die Bundesregierung dann, wenn sie dieses Gesetz verabschiedet, auch das Geld für die Umsetzung aufzubringen hat. Ob ich diese Meinung nach dem 18. September allerdings noch haben kann, weiß ich nicht.
„Habe“, um das etwas formaler zu machen. Das kennt doch jeder von Ihnen. Ich meine, es ist eine relativ technische Frage.
Aber noch einmal zurück: Die Frage, ob jemand in einer demokratischen Wahl wie in Baden-Württemberg mit einer relativen Mehrheit im zweiten Wahlgang – im ersten gilt die absolute Mehrheit – gewählt wird oder ob man unter Umständen in Zeiten knapper Kassen bereits im ersten Wahlgang mit relativer Mehrheit gewählt wird – vorbehaltlich irgendwelcher einengenden Vorschriften oder Quoren – ist keine zentrale Frage der parlamentarischen Legitimation.
Und ich sage noch Folgendes – damit niemand meint, es kommen jetzt noch weitere Anläufe: Selbstverständlich werde ich auch keine Vorschläge dazu bringen, was man ändern könnte, wenn in der Stichwahl die absolute Zahl der Stimmen kleiner ist als im ersten Wahlgang. Es wird hier auch keine Änderung geben, sondern wir belassen es eben nach den Vorschlägen des Innenministeriums beim bisherigen Recht. Allerdings wird die Zusammenlegung mit übergeordneten Wahlen auf Antrag der Kommunen etwas erweitert auf vielleicht sechs bis neun Monate. Hier warte ich auf entsprechende Vorschläge der kommunalen Spitzenverbände. Auch das erscheint mir nicht als ein Anschlag auf die Demokratie oder eine Manipulation. Deshalb rate ich, die Sache niedriger zu hängen und keine solchen Diskussionen zu führen. So ist mein Verhalten zu erklären, und ich bitte um Nachsicht, wenn ich sage, ich
tue hier nicht furchtbar Buße; denn meine Meinung halte ich auch jetzt noch für richtig. Dennoch ist es richtig, unter bestimmten Umständen, wenn eine Meinung gerade in aufgeheizten Zeiten völlig anders aufgenommen wird, einen solchen Vorschlag nicht weiterzuverfolgen.
Die Kolleginnen und Kollegen der CSU bitte ich, Folgendes zu bedenken: Selbst diejenigen, die nach Meinung der GRÜNEN weniger legitimiert sind, weil sie nicht mit über 50 % gewählt sind, sondern nur mit 49,9 %, aber die doppelte Zahl der Stimmen gegenüber einem Bürgermeister haben, sollten trotzdem mit der vollen Legitimation sagen: Wir brauchen diese Abstimmung über nicht vorliegende Gesetzentwürfe nicht. Damit sind die Anträge der SPD und der GRÜNEN in völliger demokratischer Legitimation und Überzeugung abzulehnen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, momentan liegen noch drei weitere Wortmeldungen vor. Es sind die Kolleginnen Weinberger, Schmitt-Bussinger und Kamm. Das Wort hat Frau Kollegin Weinberger.
Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Dringlichkeitsantrag der SPD-Fraktion „Keine Abschaffung der kommunalen Stichwahlen“ möchte ich zu Beginn meiner Ausführungen festhalten: Dieser Dringlichkeitsantrag ist überfl üssig, weil die Antragsteller gleich zu Beginn ihrer Begründung im Antrag begrüßen, dass der Staatsminister die Überlegungen zur Abschaffung der Stichwahl bei Oberbürgermeister-, Bürgermeister- und Landratswahlen nicht weiterverfolgen wird.
Aber dem Chef der SPD-Fraktion, Franz Maget, ist es offensichtlich lieber, so etwas per Beschluss festzuhalten.
(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das stimmt ja auch! – Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Der Minister ist nicht der Landtag! Das sollten Sie wissen!)
Ich frage Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, woran man festhalten soll, wenn es keinen Gesetzentwurf, ja nicht einmal eine Initiative gibt.
(Beifall bei der CSU – Johanna Werner-Muggen- dorfer (SPD): Eine Initiative ja, was sonst! – Zurufe und Unruhe – Glocke des Präsidenten)
Darf man denn die Argumente, die für eine Abschaffung der Stichwahl sprechen, nicht mehr öffentlich diskutieren?
(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Darf man schon, aber dann bekommt man eine Niederlage und muss den Schwanz einziehen! – Zurufe)