Protocol of the Session on April 22, 2004

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kreuzer hat jede Menge Krokodilstränen vergossen wegen der Finanzsituation der Kommunen. Wir hätten uns gewünscht, dass er mit entsprechenden Möglichkeiten Abhilfe schafft und einen Beitrag leistet, dass die Finanzsituation der Kommunen besser wird. Dies hätte zum Beispiel durch die Initiative geschehen können, die Sie vor zehn Minuten abgelehnt haben.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben – wie ich finde – ein Horrorbild gezeichnet von den möglichen Auswirkungen von „Hartz IV“ und der Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Dazu will ich gerne Stellung nehmen. Sie haben die Schuld für mögliche Berechnungsfehler und den daraus resultierenden drohenden finanziellen Belastungen der Kommunen alleine bei der Bundesregierung gesucht. Das ist wieder einmal falsch. Auch darauf will ich kurz eingehen.

Vorweg eine Bemerkung: Mit der Agenda 2010, die vom Bundeskanzler vorgelegt wurde, sind eine Reihe schwieriger, aber auch notwendiger Reformmaßnahmen begonnen worden. Darunter befinden sich viele, die die Menschen belasten. Im Übrigen gehört „Hartz IV“ zu einem Reformvorschlag, der Menschen belasten wird. Sozialhilfefamilien mit Kindern werden sicherlich nicht die Gewinner dieser Gesetzesinitiative sein. Wir sind uns dessen wohl bewusst.

Wir meinen aber, dass wir mit der Arbeitsmarktpolitik, wie wir sie bisher betrieben haben, auch nicht sonderlich erfolgreich waren und deswegen die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe der richtige Weg ist, weil der Arbeitssuchende nur noch eine Adresse hat, die ihm hilft. Jemand, der Arbeit sucht und arbeitsfähig ist, hat unserer Auffassung nach auf dem Sozialamt nichts verloren, sondern er muss sich beispielsweise an ein Jobcenter wenden können, in dessen Aufgabenbereich im Wesentlichen die Arbeitsvermittlung und die Betreuung des Arbeitslosen liegt.

Ich freue mich, dass es in dieser Angelegenheit eine grundsätzliche Übereinstimmung zwischen den Parteien gibt. Wir alle wollen die Zusammenlegung der Arbeitslosen- und der Sozialhilfe erreichen. Wenn wir das aber ehrlich wollen, Herr Kollege Kreuzer, darf die Umsetzung dieses schwierigen Projektes, die nicht nur Bund und Länder vor Schwierigkeiten stellt, sondern insbesondere die Praktiker vor Ort in den Kommunen, nicht laufend behindert und blockiert werden, wie Sie das in den letzten Monaten auf Bundesebene regelmäßig tun.

Lassen Sie doch offen, ob die Kommunen das gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit machen wollen oder in alleiniger Verantwortung. Ich kenne nur Kommunen, die das vernünftigerweise in Kooperation mit der Bundesagentur machen wollen. Lassen Sie das doch offen! Ich habe nicht verstanden, warum Sie unseren Antrag ablehnen wollen, denn wir sagen darin ausdrücklich, dass unabhängig davon, wie die Kommunen das machen wollen, das Gesetz schnell auf den Weg gebracht werden soll. Helfen Sie doch bitte mit, dass wir die Umsetzung wenigstens jetzt schnell auf den Weg bringen, damit zum 1. Januar 2005 erreicht werden kann, was wir offenbar gemeinsam wollen.

Nun will ich auf die finanzielle Belastung der Kommunen eingehen. Die Wahrheit ist, dass der Bund die Entlastung der Kommunen mit einem klar bezifferten Betrag von 2,5 Milliarden Euro erreichen will. Das ist das Ziel. Von der Staatsregierung hätte ich mir auch gewünscht, dass sie einen Gesetzentwurf vorlegt, der die finanzielle Entlastung der Kommunen definiert. Sie haben nichts in diese Richtung.

(Thomas Kreuzer (CSU): Wir machen keines, das belastet!)

Der Vermittlungsausschuss hat gemeinsam ein Gesetz erarbeitet, das die Kommunen entlasten soll. Die Berechnungsgrundlage ist gemeinsam zwischen dem Bund und den Ländern im Vermittlungsausschuss erfolgt. Es ist un

redlich so zu tun, als sei das Vermittlungsergebnis der Vorschlag der Bundesregierung.

(Beifall bei der SPD)

Das Ergebnis des Vermittlungsausschusses ist der Vorschlag, dem Sie zugestimmt haben.

Sie haben auch dem Rechenwerk zugestimmt, Sie haben auch der Berechnungsgrundlage zugestimmt. Ihr Finanzministerium war bei der Erstellung dieser Berechnung mit den Rechenschiebern anwesend. Das ist von mir kein Schuldvorwurf, weil sich alle Beteiligten bei dieser schwierigen Berechnung offenbar auf unterschiedliche Rahmendaten gestützt haben. Auch die Kommunen, die dabei waren, haben erst Wochen und Monate später beim Nachrechnen festgestellt, dass diese Rechengrundlage so nicht stimmen kann. Deswegen gab es von Anfang an die erklärte Bereitschaft des Bundes zu sagen: Wenn die Rechnung nicht stimmt, wenn das von uns gewollte Ergebnis, 2,5 Milliarden Euro mehr in den Kassen der Kommunen, nicht stimmt, dann rechnen wir nach und verändern das Gesetz so, dass das beschlossene und gewünschte Ergebnis zustande kommt.

Was ist an diesem Vorgang auszusetzen? Warum müssen Sie partout versuchen, aus jedem Vorgang politisches Kapital zu schlagen, auch wenn das nicht im Entferntesten möglich ist?

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der GRÜ- NEN)

Sie könnten kritisieren, wenn der Bund sagen würde, wir rechnen nicht nach; Sie könnten kritisieren, wenn der Bund sagen würde, wir gehen von dieser Zusage ab, wir können sie nicht einhalten. Beides ist nicht gegeben: Es wird nachgerechnet, und zwar rechnen die Finanzministerien der Länder und das Bundesfinanzministerium gemeinsam nach. Es wird gemeinsam nach einem Weg gesucht, wie man die gewünschte Entlastung der Kommunen zustande bringen kann.

Herr Kollege Kreuzer, Sie fragen, wohin das Geld gekommen ist. Ich finde, das ist eine bemerkenswerte Frage. Das ist ein Finanzfluss, der erst ab 1. Januar nächsten Jahres zustande kommen soll. Sie fragen schon heute, wohin Geld, das noch gar nicht geflossen ist, hingekommen ist.

(Thomas Kreuzer (CSU): Wer hat den Vorteil der Falschberechnung?)

Wer hat den Vorteil der falschen Berechnung? – Sie sagen wiederum: allein der Bund. Auch das stimmt nicht; auch die Länder könnten einen Vorteil haben, wenn sie nämlich bei der Frage der Unterbringungskosten, die sie selbst an sich gezogen haben, genau hinschauen. Es ist nämlich noch offen und strittig, wie das Wohngeld als eine Transferleistung vom Land an die Kommunen weitergegeben wird. Das ist eine der strittigen Fragen, weswegen die Kommunen zu dem Ergebnis kommen, dass sie möglicherweise sogar Mindereinnahmen haben werden.

Ich meine, wir sollten uns zumindest dann, wenn sich die Parteien in Deutschland in einer schwierigen Frage einig sind, dass man es auf diese Weise machen könnte, nicht streiten. Es gibt überhaupt keine Veranlassung, keinerlei Begründung für gegenseitige Schuldzuweisungen. Es trifft nicht zu, dass der Bund die Kommunen belasten will; er will sie entlasten. Das wissen die Kommunen auch. Das ist das gemeinsam erarbeitete Ergebnis des Vermittlungsausschusses.

Ich kann Sie nur warnen: Wenn Sie bei den Kommunen so auftreten wie hier und pharisäerhaft behaupten, hier wolle Rot-Grün die Kommunen belasten, dann wird man Ihnen das nicht glauben, weil die Kollegen das sehr genau wissen.

(Thomas Kreuzer (CSU): Im Moment ist es aber so!)

Man wird Sie im Gegenzug fragen: Was habt Ihr getan, um uns finanziell zu entlasten? Wollt Ihr uns entlasten vom Solidaritätsbeitrag? Wollt Ihr endlich aufhören, uns immer weitere Belastungen vonseiten des Freistaates aufzubürden, wie jetzt beim Nachtragshaushalt geschehen?

Wir sind die Anwälte der Kommunen in diesem Land. Ich verspreche Ihnen, dass wir genau aufpassen werden, ob Ihr Finanzministerium und das Bundesfinanzministerium in Zusammenarbeit mit den Kommunen die Berechnungsgrundlagen genauso erstellen, wie wir alle das wollen, nämlich mit der versprochenen Entlastung für die Städten und Gemeinden in Bayern.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der GRÜ- NEN)

Als Nächste hat Frau Kollegin Kamm das Wort. – Ich weise Sie vorsorglich darauf hin, dass Ihnen noch fünf Minuten Redezeit zur Verfügung stehen.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Mitglieder der CSU-Fraktion, Ihr Antrag geht durchaus in die richtige Richtung. Es ist aber pharisäerhaft, wie auch Herr Maget sagte, wenn man hier so tut, als ob die Staatsregierung an dieser unglücklichen Beschlusslage nicht mitgewirkt hätte. Es wäre richtig zu überlegen, ob es wirklich sein muss, dass immer mehr Gesetze in die Runden des Vermittlungsausschusses gezogen werden, in denen ein ordentliches und solides Gesetzgebungsverfahren deutlich erschwert ist. Die Bayerische Staatsregierung hat an diesem Beschluss mitgewirkt. Daher steht sie jetzt in der besonderen Verantwortung, dieses Ergebnis des Vermittlungsausschusses zu korrigieren. Wir sagen genauso wie unsere Bundestagsfraktion: 2,5 Milliarden Euro Entlastung müssen 2,5 Milliarden Euro Entlastung bleiben. Ich habe zwar in Ihrem Redebeitrag dieses Ziel gehört, in Ihrem Antrag ist es aber nicht enthalten. Ich denke, Ihr Vorschlag geht in dieselbe Richtung.

Herr Kreuzer, es liegt auf der Hand, dass man insbesondere überprüfen muss, ob die volle Übertragung der Unterkunftskosten für die Bezieher von Arbeitslosengeld II,

der Sozialhilfe und der Grundsicherung auf die Kommunen so bleiben kann oder ob sie korrigiert werden muss. All die Papiere und Positionen, die man bisher von den kommunalen Spitzenverbänden lesen konnte, zeigen, dass insbesondere die Belastung der Kommunen durch das Wohngeld für die Empfänger des Arbeitslosengeldes II und die Sozialhilfeempfänger zu dem Ergebnis führt, das Sie so beklagen. Insofern liegt es nahe, dass hier eine Korrektur erfolgen muss. Vielleicht sollte man bei dieser Gelegenheit auch an das Wohngeld denken, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, das in den nächsten Jahren sicherlich steigen wird, wenn Sie diese Wohnungspolitik, die Sie im letzten halben Jahr gemacht haben, so weiterbetreiben. Ich wundere mich immer, was der CSU-Arbeitskreis „Wohnungswesen“ macht; vielleicht erfahre ich das einmal.

Die Kommunen haben das besondere Problem, dass sie durch eine Entscheidung aus dem Vermittlungsausschuss möglicherweise in unzumutbarer Höhe belastet werden. Das trifft die Kommunen deswegen so extrem, weil sie schon jetzt in finanzieller Hinsicht mit dem Rücken an der Wand stehen. Daran ist die Bayerische Staatsregierung nicht unschuldig, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU.

(Beifall bei den GRÜNEN)

All das, was Sie in den letzten Monaten gemacht haben, Ihre Korrekturen, die Sie im Dezember in Berlin vorgenommen haben, Ihr Nachtragshaushalt, Ihr Finanzausgleichsgesetz, Ihre angedachte Kommunalrechtsreform, helfen den Kommunen nicht weiter, all das verschlechtert die Situation der Kommunen. Wenn man den Kommunen helfen will, muss man hier überall Korrekturen ansetzen. Darum bitte ich Sie, in den nächsten Monaten dabei mitzuwirken.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich der Frau Ministerin das Wort erteile, gebe ich das Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Dringlichkeitsantrag der SPDFraktion betreffend „Wiedergewinnung und Stärkung der kommunalen Investitionskraft in Bayern – Abschaffung der doppelten Benachteiligung bayerischer Kommunen durch die Kosten für die Deutsche Einheit und das Fördergefälle zwischen den alten und neuen Bundesländern“ auf Drucksache 15/786 bekannt. Mit Ja haben 29 gestimmt, mit Nein 98, Stimmenthaltungen: 5. Damit ist der Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 6)

Außerhalb der Tagesordnung begrüße ich auf der Besuchertribüne eine Besuchergruppe aus den Reihen der Polizeiinspektionen Unterhaching und Grünwald. Im Vorgriff auf den morgigen Tag der Inneren Sicherheit sollten wir unsere Polizeibeamtinnen und –beamten hier herzlich begrüßen.

(Allgemeiner Beifall)

Das Wort hat Frau Staatsministerin Stewens.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Ich nehme Stellung zu den drei Dringlichkeitsanträgen, die heute vorliegen. Herr Kollege Maget, über eines waren wir uns doch alle im Klaren: Die Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe, also der steuerfinanzierten Leistungen, diese Zusammenlegung ist sinnvoll und notwendig. Das ist überhaupt keine Frage. Übrigens kann ein Sozialhilfeempfänger schon heute zum Arbeitsamt gehen und dort um Arbeit nachsuchen. Das war ihm bisher in keiner Weise verwehrt.

(Franz Maget (SPD): Das ist eine Leistungsabteilung!)

Wir haben in Bayern eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen den Sozialämtern und den Arbeitsämtern. Das gilt gerade für den Bereich „Hilfe zur Arbeit“. Dort wird mittlerweile hervorragende Arbeit von den Sozialämtern geleistet.

Wir blockieren keineswegs die Umsetzung von „Hartz IV“ oder die Änderungen des SGB II. Das kann man so nicht sagen.

(Franz Maget (SPD): Kollege Koch in Hessen!)

Auch Kollege Koch macht das keineswegs. Wissen Sie, was Sinn des Vermittlungsausschusses war? – Damals wurde festgelegt – und das haben Sie heute auch wiederholt –, dass die Kommunen in die Lage versetzt werden sollen, in alleiniger Trägerschaft die Aufgaben zu übernehmen. Der Entwurf des Optionsgesetzes, der uns von Bundeswirtschaftsminister Clement vorgelegt wurde, enthält die Formulierung: Die kommunalen Stellen sind im Rahmen der Organschaft – es geht um die Organleihe – an die Vorgaben der Bundesagentur für Arbeit gebunden. Und so geht das noch weiter. Wir bekommen also nicht den Wettbewerb zwischen den Kommunen und den Agenturen; dabei war das doch der Sinn. Wir wollten doch aufzeigen, dass die Kommunen das besser als die Arbeitsagenturen können. Deswegen sollten die Kommunen in die Lage versetzt werden, die Aufgabe eigenständig zu übernehmen und nicht über eine Organschaft. Das ist doch das Problem. Von Eigenständigkeit und Wettbewerb ist in diesem Gesetzentwurf überhaupt keine Rede. Das haben wir so im Vermittlungsausschuss nicht verabredet. Das ist das Problem: Die Bundesregierung und das Wirtschaftsministerium halten sich nicht an ihre Versprechungen. Sie legen Gesetzesentwürfe vor, die nicht dem Sinn des Vermittlungsausschusses entsprechen. Vor diesem Hintergrund sagen wir: Dem können wir nicht zustimmen. Sie sagen doch selbst, Herr Kollege Maget, was damals letzten Endes ausgemacht worden ist.

(Franz Maget (SPD): Darum steht in unserem Antrag: „unabhängig davon …“!)

Das heißt, dass die Kommunen das in alleiniger Verantwortung machen. Von dem, was Sie heute gesagt haben, ist in dem Entwurf des Optionsgesetzes überhaupt nicht die Rede. Die Kommunen hängen am Gängelband der

Bundesagentur, auch bei den Zielvereinbarungen. Ich könnte Ihnen das vorlegen. Auch bei den Zielvereinbarungen steht, dass die Bundesagentur die Ziele vorgibt, die die Kommunen einhalten müssen. Damit besteht kein Wettbewerb zwischen den Kommunen und den Agenturen. So war das überhaupt nicht ausgemacht.

(Franz Maget (SPD): Was haben Sie gegen die Formulierung in unserem Antrag?)

Sie sagen immer, die Länder werden begünstigt.

(Franz Maget (SPD): Das habe ich nicht gesagt!)