Protocol of the Session on March 14, 2001

Die Grundausrichtung der Agenda 2000 hat meines Erachtens im Kern einen gravierenden Mangel. Sie setzt zu einseitig auf eine Strategie der Produktion zu Niedrigstpreisen unter Weltmarktbedingungen. Frau Künast müsste nach allem, was sie angekündigt hat, eine sofortige Korrektur der Agenda-Beschlüsse verlangen und veranlassen, die beschlossenen Preissenkungen rückgängig zu machen.

Unseres Erachtens muss den Mitgliedsländern und Regionen wieder mehr agrarpolitischer Spielraum eingeräumt werden. Wie schon wiederholt gesagt, reicht die Europäische Union von den arktischen Gebieten Finnlands und Schwedens bis zu den griechischen Inseln der Ägäis, und da gibt es große Unterschiede in der Struktur in der Landwirtschaft. Es ist schlicht nicht möglich, von Brüssel aus eine Agrarpolitik zu betreiben, die auch in den einzelnen Regionen den Bedürfnissen der Landwirtschaft einigermaßen gerecht wird.

(Beifall bei der CSU)

Wir wollen keine Renationalisierung der Agrarpolitik, weil viele Aufgaben nur im großen europäischen Verbund gelöst werden können. Aber wir brauchen eine Neuordnung der Kompetenzen auf den drei Ebenen: Europäische Union, Bund, Länder. Auch eine stärkere regionale Orientierung in der Agrarpolitik ist dringend erforderlich. Beginnen müsste dies bei einer Kofinanzierung bestimmter Maßnahmen bis hin zu einer degressiven Gestaltung der Ausgleichszahlung und der Einführung von Obergrenzen einer flächengebundenen Tierhaltung. „Regionale Orientierung“ heißt: die knappen öffentlichen Mittel effizienter, sparsamer und an den tatsächlichen Bedürfnissen ausgerichtet einzusetzen, den unterschiedlichen Strukturen und Standorten gleiche Chancen einzuräumen, die politischen Entscheidungen transparenter zu gestalten und damit die Akzeptanz der Agrarpolitik zu erhöhen. Die Markt- und Preispolitik wird auch künftig eine Aufgabe der Europäischen Union sein. Die Verlagerung der Kompetenzen für die ergänzende Einkommenspolitik als Ergänzung zur Markt- und Preispolitik auf die Mitgliedstaaten und Regionen ist eine absolute Notwendigkeit, wenn man eine Agrarproduktion sichern will, die auf Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit ausgerichtet ist.

Das Thema WTO wird uns im Jahr 2001 noch sehr beschäftigen. Die WTO besteht derzeit aus 135 Mitgliedstaaten. Das Ziel der WTO-Abkommen ist es, für den Handel mit Waren und Dienstleistungen einen festen, weltumspannenden Rahmen zu schaffen. Wie ist die Stellung der Landwirtschaft? Durch das 1994 in Marra

kesch unterzeichnete Abkommen wurde der Agrarsektor erstmals voll in das WTO-Regelwerk eingegliedert. Man einigte sich auf eine stärkere Liberalisierung des Agrarhandels. Alle Maßnahmen über den Zugang zu den Märkten wurden strengen Regeln unterworfen. Voraussetzung war, dass im Bereich der Landwirtschaft alle Stütz- und Schutzmaßnahmen erfasst und verbindliche Abbauschritte festgelegt wurden. Es wurden drei verschiedene Maßnahmenkomplexe definiert: erstens Marktzugang, zweitens interne Stützmaßnahmen und drittens Ausfuhrbeihilfen. In diesen drei Bereichen ist die Europäische Union im Agrarabkommen konkrete Abbauverpflichtungen eingegangen. Dies engt natürlich die Gestaltungsfreiheit der Europäischen Union im Bereich der Agrarpolitik deutlich ein.

Bayern hat zu den WTO-Verhandlungen ein eigenes Positionspapier erarbeitet. Unsere Position ist es vor allem, die Nachhaltigkeit der Landbewirtschaftung zur Grundlage des weltweiten Agrarhandels zu machen. Umwelt-, Sozial- und Hygienestandards müssen in internationale Abkommen einbezogen werden, weil wir auf diesem Gebiet keine Wettbewerbsgleichheit haben. Die erhöhten Kosten für strengere europäische Produktionsstandards, die nicht von der WTO übernommen werden, müssen im vollem Umfang ausgeglichen werden.

Erklärtes Ziel der EU bei den WTO-Verhandlungen muss es daher sein, das europäische Landwirtschaftsmodell, das die Erzeugung von Nahrungsmitteln und Rohstoffen mit Verbraucher-, Umwelt- und Tierschutzzielen in Einklang bringt, international abzusichern. Nur so kann die Landwirtschaft in Europa aufrechterhalten und weiterentwickelt werden. Eine totale Abhängigkeit von den Weltmärkten darf es bei Agrargütern nicht geben. Eine grundlegende Wende in der Agrarpolitik wird nur gelingen, wenn die Landwirtschaft von einem gnadenlosen Preis- und Kostendruck befreit wird und im internationalen Agrarhandel gleiche Wettbewerbsbedingungen hergestellt werden.

Die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft stärken, heißt, sie von Kosten zu entlasten. Rot-Grün fordert von der Landwirtschaft, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern – Aussage von Bundeskanzler Schröder beim Deutschen Bauerntag in Cottbus – bürdet aber der Landwirtschaft ständig zusätzliche Lasten auf. Nur eine rentable Landwirtschaft ist in der Lage, auf Wünsche des Marktes einzugehen und gleichzeitig Umweltleistungen zu erbringen. Die Sicherung des Agrarstandorts Deutschland bedarf einer Politik, die die Landwirte unterstützt und ihre Wettbewerbsfähigkeit steigert. Die Rahmenbedingungen für die deutsche Landwirtschaft haben sich mit der Regierungsübernahme von Rot-Grün kontinuierlich verschlechtert. Dies gilt für das Ergebnis der Agenda in gleicher Weise wie für die nationale Agrarpolitik.

(Beifall bei der CSU)

Ziel muss eine Agrarpolitik sein, die auf Nachhaltigkeit ausgerichtet ist, aber auch durch eine Senkung der Steuer- und Abgabenlast, durch eine Rückführung der Regulierungsdichte und durch eine entsprechende Förderung von Zukunftsinvestitionen in den Betrieben und

im ländlichen Raum Freiräume für unternehmerische Aktivitäten schafft.

Ich befürchte, dass sich Verbraucher, die sich 50 Jahre lang preisbewusst verhalten haben, dies auch künftig tun werden. Wir können uns weder vom Binnenmarkt abkoppeln noch den technischen Fortschritt nicht nutzen und ihn nicht abschaffen. Dies führte zu einer Form der Landwirtschaft, die nach meiner Überzeugung nicht bezahlbar ist.

Die deutsche Gesellschaft wird sich aber auch auf längere Sicht den von ihr gewünschten Typ Landwirtschaft einkaufen müssen. Zu dem politisch beabsichtigen Anstieg der Preise für landwirtschaftliche Produkte wird es meines Erachtens so schnell nicht kommen. Bayern wird auch künftig alles unternehmen, um der Landwirtschaft in einer außerordentlich schwierigen Zeit Hilfen zu geben. Der Schwerpunkt wird bei den strukturverbessernden Maßnahmen wie im Agrarinvestitionsbereich liegen. Im bayerischen Kulturlandschaftsprogramm sind Verbesserungen vorgesehen. Dies hat der Minister bei der Ausgleichszulage dargestellt, die es in der Weise nur noch in Bayern gibt. Bei der ländlichen Entwicklung, bei Flurbereinigung und Dorferneuerung werden wir die Förderung fortführen.

Wir werden alles unternehmen, damit die Verbraucher gesunde und sichere Nahrungsmittel bekommen. Die Verbraucherinitiative „Bayern 2001/2002“ mit einem Haushaltsansatz von 600 Millionen DM für sichere Lebensmittel und gesunde Landwirtschaft wird hierzu einen wesentlichen Beitrag leisten. Die BSE-Krise kann damit die Chance bieten, sich auf einfache Wahrheiten zu besinnen und eine Agrarpolitik auf den Weg zu bringen, die die umweltgerechte, soziale und auf Lebensmittelqualität ausgerichtete Landwirtschaft begünstigt.

Die neue Ministerin, Frau Künast, ist bisher die Antwort auf die Herausforderungen zur Neuausrichtung der Agrarpolitik schuldig geblieben. Insgesamt fährt Frau Künast einen gefährlichen Kurs. Sie spielt die Bauern gegen die Verbraucher aus, die Futtermittelhersteller gegen die Tierhalter und die traditionelle Landwirtschaft gegen die Öko-Bauern.

(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So kann man eine Zeit lang die Schlagzeilen bestimmen, aber eine echte Agrarwende wird es so nicht geben.

(Beifall bei der CSU)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat nun Herr Kollege Dr. Dürr.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Heute ist die Stunde der Wahrheit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Leb- hafte Zurufe von der CSU)

Heute zeigt sich, ob es auch in Bayern eine neue Landwirtschaft für die Verbraucher/Innen und Bauern geben wird. Wenn Sie, wie Sie immer sagen, den Bauern wirklich helfen wollen, müssen Sie sich endlich um die Verbraucher/Innen kümmern; davon habe ich heute von Ihnen wenig gehört.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe von Ihnen nur moralische Appelle gehört, aber diese nutzen überhaupt nichts. Sie müssen endlich die politischen Rahmenbedingungen schaffen.

(Zuruf von der CSU: Da haben Sie nicht zugehört!)

Viele unserer Forderungen sind plötzlich unumstritten; so sagen jedenfalls Ihre Fürsten.

(Zuruf des Abgeordneten Hofmann (CSU))

Sogar Sie, Kollege Hofmann, stehen plötzlich hinter unseren Forderungen. Dazu gehören beispielsweise das Verbot von Tiermehl, die Ächtung antibiotischer Masthilfen und artgerechte Tierhaltung. Wie oft habe ich dieses Wort jetzt auf einmal von Leuten gehört, die überhaupt nicht wissen, was man darunter versteht. Artgerechte Tierhaltung ist plötzlich auch bei Ihnen unumstritten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unsere Kritik an den Exporterstattungen der EU für Lebendtiertransporte ist plötzlich hoffähig. Die offene Deklaration von Futtermitteln, die Förderung von Futterpflanzen -das sind nur ein paar Beispiele. Das sind Forderungen von uns, die plötzlich auch Ihre Forderungen sind. Darüber können wir froh sein; da haben wir auch nichts dagegen.

(Eckstein (CSU): Die Deklaration haben wir immer gefordert; doch die Europäische Union hat sie abgeschafft!)

Es freut uns, dass wir uns in vielen Punkten durchsetzen konnten. Es lohnt sich eben doch, wenn man sich über Jahrzehnte hinweg beharrlich für vernünftige Ziele einsetzt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man lange genug arbeitet, kann man auch Mehrheiten gewinnen. Deshalb ist es eine Bestätigung für uns und Ansporn, auch künftig an unseren vernünftigen Zielen festzuhalten. Das gilt beispielsweise auch für die Ökosteuer.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CSU)

Die Ökosteuer ist einer der wirksamsten Hebel für eine neue Qualität in der Landwirtschaft. Langsam spricht sich das auch in der CSU herum.

Andererseits kann einem richtig schwindlig werden, wenn man sieht, wie schnell CSU und Staatsregierung sich um 180 Grad drehen können, wenn es um den

nackten Machterhalt geht. Von einem Tag auf den anderen wird scheinbar auch für die CSU das richtig, was zuvor über Jahrzehnte hinweg angeblich falsch war. Das geht dann ganz schnell. Diese Erkenntnisse verdanken Sie, meine Damen und Herren von der Staatsregierung, und Sie, Herr Staatsminister Miller, wie auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, nicht mühsamen Diskussionsprozessen oder der göttlichen Eingebung, die plötzlich bei der Staatsregierung angekommen wäre. Sie verdanken diese Veränderung nur dem Schielen auf den nächsten Wahltag. Dementsprechend sehen auch die Vorschläge aus, die Sie, Herr Minister Miller, dem Landtag heute unterbreitet haben. Was Sie vorgetragen haben, ist wenig ermutigend. Sie bieten keine neue Perspektive für die Landwirtschaft. Die Qualitätsansprüche der Verbraucherinnen und Verbrauchern nehmen Sie noch immer nicht richtig ernst.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Anders als die Mehrheit der bayerischen Bevölkerung, setzen Sie noch immer auf ein „Weiter so!“.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Genau!)

Deshalb wirken die Punkte Ihres Programms, die auch wir für richtig und wichtig erachten – und zwar schon viel länger als Sie –, wie Fremdkörper. Sie handeln ganz offensichtlich nach dem bewährten, alten Motto: „Es muss sich etwas ändern, damit alles so bleiben kann, wie es ist.“ Mit dieser Taktik werden Sie aber nicht durchkommen. Zukunftsfähige Politik sieht anders aus. Wie zukunftsfähige Politik aussieht, können Sie bei uns GRÜNEN studieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CSU)

Das tun Sie auch ganz eifrig. Das habe ich schon gemerkt. Das gilt beispielsweise für Herrn Glück, wie man der Zeitung entnehmen kann. Doch Herr Glück ist nicht der einzige. Auch der Arbeitskreis Umwelt Ihrer Partei ist laut der „Süddeutschen Zeitung“ von heute ganz auf der Höhe der Zeit. Womit ist er auf der Höhe der Zeit? Mit unseren bewährten Konzepten. Das ist doch wunderbar.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit ein paar Reden und ein wenig Vordenken wird diese Politik aber nicht funktionieren. Sie täuschen sich, wenn Sie glauben, die Verbraucherinnen, die Verbraucher und die Bauern würden ich schon wieder beruhigen. Sie täuschen sich, wenn Sie meinen, dass sich die bayerische Bevölkerung mit schönen Worten und symbolischen Gesten abspeisen lassen wird. Hier unterliegen Sie einem Irrtum. BSE bedeutet im öffentlichen Bewusstsein viel mehr einen Einschnitt, der mit der Katastrophe von Tschernobyl zu vergleichen ist. So, wie Sie damals die Mehrheit der Bevölkerung für Ihre Atompolitik verloren haben – die haben Sie damals verloren und nicht wieder bekommen –, genau so haben Sie auch heute keinen Rückhalt mehr für Ihre agro-industrielle Landwirtschaft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hof- mann (CSU): Weder das eine noch das andere stimmt!)

Heute haben Sie, Kolleginnen und Kollegen von der CSU, die Chance zu zeigen, wie ernst Sie das Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher wirklich nehmen. Wir sind für die Aufgaben, die von den Verbraucherinnen und Verbrauchern heute an die Landwirtschaft gestellt werden, gut vorbereitet. Die rot-grüne Bundesregierung, allen voran unsere grüne Bundesministerin Renate Künast, haben die Weichen richtig gestellt. Die grüne Landwirtschaftsministerin Bärbel Höhn in NordrheinWestfalen hat, anders als die bayerischen Minister Miller und Frau Stamm, schon lange vor der BSE-Krise richtig gehandelt. Anders als Sie, Herr Minister Miller, hat Frau Höhn artgerechte Tierhaltung längst gefordert, als Sie darin nichts anderes als einen Kostenfaktor gesehen haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hof- mann (CSU): Wie fördern Sie diese Landwirtschaft? Mit wie viel Geld fördern Sie diese Landwirtschaft?)

Herr Minister Miller, keine Angst, ich muss nicht länger auf Ihnen herumhacken. Ich habe schon vor einem Monat, als wir unsere zwölf Punkte für eine nachhaltige Lebensmittelproduktion vorgestellt haben, gesagt, dass wir uns in Sachen Agrarpolitik künftig gleich an den Chef halten werden.