Protocol of the Session on October 9, 2001

Die vorgeschlagenen Maßnahmen werden dadurch zwar nicht schlechter, aber wir sollten bei der Bewertung der Finanzierungsquellen etwas ehrlicher sein. Insbesondere begrüßen wir, dass bei der Polizei personell aufgestockt werden soll. Damit werden endlich unsere Forderungen nach einer Stärkung der bayerischen Polizei aufgegriffen.

(Beifall bei der SPD)

Sie muss personell verstärkt werden. Schon in den letzten Jahren hat die Polizei Bayerns immer neue und mehr Aufgaben zugewiesen bekommen. Seit Jahren bemüht sich die SPD-Landtagsfraktion, insbesondere unser Kollege Dr. Thomas Jung, um eine Verbesserung der Situation bei der Polizei. Gemeinsam mit Kollegem Prof. Dr. Gantzer – ich sage ausdrücklich “Professor“ –

(Allgemeine Heiterkeit)

haben wir sage und schreibe 25 Anträge zur Stärkung der Polizei dokumentiert, die wir im Bayerischen Landtag eingebracht haben. All diese Vorschläge sind von der CSU leider abgelehnt worden, und zwar samt und sonders.

Längst ist die Situation in vielen Inspektionen und Präsidien untragbar geworden. In vielen Dienststellen liegt die Verwendungsstärke, also die Zahl der tatsächlich verfügbaren Polizeibeamten oft 20% unter der Sollstärke. Nach aktueller Auskunft der Polizeigewerkschaft fehlen derzeit in Bayern zudem bei Einsatzzügen und zivilen Einsatzgruppen 600 bis 800 Stellen, bei Fahndungskontrollgruppen zirka 200 Stellen, bei Jugendbeamten 100 Stellen, in der EDV weitere 400 Stellen, des Weiteren 500 Stellen für Kontaktbeamte und anderes mehr. Diese Zahlen sind für die innere Sicherheit in Bayern katastrophal.

(Beifall bei der SPD)

Da hilft es auch nichts, jetzt nach der Bundeswehr zu rufen, weil man selbst bei der Ausstattung der Polizei über Jahre hinweg geschlampt und geschlafen hat.

(Beifall bei der SPD)

Erstens. Es wird Zeit, dass Sie die Berechtigung unserer Forderungen endlich einsehen und sie erfüllen. Die 650 angekündigten Polizisten könnten bereits heute im Dienst sein, wenn Sie unsere Vorschläge angenommen hätten. Wenn der Freistaat Bayern jetzt neue Stellen für die Polizei freigibt, müssen die Bürgerinnen und Bürger wissen, dass diese nach der jetzigen Lage der Dinge selbstverständlich nicht sofort verfügbar sind. Neue Polizisten kann man nicht vom Baum pflücken, sondern muss man erst noch Jahre ausbilden. Damit hätte man früher beginnen müssen.

(Dr. Bernhard (CSU): So wie Sie das in Niedersachsen, Hamburg und überall gemacht haben!)

Zweitens. Die Streichung von Planstellen beim Landesamt für Verfassungsschutz in den letzten Jahren soll rückgängig gemacht werden; die finanziellen Möglichkei

ten des Landesamtes für Verfassungsschutz sollen verbessert werden. Dies findet unsere ausdrückliche Zustimmung. In Bayern kommt es besonders darauf an, das Landesamt für Verfassungsschutz endlich auf eine veränderte Bedrohungssituation einzustellen. Herr Innenminister, zu viele Mitarbeiter – das wissen Sie und beklagen es selbst – sprechen keine osteuropäischen Sprachen, fast niemand spricht arabische Sprachen.

(Staatsminister Dr. Beckstein: Die meisten bei uns sprechen kaum Fremdsprachen! – Zahlreiche Zurufe von der SPD – Unruhe)

Noch schlimmer! Wir wollen das aber nicht vertiefen, Herr Dr. Beckstein.

(Fortgesetzte Unruhe)

Wir sind uns darin einig, dass es den Verfassungsschutzbehörden so schwer fällt, in die fundamentalistischen Netzwerke einzudringen, weil unter anderem auch die sprachlichen Möglichkeiten dafür fehlen. Deshalb muss das Amt an dieser Stelle gestärkt werden. Wichtig ist allerdings auch, dass Erkenntnisse des Verfassungsschutzes vernünftig umgesetzt werden. Ich nenne ein Beispiel, das ich der „Süddeutschen Zeitung“ entnommen habe. In der mittelfränkischen Stadt Treuchtlingen baut die islamische Organisation Milli Görüs, die Ihnen wahrscheinlich auch größte Sorgen macht, ein Gemeindehaus. Die Stadt Treuchtlingen hat der Organisation das Grundstück per Erbbaurechtsvertrag überlassen. Darüber, dass Milli Görüs vom Verfassungsschutz als extremistisch eingestuft wird, hat man den CSU-Bürgermeister Wolfgang Herrmann nie informiert. Es genügt also nicht, nur Daten zu erheben, Erkenntnisse zu gewinnen und Informationen zu beschaffen, sondern man muss damit auch vernünftig umgehen und daraus die richtigen Schlüsse ziehen.

(Beifall bei der SPD)

Drittens. Die SPD-Landtagsfraktion unterstützt das Mittel der verdachtsunabhängigen Kontrollen, so wie diese von der bayerischen Polizei praktiziert werden. Bei der Rasterfahndung, die sich gegenwärtig unter anderem gegen Staatsangehörige arabischer Länder richtet, bitte ich um Augenmaß. Wir dürfen nicht in eine Situation geraten, in der jeder muslimische Student zum Verdächtigen oder gar zum möglichen Terroristen gemacht wird. Herr Kollege Dr. Wilhelm hat vor einigen Wochen eine, wie ich meine, verdienstvolle Initiative ergriffen und Maßnahmen vorgeschlagen, um mehr ausländische Studierende nach Bayern zu bekommen. Das halte ich im Interesse der Zukunftsfähigkeit unseres Landes nach wie vor für richtig.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen darf man nicht eine falsche Botschaft senden, sondern muss deutlich machen: Selbstverständlich wollen wir Extremisten und Straftäter nicht – darüber brauchen wir doch nicht miteinander zu streiten –, aber ausländische Studierende sind uns willkommen.

Viertens. Der Zivil- und Katastrophenschutz muss neu geordnet werden. Trotz Sparzwängen wurden im Bund die Mittel für das THW bereits vor dem 11. September aufgestockt und die Erhöhung mit einer Reorganisation verknüpft. Nun werden weitere 50 Millionen für den Zivilschutz auf Bundesebene bereitgestellt. Jeder muss aber wissen, dass der Bund bei Zivilschutzmaßnahmen nur für den Verteidigungsfall zuständig ist, während der Katastrophenschutz Ländersache ist. Deshalb sind hier zusätzliche Maßnahmen im Freistaat notwendig.

Fünftens. Eine 100%ige Fälschungssicherheit von Ausweispapieren ist angesichts der heutigen technischen Möglichkeiten nicht mehr zu gewährleisten. Viel zu leicht lassen sich Lichtbilder oder Unterschriften fälschen. Der persönliche Fingerabdruck wäre deshalb nach unserer Auffassung ein zusätzliches Mittel, um eine Person zweifelsfrei identifizieren zu können. Eine Einschränkung persönlicher Freiheit oder des Datenschutzes sehe ich darin nicht. Dazu und zur Frage der Zugriffsrechte der Sicherheitsbehörden auf die Datenregister wird Bundesinnenminister Schily in seinem zweiten Antiterrorpaket, das nächste Woche vorgelegt werden wird, weitere Aussagen treffen.

Sechstens. Eine Regelanfrage beim Landesamt für Verfassungsschutz im Rahmen eines Einbürgerungsverfahrens ist bereits vom Bundesgesetzgeber im Zuge des neuen, von vielen hier im Hause so heftig bekämpften Staatsangehörigenrechts, bei dem übrigens Sicherheitsfragen erheblich stärker als bisher gewichtet wurden, ermöglicht worden und wird in einigen Ländern, so auch in Bayern, praktiziert. Auf diese Weise kann die Einbürgerung von Personen mit extremistischem Hintergrund verhindert werden, wie Herr Innenminister Beckstein im Ausschuss ausgeführt hat.

Angesichts der neuen Bedrohungslage, die wir alle zur Kenntnis nehmen müssen, sollte man keine Bedenken gegen eine solche Regelanfrage erheben.

Siebtens. Die von der Bundesregierung bereits vor dem 11. September vorgesehene Abschaffung des Religionsprivilegs im Vereinsrecht wird von der SPD-Fraktion ausdrücklich begrüßt, denn die grundrechtlich garantierte Glaubens- und Religionsfreiheit darf nicht jene schützen, welche die Religion für ihren Terror missbrauchen. Ein Verbot von Vereinen ist vielmehr zwingend geboten, wenn deren Tätigkeit dem Gesetz zuwiderläuft oder sich gegen die Verfassung richtet. Herr Ministerpräsident, Sie haben darauf hingewiesen, dass man das Religionsprivileg schon vor sechs Jahren hätte abschaffen können. Sie haben aber vergessen, darauf hinzuweisen, dass die Abschaffung des Religionsprivilegs damals unter anderem in Ihrer eigenen Regierung keine Mehrheit gefunden hat und dass es dagegen auch großen Widerstand bei den Kirchen gegeben hat. Es würde der Wahrheitsfindung dienen, wenn man so etwas ehrlicherweise hinzufügen würde.

(Beifall bei der SPD)

Achtens. Ein besonderes Mittel der Kriminalitätsbekämpfung und der Prävention ist die Videoüberwachung. Die SPD-Landtagsfraktion hat hierzu einen eigenen

Gesetzentwurf eingebracht. Die Videoüberwachung soll dort zum Einsatz kommen, wo es nach eingehender Prüfung sinnvoll erscheint und wo tatsächlich besondere Gefahren vorliegen. Ich nehme zur Kenntnis, dass auch der bayerische Innenminister, wie ich dem „Nordbayerischen Kurier“ entnommen habe, keine flächendeckende Videoüberwachung will, sondern – ich zitiere – „im Endausbau einige Plätze in den großen Städten und gewisse Kristallisationspunkte überwachen will.“ Hier stimmen wir überein.

(Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das steht aber nicht im Gesetz! Das muss schon dazugesagt werden!)

Ich habe wiedergegeben, welche Vorstellungen der Innenminister von der Videoüberwachung hat. Ich gehe davon aus, dass er seine Vorstellungen wie immer wahrheitsgemäß wiedergibt und dass er nicht wieder von irgendwelchen Behörden getäuscht wird. Deswegen glaube ich ihm dieses Mal.

(Beifall bei der SPD)

Er könnte sonst schreiben, dass er von seinen Behörden wieder falsch informiert worden ist. Lassen wir das aber, das Thema ist zu ernst.

(Heike (CSU): Das meine ich aber auch!)

Neuntens. Die Bundeswehr kann ihre eigenen militärischen Einrichtungen und die unserer Bündnispartner in unserem Lande schützen. Polizeikräfte, die diese Aufgaben heute größtenteils übernehmen müssen, könnten dadurch entlastet werden. Außerdem hat die Bundeswehr eigene Möglichkeiten im Katastrophenschutz, und sie kann im Notstandsfall auch jetzt schon tätig werden. Für polizeiliche Aufgaben ist die Bundeswehr aber nach unserer Auffassung weder vorgesehen noch ausgerüstet noch ausgebildet.

(Beifall bei der SPD)

Es ist gut, dass Bundesminister Schily stattdessen eine sofortige Verstärkung des Bundesgrenzschutzes eingeleitet hat. Die Bundeswehr steht aktuell zur Sicherung militärischer und darunter auch amerikanischer Objekte, zum Beispiel in Grafenwöhr, zur Verfügung. Wie ich höre, hat sich dafür Bayern am Montag beim Bund ausdrücklich bedankt. Jetzt geht es um praktische und pragmatische Lösungen und um eine möglichst großzügige Auslegung der Möglichkeiten der Amtshilfe, so wie es derzeit auch auf gutem Wege ist. Inwieweit die Bundeswehr jetzt weitere Aufgaben übernehmen kann, wird gegenwärtig von einer Arbeitsgruppe der Länder, der Bundeswehr und des Bundesinnenministeriums besprochen. An dieser Arbeitsgruppe ist auch Bayern beteiligt. Eine Grundgesetzänderung zur Erweiterung der Befugnisse der Bundeswehr im Inneren ist nicht erforderlich.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Auch in Zukunft wird die Bundeswehr nicht auf Verbrecherjagd gehen. Die Trennung von Polizei und Militär

muss nach unserer Auffassung grundsätzlich beibehalten werden.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Zehntens. Ich freue mich darüber, dass jetzt auch die CSU bereit ist, auf dem Gebiet der Maßnahmen gegen die Geldwäsche tätig zu werden. Bei den internationalen Netzwerken terroristischer Vereinigungen spielen die Finanzierung und die unkontrollierte Kontenbewegung eine besondere Rolle. Deswegen besteht erheblicher Bedarf, die verdeckten Finanzströme terroristischer und anderer krimineller Gruppen zu erkennen und zu unterbinden. Für Terroristengeld darf es keinen sicheren Anlagehafen geben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch in Bayern kann auf diesem Gebiet viel mehr getan werden, als bisher geschehen ist. Wirksame Maßnahmen dürfen am Bankgeheimnis nicht scheitern. Die Verschwiegenheitspflicht darf Ermittlungen gegen den Terrorismus nicht behindern.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit den geschilderten Maßnahmen werden die Qualität und die Wirksamkeit der Bekämpfung des Terrorismus gestärkt und die innere Sicherheit gewahrt, ohne dass an den Säulen des Rechtstaates gerüttelt wird. Um den Terrorismus zu bekämpfen, werden wir keinen Weg gehen, der die Grundwerte und Errungenschaften unserer Gesellschaft sowie die Freiheit in Frage stellt. Vielmehr werden wir prüfen, welche Maßnahmen geeignet sind, zusätzliche Sicherheit zu schaffen, und welche Maßnahmen nur aus purer Effekthascherei in den Raum gestellt werden. Wir werden prüfen, welche Vorschläge unserer Verfassung entsprechen; denn unsere Verfassung ist von Freiheit und Sicherheit geprägt. Wir werden auch jeweils prüfen, welche Möglichkeiten es gibt, die getroffenen Maßnahmen gegen Missbrauch abzusichern.

(Beifall bei der SPD)

Der 11. September hat die Welt verändert. Auch wir haben darauf zu reagieren. Der Terrorismus darf und wird uns aber nicht daran hindern, dass wir notwendige gesellschaftliche Veränderungen und Verbesserungen durchführen. Dazu gehört übrigens auch, Herr Ministerpräsident, ein zeitgemäßes Zuwanderungsrecht. Ein arbeitsmarktbezogenes Zuwanderungsgesetz wird in Deutschland dringend gebraucht. Eine sinnvolle deutsche Ausländer-, Zuwanderungs- und Integrationspolitik braucht mehr denn je ein abgewogenes rechtliches Instrumentarium, denn von selbst wird sich die Zuwanderung nicht steuern und regeln.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dass wir schon allein aufgrund unserer demografischen Entwicklung und aufgrund des Arbeitskräftebedarfs in vielen Branchen in unserem Land die Zuwanderung brauchen, wird von niemandem mehr bestritten. Diese Tatsache wird doch von allen ernst zu nehmenden Kolle

gen auch aus Ihrer Partei mittlerweile akzeptiert. Jetzt ausgerechnet in diesem Zusammenhang die Angst vor dem Eindringen ausländischer Terroristen zu schüren, ist verantwortungslos. Damit wächst doch nur die Verunsicherung und nicht die Sicherheit. Deswegen appelliere ich erneut an die CSU, nicht aus vordergründigen parteipolitischen Motiven heraus eine solche Zuwanderungsregelung, welche unser Land braucht, zu torpedieren und damit Wahlkampf zu machen.

(Beifall bei der SPD)