Protocol of the Session on July 20, 2004

Alle sagen, die Konjunktur geht nach oben. Der Export ist heuer nicht nur um 5 % gewachsen, sondern er wächst um 10 %. Die Binnennachfrage aber, die öffentliche Nachfrage, die Verbrauchernachfrage, sie lahmen.

(Manfred Ach (CSU): Und woran liegt das?)

Wer in einer solchen Situation noch die Ausgaben kürzt, beeinträchtigt die Konjunktur, gefährdet die Arbeitsplätze und die Investitionen und damit auch die Steuereinnahmen in unserem Land!

(Beifall bei der SPD – Zuruf der Abgeordneten Gertraud Goderbauer (CSU))

Ohne eine nachhaltige Konsolidierung der Staatsfinanzen gibt es kein dauerhaftes Wachstum, das ist richtig. Aber umgekehrt gilt genauso: Geringere öffentliche Defizite können wir nur mit einem ausreichenden Wachstum erreichen. An einem solchen ausreichenden Wachstum fehlt es, und auch dafür ist Ihre Haushaltspolitik in Bayern verantwortlich.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CSU: He! He! –Thomas Kreuzer (CSU): Wie bitte?)

Ja, Sie kürzen im Staatshaushalt und erleichtern es gleichzeitig mit Ihrer Änderung des Kommunalrechts den Kommunen, mehr Schulden zu machen. Sie treiben die Kommunen in Bayern in die Verschuldung

(Manfred Ach (CSU): Ist doch nicht wahr!)

und Sie kürzen im Haushalt. Ist das eine sinnvolle Haushaltspolitik?

(Beifall bei der SPD)

Und nun ein letzter Punkt, Herr Kollege Ach: Ich wundere mich sehr über Ihre Aussage, dass für den Haushalt 2004 keine höheren Steuereinnahmen zu erwarten sind.

(Manfred Ach (CSU): Sie brauchen sich nicht darüber zu wundern, weil sie klar ist: Ich habe „höher“ gesagt!)

Sie sollten sich einmal vom Finanzminister etwas aufklären lassen. Im ersten Halbjahr 2004 sind die Steuereinnahmen in Bayern um 6,5 % gewachsen. Hochgerechnet auf das Jahr ergibt das Mehreinnahmen in Bayern im Jahr 2004 von 986 Millionen Euro. Da braucht man keine Kürzungsorgie, da braucht man keine Ausgabenkürzung! Wir sollten stattdessen wieder eine ordnungsgemäße Haushaltspolitik für unsere Bürger machen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Bei diesen Aussichten können wir die Konjunktur in unserem Land stärken, wir können für Arbeitsplätze und für Investitionen sorgen und damit für noch mehr Steuereinnahmen. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der SPD – Manfred Ach (CSU): Das ist eine Milchmädchenrechnung, Herr Kollege!)

Bitte orientieren Sie sich an der Haushaltspolitik der SPDFraktion im Bayerischen Landtag!

(Beifall bei der SPD – Manfred Ach (CSU): Da wären wir heute schwer verschuldet!)

Die nächste Wortmeldung wurde in Abstimmung mit Herrn Kollegen Dr. Runge vorgezogen: Herr Kollege Dr. Bernhard, dann Herr Kollege Dr. Runge.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Kaiser, ich glaube wir sollten uns gerade nicht an dem orientieren, was Sie uns immer sagen, sondern daran, was die Obersten Rechnungshöfe aller Länder und des Bundes gesagt haben. Sie sehen Deutschland in einer dramatischen Schuldenfalle – im Gegensatz zu Ihnen, die Sie die Lage immer noch verharmlosen. Da hilft der Hinweis auf Japan mit einer Verschuldung von 161 %, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, überhaupt nichts. Oder wollen Sie dahin kommen, wo Japan heute ist? Das ist doch lächerlich!

(Beifall bei der CSU)

Meine Damen und Herren, die Zahlen kennen Sie. Die Staatsverschuldung beträgt 1,3 Billionen Euro, ergibt also eine Pro-Kopf-Verschuldung von 16 000 Euro. Diese gewaltige Verschuldung bereitet den Rechnungshöfen zu Recht Sorge. Die Verschuldung im Bund geht leider ständig weiter. Letztes Jahr gab es eine Gesamtverschuldung aller Körperschaften von 83 Milliarden Euro, heuer liegt sie wahrscheinlich bei 60 Milliarden Euro. Man muss sich vorstellen, wie es aus der Perspektive eines jungen Menschen aussieht, wenn Jahr für Jahr solche Größenordnungen hinzukommen. Das ist eine Katastrophe für alle jungen Leute im Lande.

(Beifall bei der CSU)

Was fordern die Rechnungshöfe? – Sie fordern das, was wir tun. Sie haben das wahrscheinlich auch mit einigem Missmut gelesen, weil sie Ihr Gesicht in Falten legen. Die Rechnungshöfe fordern Null-Haushalte und –Überschüsse. Das streben wir an, und das sieht der Maastricht-Vertrag vor. Sie sagen, dass die gesetzgebenden Körperschaften und Regierungen für ihre Haushalte endlich eine realitätsnahe Planung brauchen. Was sagt Herr Eichel? – Er näht stets „auf Kante“. Anschließend haben wir riesige Löcher im Haushalt – eines ums andere. Dieser Punkt muss beherzigt werden.

Die Haushaltspolitik, die Sie uns empfehlen, wird selbst von seriösen Leuten wie Herrn Prof. Pfeffighofen als „Trickserei“ bezeichnet. Das ist Ihnen geläufig. Auch dieses Jahr werden Sie das Maastricht-Kriterium „umgehen“. Das wird aufgrund des EuGH-Urteils nicht mehr so einfach, wie Sie das diesmal gemacht haben. Die Tricksereien in Brüssel werden nicht mehr gehen. Auf die Bundesrepublik kommen milliardenschwere Forderungen zu.

Wir steckten die Privatisierungserlöse in Zukunftsinvestitionen. Was tun Sie seit zwei Jahren mit 25 Milliarden Euro Privatisierungserlösen? – Sie lassen sie in den Haushaltslöchern des Bundes verschwinden. Das ist umso grotesker, als die Erlöse von Post und Telekom für die Pensionen der damaligen Beamten gedacht sind. Das heißt, durch diese Politik produzieren Sie in den kommenden Jahren unglaubliche Pensionslasten.

Innerhalb von zehn Jahren haben Sie die Investitionsquote um 30 Prozent heruntergefahren. Empfehlen Sie uns das auch? Sollen wir das in Bayern nachvollziehen? Wie haben Sie das gemeint?

(Beifall bei der CSU – Dr. Heinz Kaiser (SPD): Sie machen es doch!)

Die Rechnungshöfe fordern das, was wir in Bayern machen: nämlich Verwaltungsreform, Effizienzgewinne, Aufgabenüberprüfung. Das bayerische Kabinett hat dies letzte Woche beschlossen. Das ist vernünftig, weil wir – dabei nehme ich Bayern nicht aus – riesige Pensionslasten und Personalkosten haben. Diese Entwicklung und diesen Trend müssen wir umdrehen oder wenigstens stoppen. Das geht nicht mit weiteren linearen Einsparungen, sondern wir müssen die Aufgaben des Staates überprüfen und reduzieren.

Die Rechnungshöfe fordern die Steuerpolitik, die wir seit Jahren verfolgen und die Finanzminister Dr. Kurt Faltlhauser in einem Konzept niedergelegt hat: Steuervereinfachung, Verbreiterung der Bemessungsgrundlage. All diese Dinge fordern wir seit Jahren, können sie aber im Bund leider nicht durchsetzen. Das geht bis hin zum Thema Förderalismusreform. Ich hoffe, dass wir in diesem Punkt gemeinsam agieren. Wir sagen, dass die Finanzströme entflochten werden müssen und vieles andere mehr.

Ich finde, meine Damen und Herren – ich komme gleich zum Ende, Herr Präsident –, dass uns die Obersten Rechnungshöfe ein wirklich hervorragendes Zeugnis ausgestellt und damit den Kurs dieser Staatsregierung in allen finanzpolitischen Bereichen bestätigt haben.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Dr. Runge.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben es heute in der Tat mit einer sehr interessanten Themenformulierung zu tun: „EuGH bestätigt den bayerischen Konsolidierungskurs als richtig – Bund mutiert vom Musterknaben zum Totengräber des Stabilitätspaktes“. Meine Damen und Herren Antragsteller – so Sie da sind –, Sie scheinen weder das Urteil gelesen zu haben noch die Berichterstattung darüber. Ich vermute stark, Herr Kollege Ach, dass Ihre Kollegen draußen das Urteil durcharbeiten; denn zurzeit hätten wir, wenn es eine Abstimmung gäbe, eine Zweidrittelmehrheit. So wenig spannend findet Ihre Fraktion also dieses Thema.

Schauen wir uns an, was die Richter in Luxemburg gesagt haben. Sie haben weder über Ihren so genannten Konsolidierungskurs noch über die Haushaltspolitik des Bundes befunden, sondern die Richter haben darüber entschieden, ob der Ministerrat mehrheitlich über eine Position der Kommission hinwegfegen darf, also ob der Ministerrat ohne weiteres das Defizitverfahren aussetzen darf. Der Ministerrat darf das nicht. Die Kommission wurde gestärkt. Deswegen begrüßen wir das Urteil der Luxemburger Richter.

(Beifall bei den GRÜNEN – Manfred Ach (CSU): Hier sind wir einer Meinung!)

In der Plenarsitzung am 10. Dezember 2003 haben wir anlässlich eines Dringlichkeitsantrags der CSU betont, dass der Stabilitätspakt in der jetzt vorliegenden Form nicht der Weisheit letzter Schluss sei. Wir haben aber das Vorgehen von Deutschland und Frankreich kritisiert, weil wir der Auffassung sind, dass Verträge einzuhalten sind, und wir die Befürchtung hegten, dass es ein schlechtes Signal für die anderen EU-Mitgliedstaaten wäre, wenn große Länder den Vertrag nicht einhalten. Kurz vor der EU-Erweiterung war das ein großer Fehler.

Nun stellt sich die Frage, wie es mit dem Stabilitätspakt weitergehen soll. Kommissar Almunia kündigte an, er wolle mehr Flexibilität, längere Fristen beim Ausgleich der Defizite erlauben. Bedingung wäre für die EU-Kommission insgesamt, dass die Länder bereit sein müssten, eine stärkere Koordination der Wirtschaftspolitik zuzulassen. Ob wir das wollen und ob das zielführend ist – darüber ließe sich im Landtag trefflich streiten. Wir werden diese Diskussion führen.

(Beifall bei den GRÜNEN – Manfred Ach (CSU): Gerne, das können wir noch machen!)

Nun erlaube ich mir, mich dem Thema zu widmen, wo wie Sie es formuliert haben: „Bund mutiert vom Musterknaben zum Totengräber“. So würden Sie gerne die Geschichte verfälschen. Erinnern wir uns an die Endzeit der alten Bundesregierung: Die damaligen Tricksereien und Manipulationen hatten ganz andere Dimensionen als heute, Herr Ach. Auch hier in diesem Gremium haben wir immer wieder über die Maastricht-Kriterien und den Stabilitätspakt diskutiert. Wir erinnern uns gut an die Herren Huber und

Dr. Stoiber, die mit dem Finger auf Italien und Belgien gezeigt und gemeint haben, dass dort noch viel Substanzielles und verbindlich Verpflichtendes passieren müsse. Man hielt es nicht für nötig, vor der eigenen Haustüre zu kehren.

Ich will einige wenige Beispiele nennen; denn wahrscheinlich haben Sie schon viel vergessen. Die Zahlen waren geschönt, und teils war viel Glück im Spiel.

Erstens. Beim Erblastentilgungsfond gab es eine Tilgungsstreckung.

Zweitens. Die Lasten des Bundeseisenbahnvermögens wurden weit in die Zukunft verschoben.

Drittens. Das Budgetdefizit für 1997 fiel erfreulicherweise geringer aus, weil bei der Pflegeversicherung in diesem Jahr ein Plus zu verzeichnen war.

Viertens. Ich erinnere Sie an den Parforceritt von Theo Waigel – besser genannt Theo „Goldfinger“ –, der in der Geschichte der deutschen Finanzpolitik einmalig war. Zuerst dachte er eine Haushaltssperre an. Dann spekulierte er über den vorzeitigen Verkauf der Telekom-Aktien. Danach erkannte man, dass die Bundesanstalt für Arbeit hoher Zuschüsse bedürfe. Deshalb diskutierte man laut über Steuererhöhungen. Gleichzeitig gab es das Geschwätz, man wolle die Steuern radikal senken. Ich darf in diesem Zusammenhang die „Neue Züricher Zeitung“ von damals zitieren. Dort heißt es treffend:

Schließlich ist Theo Waigel auf Mephistos Trick in „Faust 2“ verfallen: vergrabenes, in Tresoren verwahrtes Gold wird zu Geld gemacht, indem man das Gold höher bewertet und die Differenz zur Schließung seiner Etatlücken sich auszahlt.“

Damals wurde also getrickst, manipuliert usw., dass es schlimmer nicht mehr ging. Sie brauchen nicht auf andere zu zeigen. Von wegen „Musterknabe“ – das war eine klassische Themenverfehlung.

(Manfred Ach (CSU): Bayern schon nach wie vor!)

Sie haben formuliert: „Der Bund mutiert vom Musterknaben zum Totengräber“.

(Manfred Ach (CSU): Das ist doch richtig!)