Protocol of the Session on June 26, 2001

(Beifall bei Abgeordneten der CSU – Frau Werner- Muggendorfer (SPD): Gott sei Dank! – Frau Biedefeld (SPD): Längst überfällig!)

Eines unserer Hauptanliegen bei den Verhandlungen war die Schaffung von mehr Anreizgerechtigkeit. Bislang erhielten die Empfängerländer über den horizontalen Finanzausgleich so viel Finanzmittel, dass sie 95% der durchschnittlichen Finanzkraft erreichten. Unabhängig davon, ob sie 60 oder 50 oder 70% selber erwirtschafteten, wurden sie von den anderen Ländern, im Übrigen nur noch von den vier Ländern, von den Südländern plus Nordrhein-Westfalen, auf 95% gehoben. Das war sozusagen ein sehr massiver solidarischer Ausgleich.

Vom Bund wurde diese Quote im Rahmen der Fehlbetragsbundesergänzungszuweisungen dann sogar noch auf 99,5% erhöht. Daraus ergibt sich eindeutig, dass der Anreiz der Empfängerländer, sich selber anzustrengen, dabei zum Teil auf der Strecke blieb. Denn wenn ich

sowieso 99,5%, also fast 100%, von den anderen Ländern und zur Spitzenauffüllung noch vom Bund bekomme, egal ob ich 70 oder 80% selber erwirtschafte, ist das kein Anreiz. Dagegen sind wir immer Sturm gelaufen. Erfolgreiches Wirtschaften der Geberländer wurde nicht belohnt.

Deshalb haben wir gefordert: Die Intensität des Finanzausgleichs, der bislang zu einer fast vollständigen Nivellierung der Finanzkraft der Länder führt, muss so abgebaut werden, dass die Unterschiede nicht völlig verwischt werden. Für alle, für Geber- und Empfängerländer, müssen Anreize zur Stärkung der Finanzkraft geschaffen werden.

Das haben wir mit dieser Vereinbarung erreicht. Künftig wird der Finanzausgleich anreizfreundlicher.

Erstens: Wir haben einen neuen, gerechteren Tarif eingeführt. Bei keinem Land kommt es mehr zu einer leistungsfeindlichen Vollauffüllung bei unterdurchschnittlicher Finanzkraft.

Wir haben durchgesetzt, dass der Finanzausgleichstarif insgesamt flacher wird, bei 44% beginnt und in der Spitze bei 75% endet. Bisher hatten wir eine Spitze 80 plus x. Jetzt ist „Sense“ bei 75%.

Eine wesentliche Folge des neuen Tarifs ist, dass eine weitere Steigerung der Wirtschaftskraft Bayerns künftig nicht zu einer stärkeren Abschöpfung im Länderfinanzausgleich führt. Wenn man davon ausgeht – und das ist unser Ziel –, dass wir noch leistungsstärker werden, dass möglicherweise nicht alle Länder in der wirtschaftlichen Leistungskraft dem Tempo Bayerns folgen können, dann wird die Abflachung des Tarifs künftig dazu führen, dass von der weiteren Differenz zwischen Leistungsstarken und Leistungsschwächeren nicht mehr so viel wie bisher abgeschöpft wird. Das heißt, wir werden von weiteren wirtschaftlichen Erfolgen Bayerns mehr in Bayern haben, und das war immer unser Ziel.

Von Ihnen wurde das fälschlicherweise als unsolidarisch bezeichnet. Nein, meine Damen, meine Herren, das ist im Prinzip das, was die bayerische Bevölkerung auch verdient: dass das meiste von dem, was sie selbst erwirtschaftet, auch in ihre Schulen, in ihre Universitäten, in ihre Straßen, in die bayerischen Angelegenheiten investiert wird.

(Beifall bei der CSU)

Zweitens: Damit noch nicht genug. Wir haben eine Leistungsprämie eingeführt. Steuereinnahmen über dem Länderdurchschnitt bleiben künftig zu 12% bei dem Land, das sie erwirtschaftet. Diese 12% werden im Finanzausgleich nicht mehr berücksichtigt.

Drittens. Wir haben die Abschöpfung gedeckelt. Keinem Land dürfen künftig mehr als 72,5% von seiner überdurchschnittlichen Finanzkraft genommen werden – bisher waren dies weit über 80%.

Was die Neuregelung des Länderfinanzausgleichs in Mark und Pfennig bedeutet, zeigen Ihnen folgende Beispiele:

Im Jahr 2000 durfte Bayern nach bisherigem Recht von 1 Million DM zusätzlicher Körperschaftsteuer nur 291000 DM behalten. Hätte das neue Recht bereits letztes Jahr gegolten, dann wären es nicht 291000 DM gewesen, sondern 360000 DM, und unter Berücksichtigung der Leistungsprämie, die ich gerade angeführt habe, hätten wir von 1 Million DM Mehreinnahmen sogar 429000 DM selbst behalten dürfen. Ich glaube, das ist gegenüber 291000 DM schon eine erklecklich höhere Summe, mit der sich dann auch gut arbeiten lässt.

Auch für andere Länder hätten sich ähnliche Vorteile ergeben. So verblieben dem Saarland gerade als Nehmerland im Jahr 2000 nach altem Recht – und Kollege Müller hat das natürlich voll aufgenommen und deswegen auch sehr für diese Anreizwirkung gekämpft – von 1 Million DM mehr Körperschaftsteuer nur 13000 DM. Nach neuem Recht wären es mit Leistungsprämie 127000 DM gewesen. Das ist auch für das Saarland eine ganz erhebliche Verbesserung.

Im Übrigen haben wir auch bei den Hafenlasten für Hamburg, für Bremen, für Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen einen Erfolg erzielt. Diese Lasten werden aus dem Länderfinanzausgleich herausgenommen und zudem lediglich mit einem Viertel des bisherigen Ansatzes außerhalb des Systems berücksichtigt. Außerdem sind sie auf 75 Millionen DM gedeckelt worden.

Angesichts der schwierigen Verhandlungslage haben wir meines Erachtens einen großen Erfolg erzielt. Das gilt auch für die Regelung des Solidarpakts II. Ich betone hier ausdrücklich: Es ist unser gemeinsames Anliegen, den Aufbau Ost auf eine langfristige und verlässliche Grundlage zu stellen.

Um die teilungsbedingten Sonderlasten der ostdeutschen Länder einschließlich Berlins abzubauen, wurde der Solidarpakt II mit einer Finanzausstattung von 306 Milliarden DM und einer Laufzeit bis einschließlich 2019 vereinbart, also fünf Jahre länger als der bisherige Solidarpakt.

Damit haben die ostdeutschen Länder nunmehr ein hohes Maß an finanzieller Sicherheit erhalten. Die Voraussetzungen für gleichwertige wirtschaftliche und soziale Lebensverhältnisse in Ost und West sind geschaffen. Und wir sind unserem gemeinsamen Ziel, die innere Einheit zu vollenden, ein großes Stück näher gerückt. Das ist ein Erfolg für ganz Deutschland.

Meine Damen, meine Herren, wir haben gegenwärtig in Deutschland eine ganz enorme Wanderungsbewegung. Darüber beklagen sich insbesondere Herr Höppner und Herr Ringstorff, aber auch die Kollegen Biedenkopf und Vogel. Gerade die kreativen Kräfte aus diesen Ländern wandern in Richtung Süden. Es gibt also große Wanderungsgewinne für Frankfurt, größere Wanderungsgewinne für Stuttgart und die größten Wanderungsgewinne für die Region München. Es kann aber nicht unser Ziel sein, dass die Menschen aus Schwerin, aus Halle, aus

Erfurt, aus Magdeburg, und vor allem die kreativen Köpfe unmittelbar nach Beendigung ihrer Ausbildung ihre Länder verlassen und in die stärkeren Südländer gehen, weil dadurch das Ungleichgewicht weiter vertieft wird. Gerade im Gesamtinteresse Deutschlands können wir daran kein Interesse haben. Ich sage das ganz offen.

(Beifall bei der CSU)

Meine Damen, meine Herren, nebenbei will ich aber auch deutlich machen, dass ich diese Solidarpaktverhandlungen auch als bayerischer Ministerpräsident aus vollem Herzen unterstützt habe; denn je stärker die ostdeutschen Länder vom Bund unterstützt werden, desto stärker sind sie überhaupt und desto weniger sind sie auf den Finanzausgleich zulasten Bayerns angewiesen. Das heißt, wir haben auch ein ganz eigenes Interesse daran, dass der Solidarpakt stark aufgefüllt wird, damit das dort geregelt wird und nicht im horizontalen Finanzausgleich zulasten der stärkeren Geberländer.

Meine Damen, meine Herren, sicherlich brauchen die ostdeutschen Länder noch eine geraume Zeit unser aller Unterstützung, um die teilungsbedingten Sonderlasten abzubauen. Aber ich bin überzeugt, in einigen Jahren werden diese Länder aus eigener Kraft ihren Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands leisten können.

Zusammen mit dem Solidarpakt I haben wir damit die notwendige Aufbauleistung für eine ganze Generation erbracht. Von 1994 bis 2020, das sind 25 Jahre, meine sehr verehrten Damen und Herren; das ist dann eine ganze Generation. Ich halte es auch für sinnvoll, dass die Transferleistungen Jahr für Jahr ein Stück weit zurückgefahren werden.

Mit dem Beginn der Degression des Solidarpakts II ab dem Jahre 2006 sollte aber gleichzeitig – das rufe ich Herrn Eichel zu – auch der Solidaritätszuschlag abgebaut werden. Das wäre ein Signal für die Menschen im ganzen Land. Ich bin der Meinung, wenn der Solidarpakt II degressiv gestaffelt wird, sollte man auch den Solidaritätszuschlag etwas degressiver staffeln und etwas absenken, damit ein Stück mehr Luft für alle, vor allen Dingen für die Arbeitnehmer, aber auch für die Betriebe bleibt. Es wäre fatal, wenn der Eindruck entstünde, dass der Steuerzahler im gleichen Umfang wie bisher die Kosten der Einheit mittragen muss, während der Bund seine Leistungen zurückfährt. Auch der Steuerzahler muss dementsprechend entlastet werden.

Meine Damen, meine Herren, ein langer Weg liegt hinter uns bis zum Ergebnis vom 23. Juni 2001. Bayern hat diesen Weg aus tiefer föderaler Überzeugung und Tradition wie wohl kein anderes Land mitgestaltet. Die föderale Substanz Deutschlands, die in den vergangenen Jahrzehnten stetig ausgehöhlt wurde – das ist hier oft gemeinsam beklagt worden –, hat neue Schubkraft erhalten. Der 23. Juni 2001 wird sicherlich ein bestimmendes Datum in der Geschichte des deutschen Föderalismus sein. Er hat die Weichen neu gestellt.

Erstens. Wir verlassen den Weg der Übernivellierung und schaffen deutlich mehr Anreize für eine eigenverant

wortliche Landespolitik. Das erhöht die Effizienz des Finanzausgleichs, das steigert die Verantwortung der Landespolitik und macht künftig politische Entscheidungen für Bürgerinnen und Bürger transparenter, nachvollziehbarer und damit auch kontrollierbarer.

Zweitens. Wir bringen mehr Wettbewerb – das sage ich gerade Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, die Sie dieses Wort nie hören wollten – in das föderale Gefüge der Bundesrepublik Deutschland. Damit haben wir eine Bresche geschlagen für den so häufig kritisierten Wettbewerbsföderalismus. Ja, die Länder stehen in Konkurrenz zueinander.

(Beifall bei der CSU)

Nicht Nivellierung und Gleichmacherei sind der Motor für Innovationen und kreative Lösungen, sondern der Wettbewerb. Der Wettbewerb um beste Politiklösungen, das Lernen der Länder voneinander ist das, was Deutschland insgesamt voranbringt. Die neuen Weichenstellungen geben den Ländern größere Spielräume, die jeweiligen Stärken besser zur Geltung zu bringen. Der neue Finanzausgleich stärkt somit die Identität und das Selbstbewusstsein der Länder nicht nur innerhalb der Nation, sondern auch innerhalb eines Europas der Nationen und vor allen Dingen der Regionen.

Die erweiterten Spielräume eröffnen den Ländern zudem neue Möglichkeiten, sich im globalen Wettbewerb besser zu positionieren. Längst wissen wir doch, dass hier nicht nur Nationen, sondern auch Regionen in Europa und weltweit miteinander konkurrieren. In diesem globalen Wettbewerb können sich die Länder, kann sich Bayern nun besser aufstellen. Das kommt dem gesamten Wirtschaftsstandort Deutschland zugute.

Meine Damen, meine Herren, ich sage es einmal anders: Das wirtschaftliche Wachstum in Deutschland wird leider zu über 60% nur von Bayern, Baden-Württemberg und Hessen erwirtschaftet. Ich glaube, dass es gut ist, dass diese drei starken Länder auch weiterhin besonders stark sind. Das kommt nämlich Deutschland insgesamt zugute. Aber wir hoffen, dass wir auch noch andere wirtschaftsstarke Länder zusätzlich hinzubekommen und dass insgesamt der Standort Deutschland stärker wird.

Drittens. Die Solidarität zwischen den Ländern bleibt dennoch gewahrt. Gerade Bayern hat man bei jedem Vorstoß Entsolidarisierung vorgeworfen. Das war ein Totschlagargument. Wir haben dagegen immer betont: Ein Land wie Bayern, das vor 1989 vom Länderfinanzausgleich profitiert, das vor 1989 unbeirrt an der Einheit Deutschlands festgehalten hat, steht auch nach Herstellung der Einheit zu seiner Solidarität.

Die ostdeutschen Länder haben nun Planungssicherheit bis 2019. Sie werden dann über 30 Jahre lang, also über eine ganze Generation, uneingeschränkte Solidarität erfahren haben. Die östlichen Länder können zudem künftig freier und selbstverantwortlicher über die Mittel verfügen. Dies erlaubt ihnen, ihr spezifisches Profil herauszuarbeiten. Selbstbewusste Länder, auch im

Osten Deutschlands, stärken substanziell den Föderalismus.

Mit dem Solidarpakt II ist auch billiger Polemik der PDS der Boden entzogen, die heute politisch allein davon lebt, dass ihre Vorgängerpartei, die SED, uns allen 105000 Quadratkilometer heruntergewirtschaftetes Deutschland hinterlassen hat.

(Beifall bei der CSU)

Die SED hat dieses Land gespalten. Die PDS versucht, das Land weiter zu spalten, weil sie von den Folgen der Spaltung lebt. Es ist dreist, einerseits heute noch Mauer und Stacheldraht zu rechtfertigen, andererseits aber über den Solidarpakt hinaus mehr Mittel für die neuen Länder einzufordern.

Das Grundgesetz verlangt die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, nicht die Gleichheit und Einförmigkeit. Die Entscheidung vom 23. Juni 2001 betont die Vielfalt, die Unterschiedlichkeit bei aller Einheit. Sie ist eine Entscheidung für diese Vielfalt und gegen Gleichmacherei. Das ist der richtige Weg unserer Nation in die Zukunft.

Die Grundlinien des Urteils des Bundesverfassungsgerichts, das Nivellierungsverbot, das Schwächungsverbot, das Abstandsgebot und das Verbot der Änderung der Finanzkraft-Reihenfolge werden nunmehr stärker als bisher betont.

Natürlich ist das Ergebnis ein Kompromiss. Wie könnte es auch anders sein, wenn 16 Länder mit so unterschiedlicher Vergangenheit und Wirtschaftskraft an einem Tisch sitzen. Auf diesen Kompromiss, auf diesen Konsens habe ich zusammen mit den Finanzministern Erwin Huber und, in der neuen Legislaturperiode, Kurt Faltlhauser hin verhandelt. Ich möchte mich bei beiden Kollegen herzlich für ihren Einsatz bedanken, bei Erwin Huber, der die Klage sozusagen vorbereitet und eingereicht hat, und bei Kurt Faltlhauser, der in den letzten drei Jahren sehr sehr mühsame Gespräche im Kreise seiner Finanzministerkollegen führen musste.

(Anhaltender Beifall bei der CSU)

Niemand hat Anlass zum Triumph. Ein wichtiges Etappenziel im Zuge der Modernisierung des Föderalismus in Deutschland ist erreicht. Darüber dürfen wir alle zufrieden sein; aber das Ringen geht weiter. Denn eine Entscheidung ist gegenwärtig in der Berichterstattung etwas zu kurz geraten, weil es vielleicht auch eine zu komplizierte Entscheidung ist. Ich meine die Streichung aller Gemeinschaftsaufgaben.

(Beifall bei der CSU)

Darunter fallen der Aus- und Neubau von Hochschulen einschließlich der Hochschulkliniken, die Bildungsplanung und die Forschungsförderung,

(Zuruf des Abgeordneten Irlinger (SPD))

die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur und die Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes.

Ich will das Hohe Haus darauf hinweisen: Das ist eine vielleicht noch größere Weichenstellung als der Finanzausgleich, eine Weichenstellung, die vor Jahresfrist so noch nicht möglich schien.