Protocol of the Session on November 9, 2000

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hört, hört!)

Sie haben keine Zahlen, sagen aber, es sind zu viele und wir müssen den Familiennachzug begrenzen.

(Hoderlein (SPD): Motto: Wir wissen nicht, was wir sagen, aber wir sagen es!)

Meine Damen und Herren, jede sechste Ehe in Deutschland wird binational geschlossen. In Ballungsräumen sind bis zu 40% der Ehen binational. Ich frage Sie allen Ernstes: Wollen Sie den Leuten verbieten, Ausländer zu heiraten?

(Zustimmung vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schauen Sie sich einmal Ihre Verlautbarungen an.

(Hofmann (CSU): So ein Schmarrn!)

Gestern oder vorgestern kam wieder ein Papier von Herrn Beckstein: Familiennachzug begrenzen. Familiennachzug gibt es nur aufgrund von Eheschließungen und bei Kindern bis zu 16 Jahren.

Zum Thema Redlichkeit bei den Zuwanderungszahlen, die uns Herr Beckstein vorlegt. Ich habe gefragt, wie hoch der Zuzug aufgrund von Arbeitserlaubnissen in Bayern 1999 war. Die Antwort – ich zitiere –: „Aus der Statistik ergibt sich, dass im Jahre 1999 in Bayern 62 493 Arbeitserlaubnisse im Zusammenhang mit einer Neueinreise oder einer erneuten Einreise erstmalig an ausländische Arbeitnehmer erteilt worden sind; davon wurden zirka 31 000 Arbeitserlaubnisse erstmalig an Saisonarbeiter erteilt.“ In der Statistik wird nicht nach Personen gezählt, sondern nach Fällen. Mehrfachzählungen sind daher möglich, wenn zum Beispiel ein Saisonarbeitnehmer mehrmals für kurzfristige Beschäftigungen einreist oder ein Werkvertragsarbeitnehmer für mehrere Gewerke.

Meine Damen und Herren, Quintessenz der ganzen Zählerei: Die Zuwanderungszahlen, die uns Herr Beckstein vorlegt, und seine These, wir würden überfremdet werden, sagen überhaupt nichts darüber aus, wie viele derjenigen, die als Zuwanderer registriert werden, tatsächlich dauerhaft hier leben wollen.

Genauso unredlich ist es, zu behaupten, wie im Papier der CSU steht, der Asylmissbrauch würde durch erhöhte

Sozialhilfe bei längeren Verfahren gefördert werden. Sie wissen ganz genau: Dies ist eine glatte Lüge. Asylbewerber bekommen für die Dauer von 36 Monaten weniger als das Sozialhilfeniveau, nämlich 80 DM Taschengeld und Essenspakete. Mit den Asylbewerbern hat man in der Bundesrepublik zum ersten Mal eine Gruppe unterhalb des Sozialhilfeniveaus leben lassen. Nur wenn die Verfahren 36 Monate und länger dauern, sollen die Leute dasselbe Sozialhilfeniveau wie Deutsche erhalten. In dem in dieser Woche von der CSU vorgelegten Papier wird wiederum behauptet, man würde den Flüchtlingen, den Asylbewerbern mehr zahlen als den Deutschen. Das ist eine glatte Lüge. Ich fordere Sie auf, diese Lüge aus Ihrem Papier zu nehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wenn Sie im Umgang mit Einwanderung dermaßen unredlich argumentieren, dann wird es nicht gelingen, eine vernünftige Konzeption zur Integration und zur Einwanderung zu erarbeiten. Heute ist in der „Süddeutschen Zeitung“ im Kommentar zu lesen: „Wer über Einwanderung nachdenkt, sollte aber die bereits hier lebenden Einwanderer und ihre Integration nicht vergessen.“ Genau um dieses Anliegen geht es in unserem Antrag. Integration ist keine Einbahnstraße. Integration gelingt nur, wenn die Mehrheitsgesellschaft auf die Minderheitengesellschaft zugeht und umgekehrt. Die Debatte um die so genannte deutsche Leitkultur ist eine reine Abwehrdebatte und reißt Gräben zwischen den Menschen in dieser Gesellschaft auf. Sie ist das Signal an die Menschen mit fremder Herkunft, Kultur und Identität, dass sie sich kulturell unterzuordnen und anzupassen haben und dass sie nicht gleichwertige Mitglieder dieser Gesellschaft sind. Aber genau dann, wenn Minderheiten in einer Gesellschaft das Gefühl haben, sie sind nicht willkommen, sie werden diskriminiert, kapseln sie sich ab, und dann kommt es zu den Parallelgesellschaften, vor denen Sie so Angst haben.

Sehr geehrte Damen und Herren, wir brauchen ganz, ganz dringend eine Diskussion über die Fragen: Wie gestalten wir Integration, wie fördern wir interkulturelle Kompetenzen bei unseren Kindern und Jugendlichen? Dazu ist es nötig, dass uns die Staatsregierung einen Bericht vorlegt. Die Organisationseinheit im Sozialministerium hat ihn schon erarbeitet. Wir brauchen eine fundierte Grundlage, um ordentlich und ohne Polemik und Hetze über das Thema Integration diskutieren zu können. In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Nächste Wortmeldung: Herr Dr. Merkl, bitte.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Kollegin Köhler, wenn Sie reden, habe ich manchmal das Gefühl, dass Sie zu etwas sprechen, was nicht auf Ihrem Papier steht oder wo Sie irgendwo nicht zugehört haben. Ihr vorletzter Satz war vorwurfsvoll an die CSU gerichtet: Kapiert doch endlich: Integration ist

keine Einbahnstraße. Wissen Sie eigentlich, was wir am 2. Februar dieses Jahres verabschiedet haben? – Beschluss des Bayerischen Landtag – Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Glück, Dr. Merkl und anderer und Fraktion, Integration fördern und fordern, Zuzug begrenzen. Die Ziffer 3 heißt: Integration ist keine Einbahnstraße. Sie haben dagegen gestimmt.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist egal. Frau Köhler, es hat keinen Sinn zu diskutieren. Das, was Sie gerade gebracht haben, hat überhaupt nichts mit dem zu tun, was in Ihrem Antrag steht. Ihr Antrag hat zwei Teile. Der erste lautet: „Der Landtag fordert die Staatsregierung auf, sich der Anerkennung der Tatsache, dass Bayern ein Einwanderungsland ist, nicht länger zu verweigern.“ Dies richtet sich an die CSU. Im zweiten Teil fordern die GRÜNEN die Staatsregierung auf zu berichten, welche Maßnahmen sie inzwischen ergriffen hat. Sie hätten die 200, 300 Seiten des Berichtes darüber lesen sollen, was schon alles gemacht wurde. Sie müssen eben warten, bis die Frau Staatsministerin spricht; möglicherweise bekommen Sie dann schon einen großen Teil dessen präsentiert. Seien Sie nicht immer so vorwurfsvoll: Ihr macht doch nichts!

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage Ihnen das jetzt schon. Eben zitierten Sie den heutigen Kommentar in der „Süddeutschen Zeitung“ und brachten den letzten Satz. Ich werde Ihnen jetzt den zweiten Satz zitieren, in dem sich der Kommentartor nämlich mit Ihnen, mit den GRÜNEN und mit Ihrem gestrigen Eckpunktepapier beschäftigt, sich an den Kopf fasst und sagt: Was ist aus den GRÜNEN denn geworden?

Es ist die Sache schon wert, dass wir dieses Thema lange diskutieren. Aber Sie haben offensichtlich nach etwas gesucht, was man in einem Dringlichkeitsantrag bringen könnte. Es ist eine wichtige Frage, ob wir von dem Begriff des Einwanderungslandes Abstand nehmen. Wenn Sie sich nur ein wenig in unsere Papiere einlesen würden, würden Sie die Antwort schnell finden.

Ich glaube, dass wir Begriffe für die Diskussion brauchen. Wir haben einige dieser Begriffe im Laufe der letzten Jahre bei dieser Debatte geprägt. Ich nenne als Beispiel Zuwanderung und Einwanderung. Ich möchte drei Kategorien nennen und dann auf die Einwanderung zu sprechen kommen. Wir wollen die Diskussion nicht auf dem Niveau mancher Stammtische führen, wo Emotionen und wenig Wissen herrschen.

Ich habe in meinem Diskussionspapier von 1991, das Frau Kollegin Köhler schon einmal zitiert hat, die Begriffe dargelegt, womit sich die Bevölkerung aber nicht auseinandersetzen kann. Wir haben zwar seit dem Jahr 1990 den Begriff für Übersiedler nicht mehr. Wir haben aber auf der einen Seite die Aussiedler, und auf der anderen Seite die Ausländer, die oft in einen Topf geworfen werden. Die Ausländer unterteilen sich in die Gruppen Gastarbeiter und Flüchtlinge. Die Flüchtlinge wiederum untergliedern sich in Asylbewerber, Asylberechtigte, Kontin

gentflüchtlinge, De-facto-Flüchtlinge, Familienangehörige von Asylbewerbern und heimatlose Ausländer. Das ist zunächst einmal nur ein Auszug.

An jeden dieser Begriffe knüpft sich eine bestimmte Rechtsfolge. Daher müssen wir sehr genau differenzieren. Das kann die Bevölkerung nicht, und manche wollen es nicht. Manche behaupten, wir würden „denen“ Zuschüsse, Darlehen und Geld geben. Wenn man dann nachfragt, wer mit „denen“ gemeint sei, erhält man die Antwort: die Ausländer. Um welche Ausländer handelt es sich aber? Das ist eine schwierige Materie. Um dieses Thema substantiell diskutieren zu können, brauchen wir konkrete Begriffe.

Es gibt eine zweite Kategorie. Wir haben im Januar 1999 einen neuen Begriff in die politische Debatte übernommen, nämlich einen Begriff von dem gebürtigen Syrer und jetzigen Deutschen Prof. Dr. Bassam Tibi. Dieser hat im Januar 1999 in Wildbad Kreuth den Begriff „Leitkultur“ verwendet.

(Dr. Hahnzog (SPD): Den hätten Sie einmal fragen sollen!)

Hören Sie doch zu. Herr Hahnzog, Sie wollen doch auch, dass man Ihnen zuhört. Sie wissen genau, dass das jetzt polemisch war, weil Sie wissen, was das bedeutet. Ich hoffe, dass Sie gelesen haben, was in dem Beschluss des Landtags von 1999 zum Begriff Leitkultur ausgeführt worden ist. Es handelt sich um eine wichtige Beschreibung dessen, was wir unter dem Wort „Integration ist keine Einbahnstraße“ verstehen. Der Staat bietet die Rahmenbedingungen; aber derjenige, der zuwandert und sich integrieren will, muss diese Rahmenbedingungen ausfüllen, indem er unsere Leitkultur anerkennt. Wir haben in dem Landtagsbeschluss auf Drucksache 14/2697 am 2. Februar 2000 unter anderem festgelegt:

„Leitkultur“ – gesellschaftliches Leitbild für Integration.

Integrationspolitik muss die Frage beantworten, „wohin“ integriert werden soll. Es muss dabei die Frage geklärt werden, welche Werte und Normen in einer pluralistischen Demokratie zu den Rahmenbedingungen einer Leitkultur zu rechnen sind. Hierzu gehören

die Achtung der Grundwerte unserer Verfassung, insbesondere unseres demokratischen rechtsstaatlichen Systems;

das Einstehen für Gemeinwohl, Solidarität, Toleranz und Gleichberechtigung;

die Übernahme von Eigenverantwortung;

der Verzicht auf übersteigerte, national-religiöse Verhaltensweisen und

die Beherrschung der deutschen Sprache als unverzichtbare Voraussetzung für Kommunikation und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.

Damals haben wir genau umschrieben, was wir unter dem Begriff der Leitkultur verstehen. Ich kann mich nicht erinnern, dass es einen großen Aufschrei gegeben hätte.

(Dr. Hahnzog (SPD): Doch! – Frau Elisabeth Köhler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Natürlich!)

Sie haben sich gegen einzelne Ausgestaltungen und Beispiele gewandt.

(Dr. Hahnzog (SPD): Nein! – Frau Elisabeth Köhler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein!)

Wir sind der Meinung, dass dieser Begriff notwendig ist. Ich möchte in diesem Zusammenhang einen Kommentar der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ von vorgestern zitieren:

Am Wort „Leitkultur“ kommt keiner mehr vorbei, der über Zuwanderung in Deutschland reden will.

Unser Fraktionsvorsitzender Glück hat in vielen Beiträgen mündlich und schriftlich diesen Begriff verwandt. Es hat sich niemand darüber aufgeregt, –

(Dr. Hahnzog (SPD): Ich schon!)

weil man das ehrliche Bemühen gesehen hat, eine Definition zu bilden, die wir brauchen, um die Integration, wie wir sie verstehen, umschreiben zu können.

(Dr. Hahnzog (SPD): Christlich!)

Genau, christlich. Da stehen die Werte und all das drin, was wir unter dem Begriff der Integration verstehen.

Bundesaußenminister Fischer und Bundeskanzler Schröder haben sich darüber lustig gemacht und das als „verquaste Begrifflichkeit“ bezeichnet. Auch diese werden sich daran gewöhnen müssen, dass wir um diesen Begriff nicht mehr herumkommen.

Lassen Sie mich zur Einwanderung kommen. Schauen Sie sich einmal an, welchen Salto die GRÜNEN inzwischen geschlagen haben. Ich frage mich, warum diese nicht auch den Begriff der Leitkultur übernehmen. Sie werden diese Richtung noch einschlagen.