Protocol of the Session on December 16, 2004

„sozialistischen ideologischen Klassenkämpfer und

Gleichmacher“ vorlesen. An erster Stelle steht Andreas Schleicher, OECD-PISA-Koordinator.

(Oh-Rufe bei der CSU)

Der ist bei Ihnen nicht wichtig, das weiß ich schon, weil er eine andere Richtung vertritt, und jeder, der Ihrer Meinung nicht von Haus aus und blind folgt, ist nicht wichtig.

Aber ich mache weiter. Der Verband der Bayerischen Wirtschaft – das sind alles Gleichmacher, sozialistische Ideologen? – hat eine kombinierte Haupt- und Realschule gefordert, eine längere gemeinsame Schulzeit, die Vermeidung von Klassenwiederholungen, die Einführung von Ganztagsschulen. Der Verband der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie hat das Gleiche gefordert. Der Baden-Württembergische – das nehmen Sie immer gerne her – Handwerkstag hat eine neunjährige gemeinsame Schulzeit gefordert, das ist faktisch die Ganztagsschule, Herr Schneider. Der Bundeselternrat hat die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems gefordert und eine gemeinsame Schule für alle, die Bertelsmann Stiftung, Herr Schneider, eine Reform des dreigliedrigen Schulsystems. Das Bundesjugendkuratorium, die Studentenschaften, die Fachschaften bundesweit fordern eine Diskussion über das Schulsystem. Nur hier in Bayern wird das nicht zur Kenntnis genommen. Hören Sie doch endlich auf mit Ihrem provinziellen, starren Blickwinkel auf die Schulpolitik.

Ich könnte diese Liste weiterführen: Das Prognos-Institut hat eine Diskussion über das dreigliedrige Schulwesen gefordert.

Ich glaube nicht, dass man all diese Stellen einfach als ideologische Gleichmacher bezeichnen kann. Deswegen wäre es sinnvoll, wenn Sie sich einer Diskussion über dieses Schulwesen, egal zu welchem Ergebnis sie dann führt, nicht verschließen würden. Warum wollen Sie eigentlich nicht diskutieren? Haben Sie vielleicht Angst, mit all denen zu sprechen, die das dreigliedrige Schulsystem in Frage stellen? Wovor haben Sie eigentlich Angst, liebe Kolleginnen und Kollegen?

(Beifall bei der SPD)

Zum nächsten Punkt: Sie loben die Hauptschule, wie wir auch. Die Hauptschule leistet einen hervorragenden Beitrag. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Aber Sie sind für diesen hervorragenden Beitrag nicht verantwortlich, sondern das sind die Lehrerinnen und Lehrer, die mit aller Anstrengung und allem Engagement versuchen, Ihre falsche Politik mit persönlichem Einsatz zu korrigieren. Sie sind dafür nicht verantwortlich, dass die Hauptschule so besonders gut ist und die Arbeit erledigt.

(Zuruf des Abgeordneten Manfred Christ (CSU))

Herr Schneider, Sie sagen, 35 oder 40 % der Schülerinnen und Schüler in Bayern gehen an die Hauptschule. Was heißt das? 10 % der Schülerrinnen und Schüler verlassen in Bayern die Schule ohne einen Abschluss. Der größte Teil dieser Schüler ohne Abschluss kommt aus der

Hauptschule. Nehmen Sie doch das endlich mal zur Kenntnis! Fast 25 % der Migrantenkinder ohne Schulabschluss kommen aus der Hauptschule. Das ist nicht deswegen so, weil die Hauptschule schlecht ist, sondern deswegen weil Sie ihnen die Rahmenbedingungen verweigern, die für eine gute Schule notwendig sind.

(Beifall bei der SPD)

Nicht umsonst haben Sie den Hauptschulen 500 Lehrer abgezogen, um das G 8 schnell zu realisieren und auf stabile Füße zu stellen. So kann man es nicht machen. Schauen Sie doch nur auf den Ländervergleich, den Sie sonst immer so gerne anstellen: Wenn der Ministerpräsident sagt, wir wollen Spitze werden in Europa, sind Sie schnell dabei und klatschen. Wenn Sie aber feststellen, dass Bayern in Europa nur Mittelmaß ist, reicht Ihnen der Vergleich mit den anderen bundesdeutschen Ländern schon aus, um zufrieden zu sein. Wollen Sie sich jetzt mit Bremen vergleichen,

(Siegfried Schneider (CSU): Nein, keinesfalls!)

oder wollen Sie sich mit Finnland und den Pisa-Siegerländern vergleichen? Wir wollen, dass sich Bayern mit Finnland und den Siegerländern vergleicht, nicht mit Bremen oder anderen deutschen Bundesländern.

(Beifall bei der SPD)

Das sage ich hier ganz offen.

(Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Wenn Sie wissen, wie es geht, warum machen Sie es dann in Bremen nicht besser? – Gegenruf der Abgeordneten Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Weil wir hier im Bayerischen Landtag sitzen!)

Ich möchte noch ein paar Sätze zum Schulabschluss sagen. – Wenn es der Bayerischen Staatsregierung nicht gelingt, alle Schüler zu einem Schulabschluss und zur Ausbildungsfähigkeit zu führen, wird unser Sozialsystem in diesem Land irgendwann explodieren. Sie wissen offensichtlich gar nicht, was Sie anrichten. Hier geht es doch nicht nur um die Frage, ob man alle Kinder zu einem Schulabschluss führt, es geht vielmehr auch um die Tatsache, dass alle diejenigen, die keinen Schulabschluss haben, irgendwann zu einem sozialen Problem in unserem Lande werden. Das nehmen Sie einfach hin, ohne irgendetwas dagegen zu tun. Das ist die traurige Wahrheit. Meine Damen und Herren, ich würde mir sehr wünschen, eine ergebnisoffene Diskussion über Schulsysteme in Bayern, in Deutschland und darüber hinaus zu führen. Denn Sie vergessen immer wieder, dass wir auch in einem Wettbewerb mit den anderen Ländern stehen.

(Unruhe)

Herr Schneider, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir Ihr geneigtes Ohr leihen könnten.

Wäre es nicht schön, wäre es nicht sinnvoll, im Sinne eines gemeinsamen Bemühens um gute Lösungen im

Schulsystem miteinander zu diskutieren, Entwicklungen zu berücksichtigen, Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen und in einer Anhörung nach dem richtigen Weg für Bayern zu suchen und zu fragen: Wie schaffen wir es in Bayern, damit wir den Anschluss nicht verlieren gegenüber der Diskussion in Europa?

(Widerspruch bei der CSU – Thomas Kreuzer (CSU): Das ist doch eine Katastrophe! Das ist doch unglaublich!)

Europa diskutiert über Schulsysteme, und Bayern verweigert sich. Deswegen würde ich Sie bitten, unserem Antrag, eine Anhörung durchzuführen, zuzustimmen. Selbstverständlich werden wir Ihrem Antrag nicht zustimmen können, weil eine Zementierung des dreigliedrigen Schulsystems mit uns nicht zu machen ist. Ich denke, eine Diskussion wäre der bessere Weg.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege. Anschließend hat das Wort Frau Kollegin Tolle.

Simone Tolle (GRÜNE) (von der Rednerin nicht autori- siert) : Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich komme mit einer dicken Mappe, Herr Kollege Stahl, weil es sehr viele Anträge sind. Ich möchte Ihnen einen Überblick über das geben, was jetzt auf Sie zukommt. Wir haben 800 Lehrerstellen beantragt um Ihnen die Arbeit abzunehmen, Herr Kollege Schneider. Das sind genau die Stellen über die Sie in der Zeitung geredet haben. Dazu möchte ich im ersten Teil meiner Ausführungen sprechen. Danach spreche ich zu einem Paradigmenwechsel im Schulsystem und schließlich zum SPD-Antrag. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, die Überschrift über die bayerische Schulpolitik im Moment lautet: Unfähigkeit, einen ordentlichen Unterricht in Bayern zu gewährleisten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die eigene Festung bröckelt. Sie sind auch unterwegs. Kollege Dr. Hünnerkopf und ich haben am Montag eine Petition entgegengenommen. Da hat uns – ich darf Ihnen das kurz erzählen – eine Mutter berichtet, ihr Sohn habe an diesem Tag nur eine von sechs Stunden gehabt. Auch Sie müssen sich diesen Eltern stellen. Genau deswegen bröckelt auch Ihre Festung. Ihren Brandbrief, Herr Kollege Schneider, finde ich mutig, wenn man das vergangene Jahr betrachtet. Leider haben Sie aber schon wieder den Rückzug angetreten. Das finde ich bedauerlich. Anscheinend ist Herr Stoiber zu oft in Berlin oder er guckt zu oft nach Berlin, so dass er die Zustände an Bayerns Schulen nur zeitverzögert mitbekommt. Denn es wundert mich schon, dass er jetzt erst merkt, was an Bayerns Schulen los ist.

Ich nehme mir jetzt die Zeit, Ihnen ein paar Dinge vorzulesen, die wir sammeln, wenn uns die Eltern immer wieder schreiben. Da gibt es eine Schule, deren Direktor in den Ruhestand versetzt worden ist; die Stellvertretende Direktorin ist krank. Dann hat eine Viertklass-Lehrerin die

Schulleitung übernommen. Sie ist mittlerweile wegen Überlastung auch krank geworden.

(Zurufe von der CSU: Wo ist denn das? – Ludwig Wörner (SPD): Es ist schon unglaublich, wie Sie mit den Lehrern umgehen!)

Das kann ich Ihnen gleich sagen, das ist die Grundschule an der Walliserstraße in Fürstenried. Sie dürfen sich schon darauf verlassen, dass das, was ich hier sage, einen Hintergrund hat.

Die Viertklässler, deren Unterricht durch Anrufe im Direktorat unterbrochen wurde, saßen nach dem Totalausfall Ihrer Lehrerin häufig bei den Erstklässlern im Unterricht, ohne sich beteiligen zu dürfen. Das EDV-System der Schule „schmeißt“ der Ehemann der erkrankten Lehrerin. Die Schule versinkt im Chaos, und auf insgesamt fünf Beschwerdebriefe haben die Eltern von den Behörden keine Antwort erhalten. – Ich hoffe, mittlerweile ist das Problem abgestellt. Ich habe dazu auch eine Schriftliche Anfrage gestellt.

Ich kann Ihnen noch einen Zeitungsbericht von heute zitieren: Klasse 3 b der Grundschule an der Wilhelmstraße in Schwabing: Die Eltern gehen in die Offensive. Am Dienstag übernahmen zwei von ihnen den Mathe-Unterricht. Zwischendurch sei eine Sekretärin eingesprungen. Andere fanden per Anzeige eine Lehrerin, die die Klasse gestern erstmals unterrichtet hat.

(Rainer Volkmann (SPD): Das ist ja unglaublich!)

Ich könnte das Zitat fortsetzen. Vielleicht schicken Sie Ihrem Ministerpräsidenten auch ein Protokoll meiner Ausführungen. Ich meine: So geht es an Bayerns Schulen nicht weiter. Solche Zeitungsberichte häufen sich und, mittlerweile sammeln wir die Briefe. Das untermauert schon meine These, dass hier die Unfähigkeit vorherrscht, in Bayern einen ordentlichen Unterricht zu gewährleisten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Stoiber hat dem Vernehmen nach gesagt: Ich lasse mir das nicht länger bieten. Gut so, sage ich. Das sagen die Eltern schon lange.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist Zeit, dass hier etwas passiert.

In der Zeitung habe ich folgenden schönen Satz gefunden: „Wie viel Platz bietet das Fass noch, bis es endgültig überläuft?“ Es ist nicht nur fünf vor zwölf sondern später. Ich frage Sie, wo die Konsequenzen bleiben. An Bayerns Schulen herrscht Notstand. Wann wollen Sie endlich etwas unternehmen? Wie lange noch müssen die bayerischen Kinder das erdulden, bis Besserung eintritt?

Ich erinnere Sie auch gerne daran, dass wir bereits im Juli 2004 einen Antrag auf weitsichtige Personalplanung gestellt haben, den Sie abgelehnt haben. Das ist unprofessionell. Der Weitblick bei der Personalplanung ist das A und

O. Einen Antrag, der Weitblick fordert, abzulehnen, heißt, dass Sie kurzsichtig sind.

Ich betone, dass unser Antrag ein erster Schritt ist. Stellen Sie mehr Lehrer ein. Den Mumm, der Ihnen fehlt, erbringen wir. Die 800 Lehrer, die Sie in der Zeitung beziffert haben, beantragen wir für Sie. Die Abstimmung wird zeigen, ob Sie es ernst meinen. Ich mache Ihnen einen kleinen Finanzierungsvorschlag, der aus dem Bericht des Bayerischen Obersten Rechnungshofes – ORH – stammt. Dort heißt es zum IuK-Einsatz in der Schulverwaltung:

Die vom ORH festgestellten Schwachstellen und Mängel in der Organisation der Schulverwaltung, sind keineswegs neu. Sie wurden in ähnlicher Weise vor sechs Jahren auch von einem Gutachter aufgezeigt. In seiner Untersuchung hat dieser auch die Organisation und IuK-Landschaft einbezogen. Er kommt bei Umsetzung seiner Vorschläge zu einem Einsparpotenzial zwischen 323 und 573 Mitarbeiterjahren; dies entspricht möglichen Kosteneinsparungen von jährlich zwischen 16,7 und 29,7 Millionen Euro.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das ergäbe eine Menge Lehrerstellen. Sie haben sechs Jahre ins Land ziehen lassen, ohne das Einsparpotenzial zu nutzen und in Form von mehr Lehrkräften den bayerischen Kindern zur Verfügung zu stellen.

Ich komme zum Dringlichkeitsantrag der CSU. Ich finde solche Debatten wunderbar. Ich habe sie vor Jahren schon einmal geführt, und ich weiß, wie sich die Menschen benehmen, wenn man über bessere Bildung diskutiert. Diejenigen, mit denen ich damals diskutierte, machen es inzwischen. Sie lachen heute über solche Gespräche, wie wir sie hier führen. Vielleicht haben sie vergessen, wie es damals war. Ich freue mich, dass wir vielleicht einen Aufschlag machen.

Ihr Antrag heißt: „Spitzenstellung des dreigliedrigen Schulsystems in Bayern weiter ausbauen“.