Protocol of the Session on April 24, 2008

wir uns künftig sehr viel mehr Gedanken über die seelischen Schäden machen müssen. Klar ist aber auch, dass die besten Maßnahmen und Gesetze solche tragischen Fälle nicht verhindern können. Das müssen wir der Ehrlichkeit halber eingestehen.

Der Gesetzentwurf, den wir heute in Zweiter Lesung beraten, schlägt verschiedene Maßnahmen vor. Ich verzichte jetzt auf eine nochmalige Auflistung und werde nur die Position der SPD-Fraktion zu den einzelnen von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen darstellen. Zunächst zu der verpflichtenden schulärztlichen Untersuchung bei der Einschulung und beim Eintritt der Kinder in die Kita. – Herr Kollege Kreuzer und Frau Kollegin Dodell, wenn ich Sie bitten dürfte, Ihr Gespräch in der ersten Reihe einzustellen. Das stört mich sehr, weil es lauter ist als der Widerhall, den ich hier höre. Außerdem könnte es Sie als Berichterstatterin interessieren, was ich hier zu sagen habe.

Nun zu den verpflichtenden Untersuchungen beim Eintritt in die Kita und in die Grundschule: Wir sind gar nicht dagegen. Das nützt aber nichts; denn wenn jemand sein Kind nicht in der Kindertagesstätte anmeldet, gehen genau diese Kinder, die zu den Problemfällen gehören, nicht in eine Kita. Das bedeutet, Sie hätten hier wieder eine Lücke, und zwar genau da, wo es keine Lücken geben darf. Über 50 % der Todesfälle passieren im ersten Lebensjahr. Auch das können Sie mit diesen Maßnahmen nicht verhindern.

Zur Frage der verpflichtenden Vorsorgeuntersuchungen haben Sie meine Bedenken bereits vorweggenommen. Wir halten das tatsächlich nicht für zielführend. Natürlich sind wir der Meinung, dass diese Untersuchungen ein wichtiger Baustein sind und dass sie verbessert werden müssen. Ich hoffe, dass der GBA endlich in die Gänge kommen wird. Das ist überfällig.

Zum Arztwechsel. Frau Kollegin Dodell, wir haben beide drei Kinder. Ein blauer Fleck, der bei einer ärztlichen Untersuchung festgestellt wird, ist kein Indiz für eine körperliche Misshandlung. Wir wollen, dass unsere Kinder selbstständig werden. Unsere Kinder haben auch blaue Flecken gehabt. Jeder Arzt, der sofort alle Kollegen über ein solches Anzeichen informiert, würde einen riesigen bürokratischen Aufwand schaffen. Menschen, die dies nicht verdient hätten, würden verdächtigt, ohne dass dies einen positiven Effekt für die Kinder hätte. Mir fallen dabei die finanziellen Sanktionen durch die Entziehung des Landeserziehungsgeldes ein. Damit wird den Kindern nicht geholfen. Deshalb lehnen wir dies ab. Das ist der Grund, warum wir uns insgesamt zu diesem Gesetzentwurf der Stimme enthalten werden.

Tatsächlich helfen würde ein Gesamtkonzept. Bei der konkreten Ausgestaltung dieses Gesamtkonzepts gehen unsere Bewertungen auseinander. Wir würden es für sinnvoll halten, wenn sich der öffentliche Gesundheitsdienst regelmäßig die Kinder in den Einrichtungen ansehen würde. Diese Leute kommen zum Beispiel in Frankreich regelmäßig in die Einrichtungen und beraten dort die Eltern. Das wäre ein sinnvoller Weg. Im Gegensatz zu Ihnen wollen wir eine aufsuchende Betreuung aller Fa

Menschen, die ohnehin schon bedürftig sind, auch noch finanzielle Hilfen. Das wird sicherlich zu einer Verbesserung der familiären Situation massiv beitragen, und die Kinder werden unglaublich davon profitieren. Aber das ist Ihr Lösungsansatz.

Jetzt haben Sie sich einfallen lassen, die verpflichtenden Schuleingangsuntersuchungen einzuführen. Sie streuen den Leuten einfach nur Sand in die Augen. Damit werden sich keine gesellschaftlichen Bedingungen verbessern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie wollen sich nur reinwaschen und die Leute glauben machen, dass Sie etwas unternehmen. Aber in Wirklichkeit wollen Sie nur in hilfloser Weise ein absolut wirkungsloses Instrument ergreifen. Wie wollen Sie denn das sanktionieren? Wollen Sie den bedürftigen Menschen noch mehr Geld abknöpfen, oder wollen Sie ihnen die Kinder wegnehmen? Was wollen Sie denn machen? – Da gibt es keine Sanktionen. Da gibt es nur Hilfe, da gibt es nur Unterstützung, da gibt es nur Begleitung. Aber genau das leisten Sie nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn man Familien und Kinder von Geburt an alleine lässt und kurz vor der Schule anfängt, die Kinder zu untersuchen, dann ist das mit Sicherheit der falsche Weg. Diesen falschen Weg schlagen Sie gerade ein. Nur, weil Sie dies in ein Gesetz schreiben, wird das nicht richtiger.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir wollen, dass in dieser Gesellschaft gerade die Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, diese Hilfe auch bekommen. Sie haben viele Gesetzesinstrumente zur Verfügung, aber Sie haben nicht im Blick, was die Menschen wirklich brauchen. Frau Kollegin Dodell hat von Prävention gesprochen.

(Simone Tolle (GRÜNE): Wo ist die denn überhaupt?)

Ja, sie ist gar nicht mehr da. So wichtig scheint das Thema dann doch nicht zu sein.

Frau Kollegin Ackermann, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche: Frau Kollegin Dodell hat mich ausdrücklich gebeten, zu sagen, es täte ihr leid, dass sie nicht hier ist, aber die CSU-Fraktion hat heute ihren „Girls‘ Day“. Sie ist gerade mit der Betreuung der Mädchen beschäftigt, die sie eingeladen hat.

Auf diese fünf Minuten wäre es nicht angekommen. Ich glaube, dass auch die „Girls“ dafür Verständnis gehabt hätten, dass die Abgeordnete in einer wichtigen Diskussion ist. Das ist nicht meine Entscheidung, sondern die Entscheidung von Frau Dodell.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. Als Nächster darf ich Frau Kollegin Ackermann das Wort erteilen. Bitte schön, Frau Kollegin.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Diese Gesetzesänderung ist eine Reaktion auf die vermehrten Kindestötungen und Kindesmisshandlungen, die in der letzten Zeit Schlagzeilen gemacht haben. Ich glaube, die Gesetzesänderung spricht auch ein gemeinsames Anliegen aller an, nämlich den Schutz der Kinder immer weiter auszubauen.

Diese verpflichtenden Schuleingangsuntersuchungen sind von Ihnen dazu gedacht, dieses Ziel zu erreichen. Mit Sicherheit ist es gut gemeint, aber es ist auf jeden Fall das falsche Instrument.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Durch diese verpflichtenden Schuleingangsuntersuchungen, die am Ende doch nicht für alle durchgeführt werden können, weil sie sich nur auf die Kinder beziehen, die im Kindergarten angemeldet sind, werden Sie gar nichts verhindern. Misshandlungen finden versteckt statt, und sie sind viel subtiler, als dass man sie mit einer oder mehreren Untersuchungen, die in großen Abständen stattfinden, tatsächlich in den Griff bekommen könnte.

Vielmehr geht es darum, die Missstände in unserer Gesellschaft zu erkennen, die dazu führen, dass Kinder misshandelt werden, dass Kinder verwahrlosen, ja sogar dass Kinder umgebracht werden. Es ist ein Missstand, dass viel zu oft Familien und Alleinerziehende mit ihren Problemen allein gelassen werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Melden Sie sich einmal bei einer Erziehungsberatungsstelle an. Sie müssen mindestens acht Wochen warten, es sei denn, es besteht eine absolute Suizidgefahr. Das kann nicht im Sinne des Erfinders sein; denn nach acht Wochen sind entweder die Probleme schon so groß, dass sie überhaupt nicht mehr in den Griff zu bekommen sind, oder die Menschen haben sich daran gemacht, auf ihre Art und Weise die Probleme zu lösen. Diese Lösung ist sehr oft nicht im Interesse der Kinder.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir brauchen eine Familienbegleitung, eine Familienberatung, eine Familienförderung von Anfang an, und zwar aufsuchend, aber auch flächendeckend möglich. So sind oftmals auf dem flachen Land weite Wege in Kauf zu nehmen, um sich Hilfe zu holen. Die Menschen dort werden einfach allein gelassen. Aber auch in den großen Städten ist es aufgrund der bereits angesprochenen langen Wartezeiten oft nicht möglich, an die entsprechenden Beratungsstellen heranzukommen.

Sie haben schon einmal mit verpflichtenden Untersuchungen, die mit der Sanktion verbunden waren, das Landeserziehungsgeld zu kürzen, einen Versuch gemacht. Das war eine Superidee. Sie kürzen bei den

mehr oder weniger Kindestötungen gibt. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Aufrechnung, ob es mehr oder weniger Kindestötungen gibt, wird uns nicht weiterhelfen. Es reicht schon, wenn ein Kind zu Unrecht verprügelt wird. Schon dann stimmt etwas nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN – Fotoaufnahmen mit Besucherinnen und Besuchern im Plenarsaal)

Ich bitte die Geschäftsordnung des Hauses einzuhalten. Im Plenarsaal dürfen sich nur Kolleginnen und Kollegen aufhalten sowie Vertreter der Presse, die zugelassen sind.

Jetzt darf ich Frau Staatssekretärin Huml das Wort erteilen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Wo ist jetzt Frau Dodell?)

Liebe Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu allererst eine Vorbemerkung machen. Die Mehrheit der Eltern geht äußerst liebevoll und kompetent mit ihren Kindern um. Selbstverständlich sind wir aber auch der Meinung, dass jedes Kind, das misshandelt wird, ein Kind zu viel ist. Darin sind wir uns alle über Fraktionsgrenzen hinweg einig. Das möchte ich voranstellen.

(Beifall bei der CSU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir beraten heute in Zweiter Lesung einen Gesetzentwurf. Worum geht es dabei? Frau Dodell hat es am Anfang schon erwähnt, trotzdem möchte ich einige Sätze dazu sagen. Dieser Gesetzentwurf ist ein Baustein in einem Gesamtkonzept. Das Gesamtkonzept möchte ich Ihnen gerne noch einmal näherbringen, damit es auch bei den beiden Kolleginnen ankommt.

(Kathrin Sonnenholzner (SPD): Dieses Gesamtkonzept halten wir aber nicht für ausreichend!)

Zum einen geht es uns um die Verbesserung der gesundheitlichen Vorsorge sowie des Kinderschutzes. Gesundheitliche Vorsorge war für mich schon lange ein Thema, bevor in den Zeitungen über die Tötungs- und Misshandlungsfälle berichtet wurde. Vorsorgeuntersuchungen müssen von vornherein verpflichtend durchgeführt werden, weil es dadurch zu einer Verbesserung der gesundheitlichen Vorsorge für Kinder kommt. Damit beugen wir nicht nur den Misshandlungen vor, sondern damit können wir auch die Defizite in einer altersgemäßen gesundheitlichen Entwicklung entdecken. Ich meine damit zum Beispiel den Fall, dass die Eltern die Vorsorgeuntersuchung einfach vergessen und sie deswegen nicht besuchen, der Sohn oder die Tochter aber Hörprobleme hat, sodass in der Entwicklung ein Sprachdefizit auftritt. Solche Eltern müssen wir verstärkt daran erinnern, dass sie die Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen. Dadurch können wir die Teilnahmequote steigern, und damit können wir die Kinder präventiv vor gesundheitlichen Gefahren schützen.

Ich glaube, wenn man die Menschen alleine lässt und dann versucht, durch Kontrolle Probleme in den Griff zu bekommen, dann ist man absolut auf dem Holzweg. Wenn man von Prävention spricht, dann muss man diese auch zu erreichen versuchen. Wenn Menschen, die Hilfe brauchen, vertröstet werden und wochenlang warten müssen und wenn in diesem Land auch Misshandlungen und Verwahrlosungen immer wieder vorkommen, dann kann nicht von ausreichender Prävention gesprochen werden. Wir müssen uns dann überlegen, wie wir die Möglichkeit der Prävention ausbauen, und dürfen uns nicht Gedanken darüber machen, wie wir die Kontrollen und Sanktionen verstärken. Das ist der falsche Weg. Wir werden daher diesen Gesetzentwurf ablehnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. Jetzt hat noch einmal Frau Kollegin Sonnenholzner um das Wort gebeten. Bitte schön.

Frau Kollegin, Sie haben gerade davon gesprochen, dass wir mehr Kindestötungen haben. Nach all den mir zur Verfügung stehenden Untersuchungen ist Gott sei Dank die Zahl der Kindestötungen in den letzten Jahren gesunken. Ich sage das nur deswegen, weil ich der Meinung bin, dass uns nicht gedient ist, wenn wir das Spiel mitmachen, das die Boulevardpresse spielt, die in reißerischer Berichterstattung Dinge hochpuscht, die sicher fürchterlich sind, aber die man nicht so darstellen müsste, wie das geschieht, um das Thema dann am nächsten Tag wieder zu vergessen und in diesen Fällen genau das Gegenteil von dem zu tun, was in diesen Fällen durch öffentliche Berichterstattung helfen könnte. Wir haben weniger Kindestötungen und deutlich mehr Inobhutnahmen, was von den Experten und Expertinnen als ein Zeichen für höhere Sensibilität für diese Probleme gedeutet wird. Es ist gut so, dass das passiert. Für uns spielt das keine Rolle, jeder Fall einer Kindesverwahrlosung, Kindesmisshandlung oder Kindestötung ist ein dramatischer Fall und ein Fall zu viel. Deswegen werden wir weiterhin alles tun, um zu verhindern, dass solche Fälle in unserem Land passieren.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin. Jetzt hat noch einmal Frau Kollegin Ackermann um das Wort gebeten.

Frau Kollegin Sonnenholzner, wir hatten über diese Probleme auch schon im Ausschuss diskutiert. Mich interessiert nicht die absolute Zahl von Kindestötungen. Die Zahl der Kindestötungen ist auch überhaupt nicht signifikant für den Zustand der Gesellschaft.

Sie sind nur das Endglied einer Kette von Grausamkeiten, denen viele Kinder ihre ganze Kindheit über ausgesetzt sind. Es ist schon schrecklich genug, wenn Kinder unterernährt sind oder blaue Flecken haben, weil sie aus Verzweiflung oder wegen Unfähigkeit ihrer Eltern oder aus welchen Gründen auch immer verprügelt werden. Wir müssen versuchen, dem entgegenzuwirken, egal, ob es

noch besser werden können. Sie haben alle die Broschüre „Kinderschutz braucht starke Netze“ erhalten. Sie sollten in diese Broschüre den einen oder anderen Blick werfen. Dort steht schon viel darüber geschrieben, was wir im Moment bereits tun. Wichtig ist vor allem auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit. Wir müssen über die verschiedenen Disziplinen hinweg miteinander arbeiten. Jugendämter, Gesundheitsämter, Schulen, Kindertagesstätten und Sozialarbeiter sowie Polizei und Justiz müssen zusammenarbeiten.

Wir haben deswegen auch bayernweit Kinderschutzkonferenzen ins Leben gerufen. Diese Konferenzen werden im Moment auf der Ebene der Regierungsbezirke durchgeführt. Von der Fachwelt haben wir durchweg positivste Resonanzen auf die Kinderschutzkonferenzen erhalten. Ich darf nur einmal daran erinnern, wer in Oberbayern an diesen Konferenzen teilgenommen hat, um die Bandbreite derer darzustellen, die sich am Kinderschutz beteiligen und die deswegen miteinander vernetzt werden müssen. Es waren in Oberbayern zum Beispiel Sozialpädagogen, Amtsleiter, Ärzte, Hebammen, Psychiater, Psychologen, Lehrer, Kriminalbeamte, Staatsanwälte, Richter und Sozialarbeiter.

Der Kinderschutz braucht starke Netze. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass uns diese Vernetzung ein wichtiges Anliegen ist. Dazu müssen wir auch soziale Frühwarnsysteme flächendeckend etablieren. Wir haben 180 Erziehungsberatungsstellen. Das ist im bundesweiten Vergleich sehr gut. Der Freistaat Bayern investiert einiges in die Erziehungsberatungsstellen. Einerseits haben wir mit den Früherkennungsuntersuchungen einen Baustein, andererseits müssen wir aber auch wissen, dass flächendeckende soziale Frühwarnsysteme dringend etabliert werden müssen. Deswegen haben wir auch an dem zweijährigen länderübergreifenden Modellprojekt „Guter Start ins Kinderleben“ teilgenommen. Bei diesem Modellprojekt geht es darum, koordinierte Kinderschutzstellen zu implementieren. Ziel dieser Kinderschutzstellen ist es, die interdisziplinäre Vorgehensweise gegenüber Risikofamilien zu verstärken. Das ist auch Ihr Anliegen. Für diese koordinierten Kinderschutzstellen konnten wir am 12. Februar 2008 im Ministerrat eine flächendeckende Förderung erreichen, um das Projekt, das momentan nur an zwei Modellstandorten läuft, in die Fläche zu tragen und an den Jugendämtern diese koordinierten Kinderschutzstellen einrichten zu können.