Protocol of the Session on April 21, 2005

Frau Kollegin Dr. Kronawitter, ich würde es Ihnen gerne glauben. Bemerken Sie bitte den Konjunktiv. Ich glaube es Ihnen leider nicht, denn ich lese die Pressemitteilungen aus dem BWMA nämlich sehr genau. In der Erklärung steht nichts von Prüfung, sondern hier steht, dass das Ministerium auf eine Erweiterung des Arbeitnehmerentsendegesetzes auf alle Branchen setzt. Das ist sehr deutlich ausgedrückt, und was ich schwarz auf weiß von der Bundesregierung nach Hause tragen kann, dem glaube ich.

Eines möchte ich Ihnen noch einmal klar und deutlich sagen: Eine undifferenzierte Erweiterung des Anwendungsbereichs des Arbeitnehmerentsendegesetzes auf alle Branchen, wie das derzeit von der Bundesregierung angekündigt wird, ist entschieden abzulehnen.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, jede Erweiterung des Arbeitnehmerentsendegesetzes stellt eine Notmaßnahme dar, die einen Teil der Arbeitsplätze auf dem Niveau der niedrigen Produktivität verschließt. Das führt zu einem Preisniveau auf den betroffenen Märkten, für das keine ausreichende private Nachfrage zu erwarten ist. Deshalb möchte ich noch einmal nachdrücklich davor warnen.

Schließlich möchte ich noch etwas zu Ihnen, Herr Kollege Runge, und zu den 1-Euro-Jobs sagen.

Einen Moment, Frau Staatsministerin. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich will wirklich nicht besonders streng sein, aber bei diesem Lärmpegel ist es einfach nicht möglich, hier zu sprechen. Darf ich die Oberpfalz vielleicht bitten, ihre Zwischenkonferenzen einzustellen?

(Franz Schindler (SPD): Das ist nur ein schwacher Teil der Oberpfalz – Zuruf des Abgeordneten Dr. Christian Magerl (GRÜNE))

Sie haben sich auch gemeldet, dann gilt das für Sie genauso.

Herr Kollege Dr. Runge, ich komme zu den 1-Euro-Jobs. Wenn Bundeswirtschaftsminister Clement im Rahmen der 1-Euro-Jobs 600 000 Arbeitsgelegenheiten in Deutschland ankündigt und wenn ich als bayerische Arbeitsministerin zu unseren Arbeitsgemeinschaften zur Umsetzung von Hartz IV immer sage, man muss bei den 1-Euro-Jobs sehr genau darauf achten, dass keine Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt verdrängt werden, dann kann ich Ihnen nur sagen, Ihre Klage ist an das Bundeswirtschaftsministerium zu richten, aber nicht an den Freistaat Bayern. Wir achten nämlich sehr genau darauf, dass keine Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt verloren gehen. Wir kündigen allerdings auch nicht wie Herr Clement 600 000 Arbeitsgelegenheiten im Rahmen von 1-EuroJobs an. Auch das möchte ich Ihnen ganz klar sagen.

Zum Schluss möchte ich doch noch einmal auf die Europäische Union zu sprechen kommen. Die Bundesregierung hat Deutschland auf die EU-Erweiterung schlecht vorbereitet. Sie hat vor allem keine ausreichenden Übergangsregelungen hinsichtlich der Dienstleistungsfreiheit durchgesetzt. Bayern hat im Zuge der Erweiterung frühzeitig auf den Erlass von Übergangsregelungen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Dienstleistungsfreiheit gedrängt. Die Bundesregierung muss Versäumtes nachholen und die Zusammenarbeit mit den Beitrittstaaten bei der Kontrolle nachhaltig verbessern. Als Beispiel ist die Überprüfung von Unternehmen zu nennen, die unter Berufung auf die Dienstleistungsfreiheit bei uns arbeiten, aber in ihrem Heimatland in Mittel- und Osteuropa überhaupt nicht existieren. Stichwort: Briefkastenfi rmen.

Die Bundesregierung muss zudem aus ihrer Nachlässigkeit lernen und bei dem anstehenden Beitritt von Bulgarien und Rumänien ein besonderes Augenmerk auf die Dienstleistungsfreiheit richten. Denn beide Staaten sollen voraussichtlich zum 1. Januar 2007 der EU beitreten. Wir brauchen hier effektive Übergangsregelungen; denn sonst werden sich die Probleme auf dem deutschen Arbeitsmarkt weiter verschärfen. Ein höherer Ausländeranteil erhöht das Arbeitskräfteangebot und engt damit die potenziellen Spielräume für Lohn- und Gehaltssteigerungen für unsere Beschäftigten ein. Gleichzeitig wird das Risiko eines Verdrängungswettbewerbs auf dem Arbeitsmarkt erhöht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Frage der sozialverträglichen Gestaltung der Europäischen Union bei der Erweiterung hat natürlich auch Auswirkungen auf die Akzeptanz der Europäischen Union bei unseren Bürgerinnen und Bürgern. Die Schwierigkeiten in einigen Mitgliedstaaten bei der Ratifi zierung des europäischen Verfassungsvertrags sprechen hier eine deutliche Sprache. Deswegen kann ich die Bundesregierung nur mahnen, dass sie bei den Beitrittsverhandlungen sehr genau auf die Konditionen hinsichtlich Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit achtet.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Herr Staatsminister Sinner.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Debatte wurde unter anderem die Dienstleistungsrichtlinie kurz angesprochen, und in dem Antrag der GRÜNEN wird das Herkunftslandprinzip als das Instrument des Teufels schlechthin dargestellt. Herr Kollege Dr. Runge, ich kann dazu nur sagen, auf der Website der Bundesregegierung auf der Seite von Bundeswirtschaftsminister Clement fi nden Sie bei der Beurteilung der Dienstleistungsrichtlinie die Aussage, von der Dienstleistungsrichtlinie werden weit reichende positive Auswirkungen auf Wachstum, Arbeitsplätze, Dienstleistungsexport, Preise und Angebot von Dienstleistungen ausgehen. Das Ganze werde sich positiv auf Deutschland auswirken.

(Dr. Martin Runge (GRÜNE): Das hat er zurückgenommen!)

Nehmen wir das Beispiel, dass wir 70 % Dienstleistungen haben, aber nur 14 % Export. Der Luxemburger, der nach Deutschland liefern will, erreicht bei einer Rechtsordnung, auf die er sich einstellen muss, 82 Millionen Verbraucher. Wenn ein Unternehmer aus Deutschland ins Ausland liefern will, muss er sich auf viel mehr Staaten und Rechtsordnungen einstellen. Auf der Website des Wirtschaftsministers ist im Detail nachgewiesen, dass zum Beispiel ein Ingenieurunternehmen bis zu 3 % seines Umsatzes ausgeben muss, um auf diese Märkte zu gelangen. Deswegen ist die grundsätzliche Infragestellung des Herkunftslandprinzips ein Riesenproblem. Wenn Sie die Forderung in Ihrem Antrag aufrechterhalten und durchsetzen würden, wäre das eine Strategie, die Wachstum und Arbeitsplätze bei uns vernichtet.

Wir haben im Bayerischen Landtag vor kurzem eine Anhörung durchgeführt. Es wäre sehr verdienstvoll, wenn man die Ergebnisse sauber bilanzieren und in die europäische Diskussion einbringen würde, anstatt mit untauglichen Instrumenten zu arbeiten.

Meine Damen und Herren, der Bundeswirtschaftsminister schreibt, am meisten leide die Diskussion unter falschen Informationen und Missverständnissen. Ich stelle fest, am meisten scheint von diesen Missverständnissen Bundeskanzler Schröder betroffen zu sein, nachdem er plötzlich Schlachtbetriebe in Norddeutschland entdeckt und diese in Zusammenhang mit der Dienstleistungsrichtlinie bringt. Wenn die CSU uns mit ihrem Antrag schon auffordern muss, in den Beitrittsverhandlungen darauf hinzuweisen, das Österreich deutlich bessere Übergangsbedingungen für den Fall des Beitritts von Bulgarien und Rumänien ausgehandelt hat als die Bundesregierung, und wir uns sagen müssen, das könnten wir auch tun, weil wir das Gleiche erreichen sollten wie Österreich, dann sieht man an diesem kleinen Beispiel: Der Schüssel kann es, und der Schröder kann es leider nicht.

(Beifall bei der CSU)

Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollege Dr. Runge?

Ja, die gestatte ich gern.

Werter Herr Staatsminister Sinner, glauben Sie alles, was auf der Website des Bundeswirtschaftsministers gestanden hat? Zweite Frage: Wer hat denn dann vor dem Hintergrund Ihrer jetzigen Aussage den Ministerpräsidenten Dr. Stoiber für die vorletzte Sendung von Sabine Christiansen gebrieft?

Herr Kollege Dr. Runge, ich habe mir das, was ich eben vorgetragen habe, vor fünf Minuten von der Website von Herrn Clement heruntergeladen. Die Fakten zum Herkunftslandprinzip müssen im Detail diskutiert werden. Herr Kollege Wörner hat Herrn Kollegen Dr. Wuermeling erwähnt. Wenn Sie die Debatte im Europäischen Parlament verfolgt hätten, dann wüssten Sie, dass es bei der Dienstleistungsrichtlinie um einen horizontalen Ansatz geht und dass man im Detail sensible Bereiche ausnimmt.

Das bedeutet, der Entwurf der Kommission wird so, wie er jetzt vorliegt, nicht verabschiedet. Wenn Sie den horizontalen Ansatz nicht wählen, dann verursachen Sie mit branchenspezifi schen Einzellösungen und europäischen Standards einen Wust von Bürokratie. Bei der Einigung von 25 Ländern würden Sie sicher nicht die deutschen Standards durchsetzen, da das Ganze in einem Harmonisierungsprozess in der Europäischen Union auf eine Nivellierung nach unten hinauslaufen würde. Genau das wollen wir nicht.

Ich bringe noch ein Beispiel, um Ihnen zu illustrieren, was das Herkunftslandprinzip bedeutet. Es bedeutet den Zugang zum Markt und den Abbau von bürokratischen Hemmnissen. Wenn Sie heute nach Großbritannien fahren, können Sie mit Ihrem Führerschein einreisen. Den wird die britische Grenzkontrolle anerkennen. Die Beamten könnten zu Ihnen auch sagen, Ihr Führerschein gilt nicht. Aber er gilt, und das ist das Herkunftslandprinzip. Wenn Sie aber das Herkunftslandprinzip so weit ausdehnen würden, dass Sie sagen, ich fahre hier gemäß den deutschen Geschwindigkeitsbestimmungen und ich fahre rechts, weil ich das so gewohnt bin, dann hätten Sie große Probleme.

Das zeigt, das Herkunftslandprinzip ist in der Tiefe zu gestalten. Wesentliche Bedingungen des Bestimmungslandes müssen auch künftig für Dienstleistungen gelten, aber ein Zugang zu den Märkten wird eröffnet. Das ist das System, das dahinter steht. Ich hoffe, dass ich das mit meinen Beispielen deutlich machen konnte. Im Detail liegt die Arbeit, aber nicht in einer grobschlächtigen Ablehnung eines Instruments, das den deutschen Dienstleistern und den deutschen kleinen und mittleren Unternehmen Vorteile bringt.

(Dr. Martin Runge (GRÜNE): Schadet!)

Meine Damen und Herren, der Blick nach Österreich zeigt, dass die Österreicher mit diesen Dingen umgehen können. Der Blick nach England zeigt, dass auch die Engländer mit diesen Dingen umgehen können. Tony Blair hat seit 1997 2,5 Millionen neue Jobs geschaffen. Schröder ist es gelungen, im gleichen Zeitraum 1,5 Millionen Jobs abzubauen. Das ist das Problem, und darauf sollten wir uns konzentrieren, anstatt Scheingefechte auf dem europäischen Feld auszuführen. Der Ball liegt im nationalen Feld; Schröder und die Bundesregierung müssen ihre Hausaufgaben machen.

(Beifall bei der CSU)

Meine Damen und Herren! Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Dazu werden die Anträge wieder getrennt. Die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN hat eine namentliche Abstimmung beantragt. Ich lasse zunächst über die anderen Anträge abstimmen.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 15/3207 – das ist der Antrag der CSU-Fraktion – seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion der CSU. Gegenstimmen? – Das sind die Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Ers

teres war die Mehrheit. Damit ist der Dringlichkeitsantrag angenommen.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 15/3214 – das ist der Antrag der SPD-Fraktion – seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Die Gegenstimmen? – Das ist die Fraktion der CSU. Stimmenthaltungen? – Keine. – Ich habe vorhin vergessen, nach Stimmenthaltungen zu fragen. Ich nehme an, dass es dort auch so war. – Damit ist dieser Antrag abgelehnt.

Damit kommen wir zur namentlichen Abstimmung über den Dringlichkeitsantrag 15/3206 des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN. Die Urnen sind aufgestellt; die Abstimmung beginnt. Dafür stehen fünf Minuten zur Verfügung.

(Namentliche Abstimmung von 15.51 bis 15.56 Uhr)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die fünf Minuten sind um. Die Abstimmung ist damit beendet.

Wir kommen zum nächsten Tagesordnungspunkt:

Dringlichkeitsantrag der Abg. Franz Maget, Dr. Heinz Kaiser, Monica Lochner-Fischer u. a. u. Frakt. (SPD) Umsatzsteuerbetrug in Höhe von über 3 Milliarden Euro in Bayern wirksam bekämpfen (Drs. 15/3208)

(Fortgesetzte Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Es geht weiter! –

(Erneut Glocke des Präsidenten)

Ich darf den Fraktionen zunächst ihre Redezeiten kundtun: Die CSU hat einen Rest von 34 Minuten, die SPD von 19 und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben 8 Minuten. Die Redezeit der Staatsregierung ist bislang 24 Minuten. Ich eröffne damit die Aussprache. Erste Wortmeldung: Herr Kollege Dr. Kaiser.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In der letzten Woche fand eine Tagung der nordbayerischen Finanzamtschefs in Gunzenhausen mit Staatsminister Prof. Faltlhauser statt. Über das Pressegespräch nach dieser Tagung berichten die „Nürnberger Nachrichten“ am 14. April – ich zitiere wörtlich –:

Gelangweilt stand der Minister nach der Jahrestagung zum Gespräch bereit, blätterte gleichzeitig in Prospekten vom Fränkischen Seenland und drehte am Bonbonpapier. ‚Zum Gegenfi nanzierungspaket für die Steuersenkung treffe ich keine Aussagen’, stellte er gleich eingangs klar. Obwohl er gerade erst eine halbe Stunde mit Ministerpräsident Edmund Stoiber telefoniert hatte – um sich in punkto Finanzierung der Steuerreform ‚abzustimmen’, wie er sagte.

Jetzt kommt die entscheidende Passage in diesem Artikel – ich zitiere -:

Viel entscheidender sei für ihn, wie man Umsatzsteuerbetrügern auf die Schliche komme. ‚Das ist weit wichtiger als die Steuerdebatte mit Herrn Eichel’.

Völlig richtig, Herr Minister, völlig richtig.

Schließlich gingen dem deutschen Fiskus rund 16 Milliarden Euro pro Jahr allein durch den Betrug mit der Umsatzsteuer verloren. In Bayern sollen es etwa 3,4 Milliarden Euro sein. Banden fi ngieren dabei Geschäfte über Grenzen hinweg und erschleichen sich dadurch die Vorsteuer. Die Umsatzsteuer aber sieht das Finanzamt nie.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wäre sehr gut, wenn beispielsweise die Justizministerin und die Sozialministerin noch dageblieben wären bei der Behandlung dieses Antrags. Ich kann gar nicht mehr hören, dass nicht genügend Geld da ist, um Staatsanwaltschaften und so weiter entsprechend personell auszustatten, wenn hier 3,4 Milliarden Euro an Umsatzsteuer verloren gehen. Da liegt der Hase im Pfeffer.

(Beifall bei der SPD)