Protocol of the Session on April 24, 2008

Der Kinderschutz braucht starke Netze. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass uns diese Vernetzung ein wichtiges Anliegen ist. Dazu müssen wir auch soziale Frühwarnsysteme flächendeckend etablieren. Wir haben 180 Erziehungsberatungsstellen. Das ist im bundesweiten Vergleich sehr gut. Der Freistaat Bayern investiert einiges in die Erziehungsberatungsstellen. Einerseits haben wir mit den Früherkennungsuntersuchungen einen Baustein, andererseits müssen wir aber auch wissen, dass flächendeckende soziale Frühwarnsysteme dringend etabliert werden müssen. Deswegen haben wir auch an dem zweijährigen länderübergreifenden Modellprojekt „Guter Start ins Kinderleben“ teilgenommen. Bei diesem Modellprojekt geht es darum, koordinierte Kinderschutzstellen zu implementieren. Ziel dieser Kinderschutzstellen ist es, die interdisziplinäre Vorgehensweise gegenüber Risikofamilien zu verstärken. Das ist auch Ihr Anliegen. Für diese koordinierten Kinderschutzstellen konnten wir am 12. Februar 2008 im Ministerrat eine flächendeckende Förderung erreichen, um das Projekt, das momentan nur an zwei Modellstandorten läuft, in die Fläche zu tragen und an den Jugendämtern diese koordinierten Kinderschutzstellen einrichten zu können.

Wir sind da im Gespräch mit den kommunalen Spitzenverbänden, weil vieles davon Aufgabe der Kommunen ist. Wir lassen uns aber durchaus in die Pflicht nehmen und treten als Freistaat Bayern für das Wohl der Kinder ein. Wir investieren deshalb in die koordinierten Kinderschutzstellen, damit wir interdisziplinär weiter vorangehen können.

Frau Staatssekretärin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Sonnenholzner?

Gerne.

Zum anderen erfassen wir mit den verpflichtenden Vorsorgeuntersuchungen alle Eltern dadurch, dass wir die Untersuchungen an die Gewährung des Landeserziehungsgeldes bzw. an die Anmeldung zur Kindertagesstätte oder an die Schulanmeldung koppeln. Dazu möchte ich aber eines erwähnen. Im ersten Quartal, in dem die Teilnahmeverpflichtung für den Bezug von Landeserziehungsgeld bereits galt, haben wir festgestellt, dass von 6500 Anträgen bisher nur fünf nicht genehmigt werden konnten, weil die Vorsorgeuntersuchung nicht durchgeführt wurde. Das sind also keine riesigen Mengen. Wir haben auch Härtefallregelungen, wenn zum Beispiel das Kind in der betreffenden Zeit erkrankt war. Darauf nehmen wir selbstverständlich Rücksicht, weil wir auch gerade die Familien unterstützen wollen, die dieses Geld am dringendsten brauchen. Wir wollen damit darauf hinwirken, dass sich auch diese Eltern einbringen.

Genauso wichtig ist es aber auch, dass die Eltern frühzeitig darauf hingewiesen werden, dass sie zur Vorsorgeuntersuchung gehen müssen. Sie müssen dazu die Faltblätter bekommen und informiert werden. Die Erzieherinnen und die Lehrer müssen sie darauf ansprechen. Im Bewusstsein der Bevölkerung muss einfach verankert sein, dass diese Untersuchungen durchzuführen sind. Wir wissen, dass 13 % der Kinder die U 9 nicht besuchen. Die U 1, die U 2 und die U 3 werden noch recht gut besucht. Deshalb ist es wichtig, eine Verpflichtung zur Teilnahme an der Schuleingangsuntersuchung zu schaffen, um wenigstens damit die Kinder noch zu erreichen. Deshalb ist die Schuleingangsuntersuchung ein wichtiger Gesichtspunkt.

Natürlich wollen wir mit dieser Verpflichtung zu den Untersuchungen auch einen Beitrag zum Kinderschutz leisten. In diesem Bereich setzt der Gesetzentwurf auf eine verbindliche Vernetzung des Gesundheitsbereichs mit der Jugendhilfe. Eine zentrale Rolle spielen insbesondere Ärzte und Hebammen. Wenn schwere Misshandlungen erkannt werden, sind die Ärzte und Hebammen zur Mitteilung verpflichtet. Bei gewichtigen Anhaltspunkten für Misshandlungen, Vernachlässigung oder sexuellen Missbrauch besteht für Ärzte und Hebammen eine Mitteilungspflicht gegenüber den Jugendämtern. Damit haben die Ärzte und Hebammen auch Rechtssicherheit. Uns geht es darum, dass diese Mitteilungen auch ohne Einverständnis der Eltern konsequent weitergegeben werden dürfen. Die Ärzte müssen wissen, dass sie solche Vorfälle dem Jugendamt melden müssen.

Bei der Gelegenheit darf ich kurz darauf hinweisen – Frau Kollegin Sonnenholzner hat es erwähnt –, dass heute im Bundestag über die Konkretisierung der Rechtsfolgen des § 1666 BGB beraten wird. Bei dieser Änderung geht es um die Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls. Bayern hat sich immer wieder dafür eingesetzt, dass bei Gefährdung von Kindern familiengerichtliche Maßnahmen ergriffen werden können. Wir freuen uns, dass der Bund jetzt auch in diese Richtung geht.

Vorhin habe ich erwähnt, dass dieser Gesetzentwurf nur ein Baustein im Gesamtkonzept ist. Der Kinderschutz ist natürlich eine Daueraufgabe, die wir immer noch ein Stück weiterentwickeln müssen und bei der wir immer

dürfen. Wir haben oben auf der Besuchertribüne genügend Platz. – Bitte, Frau Kollegin.

Frau Staatssekretärin, was soll denn das Ergebnis der Modellversuche sein? Wissen wir denn nicht schon längst, dass es wichtig ist, sich zu vernetzen? Wissen wir denn nicht schon längst, dass es notwendig ist, von Anfang an gute Angebote für Familien und Kinder zu haben? Wissen wir denn nicht schon längst, dass es wichtig ist, familienunterstützende Maßnahmen zu praktizieren? – Was wollen Sie denn mit den Modellprojekten herausfinden?

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Dehnen Sie die Modellprojekte doch gleich auf das ganze Land aus! Sie sagen zwar, dass Sie das machen wollen, aber warten wir mal ab, wie es nach der Wahl ausschaut. Wir sollten das, was wir als richtig erkannt haben, einfach machen und nicht immer nur Modellprojekte anpacken, die irgendwann wieder eingestellt werden, obwohl ihr Ergebnis hervorragend war.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Staatssekretärin, ich habe noch mehr Fragen an Sie. Mich würde interessieren, wie Sie es sanktionieren wollen, wenn Eltern nicht zur Vorsorgeuntersuchung kommen. Gerade die Menschen, die so große Probleme haben, dass sie ihre Kinder misshandeln müssen, werden sich den Vorsorgeuntersuchungen entziehen. Mich würden die konkreten Sanktionsmaßnahmen interessieren: Sind es finanzielle Sanktionen, ist es vielleicht der Entzug der Kinder, ist es Freiheitsentzug – was wollen Sie denn machen? Was wollen Sie insbesondere machen, ohne wieder die Kinder mit Ihren Sanktionen zu treffen? Wen wollen Sie mit den Vorsorgeuntersuchungen erreichen, wenn wir doch wissen, dass die überwiegende Mehrzahl der Menschen – –

(Staatssekretärin Huml unterhält sich mit einem Abgeordneten)

Frau Staatssekretärin, ich stelle Ihnen gerade einige Fragen.

(Thomas Kreuzer (CSU): Wir haben keine Fragestunde, sondern wir verabschieden ein Gesetz!)

Wir diskutieren das Gesetz, und dazu gehört es auch, Fragen zu stellen.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Wir wollen Antworten darauf!)

Wen wollen Sie denn erreichen, da wir doch wissen, dass die große Mehrzahl der Eltern mit ihren Kindern sehr gewissenhaft zu den Vorsorgeuntersuchungen geht? Diejenigen, die die Vorsorgeuntersuchungen nicht in Anspruch nehmen, sind eben gerade die potenziellen Misshandler oder potenziellen Vernachlässiger der Kinder. Die werden Sie nicht erreichen. Ihr ganzer Vorstoß läuft also ins Leere.

Bitte schön, Frau Kollegin.

Frau Staatssekretärin! Wie stellt sich die Staatsregierung konkret die Aufstockung des Personals in den Gesundheits- und Jugendämtern vor, die diesen von Ihnen jetzt theoretisch formulierten zusätzlichen Aufgaben gerecht werden sollen?

Das sind keine theoretischen Aufgaben; denn das wird bereits in zwei Städten praktiziert, nämlich in Erlangen und in Traunstein. Wir sprechen hier also nicht von Theorie, sondern das wird bereits praktiziert.

(Engelbert Kupka (CSU): Das ist doch gut!)

Wir haben erkannt, dass das gut ist. Deswegen wollen wir da weiter investieren und sehen uns hier weiterhin in der Pflicht. Wir müssen allerdings mit den kommunalen Spitzenverbänden darüber reden, wie wir gemeinsam dieses Konzept verwirklichen können.

(Susann Biedefeld (SPD): Nennen Sie die Finanzausstattung, ganz konkret! – Zurufe von den GRÜNEN)

Bereits jetzt sind Finanzmittel für die zwei Stellen dabei, nämlich über 100 000 Euro.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Bravo!)

Die zwei Modellprojekte wollen wir im Wege eines Förderangebots für die Kommunen auf ganz Bayern ausdehnen. Das ist also keine Theorie, sondern wir setzen das in die Praxis um.

Wir befinden uns in Bayern auf einem guten Weg und schließen mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf bestehende Lücken. Die Gesundheitsvorsorge und der Kinderschutz werden für die Staatsregierung weiterhin besonders wichtige Aufgaben sein, und wir werden gemeinsam sicherlich noch die eine oder andere Entwicklung gestalten. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit zum Wohle der Kinder.

(Beifall bei der CSU)

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Frau Kollegin Ackermann hat noch einmal um das Wort gebeten.

Frau Staatssekretärin, was wollen Sie denn mit diesen Modellprojekten herausfinden?

(Eine Besuchergruppe betritt den Plenarsaal)

Entschuldigung, Frau Kollegin. – Oben auf der Besuchertribüne ist noch Platz. Im Plenarsaal können nur diejenigen anwesend sein, die nach der Geschäftsordnung hier anwesend sein

meldungen vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Der Abstimmung liegen der Gesetzentwurf auf Drucksache 15/9366 und die Beschlussempfehlung mit Bericht des federführenden Ausschusses für Sozial-, Gesundheits- und Familienpolitik auf Drucksache 15/10421 zugrunde.

Der federführende Ausschuss für Sozial-, Gesundheits- und Familienpolitik empfiehlt die unveränderte Annahme. Der Ausschuss für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen stimmt bei seiner Endberatung ebenfalls zu, allerdings mit der Maßgabe von Änderungen. Ich verweise insoweit auf Drucksache 15/10421. Wer dem Gesetzentwurf mit den vom Ausschuss für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen vorgeschlagenen Änderungen zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die CSU-Fraktion. Ich bitte, die Gegenstimmen anzuzeigen. – Das ist die Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN. Stimmenthaltungen? – Das sind die Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion.

Da ein Antrag auf Dritte Lesung nicht gestellt wurde, führen wir gemäß § 56 der Geschäftsordnung sofort die Schlussabstimmung durch. Ich schlage vor, sie in einfacher Form durchzuführen. – Widerspruch erhebt sich nicht.

Wer dem Gesetzentwurf in der Fassung des endberatenden Ausschusses für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen seine Zustimmung geben will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. – Vielen Dank. Das war die CSU-Fraktion. Gegenstimmen bitte ich anzuzeigen. – Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Stimmenthaltungen? – Die SPD-Fraktion. Dann ist das Gesetz so angenommen. Es heißt: „Gesetz zur Änderung des Gesundheitsdienst- und Verbraucherschutzgesetzes und des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen“.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:

Gesetzentwurf der Abg. Margarete Bause, Dr. Sepp Dürr, Maria Scharfenberg u. a. u. Frakt. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) zur Änderung des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (Drs. 15/9317) – Zweite Lesung –

Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Im Ältestenrat wurde hierzu eine Redezeit von zehn Minuten pro Fraktion vereinbart. Ich darf als Erster Frau Kollegin Tolle das Wort erteilen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In diesem Gesetzentwurf geht es um Demokratie. Wenn wir uns anschauen, wie die Wahlbeteiligungen ständig sinken, ist es, denke ich, sehr wichtig, dass wir demokratisches Bewusstsein fördern. Wir brauchen eine aktive demokratische Bürgergesellschaft, in der alle die Chance, ihre Bedingungen mitzugestalten, aktiv einüben und in der wir Demokratie nicht auf eine Wahl im Jahr reduzieren. Demokratie und Mitwirkung brauchen aber auch Lernprozesse. Jetzt komme ich zur Schule. Wo ist ein besserer

Sie haben vorhin eine ganze Reihe von Berufsgruppen aufgezählt, die von Ihrem Gesetz so begeistert sind. Dazu muss ich sagen: Sie haben die Kinderärzte vergessen, die sich klar dagegen ausgesprochen haben, weil sie nicht zu Denunzianten werden wollen. Sie haben gesagt, sie wollten nicht die ärztliche Schweigepflicht brechen, indem sie sich an das Jugendamt wenden.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Der Verband der Kinderärzte hat gesagt, die Ärzte finden es nicht in Ordnung, was da von ihnen verlangt wird.

Die Bilanz dieses Gesetzes wird sein: Diejenigen, die ohnehin etwas zu verbergen haben, kommen davon. Jeder Zwang ist also völlig überflüssig. Trotzdem würde mich interessieren: Wie wollen Sie sanktionieren? Wen wollen Sie damit erreichen, und wer kommt?

(Beifall der Abgeordneten Maria Scharfenberg (GRÜNE))

Vielen Dank, Frau Kollegin. Frau Staatssekretärin, wollen Sie noch einmal ans Rednerpult? – Bitte schön.

Zur Frage nach den Vorsorgeuntersuchungen: Wir wollen damit auch die Eltern erreichen, die das einmal vergessen, damit denen die Bedeutung der Vorsorgeuntersuchung ins Bewusstsein rückt. Wir wollen natürlich auch diejenigen erreichen, die bewusst nicht hingehen. Diese Verpflichtung hat natürlich schon Konsequenzen; Kollegin Renate Dodell hat das vorhin schon ausgeführt. Wenn bei der Anmeldung in der Kindertagesstätte das Vorsorgeheft nicht da ist, wenn die Mutter oder der Vater öfter gefragt wird, warum sie das nicht machen, dann kann man sich schon überlegen, ob das Jugendamt der Familie einen Besuch abstattet, um herauszufinden, was da los ist und welche Gründe es gibt.