Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir werden dem Berichtsantrag zustimmen, damit ist nicht viel kaputt zu machen. Insofern sehen wir kein besonderes Problem.
Herr Kollege Zeller, allerdings war ich offengesagt etwas überrascht über das, was ich eben von Ihnen gehört habe. Denn der gestrige Bericht in der Zeitung über die Bewertung durch Ministerpräsident Dr. Stoiber und durch den CSU-Parteivorsitzenden sowie den Generalsekretär klang völlig anders als Ihr Vortrag; offensichtlich gibt es da eine Meinungsänderung. Frau Kollegin Gote, wie eine Fraktion Anträge stellt, sollte man ihr überlassen, ohne ihr Vorwürfe zu machen.
Der Antrag der GRÜNEN entspricht nicht unserer Bewertung. Deswegen werden wir uns bei diesem Antrag enthalten. Dieser Gipfel war von größter Tragweite und einer wichtigsten Gipfel der Europäischen Union seit ihrem Bestehen.
Grundlage, Ziel und Mandat dieses Gipfels waren es, die Erweiterungsfähigkeit der Europäische Union sicherzustellen. Herr Kollege Zeller, es nutzt nichts, wenn Sie von Kompetenzabgrenzung und ähnlichen Dingen reden; denn dies war nicht das Mandat. Es ging vielmehr um die left overs von Amsterdam, also um das, was man als Überbleibsel bezeichnet, aber notwendig ist, um die Europäische Union erweiterungsfähig zu machen und damit die Grundlage für eine der wichtigsten politischen Entscheidungen in diesem kommenden Jahrhundert, nämlich die Wiedervereinigung Europas, zu legen. Bei diesem Überbleibsel ging es nicht um technische Fragen, wie MdEP Ferber in der kürzlich ausgestrahlten Diskussion „Herbert Huber bittet zum Gespräch“ mit Kollegen Ihrer Fraktion aus dem Europäischen Parlament gesagt hat. In Nizza ging es um zentrale Machtfragen auf europäischer Ebene, um Fragen der Souveränität und der Autonomie der Staaten Europas, somit war dies einer der schwierigsten Konferenzen schlechthin. Diese Einschätzung macht zweierlei deutlich: Erstens wie falsch Ihr Ansatz zunächst war, diese Regierungskonferenz über die left overs hinaus mit anderen Fragen zu verknüpfen, die auch in sich zentral schwierig sind. Dies hätte die Regierungskonferenz völlig überhoben, und deswegen war es richtig, die Regierungskonferenz auf diese zentralen Punkte zu konzentrieren, weil anderes nicht möglich gewesen wäre, und damit letztlich die Chance der Osterweiterung Europas – sprich der Wiedervereinigung Europas – infrage gestellt worden wäre.
Die Regierungskonferenz in Nizza war unseres Erachtens ein Erfolg. Sie hat das gesetzte Ziel erfüllt. Es wurde in der Stimmengewichtung Erhebliches verändert und ein demografischer Faktor aufgenommen, das heißt, eine Anpassung an die Einwohnerzahlen der Mitgliedstaaten vorgenommen. Wichtig ist, dass Deutschland als größtes Einwohnerland zusammen mit zwei anderen Mitgliedstaaten Entwicklungen abbremsen kann, die nicht in seinem Interesse liegen. Zweitens wird die Kommission, soweit sie 27 Mitgliedstaaten zählt, erneut darüber diskutieren, die Zahl der Kommissare zu reduzieren. Frau Kollegin Gote, insoweit ist Ihr Antrag falsch, wonach bei einer Vergrößerung auf bis zu 27 Kommissare die Arbeitsfähigkeit der Kommission gefährdet sei.
Von derzeit 73 Mehrheitsentscheidungen werden 35 Mehrheitsentscheidungen gestrichen. In zentralen Bereichen sind sicher weiterhin Einstimmigkeitsentscheidungen notwendig. Aber Nizza ist ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung Mehrheitsentscheidung bei der Erweiterung.
Schließlich ist für uns ein ganz wesentlicher Punkt die Frage der Flexibilität, dass eine verstärkte Zusammenarbeit wesentlich erleichtert wird, um damit auch bei mehr Mitgliedern die Möglichkeit zu haben, Europa nach vorne zu bringen. Positiv auch der Post-Nizza-Prozess im Jahre 2004. Natürlich hätte man sich in Nizza mehr vorstellen können. Ich sage für mich persönlich, dass ich mir mehr hätte vorstellen können und vorgestellt hätte. Nachdem ich die Vorredner, vor allen Dingen Kollegin Gote gehört habe, muss ich aber sagen: Bei der Regierungskonferenz in Nizza ging es um eine Regierungskonferenz und nicht um ein Oberseminar in politischer Wissenschaft.
Die Vorstellung, was unter 15 souveränen Nationalstaaten möglich und mit tiefen Eingriffen in die Souveränität verbunden ist, ist etwas anderes als ein lockeres Daherreden.
Ich sage Ihnen ganz offen: Wenn wir in politischen Parteien und Organisationen so locker daherreden, sollten wir uns einmal zu Gemüte führen, dass wir in unseren Parteien gelegentlich vorhaben, Reformen durchzuführen, Veränderungen vorzunehmen. Wenn ich sehe, was am Schluss herauskommt und was auf Parteitagen diskutiert wird – wenn ich auf den CSU-Parteitag vor einiger Zeit blicke, als es um die Beitragserhöhung ging, wenn ich ähnliche Dinge bei uns in der Fraktion sehe und, Frau Gote, wenn ich sehe, wie schwer Sie sich in der letzten Woche getan haben, einen Fraktionsvorstand zu wählen,
Sie aber locker über eine Regierungskonferenz reden, wo es um viel mehr ging –, dann sollten wir uns manchmal mit großen Worten über andere bei einer solchen Regierungskonferenz zurückhalten.
Da überheben wir uns etwas. Wie gesagt: Hier geht es nicht um ein Oberseminar, sondern um praktische reale Politik in diesem Lande.
Meine Damen und Herren, ich will beim Bild bleiben: Das war ein halbes volles Glas, nicht ein halbes leeres Glas. Insoweit ist dieser Gipfel, wie gesagt, ein Erfolg, weil er die Wiedervereinigung Europas letztlich ermöglicht.
Meine Damen und Herren, für Deutschland war dieser Gipfel in besonderer Weise erfolgreich; denn Deutschland hat sich wie selten zuvor auf einem anderen Gipfel, seit Europa in der Form der Europäischen Union besteht, bei den anderen Mitgliedstaaten einen hohen Vertrauensvorschuss erworben. Deutschland ist aufgetreten als der Vertrauensanwalt der kleinen Mitgliedstaaten. Dies war und ist für uns in Deutschland in vielerlei Hinsicht von großer Bedeutung.
Meine Damen und Herren, in dieser Regierungskonferenz hat der Bundeskanzler so verhandelt, dass es trotz substanzieller Unterschiede in den Positionen zu Frankreich nicht zu einem Bruch mit Frankreich kam. Auch dies war sehr wichtig und sehr klug im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung. Schließlich hat Deutschland als ehrlicher Makler mitgeholfen, dass dieser Gipfel zu einem Erfolg werden und überhaupt abgeschlossen werden konnte. Sonst wäre er mit nachhaltigen negativen Auswirkungen für Europa gescheitert. Dies muss man deutlich und ernst sagen. Dass dieser Abschluss möglich war – das muss ich ganz offen sagen –, war vor allem ein Verdienst des Bundeskanzlers, Gerhard Schröder.
Das hören Sie nicht gerne. Im Übrigen: Der Ministerpräsident und Herr Goppel haben ihn eigentlich recht ordentlich gelobt.
Sie müssen einmal die europäischen Zeitungen lesen. Die europäischen Zeitungen waren voll des Lobes über den deutschen Bundeskanzler. Die italienische Zeitung „La Repubblica“, eine der bekanntesten Zeitungen, schreibt: Der Sieger von Nizza hat einen Namen; er heißt Schröder. Dies kommt auch nicht von ungefähr.
Ich weiß, dass Sie das nicht so gerne hören, aber in der Tat ist es so, dass es vor allem der deutsche Bundeskanzler war, der erfolgreich gestritten hat.
Frau Kollegin Gote, zu Ihrer kritischen Bewertung des Gipfels darf ich Ihnen Folgendes sagen. Wenn ich die Bilder im Fernsehen richtig gesehen habe, dann war bei den Verhandlungen auch Außenminister Fischer dabei, der Ihrer Partei angehört. Ich würde meinen Bundeskanzler oder den Außenminister nicht so bewerten, wie Sie es eben getan haben.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch für die Länder war es sehr wichtig, darauf ist hingewiesen worden, dass mit der Entscheidung über den Post-Nizza-Prozess auch Fragen der Kompetenz
abgrenzung, Fragen nach mehr Klarheit in den europäischen Verträgen geregelt werden, die sehr wichtig sind. Insoweit kann man sagen, dass dieser Gipfel erstens ein Erfolg war und zweitens auch sein Ziel erreicht hat, nämlich die Grundlagen für die Erweiterung Europas zu legen. Dass damit die Entwicklung der Europäischen Union nicht abgeschlossen ist, dass im Hinblick auf die Erweiterung noch vieles notwendig ist, ist klar. Dafür wird es aber, wie gesagt, eine andere Konferenz geben. Hier gilt der abgewandelte Satz: Auch Rom ist nicht an einem Tag erbaut worden.
Meine Damen und Herren, ich denke, dass damit Europa einen guten Schritt nach vorne kam. Jetzt müssen wir die Ergebnisse umsetzen. Lassen Sie mich eines sagen – ich tue dies ohne Zynismus oder vor irgendeinem Hintergrund –: Ich fand es sehr positiv, dass der Ministerpräsident und der Generalsekretär der CSU die Ergebnisse des Gipfels und auch das Verhandeln des Bundeskanzlers positiv bewertet haben. Ich sage dies, weil es sehr wichtig ist, dass wir in europäischen Fragen den Grundkonsens der demokratischen Parteien in Deutschland aufrechterhalten.
Das ist eine zentrale Frage gerade für uns in Deutschland in sicherheitspolitischer Hinsicht, aber auch aus Gründen des Wohlstandes und aus Gründen der sozialen Sicherheit. In diesem Sinne bewerten wir diesen Gipfel positiv. Wir werden dem Berichtsantrag zustimmen und uns bei dem Antrag der GRÜNEN aus den genannten Gründen enthalten.
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! In der Nacht zum Montag schlossen die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten in Nizza ihre Verhandlungen zur Regierungskonferenz ab. Im Rampenlicht steht natürlich die Vereinbarung zur institutionellen Reform der Europäischen Union. Darüber hinaus hat sich der Europäische Rat aber auch mit einer Reihe weiterer Themen beschäftigt, auf die ich ebenfalls kurz eingehen werde und auf die leider Gottes meine Vorredner nicht eingegangen sind.
Im Mittelpunkt der Regierungskonferenz standen die Probleme, die der Gipfel von Amsterdam nicht zu lösen vermocht hatte. Was die künftige Größe der Europäischen Kommission betrifft, hat die Regierungskonferenz Folgendes beschlossen: Bis zum Jahre 2005 bleibt der Status quo unverändert. Große Mitgliedstaaten stellen zwei Kommissare, Länder, welche vor dem Jahr 2005 beitreten, erhalten einen Kommissar; ab dem Jahr 2005 verzichten die großen Mitgliedstaaten auf ihren zweiten Kommissar; jeder Mitgliedstaat, auch jeder neue, erhält einen Kommissar, bis eine Kommissionsgröße von 27 Mitgliedern erreicht wird. Anschließend soll der Rat einstimmig die Höhe und die Modalitäten einer paritätischen
Rotation, wie es wörtlich heißt, bestimmen. Abgesehen vom Verzicht der großen Mitgliedstaaten auf einen zweiten Kommissar ist dies nur vordergründig eine Lösung, da nicht abzusehen ist, ob und wie der spätere – einstimmige – Beschluss des Rates zustande kommt. Damit wurde die Reform der Kommission in diesem Punkt vertagt.
Positiv muss allerdings gewertet werden, dass der Kommissionspräsident nun eine politische Richtlinienkompetenz erhält. Im Vertrag wird ausdrücklich sein Recht beschrieben, den Kommissaren Zuständigkeiten zuzuweisen und diese nachträglich zu ändern. Nach Billigung durch das Kommissionskollegium soll er auch das Recht erhalten, einzelne Kommissare zu entlassen.
Hinsichtlich der Stimmenwägung im Rat wurde im Ergebnis eine dreifache qualifizierte Mehrheit beschlossen. Voraussetzung für einen Beschluss des Ministerrates sind danach erstens die Erreichung einer qualifizierten Mehrheit von 74% der gewogenen Stimmen, wobei die Skala der Stimmgewichte von der bisherigen Bandbreite 2 bis 10 auf 3 bis 29 für die großen Mitgliedstaaten erweitert wurde. Die größeren Mitgliedstaaten werden damit gegenüber den kleineren etwas besser gestellt. Zwischen den großen Mitgliedstaaten wird nicht differenziert.
Frankreich hat sich mit seiner Forderung, dass Deutschland nicht mehr Stimmen als die übrigen großen Mitgliedstaaten haben dürfe, durchgesetzt. Außerdem muss eine Mehrheit der Mitgliedstaaten bei einem Beschluss des Rates zustimmen. Schließlich kann auf Antrag eines Mitgliedstaates die Feststellung verlangt werden, ob der Beschlussvorschlag von einer Bevölkerungsmehrheit von 62% getragen wird. Damit wird erstmals eine Möglichkeit zur Berücksichtigung der Bevölkerungszahl bei der Abstimmung im Rat geschaffen, was den Schönheitsfehler bei der Stimmgewichtung gegenüber den anderen großen Mitgliedstaaten mehr als aufwiegt.
Aus der Sicht der Staatsregierung ist dies ein positives Element des Gipfelbeschlusses. Zusammen mit zwei weiteren großen Mitgliedstaaten hat Deutschland damit eine Sperrminorität. Allerdings: Die Beschlussfassung nach drei verschiedenen Mehrheiten dürfte zu einer Komplizierung des Entscheidungsprozesses beitragen.
Bei der Reform des Europäischen Parlaments wurde die derzeitige Degression verändert. Deutschland behält danach 99 Sitze. Die Sitze der Abgeordneten der anderen großen Mitgliedstaaten verringern sich von derzeit 87 auf 74. Die Gesamtzahl der Abgeordneten nach dem Beitritt der zwölf Kandidatenländer wurde auf 732 festgelegt. Im Hinblick auf eine stärkere Proportionalität war dies ein Schritt in die richtige Richtung. Die von uns stets geforderte Wahlgleichheit nach dem Grundsatz „one man – one vote“ ist jedoch bei weitem noch nicht erreicht. Dies zeigt sich vor allem im Verhältnis der großen zu den kleineren Mitgliedstaaten.
Konsequenterweise hat das Europäische Parlament in Nizza auch nicht wesentlich mehr Rechte erhalten, eben weil die demokratische Legitimation noch nicht in der
Weise hergestellt ist, dass die volle Proportionalität – bis auf ein paar Grundmandate für jeden Mitgliedstaat – sichergestellt wurde. Zur Frage des Übergangs in die Mehrheitsentscheidung beschränke ich mich auf einige besonders wichtige Politikbereiche, zumal der genaue Vertragstext noch nicht vorliegt. Bei den Strukturfonds soll der Übergang in die Mehrheitsentscheidung erst ab dem Jahr 2007 erfolgen. Da zu diesem Zeitpunkt die neue finanzielle Vorausschau, die ab dem Jahr 2007 gilt, und die darauf aufbauende neue Strukturfondsverordnung bereits beschlossen sind, greift die Mehrheitentscheidung faktisch erst ab dem Jahr 2014. Das Kohäsionsland Spanien hat sich dabei wieder einmal durchgesetzt.
Für den Bereich „Asyl und Einwanderung“ hat die Bundesregierung dem Übergang zur Mehrheitsentscheidung unter der Bedingung zugestimmt, dass bis zum Jahr 2004 in der Europäischen Union einheitliche Regeln hierfür geschaffen werden. Die Bundesregierung hofft offenbar, bis zu diesem Zeitpunkt für Deutschland akzeptable Regelungen erreichen zu können. Nach unserer Auffassung bedeutet das, dass dabei die immer noch unzureichende Lastenverteilung geregelt werden muss. Angesichts der einwanderungsfreundlichen Politik der Europäischen Kommission sehe ich die Gefahr, dass der deutsche Asylkompromiss unterlaufen wird und mittelfristig die Asylbewerberzahlern in Deutschland wieder ansteigen werden.
In der Steuer- und weitgehend auch in der Sozialpolitik wurde die Einstimmigkeit beibehalten. Bei den Steuern können die EU-Mitgliedstaaten frühestens fünf Jahre nach In-Kraft-Treten des Vertrags von Nizza einstimmig beschließen, bei einigen Punkten der indirekten Besteuerung und der Unternehmensbesteuerung zur qualifizierten Mehrheit überzugehen. Regelungen zur Umsatzsteuer, zu Verbrauchsabgaben und zu direkten Steuern verbleiben jedoch in der Einstimmigkeit. Gerade für die Steuerpolitik ist das Verhandlungsergebnis grundsätzlich zu begrüßen. Eine einheitliche Politikgestaltung auf diesen Feldern würde letztlich zu höheren Steuern führen und den notwendigen Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten untergraben. Einheitliche Regelungen im Steuerrecht sind nach unserer Überzeugung nur dort sinnvoll, wo Mißbrauch verhindert werden muss.