Protocol of the Session on February 14, 2008

(Beifall bei den GRÜNEN)

Den Beifall werte ich so, dass diese Regelungen auch gut sind. Es handelt sich um Regelungen, die uns auch voranbringen. Aber es gibt andere Punkte, die kritisch zu werten sind. Das trifft zum Beispiel für die Debatte um die Inhouse-Vergaben zu. Inhouse-Vergaben sind ohne vorherigen Wettbewerb nur mehr dann zulässig, wenn die Kommune als Auftraggeber die auftragnehmende Einrichtung – etwa Eigenbetrieb oder Eigengesellschaft – auch zur Gänze wie ein eigenes Amt steuern kann und wenn die auftragnehmende Einrichtung ihre Leistungen im Wesentlichen für ihre Träger erbringt. Alles andere muss schon im Wettbewerb geregelt werden.

Die interkommunale Kooperation, also zum Beispiel über Zweckvereinbarungen, Zweckverbände oder gemeinsame Unternehmen, soll – es ist nur eine Aufgabe der Delegation und kein Beschaffungsvorgang – nach dem Willen der Kommission in mehreren Fällen auch dem Vergaberecht unterworfen werden. Selbst bei Geschäften, die für sich genommen keine Vergabevorgänge darstellen, erleben wir mehr und mehr, dass wettbewerbliche Elemente eingezogen werden müssen. Dies betrifft beispielsweise den Verkauf von Grundstücken, der im Wettbewerb erfolgen soll, wenn mit dem Verkaufsvertrag eine Forderung über einen städtebaulichen Vertrag einhergeht. Dies betrifft zum Beispiel konkret die Verpflichtung, ein Gewerbegebiet zu entwickeln oder betreutes Wohnen auf einem Grundstück zu realisieren. Auch dann wird bereits gefordert, wettbewerbliche Elemente einzubeziehen. Jetzt stehen nach einer entsprechenden Klage auch Einheimischenmodelle auf dem Prüfstand.

Wir rekurrieren noch auf eine andere Entwicklung, die ich insgesamt als noch problematischer und noch bedenklicher als das, was ich vorher skizziert habe, bezeichnen möchte. Wie schon der Entwurf des Verfassungsvertrags enthält auch der neue Grundlagenvertrag eine Bestimmung, die es ermöglicht, dass die Organe der Europäischen Union horizontal in Angelegenheiten der kommunalen Daseinsvorsorge hineinregieren. Wir bedauern, dass hierbei die Formulierungen vom Konventsentwurf und die Formulierungen der Regierungskonferenz aus dem Jahr 2004 übernommen worden sind. Das betraf in der ersten Fassung den Artikel III 6, dann später III 122. Dem Sinne nach ist das so übernommen worden – ganz kurz skizziert: Grundsätze und Bedingungen für Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse werden durch europäische Gesetze festgelegt. Anstelle der Begrifflichkeiten „Gesetze“ – darum drehte sich damals die Verfassungsdebatte – sind wir jetzt mit dem Grundlagenvertrag wieder bei den alten Begrifflichkeiten. Das betrifft also die

Verordnung. Ansonsten hat sich im Kern und auch von der Materie her nichts geändert.

Das heißt, es soll mit dem EG-Vertrag, der dann auch einen anderen Namen bekommen soll, einen Artikel 16 geben. Dieser Artikel 16 lautet: Diese Grundsätze und Bedingungen werden vom Europäischen Parlament und vom Rat durch Verordnung gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren festgelegt. Es gibt dann zwar eine Beifügung des Protokolls über Dienste von allgemeinem Interesse, und es gibt die eine oder andere Verlautbarung. Ganz entscheidend ist aber die zuvor vorgetragene Bestimmung, die es zum ersten Mal Organen der Europäischen Union erlauben würde, nicht nur sektoral, sondern auch horizontal etwas zu regeln, das heißt, allumfassend in die Dienstleistungen hineinzugehen.

Jetzt haben wir ein ganz großes Problem. Ich habe zitiert: Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. Das Problem ist die Frage der Trennschärfe, das heißt, wann sagt die Kommission, es seien Dienste von allgemeinem Interesse, und wann sagt die Kommission, es seien Dienste von allgemein wirtschaftlichem Interesse? In diese Frage wollen Sie ihr Regime hineinbefördern. Unseres Erachtens fehlt es genau bei dieser Frage massiv an Trennschärfe. Schlimmer noch: Immer öfter versuchen die Organe der Europäischen Union – allen voran die Kommission –, Tätigkeitsfelder der kommunalen Daseinsvorsorge in Deutschland dem wirtschaftlichen Dienst zuzuordnen.

Ganz aktuell gibt es die Mitteilung: Dienstleistungen von allgemeinem Interesse unter Einschluss von Sozialdienstleistungen. Diese Mitteilung ist vom Ende des letzten Jahres. Da heißt es beispielsweise – ich zitiere jetzt wieder –: Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, beispielsweise im Bereich der Wasserwirtschaft, der Wasserversorgung oder der Abwasserbehandlung. Es werden Felder genannt, bei denen wir – ich glaube, das gilt für den Landtag unisono – nicht wollen, dass von oben hineinregiert wird. Es gilt unseres Erachtens einfach aufzupassen. Sie wissen alle, dass die Trennung nicht nach dem organisatorischen Kleid, nicht nach dem Rechtskleid, nicht nach der Sparte und nicht nach dem Gegenstand erfolgt, sondern die Kommission sagt: Wir picken uns die Tätigkeit als solche heraus. Die Gefahr der Vermengung bzw. die Gefahr, dass das so definiert wird, wie wir das als Verfechter der kommunalen Selbstverwaltung nicht wollen, besteht leider und ist immer häufiger an aktuellen Beispielen zu beobachten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir sagen noch einmal ganz klar: Eine derartige Ermächtigung, horizontal in die kommunale Daseinsvorsorge hineinzuregieren, wird alle bisherigen Anwürfe und Querschüsse gegen die kommunale Daseinsvorsorge und die kommunale Selbstverwaltung übertreffen und in den Schatten stellen. Von daher meinen wir, dass es gilt, massiv einer Öffnung des Einfallstors gegenzuhalten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für uns war dieser Punkt bekanntlich auch ein ganz entscheidendes Motiv, schon damals den Verfassungsvertrag kritisch zu sehen. Wir haben immer von unzureichenden Kompetenzabgrenzungen gesprochen und es kritisch gesehen, dass auf diese Art hinein regiert zu werden. Für uns war das auch der Grund, den Grundlagenvertrag nicht nur kritisch zu sehen, sondern auch bei der Debatte kritisch zu werten und bei der Abstimmung im Plenum abzulehnen.

Meine Damen und Herren von der CSU, wir haben feststellen müssen: Sie haben beide Vertragswerke begrüßt. Sie haben zwar auch das eine oder andere kritisch gesehen, aber in toto beide Vertragswerke begrüßt. Gleichzeitig erleben wir, dass der neue für Bundes- und Europaangelegenheiten zuständige Minister über das Land reist. Er führt Pressekonferenzen mit Kommunalvertretern durch, geriert sich als Retter der Kommunen im Kampf gegen die böse Europäische Union – Stichworte: Bürokratieabbau, viel zu viel Gängelung. So haben wir das in den letzten Wochen und Tagen erleben dürfen. Dann müssen wir feststellen: Die entscheidenden Entwicklungen und entscheidenden Schritte, das heißt die Fragen, auf die es wirklich ankommt, werden verschlafen und verschnarcht, oder – darauf müssen Sie selber die Antworten finden – Sie hatten nicht und haben nicht den Mut, entsprechend gegenzuhalten.

Vor diesem Hintergrund meinen wir, dass es Ihnen gut anstünde, jetzt endlich Farbe zu bekennen. Sie können sich nicht hinter der Argumentation verstecken, das sei bereits alles in den Vertragswerken, nämlich einmal im Entwurf des Verfassungsvertrags und dann auch im Grundlagenvertrag, festgezurrt gewesen.

Ich darf an dieser Stelle noch einmal daran erinnern, dass wir genau diese Frage seit vielen, vielen Jahren kritisch stellen. Bereits im Dezember 2003 haben wir einen Dringlichkeitsantrag – gestellt von unserer Fraktion – einstimmig durchgebracht, der sich genau mit dieser Problematik befasst hat. Trotzdem ist nicht das passiert, was wir eigentlich damit gewollt haben.

Wenn ich mir das Verhalten Ihres neu ernannten Ministers betrachte – er ist bedauerlicherweise im Augenblick nicht im Saal, obwohl wir ein wichtiges Thema aus seinem Ressort behandeln –, kann ich nicht umhin, das Ganze als Spruchbeutelei zu bezeichnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist nichts anderes als Verbalakrobatik. Es sind große Sprüche, und wenn es darauf ankommt, sich für die Idee der kommunalen Selbstverwaltung einzusetzen, passiert bedauerlicherweise nichts. Deshalb bitten wir an dieser Stelle noch einmal um Ihre Zustimmung; denn es geht nun wirklich ans Eingemachte, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister.

(Dr. Martin Runge (GRÜNE): Danke, Herr Präsident, für diesen Titel!)

Entschuldigung, das war schon ein Blick in die Zukunft. – Herr Runge. Nächste Wortmeldung der Kollege Ettengruber.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Runge, zweifellos behandelt Ihr Antrag ein ernstes Thema.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Ein ernst zu nehmendes!)

Dass Sie das Thema aber jetzt wieder so hochziehen, hat sicherlich damit zu tun, dass wir in Kürze Kommunalwahlen haben.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Und nächste Woche machen Sie dazu eine Regierungserklärung!)

Das Thema Daseinsvorsorge und die Behandlung durch die Europäische Union beschäftigen uns bereits seit langer Zeit. Mit Ihrer Aufforderung, wir sollten jetzt Farbe bekennen, sind Sie viel zu spät dran, weil wir das seit vielen Jahren tun.

(Dr. Martin Runge (GRÜNE): Mit dem Mund, nicht aber in der Tat!)

Wir tun das gerade aus der Sorge um unsere Kommunen heraus.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Ach so!)

Sie rennen mit dem Antrag offene Türen ein. Selbstverständlich ist die Daseinsvorsorge ein Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung und auch ein Kernbereich der kommunalen Zuständigkeit. Das ergibt sich aus der Verfassung und aus den gesetzlichen Grundlagen. Dass die Wasserversorgung, die Abfallwirtschaft oder die Abwasserbehandlung natürlich bei den Kommunen am besten aufgehoben sind, ist auch keine Frage. Das hat sich bewährt. Nehmen Sie nur einmal das Beispiel Wasserversorgung. Wir haben in Bayern eine hochwertige Wasserversorgung, eine kleinteilige Wasserversorgung, die auf kommunaler Ebene, auf Zweckverbandebene oder in überschaubaren regionalen Fernwasserversorgungen stattfindet. Wasser ist ein Lebensmittel, das in Bayern unbedenklich aus jedem Wasserhahn genossen werden kann. Es ist überhaupt keine Frage, dass wir das verteidigen wollen und es auch seit vielen Jahren tun.

Bereits vor Jahren haben wir Anträge zu den Themen Sicherung der kommunalen Wasserversorgung, Bestandsgarantie, Entschließung zur kommunalen Daseinsvorsorge, Liberalisierung von Dienstleistungen im

Rahmen der GATS-Runde gestellt. Damit wenden wir uns gegen die Bestrebungen der EU, alles dem Wettbewerb zu unterstellen. Wir sehen die Daseinsvorsorge als eine wichtige Sorge für die Gesundheit der Bürger. Deshalb darf man das nicht dem schrankenlosen Wettbewerb ausliefern. Keiner von uns will statt Wasser aus sauberen Quellen Uferfiltrat aus dem Niederrhein, das dann, weil der Auftrag vergeben werden muss und damit der billigste Anbieter zum Zuge kommt, vielleicht aus unseren Wasserhähnen kommt. Das wollen wir mit Sicherheit nicht, und daran arbeiten wir seit vielen Jahren.

Ich darf daran erinnern, dass damals, als Reinhold Bocklet Europaminister war, dieses Thema sehr intensiv diskutiert wurde und Bocklet es geschafft hat, die Thematik aus der Wettbewerbsdiskussion herauszunehmen und in der Zuständigkeit der nationalen Mitglieder zu belassen.

Es ist auch klar – da stimme ich mit Ihnen überein –, dass sich die Bürokratie in Brüssel gelegentlich zum Selbstläufer entwickelt und versucht, in Dinge hineinzuregieren, die nach unserer – wie ich glaube – gemeinsamen Auffassung nicht in die Zuständigkeit der EU gehören, weil sie im nationalen und im regionalen Bereich weitaus besser aufgehoben sind.

Im Übrigen darf ich darauf aufmerksam machen, dass es zurzeit eine Bundesratsinitiative gibt, zu der Bayern eine sehr große Anzahl von Anträgen eingebracht hat, die alle einstimmig übernommen worden sind und die in diesen Tagen im Bundesratsplenum verabschiedet werden sollen.

Unter diesen Aspekten rennt dieser Antrag offene Türen ein, meine Damen und Herren. Er tut so, als ob bisher nichts geschehen wäre. Dem treten wir entschieden entgegen, und deswegen stimmen wir nicht zu.

(Beifall bei der CSU – Lachen bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege. Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Dr. Kaiser.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, mein Vorredner hat gesagt, dass die GRÜNEN mit dem Antrag offene Türen einrennen. Das ist richtig. Wir können diesem Antrag voll inhaltlich zustimmen, Herr Kollege Runge. Aber Kollege Ettengruber, warum stimmen Sie nicht zu, wenn der Antrag offene Türen einrennt? Das verstehe ich nicht ganz.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Das fragen wir uns auch!)

Im Übrigen haben Sie gesagt, der Antrag sei gestellt worden, weil die Kommunalwahl vor der Türe steht. Auch das mag durchaus sein, aber ich frage mich dann doch, warum der Ministerpräsident nächste Woche eine Regierungserklärung zur Kommunalpolitik abgibt. Das hat

dann mit dem Kommunalwahltermin überhaupt nichts zu tun, oder?

(Beifall bei der SPD)

Es ist sicherlich legitim, sich auch dann, wenn solche Ereignisse bevorstehen, mit den einschlägigen Themen zu beschäftigen.

Nun eine Anmerkung zu dem Antrag. Es wäre gut, Herr Kollege Ettengruber, wenn die Staatsregierung dort, wo sie Einfluss auf die öffentliche Daseinsvorsorge hat, diesen Einfluss auch geltend machen würde. Ich denke zum Beispiel an die Privatisierung kommunaler Krankenhäuser. Ich bedauere sehr, dass sehr viele Kommunen ihre Krankenhäuser an private Klinikbetreiber verkaufen. Da könnte die Staatsregierung gerade auch über das Instrument der Krankenhausfinanzierung Einfluss nehmen, dass dies nicht geschieht; denn damit wird die kommunale Daseinsvorsorge in einem weiteren Bereich ausgehöhlt. So ist auch die Müllentsorgung schon weitestgehend privatisiert, und es geht immer weiter. Ich nenne nur den ÖPNV, die Wohnungen und auch die Abwasserentsorgung. Beim Wasser scheint es gesichert zu sein, und da sind wir uns sicherlich hier im Hohen Hause auch alle einig.

Auch wir üben deutlich Kritik an der EU-Kommission, die vor dem Hintergrund der Revision der Binnenmarktstrategie erneut zu den Leistungen der Daseinsvorsorge Stellung nimmt. Herr Kollege Runge, es geht nicht so sehr um den Vertrag selbst; den werden Sie nicht ändern können. Es geht um die Interpretation des Vertrages durch die Kommission. Mit ihrer Interpretation der Regelung des Vertrags von Lissabon zur Daseinsvorsorge missachtet die Kommission aus unserer Sicht und auch aus der Sicht des Deutschen Städtetages wesentliche Teile dieses Vertragswerkes. Der Reformvertrag sehe gemäß dem Subsidiaritätsprinzip stärkere Rechte der Mitgliedstaaten vor, nämlich selbst zu regeln, welche Aufgaben sie allein erledigen und welche sie an Dritte vergeben wollen. Außerdem hätten sich die Mitgliedstaaten eindeutig dazu bekannt, die örtliche Gestaltungsfreiheit im Bereich der Daseinsvorsorge stärker achten zu wollen. – So der Vertragsinhalt! –

Trotzdem bleibt die Kommission bei der Auffassung, dass nahezu alle öffentlichen Dienstleistungen dem Wettbewerb unterworfen werden müssen. Erreicht werden soll dies aus der Sicht der Kommission durch eine Ausdehnung der europäischen Vergaberechtsregeln auf immer mehr Bereiche. Das ist das Einfallstor, über das Wettbewerbsrecht und über die Vergaberechtsregelungen an die Daseinsvorsorge heranzugehen. Das lehnen wir ab. Insofern können wir dem Antrag der GRÜNEN zustimmen.

Aus unserer Sicht kommt es jetzt darauf an, das Versprechen des Lissabonvertrages zur Stärkung der Rechte der Mitgliedstaaten in der kommunalen Selbstverwaltung auch in konkrete Politik umzusetzen. Dazu kann auch die Bayerische Staatsregierung mit Beschluss des Bayerischen Landtages einen Beitrag leisten. Herr Kollege Ettengruber, Sie sollten sich noch einmal überlegen,

ob Sie unter diesem Aspekt den sinnvollen Antrag, der sicherlich in unser aller Sinne ist, ablehnen wollen. Wir werden dem Antrag auf jeden Fall zustimmen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)