Protocol of the Session on November 9, 2000

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat Herr Schindler.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich verstehe die Aufregung überhaupt nicht. Ich schätze die Situation ähnlich ein wie mein Vorredner. Die CSU befindet sich auf einem Rückzugsgefecht. Schließlich ist es noch nicht allzu lange her, dass ein Mitglied dieses Hauses angeregt hat, eine Volksabstimmung zu der Frage zu machen, ob Bayern ein Einwanderungsland sei oder nicht. Das ist noch nicht

allzu lange her. Das ging damals nach dem Motto, wenn sich die Wirklichkeit schon nicht mit der Theorie verträgt, um so schlechter ist das für diese Wirklichkeit; die müssen wir ändern.

(Zuruf von der CSU – Heiterkeit bei der SPD)

Insoweit sind Sie ja ein paar Schritte weiter gegangen. Man kann Ihnen gratulieren, Sie sind in der Realität angekommen, weil Sie endlich zur Kenntnis nehmen, dass seit Jahrzehnten immer Menschen in dieses Land gekommen sind. Wie wir die dann betiteln, ob wir sagen, das sei Zuwanderung, das sei Einwanderung, das sei klassische Einwanderung oder was auch immer: Das ist eine zweitrangige Frage.

(Dr. Merkl (CSU): Diese Frage ist wichtig!)

Wichtiger, Herr Dr. Merkl, als die Bezeichnungen ist schon der Inhalt dessen, worum es geht. Es geht darum, die Fakten anzuerkennen. Die Fakten werden aber leider immer durcheinander gebracht. Deswegen, Frau Staatsministerin Stamm, muss ich auch zu Ihnen zwei, drei Sätze sagen, weil Sie hier einen Popanz aufbauen.

Heute Morgen haben wir hier einen bemerkenswerten Vortrag gehört, in dem unter anderem die Rede davon war, dass Radikalität, Extremismus auch mit der Wortwahl beginnt. Man hat vorsichtig damit zu sein, welche Begriffe man in den Mund nimmt.

Das gilt auch für Mitglieder der Staatsregierung, und deswegen kann ein Mitglied der Staatsregierung nicht einfach so daherschwadronieren von massenhaftem Asylmissbrauch, von Dämmen, die brechen.

(Beifall bei der SPD – Regensburger (CSU): Das ist eine Feststellung von Tatsachen!)

Nein, das sind keine Tatsachen, sondern das ist von der Begriffswahl schon dazu angetan, bei den Menschen Ängste zu schüren. Hinterher stellen Sie sich hin und sagen, die Leute haben Angst. Vorher haben Sie dafür gesorgt, dass die Menschen Angst bekommen. Frau Staatsministerin Stamm, auch Ihre Ausdrucksweise, die Sie hier gewählt haben, gehört in die gleiche Kategorie. Sie sagen, man müsse das Asylrecht eindämmen. Sie haben das wohl nicht so gemeint. Sie haben das aber wörtlich so gesagt. Lesen Sie es im Protokoll nach.

Sie haben wohl gemeint, dass man die Möglichkeit auf Berufung auf das Asylgrundrecht eindämmen soll. Dafür hat man ja schon manches getan. Im Jahr 1993 hat es schon einen Asylkompromiss gegeben. Seit dieser Zeit sind die Zahlen der Asylbewerber erheblich zurückgegangen. Die Wanderungsbilanz, Frau Staatsministerin, ist seit Jahren negativ. Seit Jahren wandern mehr Menschen aus Deutschland ab, als zuwandern. Dagegen sprechen immer mehr Personen, auch aus Ihren eigenen Reihen, davon, wir brauchen mehr Menschen. Das zeigt schon der Blick auf die demographische Entwicklung. Sind Sie stolz darauf, alles dafür zu tun, dass möglichst wenige kommen? Geben Sie es doch zu: Es geht Ihnen um eine bestimmte Kategorie von Menschen. Das sollten Sie dann aber laut sagen.

(Regensburger (CSU): Wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die negative Zuwanderungsbilanz im letzten Jahr ausschließlich auf den Sondereinfluss der Rückkehr der Bürgerkriegsflüchtlinge nach Bosnien zurückzuführen ist?)

Nein, das bin ich nicht, weil es nicht die Wahrheit ist, Herr Staatssekretär. Damit kann man auch schon darüber hinweggehen.

Ich mache noch eine dritte Bemerkung, Frau Staatsministerin. Sie versuchen, den Eindruck zu erwecken, als sei eigentlich alles in Ordnung. Wie kommen die GRÜNEN eigentlich dazu, hier einen Antrag mit diesem Inhalt zu stellen? Die Integration funktioniert doch nirgendwo so toll wie in Bayern. Sie geben einen 300seitigen Bericht; es ist alles in Ordnung.

Ich sage Ihnen nach zwei Jahren Tätigkeit im Petitionsausschuss des Bayerischen Landtags aus Erfahrung: Es ist nicht alles in Ordnung. Es ist sogar wenig in Ordnung. Wir haben Fälle, Frau Staatsministerin, da würden sich Ihnen die Haare sträuben. Sie würden fragen, wie so etwas im Freistaat Bayern passieren kann. Es ist eben nicht so, wie Sie es darstellen, dass hier so gut wie möglich integriert wird. Ich kann Ihnen die Fälle aufzählen, in denen man Mütter mit kleinen Kindern jetzt kurz vor dem Winter nach Hause schickt, obwohl man am Tag vorher dazu bereit war, eine Pferdelongierhalle erst nach dem Winter abreißen zu lassen, damit die Pferde nicht frieren.

(Regensburger (CSU): Was sind das für Vergleiche?)

Diese Vergleiche drängen sich auf, wenn man die Praxis betrachtet.

Zweitens. Wir hatten einen Fall, in dem eine hoch ausgebildete Akademikerin, eine Künstlerin, eine Dirigentin gezwungen worden ist, aus Bayern auszureisen. In ihre Heimat konnte sie jedoch nicht. Sie musste nach BadenWürttemberg, um dort ihren Beruf auszuüben. In einem Kulturstaat wie Bayern hätte man diese Dirigentin gut gebrauchen können. Das ist nicht in Ordnung in diesem Land, und deshalb stimmt der Eindruck nicht, den Sie zu vermitteln versucht haben.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kann es Ihnen nicht ersparen, dass ich noch einmal den Finger in die Wunde lege und sage, Sie führen ein Rückzugsgefecht. Auch Herr Traublinger sieht die Sache aus ganz anderen Motiven als wir – das weiß ich wohl – anders. Sie können jetzt sagen, er ist Lobbyist, aber er ist auch Mitglied dieses Hauses und Ihrer Partei. Anders sieht die Sache im Übrigen auch die Stadtratsfraktion der CSU in München. Sie hat in diesen Tagen mit den anderen Fraktionen zusammen einstimmig beschlossen, dass in Bayern so verfahren werden soll wie in Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg. Der Herr Staatsminister hat heute langatmig dargestellt, warum das nicht gehen soll. Aber wenn Sie wollten, wäre es möglich, denen, die hier in Lohn und Brot stehen, die keinen Pfennig Sozialhilfe kosten und von denen die Handwerksmeister sagen, sie

würden sie gern behalten, die Möglichkeit zu geben, zu bleiben. Stattdessen werden Sie in den nächsten Wochen, Monaten oder Jahren dorthin gehen, wo man die Leute jetzt hinschickt, um sie dort mit dem Lasso einzufangen und sie als Arbeitskräfte nach Deutschland zu holen.

(Beifall bei der SPD)

Es wird nicht mehr lang dauern, bis Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen wieder nach Kroatien und Anatolien ausschwärmen, um Arbeitskräfte zu suchen, und zwar nicht nur wie Herr Huber IT-Kräfte, sondern auch Pflegekräfte, Kranführer und Maschinisten. Es wird nicht mehr lang dauern, bis Sie sich hinstellen und sagen, das haben wir schon immer gesagt, genauso wie Sie heute den Eindruck vermitteln wollen, Sie seien schon immer der Meinung gewesen, dass Bayern ein Zuwanderungsland ist. Ich freue mich, dass Sie in der Realität angekommen sind.

(Beifall bei der SPD – Hoderlein (SPD): Das ist die Geschmeidigkeit der CSU!)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Um das Wort hat Herr Kollege Dr. Merkl gebeten.

Meine Damen und Herren, der Ausgangspunkt der Diskussion ist der Antrag der GRÜNEN gewesen, in dem steht: Erstens. Wir sollen anerkennen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Zweitens. Die Frau Ministerin soll einen Bericht geben. Zur zweiten Forderung ist klar gesagt worden, der Bericht wurde gegeben. Sie wollen das nur nicht wahrhaben. Zur ersten Forderung habe ich für die CSU-Fraktion deutlich gesagt, dass wir anerkennen, dass Deutschland ein Zuwanderungsland ist und dass Zuwanderung stattfindet, dass Deutschland aber kein – ich ergänze: klassisches – Einwanderungsland ist, wie es auch die Frau Staatsministerin vorhin dargelegt hat. Das war die gesamte Debatte, die wir hier geführt haben.

Sie haben gesagt, wir hätten uns bewegt und einen Salto geschlagen. Ich habe mich noch einmal gemeldet, um das richtig zu stellen, und zwar werde ich Ihnen nicht selbst entgegentreten, denn das wollen Sie sowieso nicht hören, sondern ich werde aus der nicht unbedingt der CSU nahe stehenden „Süddeutschen Zeitung“ von heute zitieren. Es ging darum, dass die GRÜNEN gefordert haben, wir sollten endlich anerkennen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Zu dem, was die GRÜNEN gestern in Berlin von sich gegeben haben – zu der Zeit war allerdings der Antrag der GRÜNEN in Bayern schon abgegeben, aber sie hätten bei diesen Äußerungen eben umdisponieren müssen –, heißt es in der „Süddeutschen Zeitung“:

Ein Einwanderungsgesetz soll sich allein am Bedarf orientieren, weil ein globalisierter Markt es so will. Das heißt im Umkehrschluss aber auch, wer von diesem Markt nicht gewollt wird, hat keine generelle Zuwanderungschance. So hat man das bei den GRÜNEN bisher noch nicht gelesen. Wer ermessen will, wie weit sich die Partei in der Einwanderungs

debatte bewegt hat, muss sich nur daran erinnern, dass die GRÜNEN einst offene Grenzen propagierten und Deutschland für praktisch unbegrenzt aufnahmefähig hielten.

Ich frage Sie: Wer hat sich hier bewegt?

(Beifall bei der CSU)

Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 14/4792 seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie Herr Abgeordneter Hartenstein. Gibt es Gegenstimmen? – Das ist die Fraktion der CSU. Gibt es Stimmenthaltungen? – Keine. Damit ist der Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

Nachdem die Zeit für die Behandlung der Dringlichkeitsanträge abgelaufen ist, werden die folgenden Anträge in die zuständigen Ausschüsse überwiesen:

Der Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Glück, Zeller, Dr. Gauweiler, Knauer und Fraktion (CSU), betreffend Grundrechte-Charta der Europäischen Union (Drucksa- che 14/4793), und der Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Maget, Dr. Heinz Köhler, Helga Schmitt und Fraktion (SPD), betreffend Zustimmung zur Charta der Grundrechte im Bundesrat (Drucksache 14/4794), werden in den Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten überwiesen.

Der Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Kellner, Münzel und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), betreffend Finanzierung des Sachaufwands von M-Schülerinnen und M-Schülern (Drucksache 14/4795), wird in den Bildungsausschuss überwiesen.

Der Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Maget, Schindler, Dr. Hahnzog und anderer und Fraktion (SPD), betreffend Vollzug des Ausländergesetzes – Gestattung des weiteren Aufenthalts von Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien (Drucksache 14/4796) sowie der nachgezogene

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Paulig, Kellner, Elisabeth Köhler und anderer und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), betreffend Gestattung des Aufenthalts für erwerbstätige bzw. sich in Ausbildung befindende Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien (Drucksache 14/4807), werden in den Verfassungsausschuss überwiesen.

Der Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Paulig, Kellner, Scharfenberg und anderer und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), betreffend Vorlage des SMA-Gutachtens (Drucksache 14/4797), wird in den Wirtschaftsausschuss überwiesen.

Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe auf:

Tagesordnungspunkt 3

Haushaltsplan 2001/2002;

Einzelplan 04 für den Geschäftsbereich des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz

Das Wort hat der Staatsminister der Justiz.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Behandlung des Justizhaushalts bietet mir die willkommene Gelegenheit, Ihnen einen Überblick über die Arbeit und die Entwicklung der bayerischen Justiz in den vergangenen zwei Jahren zu geben. Dabei geht es mir in erster Linie natürlich darum, Ihnen aufzuzeigen, dass die dem Justizressort bewilligten Mittel eine sinnvolle Investition darstellen, die sich für den Freistaat Bayern und seine Bürgerinnen und Bürger auszahlt. Eine aktuelle Bestandsaufnahme ist jedoch auch deshalb angezeigt, weil die Bundesministerin der Justiz ihre Pläne zur Reform des Zivil- und Strafprozesses in der Öffentlichkeit immer wieder damit rechtfertigen will, dass die Gerichte dem Auftrag der Bürger derzeit nicht gerecht würden. Die Frau Bundesjustizministerin spricht in diesem Zusammenhang gern davon, dass die Justiz bürgernäher und effizienter werden müsse.

Wie sieht es nun tatsächlich aus mit der Effizienz und der Bürgernähe der bayerischen Justiz? Stimmt es, dass die Gerichte und Staatsanwaltschaften den Ansprüchen der rechtssuchenden Bürger nicht mehr genügen? Zum Thema „Effizienz der bayerischen Justiz“ zunächst einige Zahlen aus dem Bereich der Zivilgerichtsbarkeit:

Die bayerischen Amts- und Landgerichte haben im vergangenen Jahr rund 238 000 erstinstanzliche Zivilverfahren erledigt. Bei den Berufungskammern der Landgerichte und den Zivilsenaten der Oberlandesgerichte gingen im Jahr 1999 rund 20 500 Berufungen gegen die zivilrechtlichen Urteile der Amts- und Landgerichte ein. In der ersten Instanz waren über 80%, in der Berufungsinstanz fast 70% aller Verfahren innerhalb von 6 Monaten abgeschlossen.

Mit anderen Worten: Die Zivilgerichte in Bayern arbeiten sehr zügig – auch im internationalen Vergleich gesehen. Die genannten Zahlen belegen jedoch außerdem – und das erscheint mir noch wichtiger –, dass der größte Teil der Zivilsachen, und zwar auch der berufungsfähigen Zivilsachen, bereits in der ersten Instanz zu einem endgültigen Abschluss gebracht wird. Eine mangelnde Effizienz der Gerichte ist vor diesem Hintergrund beim besten Willen nicht erkennbar. Dies gilt übrigens für die Strafgerichtsbarkeit in gleicher Weise.

Es bleibt die Frage nach der Bürgernähe der Justiz. Die Bundesjustizministerin will mit ihrem Gesetzentwurf zur Reform des Zivilprozesses scheinbar neue Maßstäbe in Sachen Bürgerfreundlichkeit setzen. Die Fachwelt ist sich jedoch einig, dass der Reformentwurf dieser Zielsetzung in keiner Weise gerecht wird. Die geplante Justizreform bedeutet für den Bürger mehr Formalismus, höhere Kosten, weitere Wege und weniger Einzelfallgerechtig

keit. Lassen Sie mich das kurz anhand einiger Beispiele verdeutlichen: