Protocol of the Session on June 13, 2002

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie verteidigen zwar Ihre Bundesministerin sehr vehement. Der NitrofenSkandal hat aber die Mängel ihrer bisherigen Politik brutal aufgezeigt. Was Uwe Bartels aus Niedersachsen und Till Backhaus aus Mecklenburg-Vorpommern erklären,

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der gehört dorthin, wo Funke schon ist!)

Das ist Ihr Koalitionspartner.

wird eigentlich nur von folgender Aussage übertroffen: „Eines sollte nach dem 22. September 2001 die Regierung und die Bauern nicht mehr belasten: Das Thema Künast sollte danach erledigt sein“, meinte er bei einem Treffen mit BBV-Funktionären, bei dem er offen bekannte, dass auch für ihn die Schmerzgrenze überschritten sei und er die Ministerin keine vier Jahre mehr ertragen könne. Das sagte Matthias Weisheit, der agrarpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der SPD in der „Fränkischen Landeszeitung“. Aber, Herr Kollege Starzmann, leider hat Weisheit – nomen est omen – in der SPD keine Chance.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden den Antrag der CSU-Fraktion umsetzen

(Lachen bei der SPD)

und die Aufklärung mit Nachdruck vorantreiben. Wir werden den Verbraucher so schnell wie möglich informieren, auf welche Weise er so schnell wie möglich Nahrungsmittel bekommen kann, die nicht mehr mit Nitrofen kontaminiert sind. Dies beschäftigt uns schon seit einigen Wochen, obwohl Frau Künast bereits vor zwei Wochen erklärt hat, es sei aufgeklärt. Nichts ist aufgeklärt, deshalb muss jetzt gründlich aufgeklärt und aufgearbeitet werden.

(Beifall bei der CSU)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Zu Wort hat sich noch Herr Sprinkart gemeldet.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir einige Anmerkungen. Zunächst zu Ihnen, Herr Loscher-Frühwald. Sie haben sich mit Ihrem Satz, dass man auch dann, wenn es sich um Ökoprodukte handle, den Skandal aufklären müsse, verraten. Gerade weil es sich um Ökoprodukte handelt, wollen wir die Dinge aufklären. Das ist nicht nur eine Nebensächlichkeit.

(Loscher-Frühwald (CSU): Das müssen Sie Frau Künast sagen. Sie hat vertuscht!)

Ich komme zum nächsten Thema. Ich habe Herrn Staatsminister Miller gefragt, was der Nitrofen-Skandal ursächlich mit dem Standard des Öko-Siegels zu tun habe. Mir ist nicht bekannt, dass der EU-Standard etwas mit der Verursachung des Nitrofen-Skandals zu tun hätte. Dass Verarbeitungsbetriebe konventionelle und biologische Futtermittel herstellen, finden wir auch bei den Verbänden. Sie werden vermutlich in Bayern keine Futtermittelhersteller finden, die nur Bio-Futtermittel mischen. Mir fallen auf jeden Fall aus dem Stegreif keine ein. Alle führen auch konventionelle Futtermittel. Also gibt es auch da keinen Zusammenhang.

Man kann sehr wohl über den Level des Qualitätssiegels diskutieren. Das aber in den Zusammenhang mit dem Nitrofen-Skandal zu bringen, ist unlauter und zeigt, dass Sie nur polemisieren wollen.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung, Herr Sinner. Frau Bundesministerin Künast zu unterstellen, Sie wolle mit allen Mitteln auch die konventionelle Landwirtschaft in den Nitrofen-Skandal hineinziehen, ist schlicht und ergreifend infam. Das versucht sie nämlich überhaupt nicht. Sie hingegen sind gerade auf dem besten Wege, eine Diskussion über die Rückstände in konventionellen Lebensmitteln anzuzetteln. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die „Augsburger Allgemeine Zeitung“. Wenn Sie diese Diskussion wollen, dann können Sie sie gerne mit uns führen. Wir wollen sie nicht, weil wir das nicht nötig haben.

Wenn ich heute die Antwort Ihres Hauses, Herr Sinner, auf die Antwort meiner Kollegin Ruth Paulig lese, dann muss ich feststellen, dass es Ihnen in Sachen Verbraucheraufklärung auch nicht pressiert. Sie haben am 28. Mai erfahren, dass es vermutlich in Bayern mit Nitrofen belastetes Getreide gibt. Sie haben bis heute nicht veranlasst, dass Lebensmittel von den betroffenen Betrieben auf Nitrofen untersucht worden sind. Das ist jetzt zwei Wochen her. Man kann nicht sagen, dass Sie eine große Eile an den Tag legen. Deshalb sollten Sie nicht über die Bundesministerin schimpfen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Dazu werden die Anträge wieder getrennt.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 14/9666, das ist der Antrag der CSU-Fraktion, seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die CSU-Fraktion. Gegenstimmen? – Das sind die Fraktionen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie Herr Kollege Hartenstein und Frau Kollegin Grabmair. Stimmenthaltungen? – Keine. Damit ist der Dringlichkeitsantrag angenommen.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 14/9672, das ist der Antrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie Herr Kollege Hartenstein und Frau Kollegin Grabmair. Gegenstimmen? – Das ist die Fraktion der CSU. Stimmenthaltungen? – Keine. Damit ist der Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

Zur gemeinsamen Behandlung rufe ich auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Maget, Pranghofer, Pfaffmann und anderer und Fraktion (SPD)

Bildungsansprüche erfüllen – Bildung ist staatliche Aufgabe (Drucksache 14/9667)

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Christine Stahl, Dr. Dürr, Münzel und anderer und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Verbesserung der Situation an den Fachoberschulen und Berufsschulen (Drucksache 14/9673)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Frau Kollegin Pranghofer hat das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der „Münchner Merkur“ stellte gestern die Frage „Kümmert sich Bayern zu wenig um den akademischen Nachwuchs?“ und zitierte in diesem Zusammenhang eine Untersuchung des Essener Bildungsforschers Klaus Klemm, der in dieser Untersuchung feststellt, dass Bayern Akademiker importieren muss, weil Bayern selbst nicht für den Nachwuchs sorgt.

Wir können die Frage der Zeitung bejahen. Bayern kümmert sich tatsächlich nicht um den akademischen Nachwuchs. Dies zeigt sich jedenfalls daran, dass die Staatsregierung nach wie vor nicht gewillt ist, ein ausreichendes Platzangebot an Fach- und Berufsoberschulen, Technikerschulen und Wirtschaftsschulen, insgesamt an allen weiterführenden beruflichen Schulen, zu schaffen. Dies ist fatal, weil ein Drittel derer, die die Hochschulzugangsberechtigung erwerben, aus den Fachoberschulen und Berufsoberschulen kommen. Somit sind diese

Schulen wichtig für die Bildung des Akademikernachwuchses.

Sie können die Abweisungen nicht auf München reduzieren. Sie weisen gern mit dem Zeigefinger auf München, aber nicht nur an Münchner Schulen werden Jugendliche abgewiesen. In ganz Bayern weisen alle Arten von beruflichen Schulen Bewerber ab. Die Staatliche Wirtschaftsschule in Passau gibt beispielsweise an, dass mit Sicherheit davon ausgegangen werden könne, dass zum Schuljahresbeginn im September eine ganze Klasse mit 32 Schülern abgewiesen werden müsse.

(Haedke (CSU): Sagen Sie das den Schülern!)

An der Städtischen Wirtschaftsschule in Bamberg werden 40 Schülerinnen und Schüler abgewiesen.

(Haedke (CSU): In München sind es zwanzigmal so viel!)

Am Beruflichen Schulzentrum in Würzburg gibt es im Fachbereich Wirtschaft und Datenverarbeitung – es handelt sich um eine städtische Schule – 140 Bewerbungen für Fachinformatik, aber lediglich 30 Plätze. Ich weiß, dass Sie immer argumentieren, dass nicht alle Bewerber auch tatsächlich Interessenten seien. Wenn wir aber davon ausgehen, dass von den 140 Bewerbern immerhin 70 die Prüfungen bestehen und wirklich Interessenten sind, dann werden immer noch 40 junge Menschen abgewiesen.

Auch an den beruflichen Schulen in Schwaben, vor allen Dingen an den Berufsfachschulen, kommt es zur Deckelung von Eingangsklassen. Es werden nicht alle Schüler aufgenommen werden. An der Technikerschule in Aschaffenburg, die befindet sich in meinem Stimmkreis, werden im Fachbereich Maschinenbau 50 Bewerberinnen und Bewerber in diesem Jahr nicht aufgenommen, weil die Staatsregierung nicht bereit ist, eine zweite Eingangsklasse in Aschaffenburg zuzulassen. Sie sehen daran, dass das nicht nur ein Münchner Problem ist, sondern das in ganz Bayern der Fall ist.

Die Abweisung der jungen Menschen wird nicht ohne Folgen bleiben. Von Leistung, die sich lohnen soll, können wir auf jeden Fall nicht mehr sprechen.

(Beifall bei der SPD)

Wir fordern deshalb von der Staatsregierung, dass sie die Schülerinnen und Schüler nicht sitzen lässt, sondern dem Bildungsanspruch dieser jungen Menschen gerecht wird und schnellsten für ihre Aufnahme an den von ihnen gewünschten Schulen sorgt.

Sie sagen immer wieder, das Ganzen sei völlig überraschend gekommen. Das ist kein Überraschungseffekt, denn Sie mussten sich darauf einstellen, als Sie zusätzlichen Möglichkeiten geschaffen haben, die Mittlere Reife zu erwerben. Es ist nur eine logische Konsequenz, wenn diese Jugendlichen nun auch eine Qualifizierung in einer weiterführenden Schulart wollen. Genau das erleben wir im Moment. Die Jugendliche haben diese Qualifikation erreicht, sie wollen sich weiterbilden, und

das ist ihr gutes Recht. Außerdem sind die Prognosen für die Fachoberschulen und für die Berufsoberschulen längst bekannt. Sie können bereits jetzt wissen, welche Schülerzahlen in acht Jahren zu erwarten sind. Das kann man doch schon heute hochrechnen. Die Prognosen sagen, dass wir in acht Jahren einen erheblichen Zulauf bei den Fachoberschulen und bei den Berufsoberschulen haben werden. Wir müssen mit etwa 5000 Schülern und Schülerinnen mehr an diesen Schularten rechnen. Auf diese Veränderung habe die Staatsregierung und das Kultusministerium mit einer Ausweitung der Kapazitäten zu reagieren.

(Siegfried Schneider (CSU): Das tun sie ja!)

Wie sie diese Kapazitäten schaffen, lassen wir gerne offen. Entweder sie stellen diese Kapazitäten an den staatlichen Schulen bereit, dann würden beispielsweise die Stadt München und ihre städtischen Fachoberschulen und Berufsoberschulen deutlich entlastet. Sie können aber auch dafür sorgen, dass es für die kommunalen Schulträger endlich zu einem vollen Finanzausgleich kommt. Das würde bedeuten, dass Sie die Lehrpersonalkostenzuschüsse auf 100% anheben, also die volle Kostendeckung. Sie könnten auch die Gastschulbeiträge, ähnlich wie bei den Berufsschulen, als vollen Kostenersatz anrechnen. Sie könnten dazu beitragen, dass die städtischen Schulen wieder in der Lage sind, das Angebot zu schaffen, das notwendig ist, um dem Interesse der Schülerinnen und Schüler, die diese Schulen besuchen wollen, gerecht zu werden.

An dieser Stelle möchte ich noch eines erwähnen: Die 350 Widersprüche, die derzeit bei der Stadt München von den Schülerinnen und Schülern anhängig sind und die mit Recht – das sage ich bewusst – auf die Aufnahme an einer Schule drängen, ist nur formal das Problem der Stadt.

(Dr. Bernhard (CSU): Das sind staatliche Schulen! – Gegenruf der Frau Abgeordneten Radermacher (SPD): Die gingen genauso auf eine staatliche Schule, wenn sie die Möglichkeit dafür hätten!)

Genau, Frau Radermacher. Diese Schülerinnen und Schüler gingen auch auf eine staatliche Schule, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten.

(Beifall bei der SPD)

Das Kultusministerium, die Ministerin und der Staatssekretär können sich hier nicht zurücklehnen. Sie haben als Staat die Bildungsverantwortung. Es ist ihre Aufgabe, die Bildungsansprüche der jungen Menschen zu erfüllen. Es ist verheerend, Bildung zu verweigern, nur weil der Finanzminister sparen will.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, eine Lösung für die weiterführenden beruflichen Schulen ist dringend notwendig. Deshalb haben wir unseren Antrag eingebracht. Wir meinen, dass es nicht damit getan ist, Schülerinnen und Schüler abzuweisen. Es müssen vielmehr zusätzliche Kapazitäten und Ressourcen für die weiterführenden beruflichen

Schulen bereitgestellt werden. Es reicht auch nicht, wie Sie gerne sagen – –

(Dr. Bernhard (CSU): Sagen Sie das doch den Kommunen, dass die hierfür die Verantwortung übernehmen!)