Protocol of the Session on July 17, 2002

Sie haben hier einen einzigen Blick nach rückwärts demonstriert. Sie haben eine Rechtfertigungsrede nach rückwärts abgegeben.

Ich glaube, dass die Bürger in der heutigen Situation erwarten können, zu erfahren, was Sie als Parteien, was ihre Kandidaten vorhaben, um Deutschland aus dieser wirtschaftlichen Krise herauszuführen. Es nützt doch nichts zu sagen: Das Jahr 1997 war nicht gut, und auch das Jahr 1996 war nichts besonders. Ich will auf die Daten gar nicht eingehen, denn das Wiederkäuen alter Kamellen nützt überhaupt nichts. Sie sind angesichts der Fakten mit Ihren Argumenten derart in der Defensive, dass Sie offenbar den Blick auf das, was gemacht werden muss, nicht mehr frei haben.

Ihre wirtschaftliche Kompetenz kann man an dem Antrag schon daran sehen, dass Sie 170 Millionen e schreiben. Wer Millionen und Milliarden nicht auseinander halten kann, den kann man doch nicht an das Steuer der größten Wirtschaftsnation Europas lassen.

(Beifall bei der CSU – Hoderlein (SPD): Blöder geht es nimmer!)

Was heißt da „blöder geht es nimmer“?

(Zurufe von der SPD und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin der Auffassung, dass Herr Minister Huber das Wort hat und dass wir hier kein allgemeines Palaver zugelassen haben. Herr Minister, bitte.

Herr Präsident, wenn Herr Hoderlein schon keine Argumente hat, dann lassen Sie ihn doch schreien. Im Schreien darf er uns auch übertreffen.

Der Antrag ist doch von Ihnen unterschrieben: Franz Maget, Wolfgang Hoderlein, Susann Biedefeld – die Politspitze der SPD Bayern. Dort steht, „bei der Verwirklichung 170 Millionen e, gleichzeitig 70 Millionen e“. Sie sind nicht einmal in der Lage, die Zahlen des Bundeskanzleramtes richtig abzuschreiben.

(Beifall bei der CSU)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Vogel?

Ja.

Herr Staatsminister, sind Sie mit mir einer Meinung, dass die CSU, wenn Ihre Argumentation so stimmt, vorhin ihren Pisa-Studie-Dringlichkeitsantrag nicht hätte bringen dürfen, weil in diesem Rechtschreibfehler enthalten sind, die Ihre fehlenden Fähigkeiten dokumentieren?

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist doch ein Unterschied, ob es sich um einen Rechtschreibfehler handelt oder ob eine Zahl um den tausendfachen Faktor verfehlt ist.

(Lachen bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe in Erinnerung, dass auch Willy Brandt Millionen und Milliarden nicht auseinander halten konnte. Sie haben in 20 Jahren nichts dazu gelernt. Ich muss vermuten, dass Herr Kollege Hoderlein seine wirtschaftliche Kompetenz beim Monopoly-Spiel erworben hat. Sie sagen, es wäre ein sozialer Kahlschlag, der Zusammenbruch der Bundesrepublik Deutschland und des Freistaates Bayern, wenn die Sozialversicherungsquote auf unter 40% gesenkt würde. Ich darf – Herr Kollege Dinglreiter hat es schon erwähnt – aus der Koalitionsvereinbarung von Rot-Grün vom 20. Oktober 1998 zitieren. In Abschnitt 3 heißt es wörtlich:

Wir

das heißt Rot-Grün –

werden die Sozialbeiträge von heute 42,3% des Bruttolohns auf unter 40% senken.

Sie haben das Ziel, das Sie selbst proklamiert haben, ohne Zwang von uns oder von irgendjemand anders völlig verfehlt. Wir verfolgen dieses Ziel mittelfristig. Sie können nicht gleichzeitig sagen, das ist ein sozialer Kahlschlag.

(Maget (SPD): Was heißt mittelfristig?)

Sie kennen offenbar Ihre eigene Koalitionsvereinbarung von 1998 nicht.

(Beifall bei der CSU)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Müller?

Ja, denn die, die fragen, sollen Antworten bekommen.

Herr Merkel – Entschuldigung – Frau Christiansen – – Nein, auch nicht Christiansen – –

(Lachen bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Huber, teilen Sie den Umrechnungskurs von Herrn Stoiber, wenn es um Euro und DM geht?

(Lachen bei Abgeordneten der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Müller, Sie haben wieder einmal den Beweis erbracht, dass es Ihnen nicht um eine sachliche Auseinandersetzung geht.

(Lachen bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Frau Radermacher (SPD): Das müssen Sie sagen! – Zuruf von der SPD: Ausgerechnet der Huber sagt das!)

Ich habe Verständnis dafür, dass Sie angesichts Ihrer Umfrageergebnisse, die zwischen 32 und 37% liegen, offenbar in Panik geraten. Wenn Sie meinen, mit solchen verfehlten Anträgen aus einer Motivationskrise herauszukommen, dann täuschen Sie sich.

(Zuruf von der SPD: Jetzt geben Sie einmal Antwort auf die Frage!)

Ich möchte auf das zweite Ziel zu sprechen kommen, die Staatsquote unter 40% zu senken. Ich möchte eindeutig erklären: Das Ziel „Dreimal 40“ ist natürlich nicht von heute auf morgen und nicht in einer Legislaturperiode zu erreichen. Wenn Sie das behaupten, dann haben Sie

nicht einmal unsere Programme gelesen. Denn jeder sagt: Das ist ein mittelfristiges Ziel. Es ist sinnvoll, dieses Ziel anzusteuern.

Jetzt nenne ich Ihnen die Ergebnisse der Länder der Europäischen Union: Die Länder der Europäischen Union hatten im Schnitt eine Staatsquote von 51%. Sie haben diese in acht Jahren auf 44% zurückgeführt. In acht Jahren war das möglich. Deshalb ist es auch möglich, in einem Zeitraum von acht bis zehn Jahren von 48% auf etwa 40% zu kommen. Wir haben in diesem Zusammenhang nie einen anderen Zeitraum genannt.

Es kommt darauf an, die Ziele in der Zukunft richtig zu setzen. Sie müssen darin liegen, dass wir Stabilität bei den Ausgaben haben. Wissen Sie überhaupt, was Staatsquote ist? – Das ist der Anteil, den die öffentliche Hand am Bruttoinlandsprodukt in Anspruch nimmt.

(Zurufe von der SPD)

Wenn Sie selbst vom Sparen reden, dann müsste Ihnen auch klar sein: Wenn man wirklich einen vernünftigen Sparkurs verfolgt, dann führt das zu einer Reduzierung der Staatsquote.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Ich verstehe nicht, wie Sie gegen eine Herabsetzung der Staatsquote polemisieren können. Ihr Bundesfinanzminister Eichel hat in einer Rede an der Humboldt-Universität am 9. November 2000 – das liegt eineinhalb Jahre zurück – gesagt, das Ziel 40% Staatsquote ist anzusteuern. Er hat auch gesagt, wie es geht. Ich darf Herrn Eichel wörtlich zitieren:

Eine niedrigere Staatsquote ist kein Beleg für den Rückzug des Staates oder gar einen schwachen Staat.

Hören Sie, das sagt Eichel.

Die Staatsausgaben werden künftig Jahr für Jahr steigen, aber langsamer als das Bruttoinlandsprodukt. Der Staat gibt so Raum frei, in dem sich der Einzelne entfalten kann, und er schafft durch höhere Investitionen die Grundlagen für ein stärkeres Wirtschaftswachstum.

(Hofmann (CSU): Das muss man lesen!)

Das hat er vor eineinhalb Jahren gesagt. Er ist weit davon entfernt, diese Ziele zu realisieren. Ich bestätige durchaus, dass Sie 1998 und auch 2002 offenbar in einem Anflug von Realismus die richtigen Ziele formuliert haben, aber Sie sind noch weit weg von deren Realisierung.

Lieber Herr Hoderlein, schrauben Sie doch diese völlig überzogene Polemik und Emotionalisierung zurück, die Sie hier eingebracht haben. Alles, was Sie hier an Phantomen dargestellt haben, „Dreimal 40“ wäre der Zusammenbruch des Staates, es könnten keine Investitionen mehr getätigt werden, der Sozialstaat würde mehr oder weniger zusammenbrechen, die Bürger wären im Hin

blick auf soziale Sicherheit entrechtet und dergleichen mehr, das ist alles Wahlkampfhumbug. Das können Sie dort erzählen, wo Ihnen vielleicht noch ein letzter Rest von Unverbrüchlichen etwas glaubt, aber doch nicht hier im Parlament.

(Beifall bei der CSU)

Wenn Sie wirklich in eine ernsthafte Auseinandersetzung einsteigen wollen, dann lassen Sie uns darüber streiten, was aus der schlimmsten Misere der deutschen Wirtschaft in den letzten Jahren geworden ist. Kein Mensch kann darüber hinwegsehen, dass beispielsweise im Osten Deutschlands die höchste Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung herrscht. Der Bundeskanzler hat 1998 in seinen neun oder zehn Punkten gesagt, er mache den Aufbau Ost zur Chefsache. Oft ist das eine ganz gefährliche Ankündigung.