Protocol of the Session on March 20, 2002

(Hofmann (CSU): Sehr gut!)

Endlich hat sich die Partei bewegt. Ministerpräsident Stoiber wurde in einer großen Tageszeitung wie folgt zitiert:

Das Thema Tierschutz bewegt zunehmend viele Menschen. Die Bürger sind zu Recht empört, wenn Tiere gequält und misshandelt oder vermeidbarem Leid ausgesetzt werden.

Ich sage: Jawohl, Herr Stoiber, Sie haben Recht. Diese Aussage hat aber auch schon im April 2000 gegolten, als ein gemeinsamer Vorstoß von SPD, GRÜNEN, FDP und PDS im Bundestag, den Tierschutz im Grundgesetz zu verankern, leider am Veto der CDU/CSU gescheitert ist. Aber es ist besser, spät als überhaupt nicht zur Einsicht zu kommen. Nachdem Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, ebenso wie die GRÜNEN auch einen Antrag desselben Inhalts gestellt haben, dürften Sie wohl kein Problem damit haben, unserem Antrag zuzustimmen, in dem wir wiederum ein klares Bekenntnis und ein offensives Eintreten des Landtags und der Staatsregierung für den Tierschutz im Grundgesetz fordern.

Die Tierschützer und die SPD freuen sich darüber, jetzt hoffentlich bei wichtigen Tierschutzanliegen auf die Unterstützung des Kanzlerkandidaten der Union Stoiber bauen zu können. Wir fordern in unserem Antrag die Staatsregierung aber nicht nur dazu auf, in der Öffentlichkeit offensiv für die Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz einzutreten – das tun Sie schon bei Veranstaltungen draußen –, sondern dies ebenso offensiv – und das ist das Wichtigere – bei Ihren Mitgliedern im Bundestag zu tun.

Schließen wir gemeinsam im Interesse der Kreatur Tier diese Regelungslücke. Es bedarf nur der Einfügung der drei Worte „und die Tiere“ im Artikel 20 a des Grundgesetzes. Verankern wir den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und den Schutz der Tiere. Ich hoffe auf Ihre Zustimmung und auf ein gemeinsames Vorgehen mit Ihren Kollegen im Bundestag.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Um das Wort hat Frau Kollegin Münzel gebeten.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Die Regierungsfraktionen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD unternehmen zurzeit einen zweiten Versuch, den Tierschutz im Grundgesetz zu verankern. In der Woche vom 13. Mai 2002 wird die Abstimmung darüber stattfinden. Es wird sowohl im Bundestag, als auch im Bundesrat die Zweidrittelmehrheit benötigt, das heißt, auch die Stimmen der CDU/CSU werden gebraucht.

Genau an diesen Stimmen ist das letzte Mal der Versuch der GRÜNEN-Bundestagsfraktion zusammen mit der SPD und mit Unterstützung von FDP und PDS gescheitert, den Tierschutz im Grundgesetz zu verankern. Für uns war es damals vollkommen unverständlich, dass auch die CSU-Bundestagsabgeordneten es ablehnten, den Tierschutz im Grundgesetz zu verankern, nachdem diese ja aus einem Bundesland kommen, in dem der Tierschutz bereits in der Verfassung verankert ist, und das übrigens durch die Initiative der bayerischen Landtagsfraktion. Ich erinnere daran, dass Tessi Lödermann damals erfolgreich die Verhandlungen führte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieses Abstimmungsverhalten war für uns unverständlich. Denn warum soll das, was für die Bayerische Verfassung gilt, plötzlich für das Grundgesetz falsch sein?

Kolleginnen und Kollegen, für uns GRÜNE ist der Tierschutz schon immer ein großes Anliegen gewesen und nicht erst jetzt für den Bundestagswahlkampf erfunden worden. Tiere sind leidens- und empfindungsfähige Lebewesen, und wir stehen in der Verantwortung, diese vor unnötige Leiden und Schmerzen zu schützen.

Dazu bedarf es allerdings der Grundgesetzänderung; denn Gerichtsurteile zeigen, dass der Tierschutz im Konflikt mit verfassungsrechtlichen Grundrechten, wie der Freiheit von Forschung, Lehre, Kunst oder der Berufsund Religionsfreiheit immer auf der Strecke bleibt. Damit es in diesen Fällen zu einer Abwägung zwischen den Interessen des Tierschutzes und der Tiernutzung kommen kann, muss also der Tierschutz in die Verfassung. Wir GRÜNEN wissen das schon lange, nicht erst seit dem letzten Verfassungsgerichtsurteil. Ich hätte mir sehr gewünscht, dass CDU/CSU schon im April 2000 auf uns GRÜNE gehört und der Grundgesetzänderung zugestimmt hätten.

Lassen Sie mich einige Beispiele aus der Vergangenheit nennen, wo es sehr deutlich geworden ist, um was es geht:

Bereits 1994 unternahm der damalige Regierungspräsident, der GRÜNE Hartmut Bäumer in Gießen, zusammen mit der für den Tierschutz zuständigen Ministerin Iris Blaul von den GRÜNEN den Versuch, Tierversuche in der studentischen Ausbildung an der Universität Marburg bei Professor Heldmaier zu untersagen, weil diese gegen das Tierschutzgesetz verstießen. Diese Tierver

suche wurden in Deutschland außer in Marburg nicht mehr durchgeführt, und es gab filmische Darstellungen der Versuche. Das Tierschutzgesetz ist eindeutig. In § 10 Absatz 1 heißt es – ich zitiere:

Tierversuche... dürfen nur durchgeführt werden, soweit ihr Zweck nicht durch andere Mittel, insbesondere durch filmische Darstellung erreicht werden kann.

Obwohl genau dies zutraf, durch Expertengutachten untermauert wurde, und der Regierungspräsident aufgrund des § 10 Absatz 1 des Tierschutzgesetzes vollziehen wollte, scheiterte er an der grundgesetzlich verankerten Freiheit von Forschung und Lehre. Das Tierschutzgesetz war einmal mehr ein zahnloser Papiertiger.

Ebenso schlug der Versuch der GRÜNEN-Ministerin, Frau Blaul, fehl, äußert belastende Affenversuche zu untersagen. Die extreme Belastung der Tiere – ihr Körper und ihr mit Elektroden versehener Kopf wurden im Primatenstuhl fixiert, außerdem wurden sie durch Wasserentzug konditioniert – wurde zwar gutachterlich bestätigt, doch die im Grundgesetz verankerte Freiheit der Forschung wog mehr.

Auch am Urteil des Bundesverfassungsgericht zum Schächten kann man sehen: Der Tierschutz hat keine Chance, weil er nicht im Grundgesetz verankert war.

Diese Beispiele zeigen also sehr deutlich das Ungleichgewicht. Immer, wenn der Tierschutz im Konflikt mit Grundrechten wie Freiheit und Forschung, Lehre und Kunst oder der Berufs- und Religionsfreiheit steht, zieht der Tierschutz automatisch den Kürzeren, und das Tierschutzgesetz greift nicht. Es ist nicht das Papier wert, auf dem es steht. Erst wenn der Tierschutz im Grundgesetz verankert ist, besteht sozusagen Chancengleichheit. Erst dann kann eine Abwägung zwischen den verschiedenen Interessen geschehen.

Wir GRÜNEN hatten vorgestern eine Expertenanhörung zu diesem Thema. Der erste Vorsitzende des Bundesverbandes Menschen für Tierrechte, Dr. Eisenhart von Loeper sagte dort: „Tierschutz ist wie ein Haus, das ein Fundament braucht. Das Fundament ist das Grundgesetz.“ Dieses Bild verdeutlicht sehr klar die Bedeutung der Grundgesetzänderung.

Kolleginnen und Kollegen, es gibt in unserer Gesellschaft einen breiten Konsens darüber, diese Grundgesetzänderung durchzuführen. Es sind dies nicht allein die Tierschützer und Tierschützerinnen, es sind dies auch Landwirte und Landwirtinnen, es sind dies Verfassungsrechtler und Verfassungsrechtlerinnen, es sind dies nach einer aktuellen Umfrage vom März 2002 mindestens 80% der Bevölkerung, und es sind dies auch die Tierärzte und Tierärztinnen. Der Präsident der Bayerischen Landestierärztekammer, Herr Professor Dr. Pschorn machte dies vorgestern bei unserer Anhörung noch einmal deutlich, und er verwies auch auf die Entschließung der Hauptversammlung des Deutschen Tierärztetag vom März 2000, in der ganz klar formuliert ist:

Die Hauptversammlung des 22. Deutschen Tierärztetages fordert den Gesetzgeber auf, den Tierschutz als Staatsziel in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland einzufügen.

Ich glaube, in der Bundesrepublik würde es niemand mehr verstehen, wenn auch dieser Versuch des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD scheitern würde.

Wir haben hier im Bayerischen Landtag eindeutige Beschlüsse für die Aufnahme des Tierschutzes im Grundgesetz. Wir haben die Zustimmung zu einem Antrag der GRÜNEN vom 11.07.2000, und wir haben die Zustimmung zu einem Antrag der CSU vom gleichen Datum. Wir sollten es aber trotzdem nicht dabei bewenden lassen und heute noch einmal ein eindeutiges Signal in Richtung CDU/CSU in Berlin senden – um diese Bundesebene geht es, die Sie so verschämt in Ihrem Antrag kaschieren –,

(Hofmann (CSU): Jeder weiß, wer gemeint ist!)

indem wir den erneuten Vorstoß der Bundestagsfraktionen begrüßen und unserer Beschlüsse bekräftigen. Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Jetzt hat Herr Kollege Hölzl das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CSU setzt sich seit Jahren, um nicht zu sagen Jahrzehnten, für den Tierschutz ein. Das ist unstrittig. Deswegen hat die heutige Diskussion und all dies, was sich in den letzten Monaten und Jahren abgespielt hat, nichts damit zu tun, dass im Jahr 2002 Bundestagswahlen stattfinden und sich unser Ministerpräsident als Kanlzerkandidat zur Verfügung stellt.

(Frau Biedefeld (SPD): Es geht um das Verhalten der CDU/CSU im Bundestag!)

Frau Lück, Sie sagten, Sie setzten und bauten auf Stoiber. Dazu darf ich Ihnen sagen, dass Millionen Menschen auf Stoiber bauen. Wir tun das auch, und auf ihn ist Verlass.

(Beifall bei der CSU – Frau Biedefeld (SPD): Es geht um das Jahr 2000! – Weitere Zurufe von der SPD)

Ich möchte einiges zur Historie sagen: Es ist sehr erfreulich, dass Sie in Ihren Anträgen unterstreichen – insbesondere die GRÜNEN tun das –, dass sich die CSU immer wieder für den Tierschutz einsetzt; denn Sie formulieren in Ihrem Antrag dankenswerterweise und anerkennenswerterweise: „... und fordert die Staatsregierung auf, sich weiterhin für eine Ergänzung des Grundgesetzes Artikel 20 a einzusetzen,...“ Wir tun das permanent.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Münzel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Lassen Sie mich ausreden, Sie müssen nicht aufgeregt sein.

Ich möchte darauf hinweisen, dass wir 1998 gemeinsam dafür gesorgt haben, dass der Tierschutz in die Bayerische Verfassung aufgenommen wurde. Wir haben den Satz damals mit Entscheidung der Bevölkerung eingefügt: „Tiere werden als Lebewesen und Mitgeschöpfe geachtet und geschützt.“

Mir scheint auch wichtig zu sein, was wir gemeinsam in der Begründung zu der Verfassungsänderung formuliert haben. Ich lese auszugsweise vor. Zunächst werden die Mitgeschöpfe Tiere benannt. Danach heißt es :

Sie werden im geltenden Tierschutzgesetz des Bundes als schutzbedürftige Lebewesen und Mitgeschöpfe rechtlich anerkannt.

Jetzt kommt ein wichtiger Satz:

Um diesem Anliegen im Rahmen der Vollzugszuständigkeiten des Landes auch gegenüber Verfassungsgütern, wie zum Beispiel der Forschungsfreiheit, den notwendigen Stellenwert zu verleihen und eine entsprechende Güter- und Interessenabwägung zu ermöglichen – soweit das Bundesrecht hierfür einen Spielraum lässt –, soll der Tierschutz als Staatsziel in der Verfassung verankert werden.

Ich betone diesen Satz deswegen, weil er deutlich macht, dass es uns schon immer um diesen Abwägungsprozess und um die Stärkung des Tierschutzes ging. Im Jahr 2000 hatten wir eine Situation, die ich nicht beschönigen will.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Lück (SPD))

Diese Situation wurde von Ihnen, Frau Lück, schon beschrieben, und zwar wahrheitsgetreu. Es lag ein positiver Beschluss des Kabinetts vor. Es lag ein positiver Beschluss der CSU-Landtagsfraktion vor, und es lagen positive Beschlüsse des Plenums zu mehreren Anträgen, auch von Ihrer Seite, vor. Dann war es so, dass sich die Kolleginnen und Kollegen in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nicht dazu entschließen konnten, Ja zu dieser Ergänzung des Grundgesetzes zu sagen. Das müssen wir heute nicht leugnen. Das ist so gewesen, leider, sage ich dazu. Ich habe selbst um all diese Dinge gekämpft.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Lück (SPD))

Es hat keinen Sinn, über die Vergangenheit zu lamentieren, zu weinen und zu schimpfen. Es gab für die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ganz offenkundig Gründe, die sie anders haben entscheiden lassen, auch wenn nicht jeder diese Gründe akzeptiert, das räume ich ein. Ich hatte auch eine andere Auffassung. Es gab andere Gründe dafür, beispielsweise, dass das Staatsziel Tierschutz nicht in die Struktur des Grundgesetzes passt, oder dass man Sorge um

den Forschungsstandort Deutschland hatte, oder dass man der Meinung war, dass die Probleme der Massentierhaltung und der Tiertransporte nur im europäischen Konsens bewältigt, verbessert und geregelt werden können und nicht durch eine Regelung im Grundgesetz. Das ist Geschichte.

(Zuruf des Abgeordneten Gartzke (SPD))

Realität ist, dass wir heute einen wichtigen Tag für den Tierschutz in Bayern und in Deutschland haben, weil wir das Ziel einer Ergänzung des Grundgesetzes erneut anstreben. Aus vielen Gesprächen, die ich geführt habe und aus Schreiben, die ich erhalten habe, weiß ich, dass das Urteil vom 15. Januar zum Schächten den einen oder die andere – das sind im Übrigen sehr viele – wieder aufgerüttelt hat. Viele sagen: Nein, so nicht, jetzt ist Schluss. Die aus der CSU/CDU-Bundestagsfraktion gegebenen Signale geben Hoffnung, dass im Mai eine Zustimmung erfolgen wird.