Protocol of the Session on April 19, 2002

(Widerspruch bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Sie haben den finanziellen Rahmen zu verantworten. Sie haben Deutschland auf den letzten Platz in Europa zurückgeführt.

(Beifall bei der CSU)

Die Statistiken der Europäischen Kommission beweisen: Deutschland ist in der Zwischenzeit am Tabellenende beim wirtschaftlichen Wachstum.

(Mehrlich (SPD): Das ist Volksverdummung!)

Sie wollen das zwar nicht zur Kenntnis nehmen, das ist aber ein Faktum.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Sie waren 16 Jahre lang an der Regierung!)

Deshalb können wir das Familiengeld nur stufenweise realisieren.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Schönen Gruß an Herrn Waigel!)

Meine Damen, meine Herren, sehen Sie sich einmal die Steuerschätzung des Jahres 2002 an. Diese Zahlen werden die Politik des Herrn Eichel leider wiederum widerlegen. Dies gilt auch für den Bundeskanzler. Beide haben geglaubt, sie würden mit dieser Steuerreform das Wachstum ankurbeln. Leider wird das Wachstum auch im Jahr 2002 nicht im erwarteten Maße eintreten. Die Steuereinnahmen dieses Jahres gehen leider weiter zurück. Das haben Sie zu verantworten.

(Beifall bei der CSU)

Schon bisher hat Bayern beträchtliche Mittel für die Betreuung von Kindern und Jugendlichen aufgewendet: allein im Jahre 2001 zirka eine halbe Milliarde e. Mit dieser „Kindermilliarde“ finanzieren wir Kindergärten, Horte und das Netz für Kinder. Die Kommunen legen noch einmal rund eine halbe Milliarde e dazu.

In Bayern besuchen 95% aller Drei- bis Sechsjährigen Kindergärten. Für 3,5% der Kinder unter drei Jahren haben wir Betreuungsplätze.

(Zurufe von der SPD)

Das ist schon die Hälfte des von den Jugendämtern geschätzten gegenwärtigen Bedarfs. Ich frage in aller Deutlichkeit: Warum haben Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein keine 3,5%? Es werden über Bayern immer wieder falsche Behauptungen aufgestellt, weil es in Ihre Politik hineinpasst. Aber, meine Damen und Herren, dies glauben die Bayern nicht.

(Beifall bei der CSU – Zuruf der Frau Abgeordneten Werner-Muggendorfer (SPD))

Der Bundeskanzler hat gestern in seiner Regierungserklärung vorwurfsvoll mit der Zahl von 1,4% hantiert und sozusagen den Bayern den letzten Platz attestieren wollen. Das führt aber zu einer Täuschung, weil er nur die

Krippenplätze nennt, aber die übrigen Betreuungsangebote außer Acht lässt. Alle anderen Betreuungsmöglichkeiten werden im Rahmen der Wahlfreiheit angeboten. Es gibt nicht nur ein Modell. Besonders befasst sich der Bundeskanzler immer wieder mit Bayern. Sogar in den Regierungserklärungen kommt Bayern in besonderer Weise vor, worüber wir uns selbstverständlich freuen. Allerdings erzählt er natürlich über Bayern oft viel Falsches. Er müsste also doch noch mehr hierher kommen und lernen, was in Bayern los ist.

(Beifall bei der CSU)

Jetzt gehen wir noch einen entscheidenden Schritt weiter. Bis zum Jahr 2008 soll ein flächendeckendes Angebot an kind- und familiengerechten Betreuungsangeboten zur Verfügung stehen. Mit 313 Millionen e für die Jahre 2002 bis 2006 fördern wir insgesamt 30000 neue Plätze, davon für Kinder unter drei Jahren zusätzlich 5000, für die Schulkinder zusätzlich 25000 Plätze. Kommunale Horte und Krippen, Tagespflegeangebote und weitere Angebote der Familienselbsthilfen wie ElternKind-Gruppen werden erstmals gefördert.

Ganztagesbetreuung an Schulen wird angeboten. Kommunen und Schulen werden das jeweilige Angebot gemeinsam entwickeln. In ganz Bayern wird eine bunte Mischung aus vielfältigen Angeboten entstehen – nach Bedarf und entsprechend den Wünschen vor Ort. Auch Sportvereine und Musikschulen müssen weiterhin die Möglichkeit haben, an der Gestaltung der Nachmittagsbetreuung mitzuwirken. Sie sollten diese Chance nutzen.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Werner-Muggendor- fer (SPD))

Ganztagesschulen werden zur Erprobung innovativer Unterrichts- und Betreuungsformen und bei spezifischem Förderbedarf an Hauptschulen eingerichtet. Aber auch hier gilt: kein Zwang zur Ganztagesschule, sondern ein Angebot nach besonderem Bedarf. Dieses Konzept geht auf die Bedürfnisse der Familien und der Kinder ein. Eltern und Kinder wollen eine Förderung und Betreuung, die auf sie zugeschnitten ist. Sie wollen selbst darüber befinden, wer die Kinder wo, wie lange und in welchem Stil erzieht. Sie wollen sich in kein Korsett „nur Ganztagesschule“ pressen lassen. Deshalb geht die Forderung nach flächendeckender Einrichtung von Ganztagesschulen an den Bedürfnissen von Schulen, Eltern und Kindern vorbei.

(Beifall bei der CSU – Frau Radermacher (SPD): Wer fordert das?)

Das Betreuungskonzept ist die gemeinsame Antwort von Staatsregierung und CSU-Fraktion auf die gewandelten Lebensbedingungen für Familien in Bayern. Wir wollen es in Zusammenarbeit mit den Kommunen umsetzen, weil das eine gemeinsame gesellschaftspolitische Aufgabe ist. Gemeinsam müssen wir Prioritäten zugunsten der Familien setzen und alles tun, um diese zu unterstützen.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer zahlt?)

Den Menschen in unserer Wissensgesellschaft Orientierung zu geben und Chancen zu eröffnen, gelingt sicherlich nur mit bestmöglicher Bildung. Bildung ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts das, was soziale Sicherung am Ende des 19. Jahrhunderts war: die Voraussetzung für eine gute Zukunft. Bildung ist Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Alle müssen an einem Strang ziehen. Jeder hat Verantwortung für die Zukunft unserer Kinder und Jugendliche für ihre Bildung und Ausbildung.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Radermacher (SPD))

Wichtig ist die Einstellung jedes Einzelnen. Bildung ist keine Bringschuld des Staates, sondern eine Holschuld jedes Einzelnen.

Ich befürchte, dass der Pisa-Schock noch nicht stark genug war. Nach wie vor höre ich die gleichen Argumente, wie ich sie schon vor 20 Jahren von Ihrer Seite gehört habe. Ich höre die alte Leier von Überforderung, von Kuschelpädagogik und Gesamtschule. Da passt der Boykott der nationalen Pisa-Studie durch die GEW in Hamburg voll und ganz hinein.

(Beifall bei der CSU)

Was ich da höre, klingt wie das Salonorchester auf der Titanic, während die unteren Decks unseres Bildungswesens im Mittelmaß untergehen.

(Zuruf von der SPD: So ist es in Bayern!)

Was ich vermisse, ist eine Diskussion über die tieferen Ursachen der Ergebnisse der Pisa-Studie.

(Zuruf von der SPD)

Warten Sie den 30. Juni ab! Ich wäre froh, wenn alle so locker darangehen würden, wirklich schon am 30. Juni eine vergleichende Studie vorzulegen. Es gibt bei Ihnen große Bemühungen, das zu verhindern. Warum wohl?

(Beifall bei der CSU)

Sie werden alt aussehen, wenn wir im Juli darüber diskutieren; denn die Pisa-Studie legt Defizite und Fehlentwicklungen bloß, die weit über die Schulform-Diskussion hinausgehen. Pisa stellt unsere Einstellung zur Bildung, zu Werten wie Leistung und Disziplin, zur Verantwortung der Eltern für ihre Kinder und letztendlich die Entwicklung unserer Gesellschaft und des Wertesystems in Deutschland zur Diskussion.

Bildung für alle – wird das nicht weithin nur als Anspruch gegen den Staat, ja fast als Konsumgut angesehen, als ob man sich Wissen und Bildung ohne eigene Anstrengung in 13 Jahren mit einem Nürnberger Trichter einflößen lassen könnte? Leistung, Disziplin, Ordnung, Sorgfalt dagegen wurden und werden weiterhin subtil diffamiert. Waren Elite und Eliteförderung nicht jahrelang Unwörter? Das sind unter anderem die wesentlichen Ursachen für die deutschen Ergebnisse von der PisaStudie. Sie brauchen sich nur die Situation in anderen Ländern anzusehen, die völlig unvoreingenommen auch Eliteförderung als wesentlichen Teil ihrer Bildungspolitik

betrachten. Vieles wurde mit tatkräftiger Mithilfe von Ihrer Seite, meine Damen und Herren von der Opposition, als Sekundärtugenden abqualifiziert.

Bildung ist keine Selbstverständlichkeit. Sie ist ein Angebot und eine Chance. Der Staat kann niemandem den bestmöglichen Bildungsabschluss garantieren; jeder Einzelne ist für sich selbst verantwortlich. Wir müssen als Erwachsene, vor allen Dingen als Eltern, Anstrengung und Leistung unseren Kindern vorleben und sie selbst dazu anhalten. Wir wollen die Freude am Lernen wecken und bewahren. Wir werden Schule so gestalten, dass Kinder mehr Freude am Lernen haben, dass sie in einer sich ständig wandelnden Welt lernfähig und lernbereit bleiben.

Schüler sollen nicht nur strategisch für eine unmittelbar bevorstehende Prüfung pauken, sondern lernen, grundlegendes Wissen und dauerhaft notwendige Fähigkeiten für einen längeren Zeitraum zu erwerben. Daran müssen wir unsere Lehrpläne ausrichten.

Schule braucht auch Disziplin. Kinder sollen lernen und Lehrer unterrichten können, ohne dass Mitschüler den Unterricht unzumutbar stören und lahm legen. Deshalb werden wir den Schulen Mittel an die Hand geben, mit denen sinnvolles Arbeiten möglich sein kann, zum Beispiel durch Gewaltprävention und Fachkräfte für besonders schwierige Schüler. Wir wollen zusammen mit den Kommunen die Jugendsozialarbeit an Schulen fortführen und bis zu 350 neue sozialpädagogische Fachkräfte einstellen. Wir wollen auch, dass neben den Lehrkräften, die wir nachhaltig darin bestärken, Schülerinnen und Schüler freiwillig Verantwortung für Ordnung und Gewaltfreiheit an der Schule übernehmen.

Pisa hat gezeigt, dass die deutsche Sprache von vielen Schülern nur unzureichend beherrscht wird und viele von ihnen geschriebene Texte nur schwer verstehen. Deshalb wird es bereits im Kindergarten in Zusammenarbeit mit der Grundschule eine gezielte Sprachförderung geben. Andere Länder, wie Frankreich – soweit werden wir wohl nicht gehen können – lassen Kinder ohne Beherrschung der Landessprache überhaupt nicht für den Regelunterricht zu, sondern sagen: Erst wenn du die Landessprache beherrscht, kommst du in den Regelunterricht. Wir wollen das mit mehr Förderung erreichen. In der Grundschule wird noch mehr Gewicht auf die Förderung der Lesekompetenz gelegt werden. Dabei müssen die Kinder von den Eltern auch außerhalb des Unterrichts unterstützt werden.

Ausländische Schülerinnen und Schüler, die kein oder nur wenig Deutsch können, schneiden verständlicherweise in der Pisa-Studie besonders schlecht ab. Das führt dazu, dass in diesen Klassen das Niveau insgesamt sinkt und dass das Gesamtniveau noch weiter sinkt. Wir wollen, dass ausländische Kinder Deutsch können, und das so früh wie möglich.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Für sie bereiten wir spezielle Angebote und Sprachlernklassen vor, in denen sie intensiv in Deutsch unterrichtet werden. Das dient dem Lernerfolg aller Kinder. Sie sollen

sozusagen die Regelklassen in bestimmten Bereichen verlassen können, Sprachunterricht nehmen, dann wieder in den Regelunterricht eingefädelt werden. Damit schaffen wir ein höheres Maß an Integrationsleistung und Integrationskraft der Schulen, und zwar sowohl für Deutsche als auch für Ausländer. Neben der Kompetenz in Deutsch verlangt Globalisierung und Internationalisierung die Beherrschung von Fremdsprachen. Deshalb haben wir das Fremdsprachenangebot an den Schulen in Bayern erweitert, zum Beispiel in den dritten und vierten Klassen der Grundschulen.

Wir wollen das im internationalen Vergleich hohe Alter der Schülerinnen und Schüler senken und Hochbegabte optimal fördern. Deshalb haben wir es ermöglicht, Kinder freiwillig im sechsten Lebensjahr einzuschulen. Unser Ziel muss sein, das Schuleintrittsalter für alle Kinder zu senken. Noch vor Pisa haben wir in Bayern begonnen, unsere Schulen auf die neuen Herausforderungen von Globalisierung und Internationalisierung einzustimmen. Dazu investieren wir im Doppelhaushalt 2001/2002 zusammen rund 11 Milliarden e und damit 16,5% des Gesamthaushalts alleine für schulische Bildung. Wir werden den bereits eingeschlagenen Weg weitergehen.

Wir schaffen bestmögliche Rahmenbedingungen für Schulen und Lehrkräfte. Von diesem Schuljahr an bis zum Beginn des Schuljahres 2003/2004 werden insgesamt bis zu 15000 neue Lehrer ihre Arbeit aufnehmen. Davon sind 4100 neue, zusätzliche Planstellen. Allein dafür geben wir 510 Millionen e aus. Wir bringen noch mehr Praxis in die Lehrerbildung, und zwar sowohl an den Universitäten als auch im Referendariat. Die Ausstattung mit IuK-Technologie ist auf einem guten Weg: rund 130000 Computerarbeitsplätze an den 5300 Schulen, Internetzugang für fast alle Schulen, lokal vernetzte Systeme bei über 95% der weiterführenden Schulen – über 30 Millionen e aus der Hightech-Offensive wurden gut angelegt. Ich sage: Das müssen uns die SPD-regierten Länder, die sich mit Bayern jetzt so beschäftigen, erst einmal nachmachen, bevor sie uns kritisieren.

Ich sehe die Pisa-Studie als Chance und Auftrag, auf unserem Reformkurs weiterzugehen. Kein Verständnis habe ich aber für die Absicht, Pisa als Vorwand für Zentralismus zu gebrauchen bzw. zu missbrauchen. Bildungspolitik ist und bleibt Ländersache. Das sage ich auch an die Adresse der Regierungsfraktionen im Deutschen Bundestag, die Pisa dazu gebrauchen wollen, mehr Zentralisierung in der Bildungspolitik durchzusetzen. Der Abstimmungsprozess unter den Ländern ist oft mühsam und viel zu langsam. Wir brauchen weniger Abstimmungszwang und mehr Zuständigkeiten in den Ländern. Dieses Parlament soll mehr entscheiden können als die Kultusministerkonferenz.