Protocol of the Session on October 17, 2000

Wer hat dies zu vertreten? Allein Herr Ministerpräsident Dr. Stoiber, die Bayerische Staatsregierung und die CSU-Mehrheit in diesem Hause.

(Beifall bei der SPD – Glück (CSU): Warum haben Sie dem Vertrag im Landtag zugestimmt?)

Dazu komme ich noch. – Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren von der CSU: Die SPD-Landtagsfraktion wird Sie nicht aus Ihrer Verantwortung entlassen. Jetzt zeigt sich wirklich das Ausmaß der Folgen Ihrer Politik und das Ausmaß der Hilflosigkeit der Bayerischen Staatsregierung.

e.on argumentiert mit der Notwendigkeit von Kapazitätsabbau. Wie schreibt Dr. Otto Majewski, Vorsitzender des Aufsichtsrats der EVO, der Energieversorgung Oberfranken AG, mit Datum vom 9. Oktober dieses Jahres an den Präsidenten des Bezirkstags von Oberfranken, Herrn Sitzmann? Ich zitiere:

Eine weitere Rechtfertigung für die insgesamt benötigte Erzeugungskapazität ist die Tatsache, dass in dem durch die Fusion von PreußenElektra und Bayernwerk entstandenen größerem Erzeugungssystem in Summe ein geringerer Bedarf für Reservekapazitäten besteht als in den früher getrennten Kraftwerkparks. Deswegen werden auch Reservekapazitäten reduziert.

Ganz klar: Die von der Staatsregierung forcierte und abgesegnete Fusion hat dazu geführt, dass der Bedarf an Reservekapazitäten gesunken ist. Deswegen werden diese nun abgebaut und damit auch Arbeitsplätze. Wer hat dies denn trotz aller Warnungen forciert? Wir hatten doch ausführlich darüber diskutiert. Ich habe die Protokolle der entsprechenden Beratungen gründlich gelesen. Wer hat denn trotz aller Warnungen hier im Hause auf eine Fusion hingewirkt, seine Anteile ohne Standortsicherung verscherbelt und damit seinen Einfluss aufgegeben? Ich sage es noch einmal: Herr Ministerpräsident Dr. Stoiber, die Staatsregierung und die CSU.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Da waren die Einnahmen aus dem Verkauf von Anteilen wichtiger als ein gewichtiges Mitspracherecht. Da war das Geld wichtiger als Arbeitsplätze und die damit im Zusammenhang stehende Regional- und Strukturpolitik. Jetzt werden dicke Krokodilstränen geweint. Wie sagte doch Herr Ministerpräsident Dr. Stoiber? „Die Staatsregierung kann diese unternehmerische Entscheidung nicht verhindern.“ Nicht mehr, so sage ich. Wie soll das funktionieren, wenn man nur noch 5,5% der Anteile hält? Staatskanzleichef Huber ärgert sich darüber, dass e.on keinerlei Rücksicht auf energie- und wirtschaftspolitische Fragen nimmt.

Wo hat denn die Bayerische Staatsregierung, als sie beschloss, die staatlichen Anteile zu verkaufen, auf energie- und wirtschaftspolitische Fragen Rücksicht genommen? Herr Ministerpräsident Dr. Stoiber hat ja nicht einmal dafür gesorgt, ja – ich sage es noch deutlicher –, er hat es versäumt, die Berücksichtigung bayerischer Interessen beim Verkauf der staatlichen Anteile ausreichend abzusichern. Dies gilt sowohl im Hinblick auf Verträge als auch bezüglich der Zusammensetzung des Vorstandsgremiums.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb machen wir den Ministerpräsidenten und die Staatsregierung für das sich abzeichnende strukturpolitische Desaster verantwortlich. Meine Damen und Herren von der Staatsregierung, Sie hätten hier unter Beweis stellen können, dass Sie wirklich über ökonomische Kompetenz und Verhandlungsgeschick verfügen. Aber nein: Sie wurden von den beiden Konzernen regelrecht an die Wand gedrückt; Sie haben sich von ihnen über den Tisch ziehen lassen. Dafür haben Sie sich seinerzeit auch noch feiern lassen.

(Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

Die Staatsregierung hätte sich einmal ein Bespiel an der Oberfrankenstiftung nehmen sollen. Ein Kompliment an die dort Verantwortlichen! Ich hoffe, sie bekommen Recht. Sie haben, wenn es um die Erfüllung von Verträgen geht, zumindest noch ein Druckmittel in der Hand, über das die Staatsregierung nicht verfügt. Die Oberfrankenstiftung hat nämlich im Zuge des Austauschs von EVO- gegen Bayernwerk-Aktien im Oktober 1996 einen Vertrag mit dem Bayernwerk abgeschlossen, der als Teil der vertraglichen Verpflichtung des Bayernwerks Garantien für das Kraftwerk Arzberg enthält. Pacta sunt servanda. Dieses Grundprinzip des Rechtswesens gilt auch für die e.on Energie AG als Rechtsnachfolgerin des Bayernwerks.

Der Stiftungsrat der Oberfrankenstiftung hat angekündigt, gegen die vom Vorstand der e.on Energie AG beschlossene Stillegung des Kraftwerks Arzberg und damit gegen diesen klaren Vertragsbruch mit allen, aber auch allen zur Verfügung stehenden Mitteln vorzugehen. Wenn jetzt im Raum steht, dass das Arzberger Kraftwerk aufgrund des erwähnten Vertrags doch bis zum Jahr 2005 am Netz bleibt, ist dies nicht das Verdienst der Staatsregierung, sondern das der Oberfrankenstiftung, die hervorragend verhandelt und den entsprechenden Vertrag abgeschlossen hat.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wo sind denn entsprechende Absicherungen und Garantien für die anderen betroffenen Kraftwerke, für die Standorte Schwandorf, Pleinting, Frauenaurach und Aschaffenburg? Haben Sie etwas vorzuweisen, meine Damen und Herren von der CSU? Was ist mit den Versprechen, die Sie damals in Schwandorf gegeben haben? Stichwort: WAA-Ausgleichsmittel, Solarzellenfabrik. Sie haben z. B. versprochen, gemeinsam mit den Energieversorgungsunternehmen unter Verwendung der erwähnten Ausgleichsmittel eine Solarzellenfabrik in Schwandorf zu errichten. Wo ist diese Fabrik? Sie haben die alten Versprechen noch nicht eingelöst und geben schon wieder neue. Auch diese werden Sie nicht einlösen können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die SPD-Landtagsfraktion wird es nicht zulassen, dass Sie sich hier aus der Verantwortung stehlen, wie Sie es so oft tun, und den Menschen in Bayern einen Bären aufbinden, in dem Sie sagen, alles Schlechte käme aus Brüssel und natürlich in erster Linie aus Berlin und alles Gute vom Franz-Josef-Strauß-Ring 1, aus der Staats

kanzlei. Es wird Ihnen nicht gelingen, den Menschen dies weiszumachen. Wir werden den Finger auf die Wunde legen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Minister Dr. Wiesheu, nicht nur Sie sprechen mit Betriebsräten und mit Belegschaften. Ganz aktuell: Mein Kollege Herr Vogel ist eben von einem Gespräch mit Mitgliedern des Betriebsrats des Kraftwerks Franken II zurückgekehrt. Dort war kein Wort der Kritik an der rotgrünen Bundesregierung zu hören. Dort ging es nicht um den Atomausstieg. Vielmehr ging es um Standortpolitik und die diesbezüglichen Versprechen der Staatsregierung. Sie können Herrn Kollegen Vogel fragen; er kommt gerade von diesem Gespräch.

(Beifall bei der SPD – Maget (SPD), an die CSU gewandt: Nicht immer Märchen erzählen!)

„Märchen erzählen“, diese Formulierung passt gut; ich greife sie gerne auf.

Ich finde es beschämend, wie sich die Staatsgerierung verhält. Auch das möchte ich zum Ausdruck bringen. So hat Herr Ministerpräsident Dr. Stoiber dem e.on-Chef gleich nach einem ersten dreistündigem Gespräch – so war es zumindest den verschiedenen Medien zu entnehmen – einen finanziellen Ausgleich für die fast 700 bedrohten Arbeitsplätze abzuringen versucht – so nach dem Motto: Geld gegen Arbeitsplätze. Schrecken Sie denn vor nichts zurück?

(Zurufe von der CSU)

Ja, Bemühungen sind da, und das begrüßen wir. Doch muss es in erster Linie darum gehen, Arbeitsplätze zu erhalten und Standorte zu sichern.

(Zurufe von der CSU)

Darum muss es in erster Linie gehen, nicht darum, Arbeitsplätze mit Geld abzulösen, dieses Geld später aber nicht den betreffenden Standorten zugute kommen zu lassen, wie es bei Schwandorf der Fall war.

(Hofmann (CSU): Lesen Sie einmal Ihren Antrag! – Gegenruf der Frau Abgeordneten Paulig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ihr Antrag ist das Eingeständnis Ihrer eigenen Handlungsunfähigkeit!)

Ich weise auch darauf hin, dass es hier um die Aufgabe von Kraftwerkstandorten geht, in deren Erhalt beträchtliche Summen an Steuermitteln investiert wurden, Kraftwerke, die modernisiert worden sind. Atomkraftwerke bleiben hingegen am Netz. Wo bleibt denn da Ihr Energiemix? Sie haben Ihn angesprochen, Herr Minister Dr. Wiesheu. Wo bleibt da Ihr Energiemix? Herr Dr. Stoiber, Herr Dr. Wiesheu, so, wie Sie es praktizieren, kann unserer Meinung nach Krisenmanagement nicht aussehen.

Doch ist es nicht verwunderlich, wenn ein Energieriese wie e.on die Schließung von Kraftwerken wie in Arzberg, in Frauenaurach und in Schwandorf mit dem Abbau nicht

mehr benötigter Überkapazitäten begründet und anderseits Atomstrom aus dem neuen, risikobehafteten Kernkraftwerk in Temelin beziehen will, aus einem Kraftwerk, das nicht einmal deutschen Sicherheitsstandards entspricht. Herr Minister Dr. Wiesheu, mir liegt die Antwort auf eine einschlägige Schriftliche Anfrage vor; ich gebe Sie Ihnen gerne zur Kenntnis. Daraus geht hervor: Europäische Sicherheitsstandards für Kernkraftwerke gibt es nicht. Sie haben sie erwähnt und zitiert. Doch gibt es derlei nicht.

Es verstehe, wer will, wenn e.on jetzt aus Temelin, aus einem risikobehafteten Kraftwerk, Strom bezieht, und das auch noch als Hauptabnehmer; dies wurde jedenfalls angekündigt. Wir haben es hier mit einem ganz klarem Fall von Verantwortungslosigkeit gegenüber dem Standort Deutschland, gegenüber dem Standort Bayern und vor allem gegenüber den hier lebenden Menschen, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, und auch gegenüber ihren Sicherheitsinteressen zu tun.

(Zurufe von der CSU)

Ich sage es noch einmal: e.on will tatsächlich Strom aus einem Kernkraftwerk beziehen, das vor sicherheitstechnischen Bedenken nur so strotzt. Doch in der Werbung umgibt man sich – man höre und staune – mit dem Slogan „Neue Energie“. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: „Neue Energie“ aus dem Kernkraftwerk Temelin. Meine Damen und Herren, wer seine Werbestrategie auf „Neue Energie“ ausrichtet und seinen Strom zu Dumpingpreisen aus einem tschechischem Kernkraftwerk beziehen will, handelt nicht nur wettbewerbsverzerrend, verantwortungslos und standortschädigend, sondern hat auch noch den letzten Funken an Glaubwürdigkeit verspielt. Da nutzt es auch nicht Götz George als Weltumsegler und Veronica Ferres als Anita-Eckberg-Verschnitt zu missbrauchen.

Ich rate den Verantwortlichen und Werbestrategen bei e.on – –

(Zwischenruf des Abgeordneten Kaul (CSU))

Hören Sie mir doch einmal zu, Herr Kollege Kaul.

Ich rate den Verantwortlichen bei e.on und deren Werbestrategen: Wenn Sie ehrlich sind, werben Sie mit dem Slogan: „e.on – Entlassungen ohne nachzudenken“. Das trifft den Kern der Sache wohl eher.

(Beifall bei der SPD)

Die jetzt veröffentlichten Pläne zur Stilllegung von Kraftwerken kommen auch nicht unerwartet. Sie sind auch Folge der in Jahrzehnten der Energiemonopole aufgebauten Überkapazitäten und haben nichts, aber auch gar nichts mit dem Ausstieg aus der Atomenergie zu tun.

(Beifall bei der SPD)

Die jetzt bekannt gegebene Größenordnung von mindestens 10% der Überkapazitäten wurde von uns oft kritisch angeführt, jedoch noch bis vor kurzem von Seiten der Unternehmen wie auch von Seiten der Bayerischen

Staatsregierung sowie der CSU-Mehrheit hier im Hause vehement bestritten. Ich nenne nur das Stichwort „Versorgungssicherheit“. Das haben Sie immer als Stichwort gebracht. Sie haben die Überkapazitäten nie anerkannt. Wir haben sie Ihnen immer wieder vor Augen geführt.

(Frau Paulig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es gingen immer die Lichter aus!)

In Anbetracht dessen ist es geradezu lächerlich, dass Stoiber jetzt neue Gespräche zu einem allgemeinen Energiekonsens einfordert. Den haben wir, ob er das will oder nicht. Wir haben ihn bereits.

(Glück (CSU): Wo denn?)

Der Konsens besteht.

Man muss auch sagen und klar herausstellen, diese Überkapazitäten wurden über Jahrzehnte auf Kosten der privaten Stromverbraucher aufgebaut, die sie über ihre Stromrechnungen finanziert haben. Nun werden sie in kurzer Zeit auf Kosten der Belegschaften abgebaut. Das ist Fakt und nichts anderes.

(Beifall bei der SPD und der Frau Abgeordneten Paulig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))