Protocol of the Session on March 16, 2004

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie sparen an den sozial Schwachen. Im persönlichen Gespräch kann man immer wieder einmal hören, dass Sie dazu stehen. Mich hat heute zutiefst betroffen gemacht, dass Sie anscheinend doch Angst haben, dass mündige Bürger in München ihre Meinung kundtun, und diesen Landtag durch ein hohes Polizeiaufgebot absperren lassen. Dies finde ich zutiefst beschämend.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich möchte in die Debatte einen Bereich einführen, der woanders leider nicht mehr vorkommt, von dem ich aber glaube, dass er ebenfalls in den Bereich Soziales gehört: Das sind die Einsparungen im Jugendbereich. Verehrte Kollegen von der Mehrheitsfraktion, Sie spielen auch im Jugendbereich Ihr altes Spiel; hier heißt es: 30 - 15. Auf gut Deutsch: Nimm ihnen 30, gehe runter auf 15, und sie werden das Gefühl haben, sie hätten auch noch etwas geschenkt bekommen. Ihr sonst so erfolgreiches Spiel funktioniert hier aber nicht; denn die Jugend hat sie durchschaut.

Sie wollen für unsere Jugendlichen sparen, damit unsere Jugendlichen später keine Schulden zurückbezahlen müssen. Ich finde es etwas widersinnig, wenn Sie ihnen genau deshalb heute die Mittel wegnehmen.

Kollege Ach hat am Anfang der Debatte von einem ausgeglichenen Haushalt und davon gesprochen, dass dies eine Verpflichtung sei. Im ersten Semester VWL lernt man, dass es durchaus Sinn macht, Schulden zu machen, weil die nächste Generation diese Schulden deshalb zurückzahlen kann, weil sie davon profitiert. Diese alte Haushaltsweisheit sollte die CSU zur Kenntnis nehmen.

Sie wollen den Kindern und Jugendlichen eine gute Zukunft geben, beseitigen durch Ihr Sparen aber

einen wichtigen Eckpfeiler. Über Ihre ganzen Einsparpotentiale kann man eigentlich folgende Überschrift setzen: Wort und Tat klaffen erheblich auseinander. Ich darf einen Satz des Ministerpräsidenten zitieren, der lautet: Die Jugendarbeit erweist sich als besonders fruchtbares Feld des sozialen Lernens. Sie fördert die Entwicklung zur selbstständigen Persönlichkeit, fördert soziales Verhalten und soziales Bewusstsein. Sie will junge Menschen befähigen, sich aktiv an dem Prozess der demografischen Entwicklung und Gestaltung zu beteiligen. – d´accord, sehr geehrte Damen und Herren. Was Sie daraus machen, verstehe ich persönlich nicht. Ich finde auch, dass Sie hasenfüßig sind, nicht nur deshalb, weil Sie den Landtag absperren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sparen braucht nämlich Mut. Sie kürzen an 0,33 % des Einzelplanes 05 herum – herzlichen Glückwunsch! – und nehmen die Folgen, die prozentual viel stärker zu Buche schlagen werden, in Kauf. Eine der Folgen wird sein, dass die Ausgaben für die Jugendhilfe sehr stark ansteigen. Aber das ist Ihnen Wurst, weil das die Kommunen tragen. Hasenfüßig nenne ich Sie auch deshalb, weil Sie immer nur bei den Schwächsten sparen und die Großen in Ruhe lassen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich nenne nur Ihren Kredit an die Flughafen München GmbH. Wenn Sie es mit der Privatisierung in Bayern ernst meinen, so wie das beim Forst der Fall ist, Freiherr von Rotenhan, dann müssten Sie sich nämlich auch dort finanziell Zug um Zug zurückziehen und den Flughafen dem freien Spiel der Kräfte überlassen. Unterstellen wir 20 Millionen Euro pro Jahr für den Jugendhaushalt, dann können unsere Kinder allein von diesem Geld 30 Jahre lang profitieren. Stattdessen nehmen Sie als Auswirkung die Streichung von Jugend- und Mitarbeiterbildungsseminaren in Kauf; das heißt: 15 000 bis 20 000 Jugendleiterinnen und Jugendleiter werden weniger ausgebildet, und im Jahr der europäischen Erweiterung muss der internationale Jugendaustausch vielleicht beendet werden.

Fünfzehn angelaufene Präventionsprogramme müssen eingestellt werden, das die beteiligten Kommunen die 60-prozentige Förderung der Staatsregierung nicht ersetzen können. Mir scheint, dass Ihnen das komplett egal ist. Zum Thema „Vernetztes Denken“ werde ich nachher noch etwas sagen, wenn wir über die Bildung diskutieren. Sie, die Sie immer das Ehrenamt verbal in den Himmel heben, nehmen den Jugendlichen bereits frühzeitig die Lust am Engagement in diesem Bereich. Sie können das verhindern, wenn Sie dem Antrag der GRÜNEN auf Rücknahme der Kürzungen zustimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, in zwei Redebeiträgen wurden Anmerkungen zur Frage des Polizeischutzes gemacht. Ich möchte dazu eine Zwischenbemerkung machen: Die Sicherung der parlamentarischen Bannmeile ist unabhängig davon, welches Thema behandelt wird oder wer demonstriert. Die Bannmeile ist ein wesentliches Element der Sicherung parlamentarischer Unabhängigkeit, die aufgrund früherer leidvoller Erfahrungen eingeführt worden ist. Dieses Instrument kann nicht fallweise angewandt werden.

Die nächste Rednerin ist Frau Kollegin Sonnenholzner.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Der Finanzminister hat mich gerade fast schwindelig geredet, als er sein Sparmodell mit den gesparten 100 Millionen Euro am Tag geschildert hat. Dieses Geld will er im nächsten Jahr doch nicht ausgeben, um noch mehr zu sparen. Leider ist er jetzt nicht mehr da. Diese Ausführungen animieren mich jedoch dazu, Ihnen einen Witz zu erzählen. Herr Staatssekretär Meyer sollte diesen Witz weitergeben, auch wenn diese Stunde gar nicht so lustig ist: Ein Bauer hat eine Ziege und brüstet sich damit, dass er die Ziege soweit gebracht hat, dass sie immer weniger und weniger frisst. Folglich muss der Bauer weniger in sie investieren. Aber ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als er sie fast soweit hatte, dass sie überhaupt nichts mehr gefressen hat, ist sie ihm verreckt. Das klingt auf den ersten Blick komisch. Sie sollten aber überlegen, ob das nicht mit dem zu tun hat, was Sie mit Ihrer Kürzungspolitik betreiben. Das gilt besonders für die Kürzungspolitik im Sozialhaushalt. Sie haben gesagt, dass Sie für die zukünftige Generation kürzen. Ich frage mich, ob Sie für die nächste Bewerbung des Ministerpräsidenten um die Kanzlerschaft kürzen.

(Beifall bei der SPD)

Nach meiner Meinung kürzen Sie im Sozialhaushalt vorwiegend zu Lasten der nächsten Generation, für die Sie sich so einsetzen. Sie legen eine Lunte, deren Sprengsatz im Zusammenhang mit der kommunalen Finanznot nicht nur Ihnen, sondern uns allen um die Ohren fliegen wird. Die Betroffenen werden vor allem Leute sein, denen es in diesem Land am schlechtesten geht. Sie zerschlagen Strukturen, die nicht oder nur unter dramatischen finanziellen Aufwendungen später wieder hergestellt werden können. Sie schüren bewusst ein Klima zunehmender sozialer Kälte und der Entsolidarisierung.

(Beifall bei der SPD)

Ich halte es für infam, von den Blinden zu verlangen, einen Beitrag zu leisten, wenn sie ein höheres Einkommen haben. Diese Leute sollen von ihrem Geld Dinge bezahlen, die für uns alle selbstverständlich

sind. Wenn Sie das wirklich wollen, dann lassen Sie uns über die Vermögensteuer diskutieren. Auch Abgeordnete oder andere Personen mit höherem Einkommen sollten sich beteiligen, aber bitte nicht die Blinden.

(Beifall bei der SPD)

Sie streichen 65 % der Gelder für die Ausländersozialberatung, einen Dienst, dessen Bedeutung das Sozialministerium im April letzten Jahres noch hervorgehoben hat. Soviel zur Halbwertzeit Ihrer Beteuerungen.

Sie streichen Gelder für Sprachkurse und für die Hausaufgabenbetreuung ausländischer Kinder. Wahrscheinlich werden Sie in einigen Jahren behaupten, dass diese Menschen nicht integrationswillig gewesen seien, weil sie die deutsche Sprache nicht erlernt hätten. Der Nebeneffekt dieser Maßnahme wird sein, dass Sie eine Menge von Ehrenamtlichen dauerhaft verprellen, nachdem Sie sie im Jahr 2002 – dem Jahr des Ehrenamtes – hochgejubelt haben. Vielleicht überlegen Sie einmal, wie die Zukunft bürgerschaftlichen Engagements aussehen wird, wenn Sie so mit den Leuten und ihrem Einsatzwillen umgehen.

(Beifall bei der SPD)

Sie reduzieren die Ansätze für die Betreuung von Asylbewerbern und Asylberechtigten überproportional und unverantwortlich. Bereits jetzt gibt es in Bayern unbetreute Unterkünfte. Dies ist erst der Anfang. Da hilft es auch nichts, dass wir – zu unserem Erstaunen – vor zwei Wochen vom bayerischen Innenminister gehört haben, wir sollten lieber einen Asylbewerber zuviel als einen zuwenig anerkennen. Ich kann das nur als Lippenbekenntnis bezeichnen, wenn den Worten keine Taten folgen.

(Beifall bei der SPD)

Das Gleiche gilt für die Gelder für die Aussiedler und deren Integration. Frau Staatsministerin Stewens, aus Ihrem Ministerium kommt die Studie, wonach die Aussiedler, die nicht innerhalb von 18 Monaten integriert seien, nicht integriert werden könnten. Sprechen Sie doch einmal mit den Leitern der Forensik oder der JVAen und lassen Sie sich erklären, was dort los ist. Wenn Sie schon nicht aus humanitären Gründen einsehen, dass dort Geld in die Hand genommen werden muss, dann tun Sie es wenigstens aus präventiv finanzpolitischen Gründen.

(Beifall bei der SPD)

Ebenso falsch ist der Weg, den Sie im Gesundheitsbereich mit Ihren Kürzungen einschlagen. Sie haben die Krankenhausfinanzierung im laufenden Jahr um 112 Millionen Euro, das sind ungefähr 20 %, ge

kürzt. Heuer werden Sie in diesem Bereich noch weitere 50 Millionen Euro kürzen. Die Kürzungen werden damit bei 26 % liegen. Sie wissen, dass sich die Krankenhauslandschaft in einem massiven Umbruch befindet. Ihr Auftrag ist es, für eine zukunftsfähige und flächendeckende Krankenhauslandschaft zu sorgen. Das können Sie jedoch nicht leisten, indem Sie verhindern, dass sich die Krankenhäuser auf die neuen Rahmenbedingungen einstellen, indem Sie die Investitionen völlig abwürgen. Auch bei einem Bettenabbau ist ein Umbau erforderlich. Ein Umbau kostet jedoch Geld.

Ich appelliere deswegen an Sie, wenigstens unserem Antrag auf Einstellung von zusätzlich 50 Millionen Euro im Kapitel 13/10 Titelgruppe 71 zuzustimmen. Die Kürzungen liegen dann immer noch bei 16 %, aber das wäre wenigstens ein Tropfen auf den heißen Stein.

(Beifall bei der SPD)

Sie kürzen zu Lasten von alten und pflegebedürftigen Menschen. In der Regierungserklärung hat der Ministerpräsident vollmundig erklärt:

Wir wollen die Qualität der pflegerischen Versorgung auch in schwierigen Zeiten gewährleisten. Alte Menschen müssen darauf vertrauen können, dass sie gepflegt werden, wie es Mitmenschlichkeit und Menschenwürde verlangen.

Im Gegensatz zu diesen Ankündigungen kürzen Sie den Landesaltenplan um 4 Millionen Euro und sind damit für einen Mangel an wohnortnahen Pflegebetten, der dadurch entstehen wird, verantwortlich. Es reicht nicht, in Sonntagsreden und bei Pflegestammtischen den Zustand der Pflegeheime zu beklagen. Für die Sanierung braucht man Geld und keine schönen Worte. Sie sind nicht bereit, dieses Geld zur Verfügung zu stellen.

(Beifall bei der SPD)

Sie kürzen bei der Aids-Prävention, wohl wissend, dass die Zahl der Neuinfektionen in beunruhigendem Maße steigt. Das bedeutet, dass die Prävention verstärkt und nicht heruntergefahren werden muss. Sie kürzen auch bei der Sucht- und Drogenberatung. Sie sollten sich einmal überlegen, ob ein Verzicht auf PR-Maßnahmen, die der Bewerbung der Mitglieder der Staatsregierung dient, in diesen Bereichen, wo relativ geringe Summen reichen, mehr Wirkung erzielen könnte.

Auf die Probleme der Familien ist Frau Kollegin Dr. Strohmayr schon ausführlich eingegangen. Ich möchte noch ein paar Punkt ergänzen: Die Kürzungen der Mittel für die Jugendarbeit um 15 % ist ein Hohn. Die Eltern kinderreicher Familien werden jetzt

für die Jugendleiterschulen zur Kasse gebeten. Freizeit- und Ferienangebote für die Kinder dieser Familien werden wegbrechen. Es trifft ja schließlich nicht die Kinder von Abgeordneten oder gar von Ministerinnen, die ihre Kinder auf Privatschulen schicken. Diese Maßnahme trifft wieder nur diejenigen Menschen, die kein Geld haben.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abgeord- neten Siegfried Schneider (CSU)

Das kann ich Ihnen schon erklären. Herr Schneider, das hat etwas damit zu tun, wie von manchen Menschen hier im Hause die Realität eingeschätzt wird.

Sie erhöhen die Lehrmittelzuschüsse. Jetzt werden, Sie mir gleich sagen, dass Sie das gar nicht vorhaben. Das wird aber so sicher wie das Amen in der Kirche kommen. Wenn Sie es hier dementieren, kann ich Ihnen nur sagen, dass Sie das G 8 auch noch zwei Monate vor der Wahl dementiert haben. Deswegen können wir es abwarten, dass es auch dazu kommen wird. Sie kürzen die Zuschüsse für die Schülerbeförderung. Alles das schlägt auf die Familien durch. Zusätzlich stehen die Gemeinden und Landkreise mit dem Rücken zur Wand. Jetzt wird gleich wieder Ihr Hinweis auf die Bundespolitik kommen. Dieser Hinweis ist aber an dieser Stelle mit Sicherheit nicht origineller als an allen anderen Stellen. Die Angebote für Kinder und Jugendliche werden weniger werden, die Eintrittsgelder für Bäder und anderes werden steigen.

Sie wundern sich, dass die Ausgaben für die Jugendhilfe explodieren. Auf diesem Gebiet schüren Sie übrigens ganz besonders auf unverantwortliche Weise die Stimmung in diesem Land statt dass Sie sich darüber Gedanken machen, dass die Kürzung der Mittel auch etwas damit zu tun hat.

Frau Stewens, Sie sind stolz darauf, dass Sie bei der Schulsozialarbeit nicht gekürzt haben. Tatsache ist doch, dass diese Angebote an allen Schulen gebraucht werden, dass sie aber nur an den wenigsten Schulen vorgehalten werden, weil die wenigsten Gemeinden die Kofinanzierung überhaupt leisten können. Diese Maßnahme wäre originäre Aufgabe des Landes, ohne dass die Kommunen dazuzahlen. Sie weigern sich – ich meine, wider besseres Wissen –, den offensichtlichen Zusammenhang zwischen ungenügenden Investitionen in präventive Maßnahmen und den steigenden Kosten für die nötigen Reparaturmaßnahmen auf diesem und auf anderen Gebieten zur Kenntnis zu nehmen.

Auch wenn diese Debatte bei Ihnen offensichtlich auf geringes Interesse stößt, werden wir mit der Abstimmung über diesen Haushalt nicht zur Tagesordnung übergehen. Wir werden mit aller Kraft zusammen mit allen Betroffenen weiter gegen diese Art der

Finanzpolitik kämpfen – und dies schon im Hinblick auf die Beratungen des Doppelhaushalts 2005/2006, für den vom Finanzminister bereits noch größere Grausamkeiten angekündigt worden sind. Wir werden zusammen mit den Betroffenen mit aller Kraft versuchen, noch Schlimmeres als das, was Sie jetzt vorhaben, zu verhindern.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Wahnschaffe.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich hier in die Runde blicke und die satte Zweidrittelmehrheit sehe, möchte ich fast empfehlen, doch gleich abzustimmen.

(Beifall und Heiterkeit bei der SPD – Walter Nadler (CSU): So interessant sind Ihre Beiträge auch nicht!)