Protocol of the Session on June 10, 2008

Wenden Sie sich an den Bayerischen Rundfunk!

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Genau!)

„Fünf Kinder fehlen“. – Durchschnittlich fünf von dreißig Kindern einer Klasse sind arm. Das sind Kinder, die beim Schulausfl ug fehlen. Hartz-IV-Kinder verfügen über rund 4 Euro pro Monat für Sport- und Freizeitveranstaltungen. Da werden die 4 oder 6 Euro für den Klassenausfl ug schnell zum Krankheitserreger.

„Einsam“. – Mit Freunden ins Kino gehen, gemeinsame Eisdielenbesuche, so etwas ist nicht drin. Viele arme Kinder sind nie dabei, sie vereinsamen und leiden darunter. Die Liste lässt sich noch lang fortsetzen. Es geht auch um zwei Millionen dicke Kinder, denn Armut ist auch

der Bayerischen Staatsregierung einen zentralen Stellenwert.

(Zuruf von der SPD)

Ich möchte auch zurückweisen, dass, wie Sie immer wieder deutlich machen wollen, die Rahmenbedingungen schlecht sind. Wir sehen einen Verbesserungsbedarf; das ist klar, gerade was den Anstellungsschlüssel und das Verhältnis Personal – Kind betrifft ebenso wie den Basiswert. Wir sehen auch das Ziel eines beitragsfreien Kindergartenjahres als ein Ziel an, das selbstverständlich nicht – das hat die Frau Staatsministerin auch weiß Gott nicht so dargestellt in der letzten Woche – auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wird, sondern das Bestandteil unserer familienpolitischen Konzeption ist. Aber wir müssen in einem solchen System die Kommunen mit ins Boot holen, weil sie Bestandteil unserer Versorgungslandschaft sind. Das kann nur gemeinsam erfolgen. Wir müssen vor allen Dingen ein vernünftiges Konzept haben, das es den Eltern möglich macht, vernünftig entlastet zu werden. Für uns ist entscheidend, dass die Qualität und die qualitative Weiterentwicklung Priorität hat. Das ist auch, Kolleginnen und Kollegen, ein Ansatz zu präventiver Familien- und Kinderpolitik, die letztlich Kinderarmut zumindest mittelfristig verhindern hilft.

Ein siebter Punkt ist die Stärkung und die Begleitung der Eltern im Erziehungsprozess. Meine Damen und Herren, wir wissen: Wenn Eltern Unterstützung und Begleitung benötigen, dann kommt es darauf an, dass die Begleitung der Eltern in niederschwelligen Angeboten dort, wo sich Familien und Kinder aufhalten, gerade in den frühkindlichen Einrichtungen, gerade in einer Vernetzung der Beratungsstellen und denjenigen Stellen, die mit Kindern und Familien zu tun haben, weiterentwickelt und gestärkt wird. Die CSU-Landtagsfraktion hat unter dem Gesichtspunkt frühe Förderung unter Federführung unserer stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Renate Dodell ein Gesamtkonzept entwickelt, dem Sie auch zugestimmt haben. Die Staatsregierung ist in diesem Sinne ebenfalls tätig gewesen. Ich möchte damit sagen: Kinderarmut zu bekämpfen, bedeutet Eltern zu stärken und im Erziehungsprozess zu begleiten.

(Dr. Thomas Beyer (SPD): Auch, nicht nur!)

Wenn Sie mir jetzt die ganze Zeit zugehört haben, werden Sie festgestellt haben, dass ich das nicht ausschließlich sehe.

(Dr. Thomas Beyer (SPD): Darum habe ich bemerkt, dass Sie es so dargestellt haben!)

Als achten Punkt nenne ich die akute Hilfe in besonders schwerwiegenden Fällen bei der Vernachlässigung. Das ist ein ganz wesentlicher Ansatzpunkt. Denn Kinderarmut bedeutet nicht nur materielle, sondern auch soziale

vestiert, ist nicht so hoch wie die Folgekosten. Wenn man hier nicht investiert, wird das sehr viel teurer. Es geht aber vor allem um das Leben der Kinder. Erst in zweiter Linie geht es um Investitionen. Wir sind für diese Kinder verantwortlich.

(Engelbert Kupka (CSU): Zunächst sind die Eltern verantwortlich, nicht die Politiker!)

Wir sind für all diese Kinder verantwortlich. Wie wir in allen Sonntagsreden sagen, sind diese Kinder doch unsere Zukunft. Wenn Herr Huber in Berlin großkotzig von mehr Netto vom Brutto redet, dann möchte ich wissen, wie das den armen Familien zugute kommen soll, denn diese armen Familien zahlen gar keine Steuern. Sie werden also genau wieder diejenigen sein, die durch die Maschen fallen.

(Joachim Unterländer (CSU): Kindergeld!)

Streichen Sie lieber Ihr Betreuungsgeld, denn dieses Betreuungsgeld ist kontraproduktiv, und es hindert Familien und Kinder, an frühkindlicher Bildung teil zu haben. Gott sei Dank haben Sie es beim Büchergeld endlich eingesehen, lange genug hat es gedauert. Streichen Sie Ihre Studiengebühren, dann kommen wir der Sache näher.

Wir brauchen in diesem Land ein Netz von Einrichtungen, das Familien unterstützt, das Kinder bildet, das Angebote schafft auch für Kinder, die weniger gute Startvoraussetzungen haben. Dann wird sich auch ein Erfolg einstellen. Machen wir uns endlich auf den Weg. Einer der ersten Schritte ist auch die Verbesserung des Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes, das noch immer ein Verhinderungs- statt ein Fördergesetz ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Bayern ist ein reiches Land. Bayern will Spitze sein. Lassen wir es nicht zu, dass unter uns noch immer Kinder in Armut leben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Kollegin, vielen Dank. Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Imhof.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich nur eine Nebenbemerkung zu Frau Ackermann machen. Es war, glaube ich, der vorletzte Punkt in Ihrer Rede, Frau Ackermann. Da ging es um den Aspekt: nicht nur Transferleistungen. Ich würde einmal, wenn wir unsere Familienpolitik im Vergleich zu Ihrer kennzeichnen wollen, vor allem sagen, der signifi kante Unterschied ist, dass Sie ausschließlich auf institutionelle Förderung setzen, während wir dies als

ein Gesundheitsrisiko. Es geht um 700 000 Zeitungsausträger, um unfreiwillige Kinderarbeit, um „Null Euro für die Pause“ und so weiter, und so weiter. Das alles sind Beispiele, wie Kinder in Bayern in Armut leben müssen.

Wir wissen es längst, die Start- und Lebenschancen hängen von der sozialen Herkunft ab. Das Armutsrisiko, das ist gerade geschildert worden, liegt insbesondere bei Ein-Eltern-Familien, aber auch bei Familien mit Migrationshintergrund, bei Familien mit mehr als drei Kindern und bei Familien, wenn die Eltern erwerbslos sind oder einen niedrigen Bildungsabschluss haben. Nachdem der Status der Eltern weitestgehend verantwortlich ist für den Bildungserfolg ihrer Kinder, was die Pisa-Studie nachgewiesen hat, ist eine Vererbung dieses Status bereits vorprogrammiert. Es geht aber nicht nur darum, dass arme Kinder wenig Geld haben. Arme Kinder haben auch eine unzureichend kognitive Entwicklung, ein niedriges Selbstwertgefühl, schlechtere schulische Leistungen, mangelnde Entfaltungsmöglichkeiten, beengte Wohnverhältnisse, ein höheres Krankheitsrisiko. Es gibt wesentlich mehr psychische Erkrankungen bei armen Kindern. Und diese Kinder sind deutlich häufi ger übergewichtig. All das verstößt gegen Artikel 3 der UN-Konvention für die Rechte des Kindes, der da lautet:

Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.

Ich frage mich, wo dies bei diesen Kindern der Fall ist.

Was ist nun zu tun? – In erster Linie wäre es ganz schön, wenn wir endlich den Sozialbericht vorliegen hätten, denn dann wüssten wir genau, wo wir anpacken müssen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Es ist aber auch wichtig, die Qualität der Strukturen in diesem Land zu verbessern. Herr Unterländer, Sie haben wieder einmal sehr viel von Transferleistungen gesprochen. Die Transferleistungen kommen aber erst in zweiter Linie.

(Joachim Unterländer (CSU): Das habe ich doch gesagt!)

Die Menschen brauchen Einrichtungen. Sie brauchen ein fl ächendeckendes Netz an Kinderkrippen, sie brauchen eine hochwertige Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern. Sie brauchen Ganztagsschulen. Sie brauchen kostenlose, hochwertige Verpfl egung in den Schulen. Sie brauchen ein Netz von Sozialarbeitern, von Schulsozialarbeitern. Sie brauchen familienbegleitende Beratung im Sinne von Prävention. Das, was man in diese Kinder in

um die Kinder, die ganz knapp über dem Hartz-IV-Satz liegen. In Deutschland sind das mehrere zehntausend Kinder, in Bayern einige Tausend.

Denn wir sind der Meinung: Die Kinder aus den Familien mit diesem geringen Erwerbseinkommen brauchen das warme Mittagessen genauso wie Hartz-IV-Kinder.

Wenn die Bayerische Staatsregierung – sprich: Kultus- und Sozialministerium – ein schlüssiges, fundiertes Konzept ausarbeitet, wie es uns gelingen kann, auch unter Berücksichtigung der vorhandenen Strukturen – ich denke an das Ehrenamt, an angesiedelte Kochkurse – all diese Dinge in das Konzept einzubinden, dann erwarten wir ein Konzept, das wenig Bürokratie hat und auf diese Strukturen Rücksicht nimmt. Ende Juni/Anfang Juli muss eine Idee, ein Vorschlag präsentiert werden, mit dem Sie und wir leben können.

Das war mein Beitrag zum warmen Mittagessen.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Pranghofer.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Kollege Wahnschaffe hat zu Anfang gesagt: Arme Kinder in Bayern sind für ein so reiches Land eine Schande. Ich fi nde, noch viel schlimmer ist, dass der Bildungserfolg der Kinder in der Schule heute mehr denn je entscheidend vom Geldbeutel der Eltern abhängt.

(Eduard Nöth (CSU): Das ist eine Behauptung!)

Natürlich ist das so, Herr Nöth; es ist keine Behauptung. Ich werde das Gesagte hier auch noch belegen.

Das Schlimmste ist: Wer nichts im Geldbeutel hat, fi ndet für seine Kinder immer weniger die besten Bildungsvoraussetzungen. Das Schlimmste ist, das heute Kinder auf Bildung verzichten müssen, weil die Rahmenbedingungen in den Schulen heute so sind, dass diese Kinder an dem Bildungserfolg nicht teilhaben können.

Herr Unterländer, wenn Sie an den Schulen wirklich etwas für arme Kinder tun wollten, müssten Sie eigentlich dafür sorgen, dass die Staatsregierung Ganztagsschulen ausbaut. Denn dort bezahlen die Eltern nur das Mittagessen und nicht das Bikini-Modell mit der Ganztagsbetreuung, bei dem es die Eltern sind, die alles fi nanzieren.

(Beifall bei der SPD)

Damit besteht natürlich auch die Gefahr, dass Eltern, weil sie das erforderliche Geld nicht haben, ihre Kinder zur Ganztagsbetreuung überhaupt nicht anmelden.

ein sehr wichtiges Standbein ansehen, die institutionelle und qualitative Förderung,

(Zuruf der Abgeordneten Renate Ackermann (GRÜNE))

dass wir aber auch meinen: Familien brauchen Transferleistungen, damit Armut bekämpft wird. Deshalb brauchen Familien auch steuerliche Entlastungen. Familien brauchen auch das Landeserziehungsgeld, welches Sie abschaffen wollen. Sie brauchen das nicht nur, um über die Runden zu kommen, sondern auch, um das Leben zu bewältigen, wenn sie ein Kind bekommen haben. Was das Betreuungsgeld anbelangt, so darf man denjenigen, der es in Anspruch nimmt, nicht stigmatisieren.

(Renate Ackermann (GRÜNE): Nach dem Landeserziehungsgeld sitzen die Familien auf dem Trockenen!)

Wir wollen die breite Mittelschicht auch steuerlich entlasten, denn Familien sind auch Leistungsträger in unserer Gesellschaft.

Mein Redebeitrag greift aber vor allem einen Teilaspekt auf, den Sie, Herr Wahnschaffe, vorhin aufgegriffen haben: Warme Mahlzeiten für alle Kinder. Ich gehe davon aus, Kolleginnen und Kollegen von der SPD und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Sie kennen unseren Antrag.