Ich halte die Ergebnisse der Pisa-Studie für derart bedrückend und niederschmetternd, dass keine Auseinandersetzung geführt werden sollte, Frau Hohlmeier, wie Sie sie soeben begonnen haben. Das Argument kam auch gestern in der Münchner Runde von Ihnen und von niemand anderem, dass ideologische Grabenkriege der Siebziger- oder Sechzigerjahre geführt werden. Wer von uns macht das denn, bitte?
Wir haben die Form der Aktuellen Stunde gewählt, um uns in kurzen Beiträgen darüber zu verständigen, dass die Lage bescheiden ist, um nicht ein ordinäres Wort im Landtag zu verwenden, und dass es wirklich an der Zeit ist, hier endlich etwas zu tun, und zwar möglichst gemeinsam. Die Testergebnisse der Pisa-Studie sind nicht neu; Ähnliches ergab auch schon die Tims-Studie. Die Leseverständnisstudie von Tims hatte null Konsequenzen, auch in Bayern keine Konsequenzen, auch nicht in anderen Bundesländern. Wir geben ja zu, dass es in anderen Bundesländern, in denen die SPD regiert, nicht unbedingt besser sein muss. Deswegen muss von den Vorschlägen des Forums Bildung etwas realisiert werden. Ich finde das Spiel traurig, dass in Berlin vom Forum Bildung Leitlinien verabschiedet werden, die man in Bayern nicht einmal liest. Ich finde es dem traurigen Ergebnis der Pisa-Studie, dass wir uns am Ende der Vergleichsskala befinden, einfach nicht angemessen, dass Sie uns ideologische Grabenkriege vorwerfen und uns in diese oder jene Ecke stellen.
Die Lage ist fatal, und Lösungen müssen gesucht und gefunden werden, und zwar möglichst bald und möglichst nicht auf dem Rücken der Schülerinnen und Schüler. Die Antwort auf die Tims-Studie bestand nach meiner persönlichen Statistik – ich bin nicht im Bildungsausschuss, sondern in einem anderen – darin, dass ein Kind, das in Bayern 1998 die Grundschule verlassen hat, ein ganzes Vierteljahr weniger Schulunterricht hatte als ein Kind, das 1991 die Grundschule nach vier Jahren, also nach gleicher Schulzeit verlassen hat.
Innerhalb von vier Jahren war es ein Vierteljahr weniger Unterricht. Herr Knauer, das ist ein Vierteljahr weniger Bildung. Da wurde nicht nur die zweite oder dritte Religionsstunde in der zweiten Jahrgangsstufe gestrichen, sondern es wurde im grundlegenden Unterricht gekürzt, zum Beispiel im Fach Heimat- und Sachkunde. Das war ein Fehler.
Die Leseverständnisstudie von Tims hatte null Konsequenzen. Jahrgangstests einzuführen, kann eine Ant
wort sein; das will ich durchaus zugestehen. Das kann zwar eine Qualitätskontrolle sein, aber das reicht nicht aus.
Ich besuche derzeit am Abend viele Schulveranstaltungen in Bayern und höre von den Eltern, dass es jetzt mehr junge Lehrer an den Schulen gibt. Das Einstellungsprogramm macht sich bemerkbar. Warum sind die jungen Lehrer nach einem Jahr aber genauso fertig wie die alten? Warum sind sie nach einem Jahr an der Schule genauso müde wie die alten Lehrer, zwar nicht unbedingt lustlos, aber deprimiert?
Liegt es an der Bürokratie, die ihnen kein Ausprobieren erlaubt? Liegt es an den Lehrerkollegen, die ihnen keinen projektbegleitenden Unterricht zugestehen wollen, weil man dafür mehr Stunden braucht? Woran liegt es? Das sollten wir gemeinsam untersuchen.
Wir haben aus Teil 2 und Teil 3 der Tims-Studie und aus der Pisa-Studie ganz eindeutig zu lernen, dass dort, wo der Zugang zur Bildung breit ist, wie in Finnland, Schweden, Dänemark und neuerdings auch in Italien, auch die Elite breiter und besser ist. Bei uns sind leider Zugang und Elite schlecht. Ich halte es für einen nicht guten, um nicht zu sagen falschen, Weg, den Zugang zur weiterführenden Bildung – das ist jetzt meine persönliche Ansicht – nach vier Jahren Grundschule zu regeln. Ich halte es auch nicht für richtig, nur einem bestimmten Teil der Schülerinnen und Schüler eine Hochschulbildung zuzugestehen, nämlich dadurch – davon wird heute Nachmittag noch die Rede sein –, dass Sie heute noch beschließen werden, Eingangstests für das Studium zu schaffen. Wir suchen aber nicht gleichzeitig anderswo nach Talenten. Man könnte vielleicht den Hochschulzugang gut bis sehr gut gebildeten Leuten öffnen, die aus der beruflichen Bildung hervorgehen.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Angesichts der Ergebnisse der Pisa-Studie sollten wir heute Nachmittag nicht etwas schönreden oder irgendetwas beiseite drücken, sondern wir müssen vielmehr all diese Aussagen sehr ernst nehmen, sorgfältig analysieren und auswerten. Wir sollten auch Geduld bewahren und abwarten, bis die letzten Untersuchungen der Pisa-Studie vorliegen.
Wir müssen uns darauf einigen, dass es auf die von der Studie aufgezeigten Mängel und auf die von ihr aufgeworfenen Fragen keine schnellen und vor allem keine einfachen Antworten und Lösungen gibt. Wir sollten die Vorschläge, die uns täglich, ja nahezu stündlich von den
Bildungsexperten momentan geliefert werden, sehr genau unter die Lupe nehmen und vor allem bedenken, dass unser Bildungssystem sehr komplex ist, sodass mit Schlagworten und Einzelmaßnahmen keine Lösung erreicht werden kann.
Ich glaube, dass wir trotz der bedrückenden Aussagen der Pisa-Studie in Bayern keine neuen Bildungskonzepte brauchen. Vielmehr müssen wir unser Bildungssystem insgesamt reformieren. Wir müssen unsere Finanzen – das sage ich auch ganz deutlich – in manchen Bereichen vielleicht etwas effizienter als bisher einsetzen. Wir müssen auch bereit sein, einmal über unliebsame Dinge nachzudenken.
(Hofmann (CSU): Über die Präsenzpflicht der Lehrer! – Frau Radermacher (SPD): Sagen Sie das doch einmal laut!)
In der Studie wurden viele Faktoren genannt, die mit der Leistung von Schülern in Verbindung gebracht werden können. Einen Faktor, den ich persönlich auch für wichtig halte, hat soeben die Ministerin angesprochen, nämlich die Schuldisziplin. Dieser Gesichtspunkt hat in den vergangenen Jahren in vielen Einrichtungen gewiss nicht den Stellenwert gehabt, der notwendig wäre, um ein hohes Leistungsniveau an unseren Schulen zu erreichen. Mich hat allerdings die Aussage bedenklich gestimmt, dass die Erwartungen unserer Lehrkräfte bezüglich eines angemessenen Leistungsniveaus unserer Schüler überwiegend gering sind.
Noch tiefer hat mich persönlich betroffen, dass das Interesse der Lehrkräfte für den Lernfortschritt des Einzelnen, verbunden mit der individuellen Unterstützung der Schüler beim Lernen, nach Aussage vieler Schüler vor allem im Gymnasium ebenfalls sehr gering ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, viele Themen wurden im Vorfeld angesprochen und aufgegriffen. Ich glaube, wir in Bayern brauchen uns nicht zu verstecken. Ich möchte ein Wort dazu sagen, was in den vergangenen Jahren aufgegriffen wurde und was unsere Fraktion zum Thema Lehrerbildung eingebracht hat. Unser Entschließungsantrag wurde vom Landtag beschlossen. Zwischenzeitlich fand eine Anhörung statt. Jetzt sollten wir im Lichte der Pisa-Studie die Lehrerbildungskonzepte noch einmal durchgehen, um die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Wir legen Wert darauf, dass die Professionalität unserer Lehrer im Vordergrund steht. Die Kompetenz zum zeitgemäßen und richtigen Unterrichten und Erziehen muss ebenso vorhanden sein wie die Kompetenz zur Diagnose und Förderung, genauso wie zur Beratung und zur Konfliktregelung. Im harten schulischen Alltag brauchen unsere Lehrkräfte ein gutes Handwerkszeug.
Ich möchte noch ansprechen, was mich während unserer vielen Gespräche an den Lehrerbildungsuniversitäten in Bayern betroffen gemacht hat. Sehr viele Lehr
amtsstudenten haben sich beklagt, dass sie an den Universitäten das fünfte Rad am Wagen seien. Sie fühlen sich benachteiligt und nicht ernst genommen. Auch dies muss in ein Reformkonzept einfließen, damit Verbesserungen angestrebt werden können. Wir werden auch über die Angebote der Erziehungswissenschaft und der Fachdidaktik an den Universitäten zu reden haben.
Ich komme zum Schluss: Uns ist mit dieser Studie ein Spiegel vorgehalten worden. Das soll uns Anlass sein, im Interesse unserer Kinder über das eine oder andere nachzudenken und in Verantwortung die entsprechenden Schlüsse zu ziehen.
Herr Präsident, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen! Ich wollte zwar nicht Gefahr laufen, auf den Redner einzugehen, aber ich kann mir nicht verkneifen, zum Redebeitrag von Herrn Knauer zu sagen: Es ist vernünftig, dass er sich wegbewirbt, weil er bei der Bildungspolitik nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit ist.
Das Thema eignet sich zu einer ernsthaften Diskussion, weil zum einen die Ergebnisse der Studie Sorge bereiten und es zum anderen wichtig ist, den Familien klarzumachen, was das Ergebnis für sie bedeutet. Interessant ist die Fragestellung, ob die Erforschung überraschend war und ob unbekannt gewesen ist, was erforscht wurde.
Es gab die OECD-Studie, es gab die Tims-Studie, und es gab in Bayern den Sozialbericht 1998. Wahrscheinlich wurde er nicht eingehend genug gelesen; denn sonst hätte man viel von dem wissen können, was in der Pisa-Studie steht. Man hätte es früher wissen und darauf reagieren können. Anscheinend nimmt die Staatsregierung ihre eigenen Berichte nicht ernst. Wenn ich den Redebeitrag von Frau Staatsministerin Hohlmeier richtig verstanden habe, so ist in Bayern alles in Ordnung, bestens und richtig. Ich kann mich mit dem Ergebnis der Studie nicht zufrieden geben. Dort ist zu lesen – das ist das Schlimmste am Ergebnis –, dass es nach wie vor vom Geldbeutel der Eltern abhängt, ob ein Kind etwas lernen darf und kann. Das ist skandalös.
Es erinnert mich an meine Schulzeit. Damals konnte man als Bauernkind nichts lernen, weil die Eltern nicht das nötige Geld hatten.
Herr von Rotenhan, das ist Mittelalter; denn nur wenn die Eltern die Nachhilfe oder den Internatsbesuch zahlen können, ist alles Paletti. Wer dies nicht kann, muss schauen, wo sein Kind bleibt. Das darf nicht hingenommen werden. Das ist die schlimmste Erkenntnis aus der Pisa-Studie.
Aus der Pisa-Studie wird außerdem deutlich, dass die Schultypen die Barrieren aufstellen. Vor allem für Bayern trifft Folgendes zu: Wer einmal in einer bestimmten Schublade steckt, kommt nicht mehr heraus. Das muss geändert werden; und das können wir in Bayern sehr wohl ändern.
Ernüchternd ist außerdem, dass der gesellschaftliche Aufstieg nicht mehr durch Bildung möglich sei. Dieses Fazit muss man ziehen, wenn man die Konsequenzen der Studie betrachtet. Damit können sich Sozialdemokraten nicht zufrieden geben.
Mich erinnert das Ergebnis an das Mittelalter. Damals sagte der Fürst zum Pfarrer: Ich halte die Leute arm, und du hältst sie blöd. Ich meine, dass wir mit unserer Zukunft so nicht umgehen können.
(Vereinzelter Beifall bei der SPD – Freiherr von Rotenhan (CSU): Da klatschen nicht einmal Ihre eigenen Leute!)
Das Problem besteht darin, dass ich in Dialekt gesprochen habe. Sie haben Recht, ich sollte Hochdeutsch sprechen.
Ich möchte auf ein weiteres wichtiges Thema hinweisen. Es ist die vorschulische Erziehung und Bildung. Frau Kollegin Münzel und weitere Vorrednerinnen haben das Thema bereits angesprochen. Die Studie macht deutlich, dass die Weichen für Bildungs- und Lebenschancen in den ersten Lebensjahren gestellt werden. Das müssen wir aufgreifen. Hier müssen wir viel mehr tun. Wir müssen das Vorschulalter und die Einschulungsphase weitaus wichtiger als bisher nehmen und uns etwas einfallen lassen. Ich schließe mich der Forscherin Elschenbroich an, die gesagt hat, dass der Schatz der frühen Kindheit in dieser Republik verkomme. Wenn wir die Bildung in der frühen Kindheit nicht ernst nehmen, werden wir die Zeit, in der die größten Schritte in der Entwicklung des Kindes gemacht werden, nicht nutzen. Die Pisa-Studie zeigt das.
Außerdem sollten wir die Einschulungsphase ernster nehmen, das Scharnier zwischen Kindergarten und Schule ölen und das eine oder andere besser pflegen. Die Verzahnung zwischen Kindergarten und Schule muss wesentlich besser werden. Das letzte Kindergartenjahr muss – diese Forderung möchte ich noch einmal erheben – kostenfrei und verpflichtend für alle Kinder werden.