Unsere Vorschläge beschränken sich aber nicht nur hierauf. Vielmehr wollen wir die Bandbreite strafrechtlicher Sanktionen im allgemeinen Strafrecht und im Jugendstrafrecht insgesamt erweitern. Dem Richter sollen „punktgenaue“ Reaktionen ermöglicht werden. Eine Kernforderung ist der Ausbau des Fahrverbots zu einer vollwertigen strafrechtlichen Sanktion. Es spricht alles dafür, dass es beispielsweise einen jungen Gewalttäter nachhaltigst beeindruckt, wenn er das geliebte Auto oder Motorrad für einige Zeit nicht benutzen darf. Das ist manchmal wirksamer als eine Freiheitsstrafe.
Ferner setzen wir uns für die Einführung der neuen Sanktion „Meldepflicht“ ein. Durch die Auferlegung einer regelmäßigen Meldepflicht kann gezielt verhindert werden, dass der Verurteilte rechtsextremistische Konzerte besucht oder beispielsweise an Samstagnachmittagen in Fußballstadien randaliert. Wenn er sich um 16.00 Uhr bei der Polizei zu melden hat, hat er nicht die Möglichkeit, zur selben Zeit auf dem Fußballplatz Gewalt auszuüben.
Unsere Initiativen zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes und zur Erweiterung des Sanktionensystems sind im vergangenen Herbst im Bundesrat an der ablehnenden Haltung der SPD-regierten Länder gescheitert. Wir lassen uns davon nicht entmutigen. Vor allem unser Vorschlag zum Fahrverbot hat selbst in Kreisen der SPD Anhänger gefunden. Ich habe die Vorschläge deshalb im vergangenen Monat erneut im Bundesrat eingebracht und glaube, man sollte dem Bundesrat die Chance geben, einen nicht so guten Beschluss ab und zu durch einen besseren zu ersetzen.
Mit zwei innovativen Modellprojekten beschreiten wir derzeit neue Wege in der Kriminalitätsbekämpfung. Der in Aschaffenburg gestartete Modellversuch der „teen courts“ basiert auf US-amerikanischen Erfahrungen im Umgang mit Jugendkriminalität. In geeigneten Fällen sprechen Schülergremien mit jugendlichen Straftätern über deren Straftat und setzen eventuell auch eine erzieherische Maßnahme fest. Wenn der Jugendliche diese Aufgabe erfüllt, kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen. Wir wollen hierbei den positiven Einfluss nutzen, den Jugendliche auf gleichaltrige Straftäter ausüben können. Zuerst dachte ich auch: „Na, ob das wohl passt?“. Tatsache ist: Jugendliche können schlechten Einfluss aufeinander haben. Sie wissen wie das läuft: Drei Jugendliche gehen miteinander zum Klauen und fragen den vierten: „Du traust dich wohl nicht?“ Also geht der vierte mit, um den anderen zu zeigen, dass er auch Mut hat. Wenn Jugendliche einerseits also negativen Einfluss aufeinander ausüben können, warum sollten sie dann andererseits keinen positiven aufeinander haben? Kann es nicht manchmal sogar von Vorteil sein, dass ein Jugendlicher, der Blödsinn gemacht hat, seine Tat mit Gleichaltrigen bespricht? Vielleicht sagen die zu ihm: „Hör einmal, was hast du denn von der Klauerei, die Dinge brauchst du doch sowieso nicht, richtest nur wirtschaftlichen Schaden an. Soll das ein Zeichen von Mut sein?“ Vielleicht führt das bei dem betreffenden Jugendlichen zu einem Umdenken. Wir hoffen, dass „teen courts“ angesichts der unerfreulichen Entwicklung der Jugendkriminalität neue Chancen eröffnen.
Mit dem Modellversuch „Soforteinbehalt bei Ladendiebstahl“ in Nürnberg erproben wir in Zusammenarbeit mit der Polizei ein besonders effizientes Verfahren zur strafrechtlichen Ahndung des Ladendiebstahls. Ziel des Versuchs ist es, ohne Änderung des geltenden Rechts, also auch ohne Entkriminalisierung, eine Verkürzung der Strafverfahren bei Ladendiebstählen zu erreichen. Der ertappte Straftäter soll nach einem Ladendiebstahl freiwillig einen Soforteinbehalt in Höhe des neunfachen Warenwerts an die Polizei leisten. Es bleibt dann Sache der Staatsanwaltschaft, über eine Einstellung des Verfahrens zu entscheiden, wenn der Täter nicht entsprechend vorbestraft ist. Hierzu liegt ein Berichtsantrag des Landtags vor. In Absprache mit dem Kollegen Dr. Beckstein habe ich dem Vorsitzenden des Ausschusses für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen, Herrn Dr. Hahnzog, angeboten, umgehend einen Bericht – gegebenenfalls in einer gemeinsamen Sitzung mit dem Ausschuss für Kommunale Fragen und Innere Sicherheit – zu geben.
Was wir von der Bundesregierung zu erwarten haben, wenn es um den Schutz des Bürgers vor Straftaten geht, möchte ich nur kurz anhand zweier typischer Beispiele deutlich machen. Zunächst sind die Bemühungen um die Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern zu nennen. Bayern hat hierzu bereits in der letzten Legislaturperiode des Deutschen Bundestages erhebliche Verbesserungen initiiert und in breitem Umfang durchgesetzt. Es bedarf jedoch noch weiterer gesetzgeberischer Schritte. So ist es etwa dringend erforderlich, endlich die Überwachung der Telekommunikation bei Straftaten des Kindesmissbrauchs und der Verbreitung von Kinderpornografie zu ermöglichen. Die Regierungskoalition hat
bisher keinen der auch von zahlreichen SPD-regierten Bundesländern mitgetragenen Vorschläge umgesetzt. Die Überwachung laufender Übermittlungsvorgänge im Internet hat sie abgelehnt, weil der Eingriff in die Grundrechte des mutmaßlichen Täters zu tief sei – und das bei Kinderpornografie. Ich glaube, wir sollten das noch einmal aufgreifen. Mit der bisherigen Antwort der Bundesregierung werden wir uns jedenfalls nicht zufrieden geben.
Die grundsätzliche kriminalpolitische Haltung der Bundesregierung lässt sich aus den rot-grünen Reformvorschlägen zum strafrechtlichen Sanktionensystem ablesen. Als roter Faden zieht sich durch das Vorhaben vor allem eines: Das strafrechtliche Sanktionensystem soll aufgeweicht werden. Geld- und Freiheitsstrafe werden abgeschwächt, einen Teil der Vorschläge kann man mit dem geradezu tragischen Motto „Freiheit für Schwerverbrecher“ überschreiben. So will die Regierungskoalition die Grundlage dafür schaffen, dass künftig auch Freiheitsstrafen von über zwei bis zu drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden können – ein Plan, dem sogar mein nordrhein-westfälischer Kollege, der bekanntlich der SPD angehört, entschieden widersprochen hat. Außerdem sollen Erstverbüßer bei Freiheitsstrafen zu 15 Jahren bereits nach der Hälfte der Strafzeit entlassen werden können. Mit anderen Worten: Der brutale Vergewaltiger, der Kindsmissbraucher, der Totschläger, der zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, kann darauf hoffen, die Justizvollzugsanstalt schon nach sechs Jahren als freier Mann verlassen zu können.
Das Gleiche würde auch für einen Extremisten gelten, der ausländischen oder ausländisch aussehenden Mitbürgern mit Baseballschlägern oder ähnliche Mordinstrumenten irreversible Verletzung zufügt. Und das alles zu einer Zeit, in der auch Mitglieder der Bundesregierung von der Strafjustiz fordern, unnachgiebig auf Straftaten mit extremistischem oder fremdenfeindlichen Hintergrund zu reagieren. Klar ist: Mit einer Justizpolitik im Dienste des Bürgers hat dies nichts zu tun. Die fortwährende Hintanstellung der Sicherheitsinteressen der Bürgerinnen und Bürger aus ideologischen Gründen oder im Zeichen vermeintlicher Modernität wird den Ansprüchen einer bürgernahen Justiz gerade nicht gerecht. Die Pläne der Bundesregierung zur Aufweichung des strafrechtlichen Schutzes werden bei uns auf entschiedenen Widerstand stoßen.
Bei einem Überblick über die Leistungen der bayerischen Justiz als Garant der inneren Sicherheit darf eine Würdigung der Leistungen des Strafvollzugs nicht fehlen. Der Strafvollzug befindet sich derzeit in einer durchaus problembelasteten Situation. In den vergangenen Jahren haben wir kontinuierlich ansteigende Gefangenenzahlen zu verkraften gehabt. Allein in Bayern hat sich innerhalb von Acht Jahren die Zahl der Gefangenen um beinahe 30% erhöht. Am 30. Juni 2000 befanden sich rund 12 300 Gefangene in unseren Justizvollzugsanstalten. Dies entspricht einer Überbelegung von rund 7,2%.
Der bayerische Strafvollzug wird diesen Herausforderungen auf dem Gebiet der inneren Sicherheit auch weiterhin offensiv begegnen. Wartelisten für die Aufnahme in eine Justizvollzugsanstalt wird es in Bayern nicht geben. Es bleibt dabei: Die Strafe muss der Tat auf dem
Fuß folgen – dies im Interesse des Rechtsfriedens und des Vertrauens der Bürger in einen geordneten Rechtsstaat. Wir fahren deshalb in unserer Baupolitik im Strafvollzug fort. Noch in dieser Legislaturperiode wird mit dem Bau von circa 810 zusätzlichen Haftplätzen begonnen. Allein im Jahr 1999 wurden für Baumaßnahmen im Strafvollzug 72 Millionen DM ausgegeben. Ich danke dafür, dass die CSU-Fraktion im Haushaltsausschuss noch einmal 10 Millionen DM für Hochbaumaßnahmen bewilligt hat. 5 Millionen DM werden für Gerichte und Staatsanwaltschaften, 5 Millionen für den Justizvollzug eingesetzt. Dadurch werden wir im Plan bleiben und die Justizvollzugsanstalten wie vorgesehen eröffnen können. Als Nächste die Justizvollzugsanstalt in Kempten im Jahr 2002, dann Landshut 2004/2005. Mit den Baumaßnahmen in Augsburg-Gablingen und Ingolstadt dürfte rechtzeitig begonnen werden können.
Der Bau der schönsten Justizvollzugsanstalt nützt aber nichts, wenn wir nicht genügend Personal zur Bewachung und zur Hinführung der Gefangenen zu einem straffreien Leben haben. Ohne die uns zugestandenen Personalmehrungen im Strafvollzug wären wir an einem kritischen Punkt angelangt. Ich möchte die Gelegenheit nicht ungenutzt lassen, Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, für die vorgesehenen zusätzlichen 234 Stellen im Strafvollzug sehr herzlich zu danken. Selbstverständlich gilt mein Dank auch allen Bediensteten im Strafvollzug für die unter schwierigen Bedingungen geleistete tatkräftige und loyale Arbeit in den Justizvollzugsanstalten im Interesse der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger.
Bei all unseren Bemühungen um die Erhaltung und Fortentwicklung des bürgernahen Justizvollzugs in Bayern dürfen wir eines nicht aus dem Auge verlieren: Dreh– und Angelpunkt für eine kompetente, rasche und kundenorientierte Aufgabenerledigung ist die Ausbildung, Motivation und Förderung der Mitarbeiter in den Gerichten, Staatsanwaltschaften und Justizvollzugsanstalten. Das Bild des Bürgers von der Justiz wird nicht nur von der fachlichen Qualität der Aufgabenerfüllung geprägt. Ganz entscheidend kommt es vielmehr auch darauf an, wie sich die Justiz im persönlichen Umgang mit dem Bürger präsentiert. Hier haben wir gerade in den letzten Jahren viel erreicht.
Die Grundlagen der Bürgernähe der Justiz werden bereits in der Ausbildung der Beamtenanwärter gelegt. Das Thema „bürgerfreundliches Verhalten“ ist Gegenstand eigener Unterrichtseinheiten und Seminare für Rechtspfleger, Gerichtsvollzieher, mittlere Beamte und Justizwachtmeister. Das in der Ausbildung erworbene Wissen wird im Rahmen von Fortbildungsveranstaltungen vertieft und erweitert. Die Resonanz auf diese Veranstaltungen ist ungemein positiv. Sie bringt deutlich zum Ausdruck, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Justiz großes Interesse daran haben, ihr Verhalten und Auftreten gegenüber Recht suchenden Bürgern ständig zu verbessern.
Die Motivation und die Verbesserung der beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten unserer Mitarbeiter ist uns
seit jeher ein wichtiges Anliegen. Mit den Methoden der modernen Personalführung, wie etwa Mitarbeitergesprächen, Mitarbeiterbefragungen und der Schaffung von Leistungsanreizen werden in der Justiz gute Erfolge erzielt. Besonders freue ich mich darüber, dass es nunmehr im Einvernehmen mit dem Finanzministerium und dem Landespersonalausschuss endlich möglich war, die Aufstiegsmöglichkeiten für Rechtspfleger erheblich zu erweitern. Hierfür haben sich einige Kollegen besonders eingesetzt. Ich denke vor allem an Herrn Kollegen Dr. Eykmann und die Kollegen im Ausschuss für Fragen des öffentlichen Dienstes. Recht herzlichen Dank dafür, dass Sie uns geholfen haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz aller Anstrengungen und Erfolge wird es die Justiz niemals allen recht machen können. Das Bild des Dienstleistungsunternehmens, das in erster Linie das Ziel der Kundenzufriedenheit verfolgt, ist auf die Gerichte und Staatsanwaltschaften sicher nicht uneingeschränkt zu übertragen. Es wird ab und zu Leute geben, die vom Gericht kommen und der Meinung sind, nicht in ihrem Sinne bedient worden zu sein. Das kann eine Person sein, die in einem Zivilprozess unterlegen ist oder eine Person, die in einem Strafprozess verurteilt wurde. Umso wichtiger ist es für die Justiz, ihre Effizienz und Bürgernähe stets von Neuem unter Beweis zu stellen.
Eine nicht zu unterschätzende Bedeutung kommt dabei der Öffentlichkeitsarbeit zu. Das für den Rechtsstaat unverzichtbare Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat hängt entscheidend davon ab, dass den Bürgerinnen und Bürgern die vielfältigen Aufgaben, Arbeitsabläufe und Entscheidungsstrukturen der Justiz anschaulich nahegebracht werden. Wir haben zu diesem Zweck vor kurzem erstmals eine „Woche der Justiz“ veranstaltet. Bayernweit haben sich unsere Gerichte, Staatsanwaltschaften und Justizvollzugsanstalten der Öffentlichkeit mit einer Fülle von Informationsangeboten präsentiert. Mit welcher Begeisterung und Kreativität die Justizangehörigen bei der Sache waren, verdient höchste Anerkennung. Das Interesse und die Resonanz in der Öffentlichkeit übertrafen unsere Erwartungen bei weitem. Die Woche der Justiz hat uns gezeigt, dass die Bürgerinnen und Bürger der bayerischen Justiz keineswegs uninteressiert oder gleichgültig gegenüberstehen. Im Gegenteil: Man interessiert sich für unsere Arbeit und weiß, dass diese Justiz Aufgaben für die Bürger zu erfüllen hat.
Zum Schluss möchte ich allen Angehörigen des Staatsministeriums der Justiz und der gesamten bayerischen Justiz für die hervorragende Arbeit der vergangenen beiden Jahre danken. Unsere Gerichte und Staatsanwaltschaften sind einer hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt. Zusätzliche Stellen für Richter und Staatsanwälte wird es wegen der allgemeinen Sparzwänge leider auch in diesem Doppelhaushalt nicht geben. Ich bin den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an den Gerichten und Staatsanwaltschaften daher besonders dankbar dafür, dass sie die ihnen gestellte schwierige Aufgabe Jahr für Jahr unter hohem persönlichen Einsatz erfolgreich bewältigen. Vielen Dank auch den bayerischen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten sowie den Notarinnen und Notaren, deren vertrauensvolle und verlässliche Mit
arbeit für uns ebenso unverzichtbar ist wie die bundesweit vorbildliche Zusammenarbeit mit der bayerischen Polizei. Besondere Anerkennung gebührt schließlich den Bürgerinnen und Bürgern, die sich unter Hintanstellung persönlicher Belange ehrenamtlich in der Rechtspflege engagieren. Ich denke vor allem an unsere Schöffen und unsere ehrenamtlichen Richter.
Mein Dank gilt allen Kolleginnen und Kollegen im Bayerischen Landtag, die die bayerische Justiz und ihre Arbeit mit viel Verständnis und Vertrauen unterstützen. Besonders danke ich den Mitgliedern des Haushaltsausschusses, allen voran dem Vorsitzenden, Herrn Kollegen Manfred Ach, und den beiden Berichterstattern, den Kollegen Dr. Helmut Müller und Hermann Josef Niedermeier, für die sachliche und von großer Sympathie für die Justiz getragene Berichterstattung und Beratung. Vielen Dank auch den Mitgliedern des Rechts– und Petitionsausschusses – ich nenne insbesondere die Vorsitzenden, Herrn Kollegen Dr. Hahnzog und Herrn Kollegen Welnhofer, sowie Franz Schindler und Ludwig Ritter – für die hervorragende Zusammenarbeit und das große Engagement, mit dem sie sich für die Anliegen der bayerischen Justiz einsetzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unterstützen Sie bitte die Justiz auch in den kommenden Jahren bei der Bewältigung ihrer Aufgaben. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung zum Entwurf des Justizhaushalts für die Jahre 2001 und 2002. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Im Ältestenrat wurde für die allgemeine Aussprache eine Redezeit von einer Stunde und dreißig Minuten festgesetzt. Davon entfallen auf die Fraktion der CSU 42 Minuten, auf die SPD-Fraktion 30 Minuten und auf die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN 18 Minuten. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat Herr Kollege Dr. Hahnzog das Wort.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatsminister Dr. Weiß, Sie haben mehr als die Hälfte Ihrer Rede bundespolitischen Themen gewidmet. Das konnten Ihre Vorgänger, Herr Kollege Sauter und Herr Kollege Leeb, in früheren Zeiten nicht machen; denn bis 1998 gab es 16 Jahre lang Stillstand in der Rechtspolitik in Bonn.
Für Sie ist es natürlich schlimm, dass Sie aus diesem Stillstand ins Bremserhäuschen gekommen sind; denn jetzt findet endlich wieder Rechtspolitik statt.
Sie bekämpfen jetzt in Berlin aktuelle Vorhaben, die Bayern bis 1998 unter anderen Mehrheitsverhältnissen selbst initiiert hatte. Mit dieser Umstellung sind Sie nicht fertig geworden. Dieser Prozess wird jedoch weiterge
Lieber Herr Kollege Dr. Kempfler, ich möchte dazu drei Beispiele anführen. Sie beklagen in Ihrer Haushaltsrede, Herr Dr. Weiß, dass der Bundesgesetzgeber ab 1999 den Gerichtsvollziehern mit der Abnahme der eidesstattlichen Versicherung eine zusätzliche und sehr arbeitsintensive Aufgabe übertragen hat. Bei diesem Vorwurf an den Bund verschweigen Sie aber, dass dieses Gesetz zwar im Jahr 1999 in Kraft getreten ist. Es wurde aber nicht von den neuen Mehrheiten in Berlin beschlossen, sondern bereits von der konservativen Koalition am 17. Dezember 1997. Das war lange vor der Neuwahl. Jetzt werfen Sie dem Bund vor, dass für die Gerichtsvollzieher eine Mehrarbeit entstanden ist. Sie sollten auch hinzufügen, dass der Bundesrat im Jahre 1997 diesem Vorhaben zugestimmt hat.
Ein zweites Beispiel: Die Justizreform hat bei Ihnen einen großen Raum eingenommen. Gerade Bayern hat bei den Justizministern auf eine grundsätzliche Reform in Zivilangelegenheiten gedrängt. Zu diesem Thema wurden Arbeitsgruppen und Kommissionen gebildet. Die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppen dringen jetzt nach außen. Herr Dr. Weiß, bei Ihnen heißt es dazu plötzlich: Eine mangelnde Effizienz der Zivilgerichte sei beim besten Willen nicht festzustellen. Im Bundesrat haben die Vertreter des Landes Bayern erklärt, für eine tiefgreifende Umstrukturierung bestehe kein Bedürfnis. Ich frage mich, warum jahrelang auf bayerische Anregung und Initiative an dieser Reform gearbeitet wurde, wenn jetzt behauptet wird: April, April. Das war überhaupt nicht nötig.
Auch dies zeigt, dass Sie noch nicht erfasst haben, wie man mit Reformvorhaben im rechtpolitischen Bereich umgeht.
Einen dritten Salto rückwärts machen Sie mit dem, was Sie heute als Schlagwort in Ihrer Haushaltsrede angeführt haben. Sie haben dies in nicht allzu konzilianter Form vor kurzem auch auf einer öffentlichen Festveranstaltung in Amberg gesagt, Herr Dr. Weiß. Da ist in Kurzform plötzlich davon die Rede, rot-grüne Vorstellungen zum strafrechtlichen Sanktionensystem sind eine Einladung an die Kriminellen.
Was ist denn der Fall? Es gibt eine Kommission zur Reform des Sanktionenrechts. Sie ist vor 1998 eingerichtet worden. Sie hat jetzt einen Bericht darüber gegeben, was im Strafrecht, das nur zwei Strafen, die Geldstrafe und die Freiheitsstrafe, kennt, noch anders gemacht werden könnte. Dieser Bericht liegt vor. Jetzt greifen Sie einzelne Punkte heraus und sagen: Das ist die Absicht der rot-grünen Mehrheit in Berlin. Ich habe heute mit dem Bundesjustizministerium in Berlin telefoniert; die sind noch lange nicht so weit. Sie prüfen zunächst diesen Kommissionsbericht und überlegen sich dann, was man davon übernehmen kann, was positiv bewertet werden soll und was nicht. So einfach können Sie es sich nicht machen, dass Sie Kommissionsbe
Diese drei Beispiele zeigen doch: Der eigentliche Grund für Ihre vielfachen Rollen rückwärts ist, dass Sie selbst keine Perspektiven haben und dass Sie sich die Situation, in der Minderheit zu sein, überhaupt noch nicht zu Gemüte geführt haben. Dies führt dazu, dass Sie mit völligem Aberwitz das ablehnen, was Sie früher selbst initiiert haben. Dies kann doch gerade für etwas so auf das Vertrauen der Bürger angewiesene wie Rechtspolitik wirklich nicht der Ansatz sein.
Jetzt aber zurück zu den unmittelbar landespolitischen Aspekten, die, wie gesagt, bei Ihnen nicht im Vordergrund stehen.
Bevor ich Kritik übe, möchte ich einen Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des gesamten Justizbereichs voranstellen. Es ist erstaunlich, dass diese engagierten Menschen trotz der schwierigen Arbeitsbedingungen doch noch so gute Arbeit leisten.
Ich möchte mich auch für die Diskussion im Haushaltsausschuss und bei meinem Kollegen Niedermeier bedanken, der dort vorzüglich transparent gemacht hat, was eigentlich unsere Anliegen sind. In erster Linie geht es um Inhalte, nicht um Organisation.
Herr Sauter hat bei der letzten Etatberatung am 25. Juni 1999 den Schwerpunkt darauf gelegt: Bayerns Justiz steht bei der EDV-Ausstattung an der Spitze. Sie haben das in etwa wiederholt. Ich frage mich aber, weshalb bei Vorgängen, die die Justiz hunderttausendfach beschäftigen, nämlich das schnelle Mahnverfahren, Bayern nicht an der Spitze steht. Wir haben immer noch ein unvollkommenes zentrales Mahngericht in Coburg. 1998 hat der Rechnungshof Mahnungen aussprechen müssen. Wie ist das in anderen Ländern? In Baden-Württemberg, in Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, in RheinlandPfalz gibt es schon lange landesweit ein solches zentrales Mahngericht. In Bayern wird dies für alle Mahnanträge und Mahnbescheide erst im Jahre 2001 der Fall sein. Ich frage mich, wo da die Spitzenreiterrolle Bayerns ist.
Herr Sauter hat 1999 auch angekündigt: Wir wollen im Laufe des Doppelhaushaltes 1999/2000 alle 22 Landgerichte mit Bild-Ton-Übertragungsanlagen zur Zeugenvernehmung ausstatten. Nach meiner Information werden es nicht mehr als 16 von 22 werden. Was wir uns einmal in Nürnberg angeschaut haben, war so dilettantisch, dass es sogar absolute Laien wohl besser hätten machen können. Von einer Spitzenrolle kann keine Rede sein.
Sie verweisen gern und zu Recht – das konzedieren wir Ihnen ja – öfter auf Pilotprojekte, wie zum Beispiel die Projekte in Aschaffenburg oder in Nürnberg. Das muss man ausprobieren und dann entscheiden. Uns ist aber
unbegreiflich, dass Sachen, die ausprobiert sind, die bewährt sind, in Bayern immer noch in Form von Pilotprojekten vor sich hinkümmern. Die öffentliche Hand muss unterstützend eingreifen.
Es gibt Länder, die für die ganz wichtigen Maßnahmen – das sagt jeder in der Justiz – etwa des Täter-Opfer-Ausgleichs, des Anti-Gewalt-Trainings flächendeckend Einrichtungen vorhalten. Auf unsere Anfragen im hiesigen Justizministerium und im Sozialministerium konnte man uns noch nicht einmal sagen, wo es so etwas im Einzelnen gibt, geschweige denn stolz sagen, wir sind auch hier an der Spitze, wir haben dies flächendeckend vorbereitet. Für die Vermeidung künftiger Straftaten ist dies sehr viel wichtiger als viele andere Maßnahmen, die Sie anführen.