Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr geehrter Herr Staatsminister! Es geht heute nur um die präventiv polizeiliche Rasterfahndung, nicht um die Rasterfahndung zum Zwecke der Strafverfolgung. Das ist völlig unstrittig und die Befugnis nach der Strafprozessordnung wird auch von niemandem in Frage gestellt. Es geht heute auch nicht um den Schutz von Daten, so wie es uns von der Opposition bei der Ersten Lesung der Gesetzentwürfe vorgeworfen worden ist, sondern es geht um den Schutz von Grundrechten.
Herr Staatsminister, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie darauf hingewiesen haben: Es geht nicht um die Frage, ob Rasterfahndungen zu präventiv polizeilichen Zwecken überhaupt zulässig sein sollen, sondern es geht darum, wie sie ausgestaltet werden sollen. Entsprechendes ergibt sich auch aus den Gesetzentwürfen der GRÜNEN und der SPD.
Der Gesetzentwurf der Staatsregierung kommt außerordentlich spät. Nachdem das Bundesverfassungsgericht bereits im Mai letzten Jahres seine Entscheidung zu den Vorgängen in Nordrhein-Westfalen veröffentlicht hat, hat die Staatsregierung nun über eineinhalb Jahre gebraucht, um einen Gesetzentwurf vorzulegen, der in weiten Passagen so aussieht, als sei er von dem Gesetzentwurf der SPD vom Juli letzten Jahres abgeschrieben.
Worum geht es denn in der Sache? Es geht darum, dass bei der Rasterfahndung personenbezogene Daten auf Ersuchen an die Polizei ermittelt und mit anderen Datenbeständen abgeglichen werden. Wesensmerkmal einer Rasterfahndung ist es gerade, dass die meisten der davon Betroffenen oder sogar alle unschuldig sind. Gerade deshalb muss mit der Rasterfahndung vorsichtig umgegangen werden. In dem Fall, den das Bundesver
fassungsgericht zu entscheiden hatte, sind in NordrheinWestfalen zur Aufdeckung von sogenannten Schläfern zunächst 5,2 Millionen Datensätze von Einwohnermeldeämtern und Hochschulen übermittelt worden. Nach dem Datenabgleich sind 11 000 Datensätze übrig geblieben, die an das dortige Landeskriminalamt weitergeleitet worden sind. Dann ist in 118 Fällen eine Übereinstimmung mit Abgleichsdaten festgestellt worden und nach weiterer eingehender Überprüfung von 72 Fällen sind dann in 8 Fällen weitergehende polizeiliche Maßnahmen ergriffen worden. Es ist aber kein einziges Ermittlungsverfahren eröffnet worden. Die Rasterfahndung in diesem speziellen Fall hat also zu keinem verwertbaren Ergebnis geführt. Betroffen waren allerdings über 11 000 Personen.
Die Rasterfahndung zur Gefahrenabwehr stellt immer einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar, es sei denn, die Daten werden nur ungezielt erhoben. Ein Eingriff des Staates in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist seit dem Volkszählungsurteil von 1983 nur noch zulässig, wenn ein überwiegendes Allgemeininteresse auf einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage besteht.
Das Bundesverfassungsgericht hat nun im Mai letzten Jahres in seiner Entscheidung festgestellt, dass das Instrument der Rasterfahndung im Grundsatz verfassungsgemäß ist, allerdings nur, wenn eine konkrete Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person gegeben ist. Voraussetzung muss deshalb immer eine Sachlage sein, bei der im konkreten Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für bestimmte hochrangige Rechtsgüter eintritt.
Das Bundesverfassungsgericht hat auch klargestellt, dass die Rasterfahndung als Mittel zur Verdachtsschöpfung nicht zulässig ist. Hierbei handelt es sich eigentlich um eine Selbstverständlichkeit. Empörung hat die damalige Entscheidung des Gerichts nur bei denen ausgelöst, die von der Überzeugung weg wollen, dass für einen Grundrechtseingriff immer eine konkrete Gefahr vorliegen muss und nicht nur eine abstrakte allgemeine Gefahrenlage bei denen, bei denen die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit nicht mehr stimmt.
Wer so wie der frühere Innenminister die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts als schwarzen Tag für die wirksame Terrorismusbekämpfung bezeichnet, gibt damit nur zu erkennen, dass bei ihm die Maßstäbe nicht mehr stimmen, sondern verrückt sind.
Die Maßstäbe stimmen dann nicht, wenn zusätzlich zu dem vorhandenen Arsenal an Befugnissen der Polizei und Ermittlungsbehörden immer noch mehr gefordert wird – von der lückenlosen Überwachung und Speicherung der Telekommunikation über den großen und kleinen Lauschangriff bis hin zu Online-Durchsuchungen, zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren, zum Abschuss
von Flugzeugen oder neuerdings wie in diesen Tagen zum Spähangriff auf Wohnungen. Man muss deshalb dem Bundesverfassungsgericht dankbar dafür sein, dass es wieder einmal eine Selbstverständlichkeit klargestellt hat.
Nur noch einige Sätze zu Ihrem Gesetzentwurf: Wir erkennen an, dass Sie sich bemühen, den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gerecht zu werden. Es würde mich interessieren, was Herr Kollege Peterke dazu sagt. Er hat nämlich vor einem Jahr bei der damaligen Diskussion genau das, was auch wir in unserem Gesetzentwurf stehen haben, nämlich dass es sich um einen konkreten Verdacht handeln muss, eine konkrete Gefahr bestehen muss und dass die Betroffenen benachrichtigt werden müssen, in Bausch und Bogen verurteilt und gemeint, das würde dem Fass den Boden ausschlagen. Ich stelle fest: Was die Staatsregierung hier vorschlägt, schlägt nach Ansicht des Kollegen Peterke dem Fass den Boden aus. Wir erkennen an, dass Sie sich bemühen, aber Sie gehen auch über die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hinaus, insbesondere, wenn es darum geht, die Rasterfahndung auch dann für zulässig zu erklären, wenn es um die Abwehr von Gefahren für Sachen geht, soweit eine gemeine Gefahr besteht. Hier überspannen Sie den Bogen. Dies gilt außerdem hinsichtlich der Definition von schwerwiegenden Straftaten.
Weil das so ist, sichern wir zwar eine sorgfältige Prüfung zu, sind allerdings der Meinung, dass unser eigener Gesetzentwurf den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eher genügt als der Gesetzentwurf der Staatsregierung, und können deshalb wenig Hoffnung machen, dass wir Ihrem Gesetzentwurf zustimmen werden.
Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir sind uns in diesem Hause einig, dass die bayerische Polizei eine hervorragende Arbeit leistet. Wenn man die Kriminalitätsstatistiken der letzten Jahre betrachtet, stellt man fest, dass Bayern mit seiner Aufklärungsquote immer an der Spitze steht. Dies sind Erfolge, die wir in erster Linie der hervorragenden Arbeit unserer Polizeibeamtinnen und -beamten verdanken. Ich denke, dafür dürfen wir uns bei diesen auch einmal recht herzlich bedanken.
In diesem Zusammenhang muss man sicherlich auch darauf hinweisen, dass es die Bayerische Staatsregierung war, die in der Vergangenheit frühzeitig die notwendigen gesetzlichen Regelungen und Grundlagen geschaffen hat, damit die Polizei den steigenden Anforderungen der Kriminalität gewachsen ist und auf der Grundlage unserer verfassungsgemäßen Ordnung tätig werden konnte, auch wenn es dem einen oder anderen in unserem Hohen Hause nicht passt oder wenn er dies nicht wahrhaben will. Ich sage Ihnen eines, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Die Polizei in anderen Bundesländern wäre glück
lich, wenn sie die gesetzlichen Grundlagen hätte, die wir hier in Bayern unserer Polizei bieten können.
Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf soll nun die präventive Rasterfahndung fortentwickelt und der neuesten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes angepasst werden, auch deswegen, um der Polizei auch künftig Rechtsicherheit in ihrem Tun und Handeln im Interesse der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger zu gewähren.
Herr Staatsminister Herrmann hat die einzelnen notwendigen Änderungen, die in diesem Gesetzentwurf zu finden sind, bereits dargelegt. Ich erspare mir, diese jetzt noch einmal anzusprechen. Ich denke, wir werden in den zuständigen Ausschüssen noch genügend Gelegenheit haben, zu diskutieren und uns mit den Regelungen zu befassen und intensiv die sicherlich auch gegenteiligen Meinungen abzuwägen. Ich darf Sie allerdings bereits jetzt bitten, Ihre teilweise ideologischen Scheuklappen abzulegen
und gemeinsam mit uns der Polizei die notwendigen Werkzeuge an die Hand zu geben, damit diese auch künftig auf einer breiten und fundierten Rechtsbasis im Sinne der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger arbeiten kann.
Frau Präsidentin, meine Herren und Damen! Es fällt mir schwer, mit Verfassungsrechtsbrechern zu paktieren. Sie, meine Damen und Herren, haben mit dem Gesetzentwurf die Gelegenheit verpasst, die Debatte zur Sicherheitspolitik vom Kopf auf die Füße zu stellen. Es geht schon lange nicht mehr darum, an einzelnen sicherheitspolitischen Daumenschrauben die Muttern zu justieren, sondern es geht mittlerweile um die Frage, wohin unser Rechtsstaat marschiert.
Und es geht um die Frage, welche Konsequenzen damit für die demokratische Gesellschaftsordnung verbunden sind.
Wer wie Bundesinnenminister Schäuble von der relativen Menschenwürde spricht, wenn es um die Frage des Gemeinwohls geht, hat die Plattform der Demokratinnen und Demokraten verlassen, weil er damit einen demokratischen Grundkonsens verletzt und aufgibt, der sich aus Artikel 1 des Grundgesetzes und aus der Bayerischen Verfassung ergibt.
Die Würde des Menschen ist unantastbar, sie ist schon gar nicht relativ. Eine ganze Reihe von Verfassungsgerichtsurteilen hat Ihnen, meine Damen und Herren von der CSU, genau dieses ins Stammbuch geschrieben. Ich erinnere hier nur an die Urteile zu den Flugzeugabschüssen, die Sie aus Gründen des Gemeinwohls für durchaus zulässig erachtet haben.
Dass wir uns heute mit diesem Gesetzentwurf befassen, hat seine Ursache eben in dieser sehr langen Liste von Verfassungsgerichtsurteilen, in welcher Positionen wie die von Bundesinnenminister Schäuble und Ex-Innenminister Beckstein relativ schlecht weggekommen sind. Es ging vom großen Lauschangriff über PAG-Regelungen und die Pressefreiheit bis hin zum Schutz von Berufsgeheimnisträgerinnen und -trägern; das ist eine ganze Latte von mittlerweile elf Urteilen, die Ihre Politik klar in Frage stellen.
Die nächsten zwei Urteile zur Online-Durchsuchung und zur Vorratsdatenspeicherung werden wir im Frühjahr kommenden Jahres genüsslich zelebrieren dürfen.
Und da kommen Sie nun hier her und erzählen die Story von der Notwendigkeit für die Polizeiarbeit und vergessen zu erwähnen, dass Sie das Gesetz deshalb anpassen müssen, weil es in Teilen verfassungswidrig ist.
Das macht Ihnen so schnell niemand nach. Sie, die Sie die Verfassung schützen sollen, planen den Umbau des Rechtsstaates. Als Kronzeugen für die Notwendigkeit des Umbaus holen nicht wenige Sicherheitspolitiker und -politikerinnen die juristische Leiche von Carl Schmitt aus der Versenkung, dem nach dem Dritten Reich im Übrigen die Lehrerlaubnis entzogen worden ist. Mit solchen Rechtsphilosophen bauen Sie den Rechtsstaat um und wollen uns das Ganze durch die Gesetzesänderungen schmackhaft machen.
Warum kommt bei uns GRÜNEN keine Freude über diesen Gesetzentwurf auf? Schließlich ist er doch ein Zugeständnis an die Niederlage vor dem Verfassungsgericht. Ich nenne Ihnen drei Punkte, warum uns dieser Gesetzentwurf nicht gefällt.
Erstens müssen wir feststellen, dass das PAG scheibchenweise umgearbeitet und angepasst wird. Wir haben bereits einen neuen Gesetzentwurf zur Videoüberwachung vorliegen, den wir auch wieder unter dem Gesichtspunkt der Änderung des Polizeiaufgabengesetzes diskutieren müssen. Ich frage Sie: Sind Sie nicht in der Lage oder sind Sie nicht willens, einmal ein komplettes verfassungsgemäßes Polizeiaufgabengesetz vorzulegen?
Zweitens. Wenn Sie etwas bearbeiten, dann dauert das. Seit April 2006 geht das nun. Wir und auch die SPD haben
dagegen sehr schnell entsprechende eigene Gesetzentwürfe nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorgelegt. Sie hätten sich für den einen oder anderen Entwurf entscheiden können. Aber das wollten Sie nicht.
Wenn nun das Stückwerk nach langer Zeit vorliegt, ist noch immer der Inhalt fragwürdig. Das ist der dritte Punkt. Darüber werden wir tatsächlich im Detail noch diskutieren müssen. Herr Kollege Schindler hat das schon sehr präzise dargestellt.
Abgesehen davon bin ich überzeugt, dass die Rasterfahndung ein untaugliches Mittel ist, dass sie ein untaugliches Instrument ist, auch wenn wir akzeptieren, dass sie überhaupt ein Instrument ist. Aber auch wenn sie sich nun als untauglich erwiesen hat, frage ich mich, warum es nicht möglich ist, das Gesetz so vorzulegen – ich nenne das Stichwort konkrete Gefahrenlage –, wie es das Verfassungsgericht fordert.
Vielen Dank, Frau Kollegin Stahl. Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Im Einvernehmen mit dem Ältestenrat schlage ich vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuss für Kommunale Fragen und Innere Sicherheit als federführendem Ausschuss zu überweisen. Besteht damit Einverständnis? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Gesetzentwurf der Abg. Franz Maget, Joachim Wahnschaffe, Christa Steiger u. a. u. Frakt. (SPD) für ein Gesetz zur Änderung des Bayerischen Gesetzes zur Gleichstellung, Integration und Teilhabe von Menschen mit Behinderung und zur Änderung anderer Gesetze (Bayerisches Behindertengleichstellungsge- setz und Änderungsgesetze – BayBGG und ÄndG) und zur Änderung des Bayerischen Gesetzes zur Gleichstellung, Integration und Teilhabe von Menschen mit Behinderung (Bayerisches Behindertengleichstel- lungsgesetz – BayBGG) (Drs. 15/9482) – Erste Lesung –
Der Gesetzentwurf wird vonseiten der Antragsteller begründet. Ich darf hierzu Frau Kollegin Steiger das Wort erteilen. Sie haben zum Ausdruck gebracht, dass Sie Begründung und einen Beitrag zur Aussprache zu gleicher Zeit geben wollen. Damit haben Sie zehn Minuten.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das Bayerische Gesetz zur Gleichstellung, Integration und Teilhabe von Menschen mit Behinderung tritt mit Ablauf des 31. Juli nächsten Jahres außer Kraft. Es war auf fünf Jahre begrenzt. Eine Verlängerung, die wir für dringend notwendig halten, bedarf einer entsprechenden Novellierung des Gesetzes.