Protocol of the Session on April 9, 2002

(Anhaltender Beifall bei der CSU)

Als nächster Redner hat sich Herr Kollege Prof. Dr. Gantzer zu Wort gemeldet. Der Ordnung wegen gebe ich bekannt, dass die Fraktionen der CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zu ihren Anträgen namentliche Abstimmung beantragt haben. – Herr Kollege Gantzer, bitte.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Zuschauer! Manchmal ist es sehr gut, am Ende einer Debatte reden zu können, weil man sich so auch in die Rolle der Zuschauer versetzen kann. Ich kann mir vorstellen, dass eine Menge Fragenpotenzial aufgestaut ist.

(Maget (SPD): Das kann ich gerne zurückgeben!)

Wir haben das Glück gehabt, von den big six der CSU immerhin vier zu hören. Wenn man sieht, wie diese Vier mit dem Kirch-Konkurs oder nun der Insolvenz jongliert haben, wie sie geradezu artistisch Argumente in die Luft geworfen und aufgefangen, vermengt und verstreut haben, möglichst keines haben fallen lassen, fragt man sich eigentlich, worüber wir heute diskutieren.

(Zurufe von der CSU)

Zusammengefasst bleibt unter dem Strich ein einziges diskussionswürdiges Argument: Wir diskutieren um den größten bundesdeutschen Pleitefall. Herr Glück, wenn Sie dem widersprechen wollen, lesen Sie die gestrige Presseerklärung von Herrn van Betteray, einer der Eigenverwalter im laufenden Insolvenzverfahren. Dieser Experte in Sanierungen, der sehr große Insolvenzen abgewickelt hat, spricht am Schluss seiner Presseerklärung vom größten bundesdeutschen Krisenfall. Diese Expertenmeinung können Sie in der gesamten bundesdeutschen Presse nachlesen.

Nur in diesem Jahr verzeichnen wir folgende Insolvenzen: als Erstes im Januar Schneider Technologies mit 840 Arbeitsplätzen, zweitens Fairchild-Dornier mit 4300 Arbeitsplätzen, jetzt kam die Kirch-Krise, in der es um insgesamt 12000 bis 15000 Arbeitsplätze gehen kann.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir im Jahr 2002, dem Jahr der Kanzlerkandidatur und des Wirtschaftsexperten Stoiber, bis jetzt jeden Monat eine Großpleite hatten. Das kann nun nicht gerade zu Erfolgsjubel aufrufen. Hinzu kommt, dass mit Kirch eines der größten Aushängeschilder bayerischer Wirtschaftsmacht in den Abgrund gefallen ist; denn anders ist eine Insolvenz nicht zu verstehen. Die eben gemachten Aussagen der Big-four kann ich unter dem Strich nur wie folgt zusammenfassen: Wir begrüßen die Insolvenz, weil wir alles auffangen, viele Arbeitsplätze erhalten und Vieles besser machen können. Meine Damen und Herren, dies ist vor allem gegenüber den daran Beteiligten Zynismus.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt im Grunde zwei Ursachen: die erste – nicht genannte – Ursache, der Anfang vom Ende, geschah im Jahr 1985. Bis zu diesem Zeitpunkt ist Kirch ausschließlich Rechte-Händler gewesen. Er hat nur mit Film-, Sport und Fernsehrechten usw. gehandelt. Kirch hat damals mit dem ZDF über den Verkauf von Filmen verhandelt. Dieses Angebot, bei dem es um 900 Millionen DM ging, wurde vom ZDF abgelehnt. Daraufhin kam es zur Gründung der Privatsender von Kirch und zu den Anfangssünden; denn um diese Sender zu speisen, konnte er – da er wusste, er hat Abnehmer – Lizenzrechte kaufen.

Kirch hat diese Lizenzrechte oft zu überhöhten Preisen gekauft und – was noch schlimmer ist – In-sich-Geschäfte getätigt. Letzteres war zwar juristisch einwandfrei, weil es verschiedene juristische Personen waren. Aber es waren In-sich-Geschäfte, bei denen Filmrechte über Wert gehandelt wurden, aber bezahlt werden mussten. Dies war der Anfang vom Ende. Es gab keinen Wettbewerb mehr, die Sorgfalt eines normalen Kaufmanns wurde nicht mehr eingehalten.

Der zweite Punkt wurde bereits genannt: Pay-TV. Schon damals haben alle Fachleute gesagt, Premiere bzw. Pay-TV sei in Deutschland nicht durchsetzbar. Das Entscheidende dabei aber war, und dies wurde bereits erwähnt, Kirch kam mit Premiere nicht auf den Boden und hat deswegen die Fußballrechte und die Formel1-Rechte aufgekauft, um den Bürger zu zwingen, in das Pay-TV zu gehen. Dies halte ich moralisch für sehr verwerflich. Schon im alten Rom hat man gewusst: panem et circensis – gebt dem Volk Brot und Spiele. Die Politik von Kirch, die Sie von der CSU unterstützt haben, bedeutete aber, Spiele wegzunehmen, gerade den kleinen Mann auf der Straße zu zwingen, Geld dafür zu bezahlen. Sie haben damit eine bürgerfeindliche Politik betrieben, die sich zum Glück nicht ausgezahlt hat.

(Beifall bei der SPD)

Über die Folgen ist heute viel zu wenig gesprochen worden. Erstens sind von den 12000 Arbeitsplätzen im Kirch-Imperium 2000 bis 3000 Arbeitsplätze gefährdet. Ich gehe davon aus, dass wir Arbeitsplätze abbauen müssen. Hierin werde ich durch die gestrige Presseerklärung der CSU bestätigt, die vom Erhalt vieler attraktiver und eines Großteils der Arbeitsplätze spricht.

Ich nehme Bezug auf Ihren eigenen Antrag, den Sie heute gestellt haben und in dem Sie sehr verklausuliert im Konjunktiv davon sprechen, dass durch die Auffanggesellschaft zu erwarten sei, dass vielleicht Arbeitsplatze erhalten werden können. Es ist von „könnten“ die Rede, schauen Sie es bitte selber nach.

Herr van Betteray, der Eigenverwalter, hat gestern erklärt, im Zuge der Umstrukturierung seien Einsparungen in dreistelliger Millionenhöhe möglich. Wer aus dem Fach ist, weiß, dass die Einsparungen zuerst bei den Arbeitsplätzen vorgenommen werden. Und es geht nicht nur um die Arbeitsplätze bei der Kirch-Gruppe, es geht auch um die Arbeitsplätze bei den Zulieferbetrieben, den kleinen Filmgesellschaften und den Firmen im Umfeld.

Ich lebe im Landkreis München, neben Ismaning, bei Unterföhring, also dort, wo die Konzentration stattfindet. Ich kann Ihnen sagen: Die Ängste dort sind groß, und zwar größer, als Sie denken und als es heute zum Ausdruck gekommen ist. Keiner der Big-four hat über die Ängste der Betroffenen geredet oder sich Gedanken darüber gemacht. Sie haben Good-will-Erklärungen abgegeben; was draußen wirklich los ist, weiß keiner von Ihnen. Die Ängste in der Medienbranche – besonders in der Region München – sind immens. Sie haben hier noch etwas nachzuholen.

Wenn ich Herrn Wiesheu höre, der als Gegenbeispiel Holzmann anführt und sich darüber mokiert, dass der Kanzler für diese Firma Kredite zur Rettung der Arbeitsplätze gegeben hat, muss ich dazu zwei Dinge feststellen: Der Vergleich ist nicht seriös. Der erste Unterschied ist: Schröder hat – im Gegensatz zur Bayerischen Staatsregierung im Fall des Medienkonzerns – nichts dazu beigetragen, dass der Holzmann-Konzern pleite gegangen ist.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CSU: Das ist gegen die Logik!)

Wir kommen gleich dazu. Ich werde Ihnen das logisch nachweisen.

Das Zweite zur Rettung von Arbeitsplätzen mit staatlichen Zuschüssen. Herr Faltlhauser, wie viel an staatlichen Zuschüssen haben Sie bzw. Ihre Vorgänger gegeben, um die Max-Hütte zu retten. Auch dabei sind staatliche Mittel geflossen. Tun Sie doch nicht so, als ob Sie selber nicht auch so etwas machen würden.

Die weitere Frage, über die man zu sprechen hat: Wer trägt die Verluste? Ich habe der Rede des Ministerpräsidenten sehr wohl entnommen, der Steuerzahler sei nicht involviert. Dasselbe haben Sie auch bei der LWS-Affäre gesagt; es steht auch wörtlich in Ihrem Abschlussbericht. Was ist denn damals tatsächlich passiert? Die LWS ist von der Landesbank – auch dort ist sie involviert – gekauft worden, aber nicht von der Landesbank selber, sondern von einem Tochterunternehmen in Berlin, das die Verluste sofort steuerlich abschreiben konnte, das heißt, die Hälfte der Verluste in Höhe von 250 Millionen DM sind über den Steuerzahler gelaufen. Das ist bayerische Finanzpolitik. Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass das Minus, das passiv in der Bilanz steht, nicht durchaus ein Verkaufsargument ist, wenn der Kirch-Konzern teilweise verkauft wird, weil es steuerlich absetzbar ist. Was wird passieren? Auf diesem Weg wird auf jeden Fall wieder der Steuerzahler beteiligt sein. Deswegen kann ich nur sagen: Ich höre die Botschaft, aber mir fehlt der Glaube.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich komme zu den Verantwortlichkeiten: Neun Mitglieder der Staatsregierung sitzen im Verwaltungsrat der Landesbank, davon sechs im Kreditausschuss. Jetzt lese ich, dass Herr Glück gestern in seiner Presseerklärung gesagt hat, es sei typisch für die SPD, dass sie der CSU nur Negatives anlasten wolle; sie solle stattdessen konstruktive Vorschläge zu machen. Das haben wir gemacht, Herr Glück. Wir haben konstruktive Vorschläge gemacht, und zwar nach dem LWS-Untersuchungsausschuss. Wir haben uns damals mit der Frage der Kompetenz der Räte – der Aufsichtsräte bzw. der Verwaltungsräte – befasst. Es gilt nach wie vor das, was wir damals im Abschlussbericht festgestellt haben. Die damaligen Aufsichtsräte – vergleichbar mit den Verwaltungsräten – wussten nicht, weswegen sie entsandt wurden, sie hatten keine Fachkompetenz, Entscheidungen wurden von oben an ihnen vorbei getroffen, sie mussten keine Rechenschaft ablegen, hafteten nicht und wider

sprachen nicht. Genau dasselbe haben wir bei diesem Verwaltungsrat wieder.

Wenn ich mir die Sachkompetenz beim bayerischen Kabinett betrachte, muss ich sagen: Bei Herrn Faltlhauser und Herrn Wiesheu finde ich – ich muss das in aller Kollegialität sagen – eine gewisse Fachkompetenz vor. Ich muss aber die anderen sieben Mitglieder anschauen: Herr Beckstein ist sicherlich ein ehrenwerter Mann und hat in der Sicherheitspolitik bestimmt Verdienste. Ich muss aber fragen, wo seine Kompetenzen in Bezug auf eine Großbank liegen. Dasselbe gilt für Herrn Regensburger und ebenso für Herrn Schnappauf vom Ressort Umwelt; er ist ein ehrenwerter Mann, aber wo liegt seine Fachkompetenz in Bezug auf eine Großbank? Das gilt auch für Herrn Miller, Landwirtschaft, der Schweinepest nicht von Rinderwahnsinn unterscheiden kann. Er ist ein ehrenwerter Mann, aber wo liegt seine Fachkompetenz? Ich stelle Ihnen einfach eine Frage, damit Sie sehen können, dass ich Recht habe: Stellen Sie sich einmal vor, bei der Deutschen Bank, der Dresdner Bank oder der Commerzbank würde ein Aufsichtsrat gesucht und ich würde diese Liste der betreffenden Bank vorlegen und sagen, sie könne sich daraus einen aussuchen. Was glauben Sie, wer von den Genannten genommen werden würde?

(Beifall bei der SPD)

Kenntnisse über das Online-banking sind nicht ausreichend. Was haben Sie gemacht? Man hat lauter – darin liegt eben ein Teil der Schuld der Staatsregierung – Kreisligisten in die Bundesliga des Kreditgeschäfts geschickt; um mit der Fußballersprache zu sprechen. Das kann natürlich nicht gut gehen.

Herr Kollege Gantzer, ich weise darauf hin, dass Ihre viertelstündige Redezeit bald abgelaufen ist. Die ersten Durchgänge waren länger.

Vielen Dank für den Hinweis, Herr Präsident. Ich werde mich bemühen, die Zeitvorgabe einzuhalten.

Ein Punkt kommt noch dazu, nämlich die Einflussnahme der Staatsregierung. In diesem Zusammenhang hat Herr Glück Herrn Hoderlein wirklich beleidigt. Herr Glück, ich muss ehrlich sagen, dass ich das nicht mehr für kollegial halte. Ich muss mich jetzt leider im Tempo etwas steigern: Die Unterstützung für Kirch hat bereits 1984 angefangen. Der Bayerische Rundfunk hat damals für 50 Millionen DM Filmrechte gekauft, und zwar gegen Widerstände. 1997 stieg Kirch in das Bezahlfernsehen ein. Herr Wiesheu wollte über die Landesanstalt für Aufbaufinanzierung einen Großkredit im Umfang von 500 Millionen DM geben; Sie kennen die Geschichte. 1999: LaBa finanziert mit 1,6 Milliarden DM die Übernahme von Premiere von Bertelsmann durch Kirch, Murdoch steigt ein, Stoiber in Los Angeles, neuer Großkredit von 1,5 Milliarden DM, 250 Millionen von der Tochterbank Wabag. Im Jahr 2000 – das ist ganz wichtig – Steuerstrafverfahren gegen Kirch, nach Aussage der Staatsanwaltschaft aus politischen Gründen eingestellt; wenn das keine Unterstützung ist. Im Jahr 2001 Formel-1-Rechte – Anruf

Huber; ich sage das in Kurzform, damit Sie sehen, dass massiv Einfluss genommen worden ist, und zwar von der Staatsregierung in das Kreditgeschäft mit Kirch. Es hat eine starke Unterstützung gegeben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir werden das in den Ausschüssen noch ausführlich diskutieren und Ihnen die einzelnen Aspekte nachweisen.

Ich darf zum Schluss – Herr Präsident, ich hoffe, ich kann das noch ganz ausführen – eine letzte Bemerkung zur Bayerischen Landesbank machen: Keiner der Bigfour ist auf die Bayerische Landesbank eingegangen. Ich möchte Folgendes sagen: Banker sind von Hause aus honorig, verschwiegen, diskret und arbeiten nicht gern in der Öffentlichkeit, arbeiten aber gern effizient. Gerade die Bayerische Landesbank hat bundesweit einen guten Ruf gehabt. Sie ist international tätig. Ich weiß das aus meiner eigenen Zusammenarbeit mit der Landesbank. Ich weiß, was sie macht und wie effizient sie arbeitet.

Wie ist es jetzt? Wenn Sie heute als Angestellter der Landesbank in irgendeiner Gesellschaft sagen, wo sie arbeiten, ernten Sie ein gewisses nachsichtiges verständnisvolles Lächeln, nach dem Motto: Wir nehmen Ihnen das persönlich nicht übel. Ich habe dabei meine eigenen Erfahrungen. Ich weiß von vielen Freunden und Studienkollegen, die bei der Landesbank arbeiten, sowie von den Personalräten, dass im Augenblick alle Mitarbeiter tief von dem getroffen sind, was passiert ist.

Wenn ich dann hören muss, ihr Politiker habt uns reingeritten, dann sollten sie meiner Meinung nach lieber sagen: Die CSU hat uns reingeritten.

(Beifall bei der SPD)

Sie fragen: Wer rettet unseren guten Ruf? Sie von der CSU haben in den vor allem für den Staatshaushalt blühenden Garten die sieben Plagen Ägyptens gebracht. Lassen Sie mich deswegen als letzten Satz sagen: Ich bitte Sie, eine Ehrenerklärung für die Landesbank und ihre Mitarbeiter abzugeben,

(Zurufe von der CSU)

weil die dort Beschäftigten unter dem, was Sie zu verantworten haben, leiden und leiden müssen. Ich glaube, da sollten Sie menschlich sein.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Herr Kollege Dürr.

(Zurufe von der CSU)

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute von den Mitgliedern der Staatsregierung ziemlich viel gehört, zum eigentlichen Thema aber ziemlich wenig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRNEN)

Das eigentliche Thema heute, der Kern der Diskussion ist: Kirch ist pleite, und die Staatsregierung ist dafür wesentlich mit verantwortlich. Das ist das Thema.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CSU: Wo waren Sie in den letzten Stun- den?)

Wir haben eine ziemlich erbärmliche Strategie der Staatsregierung erlebt, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Dazu hat sie alles Mögliche ausprobiert. Der erste Tenor war die Beschwichtigung. Man hat getan, als ob nichts passiert wäre; Pleiten sind ganz normal, oder es gab überhaupt keine Pleite.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)