Protocol of the Session on October 10, 2001

(Frau Radermacher (SPD): 32 genau!)

die es in ihrer Vielfalt zu erhalten und auszubauen gilt. Ich darf einige Beispiele nennen, und es ist wichtig, dass wir darauf hinweisen, meine Damen und Herren, weil wir diese Vielfalt erhalten wollen.

(Frau Radermacher (SPD): Ein Durcheinander!)

Eltern-Kind-Gruppen im Familienselbsthilfebereich, Eltern-Kind-Programme der kirchlichen Verbände, das Netz für Kinder, Mütterzentren, Familienzentren, Tagespflegeangebote, insbesondere Tagesmütter, Kinderkrippen, die Altersöffnung für unter Dreijährige in den Kindertagesstätten. Das ist der Bereich der Kinder bis zum 3. Lebensjahr. Dann für Schulkinder altersübergreifende Konzepte, Horte, wobei wir uns auch eine starke Vernetzung mit dem Schulbereich vorstellen – hier gibt es einen erheblichen Handlungsbedarf –,

(Frau Radermacher (SPD): Weiß Gott! – Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Sie haben sich doch nicht darum gekümmert!)

die Ganztagesbetreuungsangebote im Schulbereich und die schulischen Angebote.

Besonders müssen wir dabei auch berücksichtigen, meine Damen und Herren, dass wir auf kurze Sicht ein Kinderbetreuungsgesetz benötigen, das gerade diese Vielfalt sicherstellt. Und wenn ich vorhin aus Ihren Reihen – ich weiß nicht, wer es gewesen ist – das Wort „Durcheinander“ gehört habe, muss ich feststellen: Bayern ist ein Flächenstaat. Ich muss das noch einmal sagen. Wir dürfen bewährte Strukturen nicht kaputt machen, sondern wir müssen maßgeschneiderte Konzepte jeweils vor Ort finden.

(Beifall bei der CSU)

Als wesentliche Punkte eines solchen Gesetzes sollten Regelungen die möglichst flexible Förderung der verschiedenen Betreuungsangebote unter Aufrechterhaltung der Vielfalt an Betreuungsformen sicherstellen, eine weiter gehende Verwaltungsvereinfachung, die Sicherstellung der Verlässlichkeit des Angebots – das ist ganz wichtig für die Eltern –, Maßnahmen zur Qualitätssicherung und die Zusammenarbeit von Kinderbetreuungseinrichtungen und Eltern sowie die Kooperation aller an der Erziehung von Kindern beteiligten Betreuungs- und Beratungsinstitutionen.

Wir müssen aber bei der Förderung der Betreuungseinrichtungen gerade auch im Schulbereich unbedingt besonders die Aktivitäten des schulischen Umfeldes berücksichtigen, viele Formen der Mittags- und Hausaufgabenbetreuung, Musikschulen oder auch die Vereine, in denen sich viele Kinder und Jugendliche aufhalten. Kollege Maget, wenn ich an unseren Bereich denke, so gilt das auch für die Kinder in den Sportvereinen. Ihre Kinder sind auch in Sportvereinen aktiv. Es ist wichtig, dieses Angebot mit den Schulen zu vernetzen. Es ist sicherzustellen, dass die wertvolle Arbeit für Kinder und Jugendliche auch in Zukunft angeboten werden kann. Wir erleben, dass es insbesondere viele Musikschulen und auch Vereine gibt, die Sorge haben, dass sie sich nicht mehr entsprechend entwickeln können, wenn es verpflichtende Einrichtungen gibt. Dagegen wollen wir mit einem flexiblen Angebot auftreten.

Wir sagen deshalb Ja zu dieser bewährten Arbeit, die im schulischen Bereich vernetzt werden muss.

Gerade in Ballungsräumen erleben wir aber auch einen überdurchschnittlichen Bedarf an Betreuungsangeboten. Ich darf nochmals an die zunehmende Erwerbstätigkeit beider Elternteile und an die Zunahme der Zahl allein erziehender Familien erinnern. Hierauf müssen wir natürlich reagieren. Hierauf muss auch mit einem flexiblen Angebot im schulischen Bereich reagiert werden.

Gerade diese Vielfalt ist es, die am besten in der Lage ist, die Ziele zu erreichen. Die Förderung der unterschiedlichen Betreuungsformen ist ein Entwicklungsprozess, den wir miteinander gestalten sollten. Das Konzept und der Erfolg der Mittagsbetreuung, die Sie zunächst auch bekämpft haben, hat gezeigt, dass nicht von der Stange Modelle auf die grüne Wiese gestellt werden sollen, sondern dass sich das organisch entwickelt, und

zwar organisch im Sinne einer Einbeziehung der Eltern, im Sinne der Einbeziehung der Kommunen und im Sinne einer Einbeziehung aller Träger der Einrichtungen.

Bisherige Diskussionen, auch gerade von Ihrer Seite und von Verbänden der unterschiedlichsten Bereiche angestellt, haben leider sehr stark oder fast ausschließlich den Finanzierungsgesichtspunkt in den Mittelpunkt gerückt. Es sollte uns aber wichtig sein, meine Damen und Herren, dass wir die qualitative Entwicklung in den Vordergrund rücken, dass wir das in den Vordergrund rücken, was als Erziehungs-, als Entwicklungsbedarf für die Kinder notwendig ist, also auch das, was die Stärkung der Familien anbelangt; denn wir brauchen in diesem Zusammenhang eine Stärkung der Familien, auch was die Kinderbetreuung anbelangt.

Deshalb meine ich, dass ein vielfältiges Konzept, wie es die CSU-Landtagsfraktion mit entwickelt hat, ein vielfältiges Konzept, das den Eckpunkten des Kabinetts, der Bayerischen Staatsregierung, entspricht, der richtige Weg ist, um auf die Entwicklung in unseren Familien nicht nur zu reagieren, sondern ihnen zu helfen, die Kinder zu stärken und damit die Entwicklung in unserem Land positiv zu gestalten.

(Beifall bei der CSU)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat Frau Münzel. Bitte.

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Die größten Defizite hat die Bayerische Staatsregierung bei ihrem Angebot an Ganztagsschulen, wobei man von einem Angebot oder einem zukünftigen Angebot eigentlich gar nicht sprechen kann; denn das, was uns die Staatsregierung in diesem Bereich anbieten will, ist nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist ein Pseudoangebot, das nur als Alibi dienen soll.

Interessant ist auch, wie die Staatsregierung in den vergangenen Wochen herumgeeiert ist, wenn die Frage gestellt wurde, für wen denn eigentlich dieses Pseudoangebot Ganztagsschule sein soll. Da wurde fast wöchentlich eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Zunächst war die Rede von Ganztagsschulen an sozialen Brennpunkten und von der Ganztagsschule in der Form der achtjährigen Gymnasien. Dann warf Alois Glück ein, Ganztagsschulen kämen nur für Großstädte infrage. Und jetzt – so lese ich in der „Süddeutschen Zeitung“ – denkt Frau Hohlmeier an Ganztagsschulen zur Förderung von jungen Leistungssportlern bzw. für hoch begabte Kinder von Zuwanderern. In der „Mittelbayerischen Zeitung“ sind es dann Schulen für Leistungssport oder hoch Begabte und Fördereinrichtungen für Aussiedlerkinder, wobei ich mich schon frage, warum nur für Aussiedlerkinder und nicht für Migrantenkinder allgemein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Warum für hoch Begabte, wenn doch schon der Run auf die besonderen Klassen für hoch Begabte nicht besonders groß ist? Warum ausgerechnet für Leistungssportler, wo es doch für diese zum Beispiel bestimmte Internate gibt? Alles unausgegorenes Gerede, am liebsten würde ich sagen „Gewäsch“, aber ich weiß nicht, ob das nicht ein unparlamentarischer Ausdruck ist.

All diese Überlegungen vonseiten der Ministerin zeigen mir, dass es dem Ministerium nicht darum geht, die pädagogische Chance der Ganztagsschule zu nutzen, sondern dass es ihr lediglich darum geht, möglichst wenig Ganztagsschulen in Bayern zu etablieren.

Auch die Bildungspolitiker der CSU beugen sich dieser Vorgabe. Nicht einmal die Bildungspolitiker der CSU lassen sich auf eine Diskussion über die pädagogischen Vorteile der Ganztagsschule ein und verweisen stur auf die von der Staatsregierung vorgegebene Linie der Ganztagsbetreuung.

Dabei haben die Ganztagsschulen unzweifelhaft pädagogische Vorteile, die zwar nicht von den Bildungspolitikern der CSU, aber sehr wohl von den Vertretern und Vertreterinnen der Wirtschaft und vom Bayerischen Städtetag gesehen werden.

Lassen Sie mich hier nur eines nennen: Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler leiden unter Zeitmangel. Kaum hat man sich in ein Thema vertieft, schon läutet es und das nächste Fach, das nächste Thema ist dran. Muße ist ein Fremdwort an unseren Schulen.

Die Ganztagsschule bietet nun mehr Zeit. Der Stoff muss nicht mehr im 45-Minuten-Eiltempo eingepaukt werden. Es bleibt mehr Zeit für zeitintensive Lernformen mit Kooperationspartnern von außerhalb der Schule, für Projekte, Patenschaften, Schülerfirmen, für musische und sportliche Betätigung, für Arbeitsgemeinschaften, die den Interessen der Schüler und Schülerinnen entgegenkommen. Die Qualität des Lernens kann erheblich verbessert werden und die Schule wird zunehmend auch zu einem Lebensort für Kinder und Jugendliche. Und deshalb, aus diesen pädagogischen Gründen, ist die Ganztagsschule keine Schule nur für eine bestimmte Schülerklientel.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese pädagogische Chance muss prinzipiell allen Schülern und Schülerinnen offen stehen, egal ob besonders begabt oder nicht, egal ob auf dem Land oder in der Stadt.

Die Ganztagsschule muss prinzipiell allen Schülern und Schülerinnen offen stehen, habe ich gesagt. Das heißt, dass vor Ort nach Bedarf entschieden werden muss. Die Ganztagsschule kann nicht verordnet werden. Nach unserer Vorstellung ist die Einrichtung einer Ganztagsschule eine Entscheidung der inneren Schulentwicklung. Sie soll dort entstehen, wo sie gewünscht wird, das heißt die Schulen entscheiden im Rahmen ihres Schulprogramms und im Rahmen ihrer Profilbildung, ob sie sich als Ganztagsschule organisieren und profilieren wollen. Wenn die Entscheidung vor Ort an einer konkreten

Schule getroffen wird, dann wird wirklich nach Bedarf entschieden, der an unterschiedlichen Orten durchaus unterschiedlich sein kann.

Herr Unterländer, Sie haben betont, dass Sie den Elternwillen so sehr hoch achten. Aber Sie ignorieren den Willen der Eltern, die die Ganztagsschule wünschen.

(Frau Radermacher (SPD): Wenn es wenige sind!)

Lassen Sie doch die Eltern zusammen mit dem Schulträger, zusammen mit den Schülerinnen und Schülern, zusammen mit den Lehrkräften entscheiden, ob an einer bestimmten Schule Ganztagsschule entstehen soll oder nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Frau Abgeordneten Radermacher (SPD))

Was sind nun die Gründe für die restriktive Haltung der CSU? Da lese ich in der „Main Post“ im September 2001:

„Es fällt uns schwer, den Primat der Familie bei der Erziehung der Kinder aufzugeben“, erklärte ein Mitglied des Fraktionsvorstandes der CSU. Trotzdem müsse man natürlich auf veränderte gesellschaftliche Realitäten reagieren.

(Willi Müller (CSU) telefoniert – Glocke der Präsidentin)

Lassen Sie ihn ruhig telefonieren, das macht nichts.

Es kann wohl nicht sein, dass eine bildungspolitisch und gesellschaftlich notwendige Reform nur deshalb nicht durchgeführt wird, weil die CSU ideologisch noch nicht so weit ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Mit dieser Haltung schaden Sie den bayerischen Schülerinnen und Schülern, den Kommunen, denen Sie finanzielle Lasten aufbürden, die diese von Rechts wegen gar nicht zu tragen haben, und der bayerischen Wirtschaft, deren Vertreter und Vertreterinnen deutlich machen, dass Ganztagsschulen auch im Interesse der bayerischen Wirtschaft sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist höchste Zeit, dass die CSU ihre sture ideologische Haltung aufgibt und sich programmatisch weiterentwickelt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht nur beim Thema Ganztagsschule tun sich die CSU und die Staatsregierung schwer. Schon im Frühjahr sollte auf einer Kabinettsklausur der Durchbruch bei den Themen Kleinstkinderbetreuung und Krippenfinanzierung geschafft werden. Frau Stewens und Frau Hohlmeier, die beim Minister des Geldes, Herrn Faltlhauser, einige Millionen locker machen wollten, sind da jedoch heftig ein

gebremst worden. Was dann passierte, war getreu dem Motto: Wenn man nicht mehr weiter weiß, bildet man einen Arbeitskreis. So wurde eine ministerielle Arbeitsgruppe eingerichtet.

Krippe und Betreuung der Kleinsten außerhalb der Familie sind auf der Ministerinnenebene zwar nicht mehr gleichbedeutend mit Rabenmutter. Aber inwieweit die CSU-Fraktionäre, die hier sitzen, beim Thema Krippe nicht doch zusammenzucken, steht auf einem anderen Blatt.

(Heiterkeit der Frau Abgeordneten Werner-Muggen- dorfer (SPD))