Protocol of the Session on February 16, 2005

(Anhaltende Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns allen als Präsidenten fällt auf, dass heute ein unruhiger Tag ist.

(Simone Tolle (GRÜNE): Es schneit!)

Ich bitte doch, zur parlamentarischen Übung zurückzukehren und nicht den Schülern, die hier als Gäste anwesend sind, den Eindruck einer Schulklasse zu verschaffen.

Ich eröffne die Aussprache. Als Erste hat sich Frau Kollegin Weikert zu Wort gemeldet. Bitte schön.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte unseren Dringlichkeitsantrag begründen. Der Dringlichkeitsantrag ist in seinem Text sehr kurz:

Die Staatsregierung wird aufgefordert, flächendeckend in Bayern ein Ganztagesangebot für all jene Schülerinnen und Schüler einzuführen, wo Eltern und Kinder dies wünschen.

Ich will den für uns relativ wichtigen Begriff „flächendeckend“ in diesem Antrag hervorheben. Das bedeutet für uns: für alle Schultypen – dieser Umstand erscheint uns wichtig –, das heißt für Grundschule, Hauptschule, Realschule und Gymnasium. „Flächendeckend“ bedeutet, in den Landkreisen und Städten ein entsprechendes Angebot vorzuhalten und Schüler in Übereinstimmung mit ihren eigenen Wünschen und denen ihrer Eltern zu beschulen. Ich betone die Begriffe „flächendeckend“ und „auf Wunsch“ deshalb, weil wir uns in der nachfolgenden Aussprache dann vielleicht auf diese Begriffe beziehen können. Es geht uns also nicht – wie uns häufig vorgeworfen wird – um eine Zwangstagesschule, sondern es geht uns um ein Angebot, das flächendeckend in ganz Bayern eingeführt wird und sich auf die Wünsche von Eltern und Schüler bezieht.

Ganztagesschulen sind nicht mit Betreuungsangeboten zu verwechseln, die Familien in unserem Land zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf brauchen. Ganztagesschulen bedeuten Wissensvermittlung bzw. die Erfüllung des Bildungsauftrags in anderer Form. Eine echte Ganztagsschule bedeutet rhythmisierten Unterricht, mehr Zeit für projektbezogene Arbeitsformen und soziales, kognitives und emotionales Lernen, mehr pädagogischen Hand

lungsspielraum und – was für uns besonders wichtig ist – gezielte individuelle Förderung.

Ganztagsschulen bedeuten auch – ich beziehe mich auf eine andere Aussage –: Für einen Teil unserer Schülerinnen und Schüler ist der ganztägig rhythmisierte Unterricht mit einem Wechsel aus Unterricht, Vertiefung, sozialem Training, Neigungsgruppen und Hilfe bei der Alltagsbewältigung ein wichtiges Angebot zur Verbesserung des schulischen Erfolgs und zur Unterstützung der Persönlichkeitsentwicklung. – Wenn Sie aufgepasst haben, dann hätten Sie sofort merken müssen, dass diese Sätze aus der Rede der Frau Staatsministerin von heute Morgen zur Haushaltseinbringung stammen. Wir sind froh darüber, dass Sie inzwischen auch eingesehen haben, dass Ganztagsschulen ein echtes pädagogisches Angebot sind, welches wir in unserem Land brauchen. Wir greifen mit unserem Antrag auch eine Initiative des Vorsitzenden der CSU-Fraktion Joachim Herrman auf. Joachim Herrman hat am 28. Januar nach einer Pressemitteilung der CSULandtagsfraktion anlässlich der Einführung von Ganztagsangeboten an einem Gymnasium in Erlangen verkündet, dass er die Forderung – bitte hören Sie zu –, flächendeckend in Bayern – das ist unser Antrag – ein Ganztagsangebot für all jene Schülerinnen und Schüler einzuführen, wo Eltern und Kinder es wünschen, begrüße und unterstütze.

(Beifall bei der SPD)

Wir sind also mit der CSU sehr deckungsgleich. Wir freuen uns, dass Sie zwischenzeitlich unserer Meinung sind. Es geht, Kolleginnen und Kollegen von der CSU, wie so häufig im Bayerischen Landtag, um die Geschwindigkeit, mit der die Umsetzung eines solchen Zieles, dem Sie sich nunmehr verpflichtet fühlen, erfolgt. Das ist ein großes Problem in Bayern. Ich will in diesem Zusammenhang noch einmal auf die Rede der Kultusministerin bei der Einbringung des Haushalts heute Morgen verweisen. Frau Hohlmeier, Sie haben wörtlich gesagt – zumindest nach dem Wortlaut des Abdrucks Ihrer Rede, aber ich war auch anwesend und habe es gehört –: „Die Zahl der Ganztagsschulen wird in den kommenden Jahren auf 100 verdoppelt“. Sie sprechen von der Zahl der Ganztagsschulen.

In diesem Zusammenhang erinnere ich Sie daran, Frau Hohlmeier: Sie haben uns gestern und heute vorgeworfen, wir könnten nicht rechnen. Ich sage Ihnen: Wir können sehr wohl lesen, und wir können zuhören. Was von Ihnen in Bayern als Ganztagsangebot ausgebaut wird, betrifft keine Schulen, sondern es handelt sich um Klassen an Schulen. Sie werden zugeben, dass eine Klasse nicht gleich eine Schule ist; denn eine Schule besteht aus mehreren Jahrgängen und ein Jahrgang aus mehreren Zügen. Wenn wir hochrechnen, so müssen wir feststellen: Bis Sie einmal eine Schule in Bayern so ausgebaut haben, dass Ganztagsunterricht möglich ist, vergehen nach Ihrem Programm, so wie Sie es vorgesehen haben, noch Jahrzehnte.

Frau Hohlmeier, ich bitte Sie, in Ihrer Darstellung nach außen korrekt zu sein; denn auch Sie legen darauf Wert, dass wir die Zahlen richtig interpretieren. Vielleicht entsteht aus solchen Begriffsverwirrungen eine Situation, bei

der letztlich keiner mehr durchblickt, wie viele Lehrer in Bayern eingestellt oder abgezogen werden. Ich glaube, eine klare Sprachregelung gehört auch zum parlamentarischen Umgang und ist für eine Ministerin eine Selbstverständlichkeit.

Kolleginnen und Kollegen von der CSU, ich stimme mit dem inhaltlichen Beitrag von Frau Hohlmeier, wonach ein Teil der Schüler diese Schulform braucht, um sich persönlich einen erreichbaren Bildungserfolg zu sichern, völlig überein. Sind Sie mit der Geschwindigkeit der Angebote zu langsam, dann vertun Sie Chancen der Kinder, die es nötig hätten. Wenn wir mit dem Programm zügiger vorangingen – gerade auch in Grundschulen damit anfangen, das betone ich für die SPD-Fraktion explizit –, könnte das ein Beitrag dazu sein, um den Anteil der Schulabgänger von 10 %, die ohne Abschluss unsere Schulen verlassen, stark zu reduzieren. Ich bin fest davon überzeugt, dass uns das damit gelingt.

Wir haben in einer Sitzung des Bildungsausschusses im Dezember – ich lege mich auf kein Datum fest – bei der Diskussion eines ähnlichen Antrags nachgefragt, in welcher Geschwindigkeit das Programm umgesetzt wird. In der Antwort heißt es wörtlich – das Ministerium ist in seiner Ausdrucksweise sehr wohl korrekt –: „Die Einrichtung von Ganztagesklassen“ – also hier korrekt ausgedrückt – „erfolgt nicht flächendeckend. Im Schuljahr 2004/2005 konnten Ganztagsklassen an insgesamt sechs Schulen neu gebildet werden“.

Jetzt gibt es einen Kriterienkatalog, wobei ich mir erspare, Ihnen diesen vorzulesen. Ich beneide aber die Beamtin oder den Beamten nicht, die oder der aufgrund der Anträge auf Erteilung einer Genehmigung zur Einrichtung von Ganztagsklassen – nach unserer Information liegen dem Ministerium 30 Anträge vor, die unterschiedliche Standorte betreffen –, eine Auswahl treffen muss. Ich bin davon überzeugt, dass praktisch alle Kriterien auf diese 30 Standorte zugeschnitten sein werden. Ich weiß zumindest aus Nürnberg ganz konkret, dass es Bewerbungen gibt und diese sehr wohl die Kriterien erfüllen. Diese 30 Anmeldungen, Kolleginnen und Kollegen von der CSU, sind vor dem Hintergrund eingereicht worden, dass die Schulen Ihr Schmalspurausbauprogramm kennen. Also viele Schulen, die auch gerne solche Angebote verwirklichen und die Voraussetzungen erfüllen würden, haben keinen Antrag gestellt, weil sie wissen, dass sie auf der Liste unten herunterfallen.

Kolleginnen und Kollegen der CSU: Unser Antrag deckt sich inhaltlich mit Ihren Zielvorstellungen. Kollege Herrman hat das als Fraktionsvorsitzender der CSU wörtlich in Erlangen nach einer Pressemitteilung so verkündet. Die Frau Staatsministerin hat die Notwendigkeit heute Morgen bejaht. Geben Sie sich einen Ruck! Stimmen Sie unserem Antrag zu, und dann versuchen wir, mit dem Ausbauprogramm für die Ganztagsschulen in Bayern voranzukommen.

(Beifall bei der SPD)

Als Nächster hat Herr Kollege Eisenreich das Wort.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte die SPD – was nicht oft vorkommt – zu diesem Antrag ausdrücklich beglückwünschen. Sie haben einen zentralen Satz einer Presseerklärung unseres Fraktionsvorsitzenden – vor gut zwei Wochen ist das gesagt worden – abgeschrieben, und zwar wortwörtlich – soviel zum Thema „Copy-Shop Landtag“.

Aber das macht nichts, wenn man Forderungen der CSU zitiert oder sogar übernimmt, noch dazu des Fraktionsvorsitzenden, dann kann man das tun und hat in der Sache auch noch Recht.

Unser Ziel ist die flächendeckende Einführung eines Ganztagsangebots für all jene Schüler, wo die Eltern und Kinder es wünschen. Es handelt sich also um ein bedarfsgerechtes Angebot. Es soll keine ganztägige Zwangsverschulung sein. Ich würde Sie aber bitten, Ihren eigenen Antrag genau zu lesen. Unser Fraktionsvorsitzender hat es ebenfalls gesagt, dass es sich um flächendeckende Ganztagsangebote handelt; er hat nicht von flächendeckenden Ganztagsschulen gesprochen. Diese Differenzierung muss gemacht werden.

Wie wir uns die Umsetzung dieses Zieles vorstellen und welche Maßnahmen bereits geplant oder ergriffen worden sind, hat Frau Staatsministerin Monika Hohlmeier heute früh in der Haushaltsrede deutlich und detailliert dargelegt. Ich verweise darauf, um Wiederholungen zu vermeiden.

Ich möchte Sie aber auch darauf hinweisen, dass Sie dazu beitragen können, dieses Ziel zu erreichen. Sie können dazu zwar nicht in Bayern, aber in Berlin beitragen. Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, je besser die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist – das ist Ihr Part –, gute Arbeitsmarktreformen, eine gute Wirtschaftspolitik, Abbau der Massenarbeitslosigkeit und Schaffung von Rahmenbedingungen für Wachstum, um größere finanzielle Spielräume zu schaffen -, desto schneller können wir in diesem Programm fortfahren und zusätzliche Maßnahmen ergreifen.

Insgesamt darf ich sagen: Wir stimmen unserer eigenen Forderung zu.

(Beifall bei der CSU)

Als Nächste hat Frau Kollegin Tolle das Wort.

Sehr verehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Da wir uns einig sind, Herr Kollege Eisenreich, möchte ich nicht so lange reden. Ich wundere mich aber ein wenig; denn wir haben ja vor ein paar Wochen einen Antrag gestellt und damit zum Ausdruck gebracht, dass wir ein flächendeckendes Angebot von Ganztagsschulen haben wollen. Aber das haben Sie abgelehnt. Dennoch freue ich mich, dass auch Sie in der Lage sind hinzuzulernen und jetzt flächendeckende Angebote machen wollen.

Ich möchte Ihnen noch einmal ins Gedächtnis rufen, was für gut funktionierende Ganztagsschulen alles nötig ist: Lehrerinnen und Lehrer, Sozialpädagogen, Psychologen.

Denn der Erziehungsauftrag liegt in der Schule. Auf diesen Umstand müssen wir reagieren.

Ich denke, Ganztagsschulen sind – da widerspreche ich dem Kollegen Freller mit seinem Redebeitrag von heute Morgen – das bessere pädagogische Angebot. Denn wenn man den Nachmittag zu Hause zusammen mit der Mutter oder dem Vater verbringt, kann man für die soziale Kompetenz nichts mehr hinzulernen. Das kann man in pädagogischen Schriften nachlesen. Die Kinder haben das soziale Verhalten gegenüber den Eltern ja schon eingeübt. Die pädagogischen Vorteile liegen also ganz klar in der Ganztagsschule.

Ich möchte eine Bemerkung zu der Auffassung machen, dass Mütter und Väter, die arbeiten gehen, als Rabenmütter bzw. Rabenväter zu gelten hätten. Wir müssen in Deutschland von dem Irrglauben wegkommen, dass gute Erziehung nur dann stattfindet, wenn nachmittags ein Elternteil die Kinder betreut. Andere Länder haben bewiesen, dass es auch anders geht.

(Unruhe bei der CSU)

Ich danke Ihnen für die nicht vorhandene Aufmerksamkeit.

Ich darf Zustimmung der GRÜNEN zu diesem Antrag ankündigen. Ich freue mich natürlich immer über Ihre Lernzuwächse und hoffe, Herr Kollege Eisenreich, auf weitere derartige Zuwächse.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es liegt eine Wortmeldung des Kollegen Sibler vor. Ich sehe ihn im Augenblick aber nicht. – Ich erkläre die Aussprache für geschlossen.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 15/2765 seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Einstimmig so beschlossen. Der Dringlichkeitsantrag ist angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Fraktionen haben sich geeinigt, dass wir die Dringlichkeitsanträge in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit nicht weiter beraten. Alle nicht behandelten Dringlichkeitsanträge werden, wie in der Ihnen vorliegenden Liste schon vorgesehen, an die dort jeweils aufgeführten federführenden Ausschüsse überwiesen. Damit treten wir wieder in die ursprüngliche Tagesordnung ein.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Franz Maget, Ludwig Wörner und Fraktion (SPD) Ablehnung der arbeitnehmerfeindlichen Ergebnisse der Henzler-Kommission der Staatsregierung (Druck- sache 15/1698)

Ich eröffne die Aussprache. Als Erster hat Kollege Wörner das Wort. Die Redezeit beträgt pro Fraktion 15 Minuten.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir fordern die Staatsregierung auf, sich die Ergebnisse der Henzler-Kommission nicht zu Eigen zu machen und sie auch nicht weiter zu

verfolgen, vor allem dort, wo es um Arbeitnehmerschutzrechte geht, wo es darum geht, den Kündigungsschutz zu beschneiden, Freistellungen und das Befristungsgesetz zu ändern, die Flexibilisierung des Arbeitszeitrechts sowie die Freistellung und Regelung des Arbeitsstättenrechts, die Entlastung bei der betrieblichen Mitbestimmung und Lösungsmöglichkeiten bei der Tarifbindung aufzuheben.

Kolleginnen und Kollegen, es widerspricht eigentlich dem Rechtsstaatsprinzip, die wirtschaftlichen Meinungsführer ganz allein herbeizuholen und zusammenschreiben zu lassen, was man alles machen kann, um diesen Sozialstaat zu dezimieren. Sie verfolgen permanent diesen Weg. Das haben wir heute gehört: Abbau des Kündigungsschutzes, Flexibilisierung des Tarifrechts, Flexibilisierung der Arbeitszeit. Das hat Ihre Ministerin gefordert.

(Widerspruch bei der CSU)

Da können Sie nicht sagen, dass Sie das nicht wollen.

Ich sage Ihnen: Das führt dazu, dass Sie diesen Sozialstaat auf den Prüfstand stellen und fünf Millionen Arbeitslose dazu benutzen, Handlanger der Arbeitgeber zu sein und den Sozialstaat zu dezimieren, den im Übrigen Ihre Vorväter mit aufgebaut haben. Die Vorväter haben das Soziale offensichtlich noch mehr in ihren Gedanken gehabt. Das ist bei Ihnen heute nicht mehr der Fall. Solche Gedanken muss man Ihnen abstreiten, wenn man im Kontext sieht, was Sie vorhaben. Sie sind zutiefst arbeitnehmerfeindlich, sitzen beim Arbeitgeber auf dem Schoß und versuchen, mit den Arbeitgebern und der Zahl der Arbeitslosen diesen Staat neu so aufzustellen, wie es Ihrer Richtung passt. Dazu werden Sie uns nicht kriegen, wir werden dazu nicht die Hand reichen.