Protocol of the Session on November 10, 2000

Sogar die Laborschule Bielefeld darf sich auf diesen Kongressen präsentieren. Die Leiterin der Laborschule in Bielefeld wird zum Thema „Werte und Schule“ referieren. Das muss man sich einmal vorstellen. Aus dem vielgeschmähten rot-grünen Nordrhein-Westfalen kommt eine Leiterin und spricht über „Werte und Schule“. Man traut seinen Augen kaum, da doch die CSU glaubt, wenn dieses Thema von rot-grünen Politikern in die Hände genommen würde, der Untergang des Abendlandes programmiert wäre.

(Hofmann (CSU): Das ist ein Schmarrn!)

Hören wir doch endlich auf, Herr Kollege Knauer, uns Argumente um die Ohren zu hauen, die andere Bundesländer betreffen. Das bringt uns in der Debatte über die bayerischen Schulen keinen Schritt weiter.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben mit dem Bildungsausschuss andere Bundesländer besucht.

(Zuruf des Abgeordneten Sackmann (CSU))

Auch die CSU-Kollegen haben feststellen müssen, dass nicht alles schlecht ist, was in roten und rot-grünen Ländern gemacht wird. Warum legt die CSU nicht diese Arroganz ab und gibt zu, dass es auch dort interessante Dinge gibt, man übernehmen kann. Warum sind Sie nicht offen für die Reform in diesen Ländern? Sie von der CSU sollten nicht immer gleich alle Entwicklungen in den anderen Bundesländern schlecht machen.

(Hofmann (CSU): Ihr wollt die Gesamtschule, und wir wollen sie nicht!)

Herr Hofmann, ich vertrete grüne Bildungspolitik. Sie werden keinen einzigen Antrag von mir finden, in dem ich die flächendeckende Einführung der Gesamtschule fordere. Ich verteufele sie nicht, und wo sie nicht ausblutet, ist sie auch gut.

(Hofmann (CSU): Das ist schon klar!)

Sie, Herr Hofmann, sprechen immer von der Opposition. Vielleicht lässt Ihr Abstraktions- und Differenzierungsvermögen es zu, genau zu unterscheiden, wer am Rednerpult spricht, welche Partei diese Person vertritt und aus welcher Zeit gewisse Vorschläge stammen. Vergessen Sie doch einfach, was in den Siebzigerjahren war. Wenn Sie die Bildungspolitik hier verfolgen, werden Sie sehen, dass sich etwas geändert hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hof- mann (CSU): Ihr wärmt es immer wieder auf!)

Lassen Sie mich zu den Regionalkongressen zurückkommen. Zur Durchführung der Tagung stehen jämmerliche 10000 DM bereit, Frau Ministerin. Wenn man die

Organisatorinnen und Organisatoren mit so wenig Geld ausstattet, ist die Gefahr groß, dass auch diese wenigen innovativen Reformlehrkräfte und Schulen verheizt werden. Ich finde es interessant, wie solche regionalen Kongresse vor Ort verkauft werden. Die Ankündigungen strotzen vor Banalitäten und Selbstverständlichkeiten. Das habe ich schon während meiner Zeit als Lehrerin gehört. Es gibt überhaupt nichts Neues und Innovatives.

Schule bewegt sich immer in einem bestimmten Rahmen. Schule ist stets so, wie es dieser Rahmen zulässt. Wenn wir eine andere Schule wollen, dann muss auch der Rahmen anders gesetzt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine andere Schule mit demselben Rahmen wird nicht funktionieren. Unterstellen Sie, Frau Ministerin, uns bitte nicht Beliebigkeit, so wie Sie es im Haushaltsausschuss getan haben. Eine Schule in Freiheit ist keine Schule der Beliebigkeit. Auch wir GRÜNE wollen einen festen Zielrahmen an den Schulen, eine gewisse Kontrolle sowie eine relativ starke Form der Evaluierung. Das sind übrigens Ihre Worte aus dem Haushaltsausschuss.

Unterstellen Sie uns auch nicht, wir wollten, dass der Elternbeirat die Schuldirektoren aussuchen soll. Ich habe den Eindruck, dass Sie uns diffamieren und in ein gewisses Abseits stellen wollen und zwar mit Behauptungen, die überhaupt nicht stimmen. Ich möchte Sie bitten redlich zu sein und unsere Worte nicht zu verdrehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen, dass die Schulleitungen von der Schulkonferenz, die für uns ein Schulparlament ist, gewählt werden. Das wäre unsere Wunschvorstellung.

Der Rahmen muss weiter gespannt werden. Viele schöne Worte wurden in der Diskussion zur inneren Schulreform gesagt. Lehrkräfte sollen im Team an einer gemeinsamen pädagogischen Idee und dem Profil der Schule arbeiten. Das ist richtig. Wie kann ich aber ein Team zusammenstellen, das sich für die pädagogische Idee der einzelnen Schule begeistert? Wenn ich ein Blasorchester leite, dann nützt es nichts, wenn man mir in mein Orchester hervorragende Violinistinnen setzt. Ich muss mein Team zusammenstellen können. Das sagt Ihnen auch jeder Fußballtrainer. Warum dürfen eigentlich nur Berufsschulen, Fachoberschulen und Berufsoberschulen ihre Lehrkräfte in Zukunft selber aussuchen? Wenn Sie über die Hauptschule reden, unterstellen Sie uns immer, wir wären die Feinde der Hauptschule und würden diese schlechtreden. Manchmal habe ich den Eindruck, als ob ich die einzige Bildungspolitikerin hier bin, die sich wirklich für die Hauptschule engagiert und für die Hauptschule Leidenschaft entwickeln kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen wir doch einmal die Schulen ihr Personal aussuchen, auch Fachleute, die keine Lehrkräfte sind, und schauen wir, welche Hindernisse auch juristischer Art aus dem Weg geräumt werden müssen, und dann räumen wir sie auch weg!

Zweite Forderung: Die Schulleitung ist die zentrale Figur bei der Schulentwicklung. Das sagen ja auch Sie. Richtig! Was mache ich aber, wenn die Schulleitung dieser Aufgabe nicht gewachsen ist? Vergeben wir doch einmal Führungspositionen auf Zeit und schauen auch hier, welche juristischen Hindernisse aus dem Weg geräumt werden müssen.

Schule braucht motivierte Lehrkräfte. Richtig! Wie kann ich diese aber bei dem starren Laufbahnrecht des Beamtentums motivieren, für außergewöhnlichen Einsatz belohnen? Entwickeln wir doch auch hier Modelle zusammen mit Bildungsexperten und Bildungsexpertinnen.

Die Schule braucht die Mitarbeit der Eltern. Richtig! Wie kann diese aber in einem demokratischen Staat aussehen? Und brauchen wir nicht genauso die Mitarbeit der Schülerinnen und Schüler? Und wie kann diese aussehen? Richten wir doch ein demokratisches Entscheidungsgremium ein, das über alle wichtigen Belange entscheidet, und schauen wir, ob und wie es funktioniert.

Ich verfolge sehr genau, was Alois Glück mit seinem bürgerschaftlichen Engagement hier so verbreitet. Ich finde es ganz interessant, weil Alois Glück in vielem das verbreitet, was wir Grünen leben, was unsere grünen Wurzeln sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Alois Glück sieht den Dissens zwischen der CSU und der Opposition in Fragen des bürgerschaftlichen Engagements bei der Frage der Beteiligung der Schüler und Schülerinnen – ich zitiere –: „Meinungsverschiedenheiten beginnen dort, wo es um verschiedene Wertorientierungen etwa in der Bildungspolitik geht, beispielsweise bei der Frage, wie stark man Eigenverantwortung der Schüler betonen soll.“ Ich glaube zwar, dass wir auch bei der Mitsprache der Eltern noch weit voneinander entfernt sind. Trotzdem: Probieren wir doch aus, was Schülerinnen und Schüler zu leisten vermögen in einem demokratischen Prozess an der Schule, und sagen wir nicht von vornherein nein. Machen Sie doch einmal Nägel mit Köpfen, Frau Staatsministerin!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wagen Sie den Sprung nach vorn und nehmen Sie unseren Vorschlag des Projekts „Schule der Zukunft“ an. Wir bieten Ihnen damit ein regelrechtes Schatzkästlein an. Ich habe auch eine Langfassung davon, die das Projekt detailliert beschreibt. Bedienen Sie sich ruhig jetzt, wir sind da großzügig, und außerdem haben wir im Gegensatz zu Ihnen ein Herz für Spätentwickler und Spätentwicklerinnen, wie Sie es sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir Grünen verstehen etwas von innerer Schulentwicklung. Wir arbeiten schon jahrelang daran. Mit unserem Projekt „Schule der Zukunft“, das 10% zusätzliche Mittel für die Schule bereitstellt, können Reformen auch materiell so vorangebracht werden, dass sie wirklich umsetz

bar und nicht zum Verhungern sind. Wir brauchen substanzielle Maßnahmen und nicht nur eine Reformfarce.

Nehmen Sie die Chance wahr, engagierten Schulen wirklich so viel Freiheit wie nur möglich zu geben, und nehmen Sie doch die Chance wahr – das beinhaltet unser Projekt „Schule der Zukunft“ –, offene Fragen auf den Prüfstand zu stellen und mit Hilfe von Experten und Expertinnen an einer Lösung zu arbeiten. Unser Projekt ist auch ganz im Sinne der bayerischen Wirtschaft. Sie haben sicherlich auch noch die Worte des Präsidenten der bayerischen Wirtschaft, des Herrn Rodenstock, im Ohr, der sagte: „Das Ministerium muss die Gymnasien in die Freiheit entlassen.“ Diesen Satz predige ich, seitdem ich im Landtag bin, allerdings für alle Schularten.

Wie halbherzig und wie wenig zukunftsweisend Sie zurzeit agieren, zeigt zum Beispiel die Budgetierung am Gymnasium. Und wie rigide die Verwaltung ist, zeigt das kultusministerielle Schreiben zum Unterrichtsausfall. Zur Budgetierung: Hier läuft einiges schief, Frau Ministerin. Es beklagen nicht wenige, dass sie jetzt statt mehr Freiheit weniger Freiheit haben. Ich nenne Ihnen ein Beispiel, und das ist nur eines von vielen. So haben von sieben Landkreisgymnasien im Landkreis Fürstenfeldbruck sechs Gymnasien Stunden in einem hohen Maß abgeben müssen und nur ein Gymnasium erhält mehr Lehrerinnen- und Lehrerstunden. Sie haben zum Einen die zurechtgestutzt, denen es in der Vergangenheit gelungen war, sich Freiheiten zu erkämpfen, die auch eigenständig genug waren, sich die entsprechenden Ressourcen zu beschaffen. Jetzt werden sie alle über einen Kamm geschoren, und das wird dann als Gerechtigkeit verkauft. Ziemlich fragwürdig!

Sie haben aber auch die Schere beim Pflichtunterricht angesetzt. Ich nenne Ihnen dazu als Beispiel das Gymnasium meiner Heimatstadt Erlenbach. In der siebten Jahrgangsstufe fallen vier Wochenstunden Geschichte aus, in der zehnten Jahrgangsstufe zwei Wochenstunden Chemie und in der elften Jahrgangsstufe drei Wochenstunden Geschichte (die Chemiestunden im mathematisch-naturwissenschaftlichen Zweig des Gym- nasiums). Wie sollen da die Schulen trotz schöner Worte die Qualität des Unterrichts aufrecht erhalten können? Denn eines müsste Ihnen doch diese Diskussion zeigen: Schulen, die ein eigenes Profil erarbeiten sollen, brauchen auch die entsprechenden Mittel. Das, was als mittlerer Betrag bei Ihrer Budgetierung am Gymnasium herauskommt, reicht nicht. Nicht einmal ein Pflichtprogramm können viele Schulen damit absolvieren. Die Kür, die von den Schulen verlangt wird, die dann auch zur Meisterschaft entscheidend beiträgt, ist so nicht zu leisten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt ein Beispiel zur rigiden Verwaltung: Mit Schreiben vom 6.10.2000 an die Regierungen und die Schulämter wird der Unterrichtsausfall an den Volks- und Förderschulen thematisiert, für Gymnasien offensichtlich auch. Akribisch wird dabei Punkt für Punkt abgehandelt, wie der Unterrichtsausfall minimiert und die Vertretungssituation verbessert werden kann: 3.1, 3.2, 3.3, 3,4 dann 4.1 usw. Das entspricht doch noch sehr den Vorstellun

gen einer Obrigkeitsschule. Es gibt Anweisungen von oben und die werden Punkt für Punkt abgearbeitet. Ich bin schon der Meinung, dass die Schulen so wenig Unterricht wie möglich ausfallen lassen sollen. Es reicht aber, dieses Ziel zu formulieren, den Zielrahmen, um mit Ihren Worten zu reden, Frau Ministerin, zu setzen; wie es die Schulen dann organisieren, liegt in deren Ermessen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Allerdings brauchen diese dafür auch einen entsprechenden Spielraum, zum Beispiel entsprechende Finanzmittel, um eventuell Aushilfen bezahlen zu können.

Es war zu erwarten, dass Sie das Hohelied der R 6 singen. Logisch ist es eigentlich, dass der Ansturm jetzt groß ist. Wer will den sein Kind in eine Schule geben, wie die R 4, die ausstirbt? Niemand natürlich. Was die Zukunft der Hauptschule anbelangt, so ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Es ist heute noch nicht absehbar, ob diese überhaupt überlebt. Und ich rede sie nicht kaputt, wenn ich das hier einmal so deutlich sage. Absehbar ist an sehr vielen Schulen, dass sie Schüler und Schülerinnen an die R 6 oder auch an Hauptschulen mit M-Zügen verlieren, was sich für einzelne Schulen auch in einem großen Maßstab als existenzbedrohend erweisen wird.

Die Finanzierung habe ich bereits erwähnt. Wir haben einen Dringlichkeitsantrag dazu gestellt, wie der Unterricht für Gastschüler und Gastschülerinnen in den M-Klassen finanziert werden soll. Wir sind der Meinung, dass dies die Landkreise, also die Gebietskörperschaften, tun sollen, die auch für die Realschüler und Realschülerinnen zuständig sind. Das ist das, was offensichtlich auch CSU und Staatsregierung zumindest andenken, denn die Beförderungskosten trägt ja schon der Landkreis. Es wäre auch in der Logik der ganzen Geschichte. Hier geht es um einen mittleren Abschluss, der mit dem mittleren Abschluss der Realschulen gleichwertig ist. Somit wäre das Finanzierungsproblem gelöst.

Ich möchte noch einige Themen ganz kurz ansprechen, zunächst die Schulsozialarbeit. Äußerst ärgerlich, dass sich hier der Herr Staatssekretär nicht durchsetzen konnte. Herr Freller, ich hätte es Ihnen sehr gewünscht. Sie haben selber gesagt, dass es notwendig ist, im Bildungshaushalt dafür einen eigenen Haushaltstitel aufzunehmen. Das ist leider nicht gelungen. Jetzt bleibt das Kultusministerium und bleiben die Schulen Bittsteller bei den Kommunen.

Was die Integration Behinderter betrifft, warten wir immer noch darauf, Herr Thätter – wenn ich Sie so direkt ansprechen darf –, dass die CSU und die Staatsregierung konzeptionell weiterkommen. Ich weiß, dass Sie daran denken und dass Sie auch an weiteren Konzeptionen arbeiten. Aber sie sind bis jetzt noch nicht auf den Tisch gekommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unsere Vorstellungen sind bekannt: das Elternrecht auf Integration und dass das Umfeld so gestaltet ist, dass Integration wirklich möglich ist.

Die kinder- und familiengerechte Halbtagsschule ist, wenn man den Namen „Schule“, Frau Ministerin, ernst nimmt, ein Schwindel. Es ist keine Schule, es ist ein Betreuungskonzept auf Kosten der Kommunen und der Eltern.

Wir haben mit unseren Anträgen immer dafür gekämpft, dass die Qualität der Mittagsbetreuung stimmt – das ist uns besonders wichtig – und dass es eine Vielfalt von Betreuungsmöglichkeiten gibt. Dazu gehört unbedingt die Ganztagsschule. Da vermisse ich Initiativen Ihrerseits. Ich kann mich daran erinnern, dass vor einem oder eineinhalb Jahren in einem Zeitungsartikel stand, Sie wollten auch mehr Ganztagsschulen. Davon spüren wir überhaupt nichts.

Mich freuen die Fördermittel für besonders kreative und innovative Projekte an Schulen. Genau dieses haben wir bereits zum Doppelhaushalt 1999/2000 gefordert. Damals wurde es noch abgelehnt. Ich freue mich, dass die CSU und die Staatsregierung nun einsichtig waren.