Protocol of the Session on June 13, 2002

Wer angesichts des neuerlichen Skandals eine Korrektur der seit dem letzten Jahr praktizierten Agrarpolitik fordert, hat leider offensichtlich noch immer nichts dazugelernt. Die Forderung kann allenfalls lauten: Die wiederholt angekündigte, aber bislang weitgehend ausgebliebene Agrarwende muss noch konsequenter als bisher angegangen werden. Nur dann besteht die Hoffnung, dass die Menschen im Lande wieder Vertrauen in die Sicherheit der Lebensmittel gewinnen können.

In diesem Zusammenhang ist allerdings darauf hinzuweisen, dass der Kern des Nitrofenskandals in der Futtermittelwirtschaft, nicht aber in der Bewirtschaftungsart der Felder angesiedelt ist. Das allerdings soll keinesfalls heißen, dass es in der konventionellen Landwirtschaft nichts zu verbessern gäbe. So heißt es zum Beispiel im Bericht der EU-Kommission über einen Kontrollbesuch in den Ländern Sachsen und Bayern im Sommer 2001:

Rückstände von Pflanzenschutzmitteln werden nicht als eine ernsthafte Gefahr angesehen. Produkte, deren Rückstände die gesetzlichen Höchstwerte überschreiten, werden in der Regel nicht beschlagnahmt. Die Verfahren bei Verstößen sind überaus schwerfällig, und es werden nur selten Verwaltungsverfahren eingeleitet. Das Feedback zwischen den einzelnen Kreisen ist unzureichend.

In demselben Bericht heißt es sinngemäß weiter: Bayerische Beamte schätzen, dass bis zu 30% der Pflanzenschutzmittel, die im Freistaat eingesetzt werden, aus anderen Ländern stammen und dass deren Wirkstoffe zu ca. 50% in der Bundesrepublik nicht zugelassen sind. Die Folge: Nach ihnen wird nicht gesucht. Anders ausgedrückt: Bei den üblichen Kontrollen werden sie nicht erfasst. Die Staatsregierung wäre also gut beraten, sich unverzüglich dieses Problems anzunehmen, anstatt ausschließlich mit dem Finger auf Berlin zu weisen.

In der Entschließung der CSU-Fraktion ist – wohl eher ungewollt als gewollt – eine bemerkenswerte Aussage enthalten:

Durch die Einführung eines Biokennzeichens auf niedrigem Niveau wird eine Entwicklung „Masse statt Klasse“ gefördert, da ökologische und konventionelle Erzeugung im gleichen Betrieb zugelassen wird.

Im Klartext heißt das, dass Landwirte, die nach den strengen Regeln der Anbauverbände, zum Beispiel von Demeter oder Bioland, arbeiten, hervorragende Erzeugnisse hervorbringen, während auf niedrigerem Bewirtschaftungsniveau, also insbesondere in der konventionellen Landwirtschaft, nur Masse produziert wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Argumentation von den herkömmlich arbeitenden Landwirten mit Freude aufgenommen wird.

Im Übrigen teile ich die Kritik der Mehrheitsfraktion am so genannten Biosiegel, dem lediglich die schwachen Vorgaben der EU zugrunde liegen. Mit der festgelegten Aufweichung ursprünglich hoher Anforderungen und

aufgrund des damit verbundenen schnellen Wachstums der Biobranche gerät diese zunehmend in Gefahr, genau jene Agrarstrukturen anzunehmen, die es abzubauen gilt. Das ist ein Bärendienst an kaufbewussten Verbraucherinnen und Verbrauchern.

Voll gerechtfertigt ist die Kritik der CSU-Fraktion an der dem Künast‚schen Verbraucherschutzministerium unterstehenden Bundesanstalt für Fleischforschung. Das Nichtweiterleiten eindeutiger Laborergebnisse über Monate hinweg ist ein eindeutiges Indiz dafür, dass es der Bundesregierung noch nicht gelungen ist, die mit dem Regierungswechsel übernommenen verkrusteten Strukturen und Arbeitsweisen aufzubrechen.

Über die in der öffentlichen Diskussion bereits immer wieder angesprochenen Kritikpunkte hinaus ist für mich der eigentliche Skandal in folgenden zwei Punkten zu sehen: Erstens. Der Bund als Eigentümer der ehemaligen Lagerhalle für Pestizide in Malchin verkauft das aus DDR-Zeiten stammende Gebäude in Kenntnis der genannten Fakten offensichtlich ohne jede Untersuchung und ohne jede Auflage.

(Zuruf von der SPD: Wann?)

Zweitens. Der Käufer der Halle nützt die stark mit Nitrofen und wahrscheinlich mit weiteren Substanzen aus der Giftküche belasteten Halle, offensichtlich wiederum ungeprüft, zur Lagerung von Futtermitteln. All das geschieht, obwohl heute jeder in den zuständigen Behörden wie in der Futtermittelbranche selbst um die Langlebigkeit und Toxizität bestimmter Pestizide wissen muss. Diese Leichtfertigkeit, mit der umweltgefährdende Entscheidungen getroffen werden, muss ein Ende haben; sonst werden wir uns immer wieder mit solchen Problemen herumzuschlagen haben.

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat Herr Staatsminister Miller.

Staatsminister Miller (Landwirtschaftsministerium) : Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Eines ist wohl sicher: So haben sich die Bauern und die Bürger unseres Landes die Agrarwende nicht vorgestellt.

(Beifall bei der CSU)

Es gilt, alles zu tun, damit solche Vorkommnisse zukünftig nicht mehr passieren. Ich habe heute gehört, dass in Mecklenburg-Vorpommern inzwischen schon jeder vierte Betrieb kontaminiertes Getreide auf dem Hof hat.

Eines steht schon fest: Die Bundeslandwirtschaftsministerin hat gesagt: Wo Bio draufsteht, ist auch Bio drin. Es hat sich aber herausgestellt, dass sie nicht einmal die Hinweise von eigenen Bundesstellen ernst genommen und verfolgt hat.

Herr Starzmann, Sie haben mir vorgeworfen, das, was die Ministerien berichtet haben, sei Verharmlosung. Das ist keine Verharmlosung, sondern eine Erläuterung des bundesweit geltenden und bundesweit angewandten Rechts. Es gibt die Höchstmengenverordnung, die im

Bundesgesetzblatt vom 5. November 1999 veröffentlicht wurde, also zu einem Zeitpunkt, als ein SPD-Politiker Bundeslandwirtschaftsminister war.

Ein Weiteres: Das Biosiegel ist schon angesprochen worden. Die Öko-Bauern monieren zu Recht, dass das Biosiegel auf ein niedrigeres europäisches Niveau herabgestuft wurde.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hat doch mit Nitrofen nichts zu tun!)

Das hat zur Folge, dass Betriebe nicht mehr ganzheitlich auf ökologische Bewirtschaftung umgestellt werden müssen, wie es dem Kreislaufprinzip entsprechen würde, sondern dass sie bestimmte Betriebszweige ökologisch und andere herkömmlich bewirtschaften können. Das macht die Kontrolle aber nicht leichter.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dem haben Sie damals zugestimmt! Dafür sind Sie verantwortlich!)

Sie wollen das nicht zugeben. Warum hat Frau Künast gefordert, dass wieder das höhere deutsche Niveau erreicht werden muss?

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist auch richtig!)

Sie hat aber seit dem Skandal nichts mehr getan. Lieber Herr Kollege Starzmann, ich weiß nicht, ob Sie es nicht wissen, oder ob Sie es nicht wissen wollen; es gibt ein bayerisches Ökosiegel.

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Sprinkart? –

Herr Staatsminister, können Sie mir erklären, was das Level des Ökosiegels ursprünglich mit dem Nitrofenskandal zu tun hat?

Die Betriebe können sowohl herkömmlich als auch konventionell produzieren, und dabei sind die Warenströme sehr viel schwieriger festzustellen, als wenn der ganze Betrieb umgestellt wird.

Aber zurück zum Kollegen Starzmann: Unser Zeichen wird nicht so verramscht, dass jeder, der mit seinen Verbänden nicht klarkommt, davon Gebrauch machen kann. Bei uns gilt das Siegel noch etwas. Sie kennen die Geschichte mit Sicherheit selber.

Nun zum Öko-Landbaugesetz. Das Gesetz in der Fassung, wie es am Freitag vor vierzehn Tagen beschlossen wurde, bringt auf jeden Fall Verbesserungen. Das ist unbestritten.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Machen Sie auch Nitrofenkontrollen?)

Diese Verbesserungen wollten und wollen wir nicht blockieren. Deshalb ist das Gesetz auch einstimmig angenommen worden. Dennoch kann uns niemand daran hindern, das Gesetz weiter zu verbessern und bestehende Lücken zu schließen. Ich frage mich, warum Frau Künast oder die SPD nicht darauf kommen. Der Skandal hat doch gezeigt, dass folgende Änderungen erforderlich sind:

Erstens darf sich die Mitteilungspflicht der Kontrollstellen nicht auf Verstöße durch das unmittelbar kontrollierte Unternehmen beschränken. Verunreinigungen müssen bis zum Ausgangspunkt zurückverfolgt werden.

Zweitens ist ausdrücklich festzustellen, dass die Behörden auch dann informiert werden müssen, wenn sich die Feststellungen der Kontrollstellen auf eine vorgelagerte Stufe der Produktionskette beziehen. Hier wollen wir eine Änderung, darauf drängen wird. Wir haben dementsprechend im Bundesrat einen Antrag eingereicht, und ich bin überzeugt davon, dass wir dafür die Mehrheit und damit mehr Sicherheit bekommen.

(Beifall bei der CSU)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Vielen Dank, Herr Staatsminister. Das Wort hat Herr Staatsminister Sinner.

Staatsminister Sinner (Verbraucherschutzministe- rium) : Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Nirgendwo in Deutschland wird der Öko-Landbau besser gefördert als in dem reichen, CSU-regierten Land Bayern. Nur sprechen die Bayern nicht von Agrarwende.

So schreibt die Wochenzeitschrift „Die Zeit“ in ihrer Ausgabe Nummer 4 von 2002.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das war eine saubere Lüge!)

Genau darin liegt der Unterschied. Herr Kollege Dürr und Herr Kollege Starzmann, wir tun etwas, aber wir machen die Agrarpolitik und die Verbraucherschutzpolitik nicht zu einer Ideologie,

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist sie schon!)

indem wir die einen privilegieren und die anderen diskriminieren. Vor diesem Hintergrund diskutieren wir jetzt über den Nitrofenskandal, der natürlich dummerweise für Frau Künast ausschließlich in rot-grün- oder rot-rotregierten Ländern stattfindet.

(Frau Biedefeld (SPD): Und was ist mit Bayern? Erst waren wir BSE-frei, jetzt sind wir nitrofenfrei!)

Ich stelle schon einmal die Frage, was in Berlin zu hören gewesen wäre, wenn das, was momentan in Mecklenburg-Vorpommern, in Brandenburg, in Nordrhein-Westfalen und in Niedersachsen abläuft, sich in Bayern oder

in Baden-Württemberg abgespielt hätte. Frau Künast hätte sich vor Aufregung gar nicht mehr fassen können.

Wenn wir nach den Ursachen des Nitrofenskandals fragen, müssen wir als erstes danach fragen, wie ein überhaupt nicht mehr zugelassenes Pflanzenschutzmittel wie Nitrofen in den Weizen hineinkommt.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wo kommt es überhaupt her?)

Wer hat hier zertifiziert, wer hat hier kontrolliert und wer hat im Vorfeld Vieles gewusst, bis hin zur Bundesanstalt für Fleischforschung? Unser erster Ansatzpunkt besteht darin, dass die vorhandenen Daten natürlich miteinander vernetzt werden müssen, sodass jemand, der etwas weiß – das geht hin bis zu den staatlichen Behörden &, dies nicht für sich behält, sondern eine Warnung ausgibt.