Protocol of the Session on January 29, 2002

Für die Öffentlichkeit ist klar, wer die Täter sind und wer die Untätigen. Herr Minister Sinner, die Frage, die uns alle bewegt, lautet: Wie konnte ein Labor so lange illegal arbeiten? Amtliche Tierärzte, so haben Sie erklärt, hätten davon gewusst. Warum haben Sie nicht gehandelt? Es geht um eine Unmenge von Unregelmäßigkeiten in großem Maßstab und über einen langen Zeitraum hinweg. Drastische Mängel gab es sowohl in den Filialen als auch in der Zentrale. Überall fand man Hinweise auf die Überforderung des Personals bzw. auf eine nicht ausreichende Anleitung und Überwachung. Soll das alles niemandem aufgefallen sein, obwohl das Passauer Labor mehrfach angemahnt worden war, schon im Januar letzten Jahres und erneut im März?

Warum war die Qualität dieses und anderer Labore so fragwürdig? Die Tests dort kosten weniger als die Hälfte als in seriösen Laboren. Meines Wissens wurde im Ministerium schon früher diskutiert, ob man zu diesen Preisen überhaupt Qualität anbieten könne. Herr Minister, Sie haben immer selbstbewusst erklärt, Ihr Ministerium sei lobbyfest.

(Ach (CSU): Jawohl!)

Sie hätten auch dafür sorgen müssen, dass die Labore lobbyfest sind,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

denn der Preisdruck, Kollege Ach, den große Auftraggeber ausüben, ist in erster Linie ein Druck auf die Qualität. Die Materialkosten sind für alle gleich, und auch das nötige Fachpersonal kostet woanders kaum weniger. Die große Frage ist also, wie solche Preisunterschiede zustande kommen können, wenn nicht auf Kosten der Qualität.

Herr Minister, meine Frage lautet: Hat die Qualität der BSE-Tests auch Auswirkungen auf die innerbayerische BSE-Statistik? Ist das ein Grund, warum es in bestimmten Regionen keine BSE-Fälle gibt?

Sie haben uns immer erzählt, wie hoch die bayerischen Sicherheitsstandards sind. Jetzt aber müssen Sie bessere Kontrollmaßnahmen ankündigen. Sie sprechen viel von gläserner Produktion. Wo bleibt die gläserne Behörde, wo die gläserne Kontrolle? Sie kündigen als großartige Konsequenzen Maßnahmen an, von denen wir annehmen mussten, Sie hätten sie schon längst umgesetzt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sagen, jetzt gebe es schärfere Kontrollen für BSELabore. Was haben Sie denn bisher gemacht? Sie wollen interne Qualitätsmanagements vorschreiben. Warum? Waren Akkreditierung und Zertifizierung bisher ins Belieben der Labore gestellt, und wer sie durchführte, war selber schuld, weil der damit die Kosten in die Höhe trieb und mit den Pfuschern nicht mithalten konnte?

Am 18. Januar – wohlgemerkt dieses und nicht letzten Jahres – sagten Sie, Herr Minister, der „Süddeutschen Zeitung“, in den angemeldeten Laboren müsse natürlich ein Kontrollsystem greifen, Milan lege jetzt selbst Zertifizierungen vor, man wolle wissen, was sie bedeuten, was im Wege der Fremdkontrolle getan wurde. Meine Frage, Herr Minister: Warum wollen Sie das erst jetzt wissen? Ich habe immer gedacht, es wäre Ihre Aufgabe als Kontrolleur der Kontrolleure, danach zu schauen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schließlich kündigen Sie die systematische Überprüfung aller BSE-Testergebnisse durch das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit an. Meine Frage, Herr Minister: Warum haben Sie das bisher nicht überprüft?

Dies alles lässt nur den Schluss zu: Die staatliche Aufsicht hat in skandalöser Weise versagt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Minister, Sie haben nicht nur als Kontrolleur versagt, Sie haben auch als Krisenmanager versagt. Es hat viel zu lange gedauert, bis Sie endlich gehandelt haben.

Am 10. Dezember letzten Jahres wurde das illegale Labor durch einen Zufall entdeckt. Aber erst am 18. Januar dieses Jahres wurde der Firma, die so skandalös gehandelt hatte, die Lizenz entzogen. Dazwischen lag mehr als ein Monat. Am 17. Januar haben wir gefordert, alle BSE-Labore, nicht nur Milan, auf Genauigkeit und Sorgfalt zu untersuchen, und „schon“ eine Woche später haben Sie gesagt, dass Sie das jetzt tun.

Am 18. Januar nannten Sie den Fall Milan einmalig, und fünf Tage später erklärte die Staatsanwaltschaft Kempten, dass sie in einem Münchener und Nürnberger Labor wegen des Verdachts ermittle, dass Fleisch nach ungenügenden oder unvollständigen BSE-Tests in den Verkehr gekommen sei. Der Fall sei mit der Affäre um den Passauer Laborbetrieb Milan vergleichbar. – Von wegen einmalig!

Meine Frage, Herr Minister: Wie wollen Sie so das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher wiedergewinnen? Das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher gewinnt, wer die Risiken nicht leugnet und alles tut, um sie zu vermeiden. Sie dagegen haben sofort mit Beschwichtigungspolitik reagiert und gesagt, es bestehe keinerlei Gefahr. Beschwichtigungspolitik hat den BSESkandal damals erst zu dieser Größe anwachsen lassen. Nirgendwo war der Skandal größer als in Bayern,

weil nirgendwo massiver geleugnet und beschwichtigt wurde.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Heute sprechen Sie von einem mehrstufigen Sicherheitssystem. „Zwei Hosenträger und ein Gürtel“, sagen Sie immer. Der erste Hosenträger, die BSE-Tests, taugt nichts, das haben wir jetzt gesehen. Der zweite Hosenträger sind die angeblich sicheren Schlachtmethoden, die Absaugmethoden. Meines Wissens gibt es diese Absaugmethoden nur auf dem Papier. Die kleineren Schlachthöfe verwenden sie überhaupt nicht; bei den großen gibt es zwar diese Methoden, aber sie werden nur äußerst zögerlich eingesetzt, vermutlich nur dann, wenn der Minister da ist; denn das Absaugen des zähen Rindermarks ist eine enorme Arbeit, ist äußerst mühsam und dauert länger als der gesamte übrige Schlachtvorgang. Also auch dieser Hosenträger ist ausgeleiert. Wollen wir nur hoffen, dass nicht auch noch der Gürtel zu locker sitzt.

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie bitte?

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie rutscht!)

Ja, sie rutscht schon. – Er sollte sie herunterlassen. Das ist eine gute Idee.

Es ist gerade das Leugnen eines Risikos, das die Verbraucherinnen und Verbraucher genauso stark verunsichert wie fehlende Kontrollen. Hören Sie also endlich mit dem leichtfertigen Gerede auf. Sorgen Sie endlich für eine Kontrolle aus einer Hand. Beenden Sie den Behördenwirrwarr, den die so genannte Verbraucheroffensive angerichtet hat. Geben Sie den wenigen verbliebenen seriösen Laboren Planungssicherheit, und sorgen Sie dafür, dass das Landesamt genügend qualifiziertes Kontrollpersonal hat, sonst wird es mit Ihrem Ministerium noch schneller vorbei sein, als wir bei der Gründung vorausgesagt haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann werden Sie nämlich nicht einmal die nächste Regierungsbildung erleben. Diese wird Ihrem Ministerium ohnehin ein Ende setzen, ganz gleich, wer die Regierung stellt.

(Lebhafter Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ein Hinweis: In München tagen zur Zeit die Partnerregionen Bayerns, nämlich Oberösterreich, Quebec, Shandong und Westkap. Eine Vertretung der Provinz Westkap, südafrikanische Republik, ist zu Besuch bei uns, an ihrer Spitze der Minister für Landwirtschaft, Tourismus und Glücksspiel, Johan Gelderblom. Ich begrüße sie herzlich.

(Allgemeiner Beifall)

Nun gebe ich das Wort an Kollegen Starzmann. – Zehn Minuten, Herr Starzmann.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die Affäre Milan ist zu einer Affäre Sinner geworden.

(Widerspruch bei der CSU)

Die erste Frage ist: Welche Gefährdung der Verbraucher war eigentlich entstanden? Es handelte sich doch von vornherein nicht um die Feststellung technisch fehlerhafter Tests, sondern um die fehlerhafte Überprüfung eines Labors durch die Behörden im Verantwortungsbereich des neuen Ministers Sinner. Niemand konnte mit Belegen behaupteten, es gebe falsche Tests. Allerdings, eine Überprüfung und Schließung des Labors war sicherlich zu veranlassen, weil eine Genehmigung des Labors nicht vorlag. Aber die 273 erwähnten Beanstandungen aus den 40000 Tests in Westheim, aus den 40000 dort durchgeführten Untersuchungen, werden derzeit überprüft. Dabei handelt es sich nicht um 273 einzelne Testverfahren, sondern um Verfahren auf Titerplatten, die jeweils 90 Proben enthalten. Nach und nach stellt sich heraus, dass zum Beispiel einige angeblich falsche Untersuchungen nicht Fehler bei den Testreaktionszeiten, sondern Fehler bei der Computereingabe waren. Und oh Wunder: Am Sonntag waren es nur noch 90, und derzeit sind es nur noch 47. Vielleicht sind es bald null fehlerhafte Tests.

Minister Sinner hat mit seinem Vorgehen die Verbraucher unnötig und zutiefst verunsichert. Er hat den Eindruck entstehen lassen, es komme nicht getestetes bzw. falsch getestetes Fleisch in den Verkehr. Mc Donald’s musste eine riesige Anzeige aufgeben und versichern, dass es sein Fleisch zurückziehe. Schiffe liefen aus den Häfen nicht nach Korea aus, weil Minister Sinner glauben machte, hier sei giftiges Fleisch unterwegs. Dann versuchte Sinner durch Schuldzuweisungen an die Firmen, die die Tests in Auftrag gaben, von seiner Verantwortung für die Überwachung und Sicherstellung ordnungsgemäß arbeitender Labors abzulenken. Sinner hat aber seine Hausaufgaben selber nicht gemacht. So waren zum Zeitpunkt der Anordnung der Schließung des Labors noch circa 1000 Proben vorhanden, es wurde aber versäumt, diese Proben unverzüglich gegenzutesten, um wenigstens einen Überblick über die Zuverlässigkeit der zurückliegenden Tests zu bekommen

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

und um dadurch die mögliche Gefahr für den Verbraucher abzuschätzen bzw. möglicherweise zu entkräften. Auf diesem Trip ist er nämlich derzeit. Immerhin war ja in Westheim getestetes Fleisch ein halbes Jahr lang mit dem Stempel amtlicher Veterinäre in Verkehr gebracht worden.

Die zweite Frage ist: Was ist mit dem in Westheim getesteten Fleisch eigentlich los, und was ist passiert? Immer trug das in Westheim getestete Fleisch den Stempel amtlicher Veterinäre, es sei verkehrsfähig, ein halbes Jahr lang. Minister Sinner hat die Veterinärämter niemals

angewiesen – auch nach der Schließung des Labors nicht –, diese Freigabe zu widerrufen, weil er sonst den Grund hätte nennen müssen. Der Grund ist nämlich: Seit dem 27. Juli konnte in Bayern ein Testlabor unbeanstandet mit amtlichen Stellen zusammenarbeiten, obwohl ihm die formale Anerkennung fehlte.

(Beifall bei der SDP)

Sinner hätte also erklären müssen, dass das Fleisch von circa 40000 getesteten Rindern nicht verkehrsfähig ist, weil bayerische Behörden in seinem, Sinners, Verantwortungsbereich geschlampt haben.

Das hätte möglicherweise zu Schadenersatzforderungen von rund 80 Millionen DM geführt. Es hat aber nur zu einer Krisensitzung in der Staatskanzlei geführt, weil man vor 80 Millionen DM Schadensersatz gegen die Staatsregierung natürlich zusammenzuckt. Minister Sinner musste seine Position über die Nichtverkehrsfähigkeit dieses Fleisches um 180 Grad ändern.

Meine Damen und Herren, wer ist denn schuld, dass ein nicht lizenziertes Labor eingesetzt wurde und ein halbes Jahr lang amtliche Ergebnisse liefern konnte? Sicherlich zuallererst die Firma Milan – das gebe ich zu –, die nie einen Antrag auf Zulassung des Zweiglabors in Westheim gestellt hat. Wieso aber konnte dieses nicht zugelassene Labor seit Juli 2001 zirka 40000 Tests in Zusammenarbeit mit amtlichen Veterinären und Behörden durchführen, obwohl feststeht, dass alle Veterinärämter die Namen der zugelassenen Labors vorliegen haben und leicht hätten überprüfen können, ob Westheim zugelassen ist, und obwohl amtliche Veterinäre laufend Probenbegleitscheine ausdrücklich für Milan Westheim ausstellten? Uns liegen Beweise vor, Herr Sinner, und zwar nicht nur, wie Sie sie uns vorlegen, vom Dezember, kurz vor Schließung, sondern bereits seit einem halben Jahr, dass amtliche Stellen an Milan Westheim schreiben.

Es ist so, dass die rücklaufenden Probenbegleitscheine sämtlich die Faxleiste „Milan Westheim“ und den Stempel „Milan Westheim“ trugen und wiederum von amtlichen Veterinären gegengezeichnet wurden. Und es ist so, dass bei Kontrollen der Firma Milan in Passau den amtlichen Kontrolleuren die Ordner Passau und die Ordner Westheim vorlagen.

(Zuruf von der SPD: Pfui!)

Die Beweisstücke sind bei der Staatsanwaltschaft. Niemand von den amtlichen Kontrolleuren im Verantwortungsbereich des Herrn Sinner fragte danach, was „Westheim“ bedeuten soll.

Aber – jetzt kommt es, meine Damen und Herren – auch das Ministerium unmittelbar – vergleichen Sie das mit anderen Vorgängen, die Sie heftig kritisieren – stand in Kontakt mit Milan Westheim über nicht testfähige Proben. Wenn zum Beispiel im Schlachthof für eine Testung nicht geeignetes Gewebe entnommen wurde – in zwei Fällen wurden solche Proben von amtlichen Veterinären nach Westheim geschickt –, dann muss das Sinner-Ministerium unmittelbar informiert werden. Zwei solche

Probeergebnisse von der Firma Milan Westheim sind im zweiten Halbjahr 2001 eindeutig erkennbar aus Westheim an das Ministerium berichtet worden. Die Beweisstücke befinden sich bei der Staatsanwaltschaft.

Meine Damen und Herren, grobe, gefährliche Fehler von Beamten müssen verantwortet werden – von den Beamten oder vom Minister. Die Presseerklärung des Ministers von gestern mit dem Inhalt „Jetzt wird aber scharf geprüft!“ oder „Der Staat macht’s selber!“ enthält eine Erkenntnis, die um mindestens ein Jahr zu spät kommt.