Protocol of the Session on January 9, 2001

- Ja, gut. Dann müssen Sie zumindest hervorheben, was wir in Bayern ganz konkret und bewusst mit der Wissenschaft angehen.

(Maget (SPD): Sie müssen zuhören!)

Ich habe Herrn Kollegen Zehetmair erst gestern zugesagt, dass die Wissenschaft jedes lebende Tier aus einem Bestand mit einem erkrankten Tier haben kann, um bei den Untersuchungen an lebenden Tieren weiterzukommen. Auch das Tier aus dem Landkreis Lindau – der Fall, der uns gestern als positiv mitgeteilt wurde – hat zunächst noch gelebt. Die Veterinäre hatten den Verdacht geäußert, dass es sich um BSE handeln könnte. Daraufhin wurde das Tier lebend in die Bundesforschungsanstalt gebracht, damit der dortige Leiter entsprechende Untersuchungen am lebenden Tier vornehmen konnte.

Herr Maget, ich nehme zur Kenntnis, was Sie gesagt haben, und ich kann auch sehr gut damit leben. Aber ich muss es noch einmal sagen: Wer wie Sie noch vor wenigen Tagen der Auffassung war, dass es überzogen ist, gegenüber England ein Importverbot aufrechtzuerhalten, obwohl es dort jeden Monat zu 20 neuen Erkrankungen kommt, der ist genauso leichtfertig. Da könnte ich auch sagen, Sie übersehen die Risiken.

(Zuruf des Abgeordneten Maget (SPD))

Herr Kollege Maget, Sie können nicht mein Richter sein. Stellen Sie mir jemand anderen zur Verfügung, den ich dann akzeptiere. Sie kann ich nicht akzeptieren.

(Beifall bei der CSU – Frau Christine Stahl (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN): Man sucht sich den Richter nicht selber aus, so weit ist es noch nicht!)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Vielen Dank, Frau Staatsministerin. Das Wort hat nun Herr Staatsminister Miller.

Staatsminister Miller (Landwirtschaftsministerium) : Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Ich komme von einem Hof aus einem Dorf, in dem ich als Kind zweimal miterlebt habe, was Tiererkrankungen bedeuten. Das erste Mal war, als in unserem Dorf Maul- und Klauenseuche herrschte. Das hat bedeutet, dass man als Kind von den anderen abgeschieden war, nicht mitspielen durfte, und man hat Tränen in den Gesichtern von Erwachsenen gesehen; das war ein nichtalltägliches Bild. Das zweite Mal war ich 14 Jahre alt, als mein Vater von einem tuberkulosebehafteten Milchviehbetrieb auf einen tuberkulosefreien Betrieb umstellte. Ich musste damals mit der Hand die Kühe melken. Mich braucht also niemand zu sensibilisieren, was Tierkrankheiten bedeuten.

Deshalb war es das Ziel meiner Arbeit, zusammen mit Barbara Stamm und Reinhold Bocklet im Bundesrat eine einheitliche Stellungnahme aller Bundesländer zustande zu bringen und in der Agrarministerkonferenz eine einstimmige Entschließung aller Landwirtschaftsminister in der Bundesrepublik.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen – ich sage „sehr geehrte“, obwohl ich das nicht mehr sagen sollte, die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, die Bäuerinnen und Bauern erwarten Lösungen, keine Schuldzuweisungen und vor allem keine kurzfristige Par

teipolitik. Ich sage Ihnen gleich, warum. Ich tue das ungern, aber ich muss Ihnen sagen: Wenn in Bayern geschlampt und geschlafen worden wäre, würde das mindestens in gleicher Weise für Schleswig-Holstein gelten. Wir haben in Bayern leider sechs BSE-Fälle. Wir haben in Schleswig-Holstein leider zwei BSE-Fälle. Bayern hat aber 3,5 mal so viel Rinder wie Schleswig-Holstein.

(Maget (SPD): Ach Gott!)

Ich möchte diese Rechnung nicht weiterführen und auch nie mehr anführen.

(Maget (SPD): Das ist auch besser!)

Ich wollte Ihnen damit nur zeigen, wohin eine einseitige Betrachtungsweise führt.

Wenn Sie vorgetragen haben, dass die EU-Kontrolle bei Futtermitteln etwas ans Tageslicht gebracht habe und die Staatsregierung „ertappt“ wurde, dann ist das falsch. Vielmehr stammen die Zahlen, mit denen die EU Furore macht, von der Staatsregierung. Die Kommission war lediglich zwei Stunden in einem Mischfutterbetrieb. Nicht alle unsere Zahlen, die wir nachgeliefert haben, sind bisher in den Berichtsentwurf eingeflossen. Wir hoffen, dass die endgültige Fassung des Berichts zu einem anderen Bild führt.

Eines ist unbestritten: Bayern hat nachweislich die größte Zahl von mikroskopischen Untersuchungen in Auftrag gegeben. Obwohl in Nordrhein-Westfalen doppelt so viel Mischfutter produziert wird, wurde in Bayern die dreifache Anzahl von Untersuchungen auf Tiermehl durchgeführt.

(Zuruf von der SPD: Und die Konsequenzen?)

Auch der Bericht über Nordrhein-Westfalen – Sie müssen ihn schon genau lesen – ist nicht so günstig, wie Sie glauben. Dort sind immerhin 32 Verunreinigungen aufgeführt,

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber die sind dem nachgegangen, die haben gehandelt!)

und die Anweisungen waren aufgrund der Stellungnahme der Verbände und aufgrund der allgemeinen Situation in allen Ländern gleich.

Nun komme ich zu der Feststellung, dass im Falle des positiven Befundes keine Rückrufaktion stattgefunden hat. Der Herstellerbetrieb wurde umgehend von einem Mitarbeiter der Landesanstalt für Ernährung aufgesucht und einer Nachkontrolle unterzogen. Inzwischen wurden auch entsprechende rechtliche Schritte eingeleitet.

Auch bezüglich der personellen Besetzung möchte ich einen falschen Eindruck korrigieren. Wir haben ein Sachgebiet Getreide- und Futtermittelwirtschaft, das herangezogen worden ist. Die Mitarbeiter des Sachgebiets Futtermittelkontrolle wurden nicht aufgeführt, auch nicht die Abteilung Recht und Verwaltung, die die Abteilung in der LfE unterstützt. Nicht berücksichtigt wurden

außerdem die 17 bzw. jetzt 20 Probenehmer an den Ämtern für Landwirtschaft draußen im Land, wo die Firmen sind, wo die Bauernhöfe sind, wo die Händler sind.

Es stimmt, dass 1995 im Zuge der Privatisierung die Mikroskopie abgebaut und die Untersuchungen an den Landesuntersuchungsanstalten in Hameln und in Speyer vorgenommen wurden. Sie können uns aber nicht vorwerfen, dass nicht exakt gearbeitet wurde, weil das Anstalten in anderen Bundesländern sind und nicht unsere eigenen Mitarbeiter.

Welche Maßnahmen wurden eingeleitet? Im Dezember wurde die Zahl der Proben und der Untersuchungen auf Tiermehl massiv erhöht. Ich hatte bereits Anfang November, nachdem mir gesagt worden war, da ist nichts drin, darum gebeten, die Zahl der Untersuchungen zu erhöhen. Im Dezember haben wir die Proben um das Dreißigfache erhöht, nämlich von 10 auf fast 300.

Wir sind dabei, eine eigene Mikroskopie aufzubauen, die Untersuchungsmethodik auf PCR, das heißt Gensequenzanalyse, die die EU mit uns angefangen hat, zu Ende zu entwickeln – die EU ist mittlerweile ausgestiegen – und die amtliche Futtermittelüberwachung personell zu verstärken.

Außerdem haben wir einen Futtermittelservice für die Landwirte eingerichtet, die selber Proben ziehen und untersuchen lassen können. Durch Sofortmaßnahmen der LfE sind am 22. Dezember 700 Bescheide an Futtermittelhändler und Hersteller gegangen. Die Futtermittelpartien wurden gesperrt. Mit Bescheid vom 2. Januar wurde die Verbrennung dieser Futtermittel angeordnet.

Durch eine Verstärkung der Buchprüfungen werden gleichzeitig die für die Futtermittelherstellung verwendeten Einzelkomponenten und ihre Herkunft bei einer Reihe von Betrieben festgestellt. Ein besonderes Augenmerk haben wir auf die Herstellung von Milchaustauschern gerichtet. Bei der Überprüfung ist erfahrenes und geschultes Personal im Einsatz.

Ich möchte nicht wiederholen, was der Herr Ministerpräsident heute schon ausgeführt hat, das können Sie nachlesen. Die EU trägt selber einen Teil der Schuld, weil sie das ursprüngliche totale Tiermehlverbot in Wiederkäuerfutter aufgeweicht hat und Tiermehl von Geflügel, von Fischen und von Blut enthalten sein konnte. Das hat zu Schwierigkeiten bei der Untersuchung geführt, was bedeutet, bei einer Konzentration von unter 1 Prozent bis zum 31. Mai 1999 und von unter 0,5 Prozent ab dem 1. Juni 1999 war ein gerichtsverwertbarer Beweis nicht gegeben.

Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie mir dies nicht glauben, sehen Sie bitte in dem Bericht nach, den die Bundesregierung letzte Woche in den Ausschüssen für Gesundheit und Ernährung gegeben hat, in dem es so steht – die genaue Begründung und derselbe Verlauf –, als hätten Sie es von uns abgeschrieben. Aufgrund der Nachweisprobleme hat Bayern auf meinen Vorschlag hin am 21. November ein generelles Verbot von Tiermehl und tiermehlhaltigen Futtermitteln gefordert. Heute wird tapfer diskutiert, und bis 1997 wur

den die Anträge gestellt. Sie regieren seit 1998 in Berlin – Futtermittelrecht ist Bundesrecht. Wenn Sie von der Gefährlichkeit der Futtermittel gewusst haben, müssen Sie der Bevölkerung erklären, warum Sie in den zwei Jahren nichts unternommen haben. Herr Dr. Dürr, Ihre Behauptung, die Lobby sei mir mehr wert gewesen als die Bürger, weise ich entschieden zurück.

(Beifall bei der CSU – Zuruf von der SPD: Dies hat auch Ministerpräsident Dr. Stoiber gesagt, das haben Sie schon wieder vergessen!)

Sie regieren in Berlin mit. Was haben Sie in den zwei Jahren getan? Können Sie Aktivitäten nachweisen, die darauf gerichtet waren, das Tiermehl aus der Verfütterung herauszubringen?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit dem 2. Dezember gilt deutschlandweit generell das Tiermehlverbot. Damit haben wir eine neue Rechtsgrundlage. Es gibt Pressemeldungen anderer Bundesländer, die Sie über das Internet abrufen können. Die Situation ärgert mich ungeheuer; nach dem Verbot gab es um den 18.12. erste Prüfungen mit folgenden Ergebnissen: In Baden-Württemberg waren 40% der Proben kontaminiert, in SchleswigHolstein und Thüringen 33%, in Sachsen-Anhalt und Bayern 20% der Proben. In Bayern wurden in sieben von 38 Proben Spuren festgestellt. Das Tiermehl muss aus der Verfütterung herausgenommen werden. Auch die Schweiz hat jetzt, ähnlich wie die Bundesrepublik Deutschland das Tiermehl für Schweine und Geflügel generell verboten, um diese Spuren zu beseitigen. Aber was machen wir? Gegen die Hersteller wird ein Bußgeldverfahren eingeleitet. Gleichzeitig erhalten die Hersteller und Händler die Anordnung, die betreffenden Futtermittel zu sperren und unschädlich zu beseitigen. Die Tierhalter werden angewiesen, das Futter weder zu verfüttern noch weiterzugeben, sondern an die Lieferanten zurückzugeben. Die Landesanstalt für Ernährung muss dies kontrollieren. Wir haben eine anonyme Anzeige erhalten, wonach 1996 eine Firma tiermehlhaltige Milchaustauscher von Baden-Württemberg nach Bayern geliefert hat. In dieser Angelegenheit hat die Landesanstalt am 4. Januar die Staatsanwaltschaft eingeschaltet.

Eine Bemerkung zu dem Brief von Landwirtschaftsminister Funke. Wenn ich Bundeslandwirtschaftsminister Funke, der in Brüssel die Gespräche führt, die heute dargestellte Situation schildere und darauf von ihm am 17. Juni des letzten Jahres zur Antwort bekomme, er teile meine Auffassung voll, frage ich mich, was man anderes machen soll; ähnlich war der Tenor auf den Agrarministerkonferenzen dieses Jahres.

Was das Zeichen „Qualität Herkunft aus Bayern“ betrifft, habe ich letzte Woche Professor Kihm in Bern gesagt, dass ich bis zum ersten Fall in Schleswig-Holstein davon ausgegangen sei, dass Deutschland BSE-frei sei. Professor Kihm hat daraufhin gesagt, zu Beginn seiner Untersuchungen hätte er geschworen, dass die Schweiz BSE-frei sei, denn auch dort sei Tiermehl nie an Wiederkäuer verfüttert und nie aus England importiert worden. Hätte ich sagen sollen, in Deutschland oder Bayern herrscht BSE? Ich wäre dann gefragt worden: Wo? Welch großes Vertrauen in das Siegel „Qualität Herkunft

aus Bayern“ gesetzt wurde, können Sie in der Rede des Bundeskanzlers nachlesen, der als erste Reaktion auf BSE gesagt hat, in Bayern gebe es doch so eine Kette, worauf andere den baden-württembergischen Namen gerufen haben. Der Bundeskanzler hat damit unser Zeichen „Qualität Herkunft aus Bayern“ gemeint.

Es gibt ein Agrarpapier der Staatssekretäre Dr. Wille und Baake, des Landwirtschafts- bzw. Umweltministeriums, wonach ein Qualitätssiegel mit klaren Kennzeichnungsregelungen die Entscheidungen der Einkäufer erleichtern soll. Aber Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, haben gesagt, nur wir hätten dies herausgestellt. Die SPD-Fraktion hat am 23. Oktober im federführenden Landwirtschaftsausschuss folgendem Beschluss einstimmig zugestimmt: „Die Staatsregierung wird aufgefordert, die Bemühungen für die Einführung eines EU-weiten Herkunftsnachweises für Fleisch und Fleischprodukte gezielt zu unterstützen.“ Kollegin Hecht hat wörtlich gesagt: „Wo immer die Verbraucher in der Europäischen Union Rindfleisch kaufen, müssen sie sicher sein, ein gutes und für den Verzehr unbedenkliches Erzeugnis zu bekommen.“ Das bayerische Qualitäts- und Herkunftszeichen, das durch das Programm „Offene Stalltür“ sehr gut ergänzt werde, sichere das zu. Am 01.03.2000 hat Frau Kollegin Lück dem Ausschuss gesagt, das bayerische Qualitätszeichen habe sich bei den Skandalen in der jüngsten Vergangenheit, besonders beim BSE-Skandal, sehr bewährt. Es habe geholfen, das Vertrauen der Verbraucher in bayerische Erzeugnisse zu stärken.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Lück (SPD))

Ich zitiere nur aus den Unterlagen.

(Zuruf von der SPD: Aber lückenhaft!)

Herr Maget, was Sie alles machen und beherrschen. Aus einem Artikel einer Fachzeitschrift, deren Drucklegung am 22.11. war, zitieren Sie: „Zur Verfütterung von Tiermehl und Fleischknochenmehl...“ Die Fortsetzung „an Mastschweine“ haben Sie weggelassen; dies ist bis zum 01.12. erlaubt gewesen.

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Herr Staatsminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Staatsminister Miller (Landwirtschaftsministerium) : Nein.

Inzwischen ist dies klargestellt worden. Allein mit dieser Tatsache verunsichern Sie die Menschen und verleumden Sie mich. Dass man mit so wenig so viel anrichten kann, konnte ich mir nicht vorstellen. Wenn wir in Zukunft diskutieren, stünde es der SPD und den GRÜNEN gut an und wäre es ein Akt der Ehrlichkeit, einzugestehen, dass Ihre Bundesregierung alles daran gesetzt hat, die Industrialisierung auf Bundes- und EU-Ebene und den Wettbewerbsdruck in der Landwirtschaft zu verschärfen. Die scheinheilige Forderung nach naturnaher Landwirtschaft und artgerechter Tierhaltung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass auf Bundes- und EU-Ebene wirksame Weichenstellungen notwendig sind.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

Ich begrüße es außerordentlich, dass dies nun eingesehen wird, und hoffe, dass es zu einer entsprechenden Änderung der Agrarpolitik kommt. Wir werden in den nächsten Wochen unsere Vorschläge in einem Eckpunkte-Programm vorlegen.

Weitere Lehren aus der BSE-Situation lassen sich einfach und schnell auf den Punkt bringen: Die Wissenschaft hat die notwendigen Erkenntnisse und Lösungen nicht schlagartig bereit, wenn uns die Natur mit Problemen wie BSE konfrontiert. Die lückenhaften Erkenntnisse im wissenschaftlichen Bereich zwingen uns zu einer breiten Prävention, da man nicht punktgenau ansetzen kann. Prävention erfordert Solidarität zwischen allen Beteiligten und kostet Geld. BSE ist weder ein bayerisches noch ein deutsches, sondern längst ein europäisches Problem. Um dieses in die richtigen Bahnen zu lenken, müssen alle intensiv zusammenarbeiten.

Ein Grundsatz der Ernährungspolitik, für die ich auch verantwortlich bin, ist: Bei der Lebensmittelsicherheit darf es kein Splitting zwischen fragwürdigen Standards für Einkommensschwache und Prämienprodukten für gut betuchte Verbrauchergruppen geben.