Ich würde das meinem ehemaligen Parteivorsitzenden zwar nicht unterstellen, aber Herr Sackmann, da Sie Theo Waigel so gut kennen, werden Sie schon wissen, was Sie sagen. – Kolleginnen und Kollegen, es kommt nicht von ungefähr, dass Herr Merz einen Spitzensteuersatz von 35% längst nicht mehr erwähnt und vorsichtig von 42% spricht. Das kommt dem Eingeständnis der Unfinanzierbarkeit der Unionsalternative gleich. So stand es im „Handelsblatt“ zu lesen.
Als Sie, Herr Faltlhauser, damit konfrontiert wurden – ich habe es mit Interesse in der „Süddeutschen Zeitung“ gelesen –, haben Sie gesagt; ich zitiere: „So, so, das ist mir neu.“
So, so, Herr Faltlhauser. Vielleicht ist für Sie noch einiges andere von dem neu, was ihr Kollege Merz im Vermittlungsausschuss vorträgt.
Herr Staatsminister, Sie sind mit Ihrer Alternative ziemlich forsch nach vorne gegangen. Die CDU, vom Spendenskandal gebeutelt, ist in ihrer Not auf Ihr Konzept aufgesprungen, weil sie selbst nichts erarbeitet hat. Ich habe den Auftritt von Herrn Merz und Ihnen im Fernsehen verfolgt. Sie haben das große Wort geführt, und Herr Merz war froh, dass er noch einige Tabellen vorstellen konnte, was auch seinem Image als Theoretiker entspricht.
Das war Ihre Vorstellung einer Alternative zum Konzept der Bundesregierung. Ich schaue mir öfters an, wie die Akteure im Bundestag handeln. Herr Merz, der Fraktionssprecher der CDU, hat den Ruf, dass er zwar jedes Steuersystem herunterbeten kann, aber von praktischer Politik wenig Ahnung hat. – Ich sehe schon, dass Sie mir das gerne bestätigen würden; aber Sie trauen sich nicht so recht.
Herr Faltlhauser, da Sie sonst gelegentlich eine forsche Lippe riskieren, sollten Sie sich auch heute trauen.
Sie müssten eingestehen, dass auch unionsregierte Länder mit Ihrem Konzept arg in die Bredouille geraten. Auch Sie selbst müssen trotz Ihres erklärten Vorsatzes, die Nettoneuverschuldung bis 2006 auf Null zu senken, im Jahr 2001 die Nettoneuverschuldung um 1,4 Milliarden DM auf 2,5 Milliarden erhöhen und im Jahr 2002 um 800 Millionen auf 1,7 Milliarden. Herr Finanzminister, der schuldenfreie Haushalt fängt schon mal gut an.
Zuerst Schulden machen, und dann Ihrem Nachfolger die Aufgabe hinterlassen, er soll einen schuldenfreien Haushalt aufstellen: Das ist verantwortungsvolles Handeln und Zukunftsvorsorge.
Ich kann Sie heute nur dazu auffordern: Bleiben Sie auf dem Boden der Realität, und fordern Sie nur das, was Sie sich tatsächlich leisten können. Es ist nicht redlich, aus der Opposition heraus Anträge zu stellen, die unfinanzierbar sind.
Ich habe das immer so gehandhabt. Der Finanzminister wird nachher gern bestätigen, dass wir für unsere Anträge immer eine finanzielle Deckung vorweisen konnten.
Wir wussten, was bei der Diskussion der Steuerreform auf uns zukommt, und wir wussten auch, dass es der Bayerische Ministerpräsident wieder nicht lassen kann, Muskeln zu zeigen, selbst wenn es ihm nichts hilft. Wir haben daher noch vor der Sommerpause den Antrag eingebracht, dass sich die Staatsregierung im Bundesrat für eine Erhöhung der Einkommensgrenze für den Spitzensteuersatz, für eine Abschaffung des Optionsmodells und eine Annäherung der bisher unterschiedlichen Steuerbelastungen bei der Veräußerung von Personenunternehmen einerseits und Kapitalgesellschaften andererseits einsetzt. Obwohl Sie im Grunde genommen unsere Forderungen für richtig halten, haben Sie diesen Antrag eigensinnig abgelehnt, während die SPD und die GRÜNEN ihm zugestimmt haben.
Wie es aussieht, dürften die ersten beiden Forderungen in etwa umgesetzt werden, und für die Veräußerungsgewinne ist durchaus noch etwas darin. Was aber machen Sie jetzt? Anstatt sich aufeinander zuzubewegen, wollen Sie zeigen, wer im Bundesrat das Sagen hat. Nachdem Ihnen der Spitzensteuersatz von 35% als Ablehnungsgrund abhanden gekommen ist, weil Sie selbst zugeben mussten, dass er nicht verkraftbar ist, ziehen Sie plötzlich die Beibehaltung des Anrechnungsverfahrens als Ihre Kernforderung heraus. Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns doch vernünftig darüber diskutieren. Für beide Verfahren gibt es Für und Wider. Herr Staatsminister, Sie sind Volkswirt und wissen das ganz genau. Es gibt das klassische System, und es gibt das Anrechnungsverfahren. Es gibt eine Theorie dazu, wie man was anpassen kann, und es gibt die Praxis im wirklichen Leben. Es kommt auch auf die Ziele an. Für die Bundesregierung haben Steuervereinfachung und Europatauglichkeit in diesem Falle Priorität. Wir als Fraktion unterstützen das nachdrücklich.
Weil das der Hauptgrund der Ablehnung der Union ist, muss ich leider ein bisschen etwas zu diesem Systemwechsel erklären. Bis 1977 wurde auch in der Bundesrepublik das klassische System angewendet; dann wurde auf das Vollanrechnungsverfahren umgestellt in der Hoffnung, dass sich dieses Verfahren weltweit durchsetzen würde. Diese Hoffnung hat sich aber nicht erfüllt. Gerade mal Italien und – mit Einschränkungen – Frankreich wenden dieses System noch an. Herr Staatsminister, ich verstehe überhaupt nicht, warum gerade die Bayerische Staatsregierung, die sich sonst so sehr um ausländische Investoren bemüht – Sie haben „Bayern International“ gegründet; Sie sind sogar mit einer eigenen Homepage „www.invest-in-bavaria.de“, vertreten –, hier so einen investitionsfeindlichen Kurs gegenüber ausländischen Anlegern fahren. Das kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen.
Ein ausländischer Anteilseigner, der Dividenden deutscher Unternehmen erhält, kann sich die von der Kapitalgesellschaft bezahlten Steuern genauso wenig anrechnen lassen wie ein inländischer Aktionär, der Dividenden ausländischer Kapitalgesellschaften erhält. Im Ergebnis
bedeutet dies, dass gute Dividenden sind, wenn deutsche Unternehmen an inländische Anteilseigner zahlen, und dass schlechte Dividenden sind, wenn ausländische Unternehmen an deutsche Anteilseigner bzw. deutsche Unternehmen an ausländische Anteilseigner zahlen. Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 06.06.2000 festgestellt, dass die Ungleichbehandlung zwischen inländischen und ausländischen Anteilseignern europarechtswidrig ist. Das wissen Sie, und das geben auch die Befürworter des Anrechnungsverfahrens zu, um dann Anpassungsverfahren vorzuschlagen, die alles andere als steuervereinfachend wären. Ein Professor, der dieses Anrechnungsverfahren befürwortet, gibt zu, dass Beteiligungen von Inländern an ausländischen Kapitalgesellschaften gegenwärtig diskriminiert werden und schlägt dann zur Lösung des Problems vor:
Die Diskriminierung gegenüber inländischen Beteiligungen kann grundsätzlich behoben werden, indem auch die ausländische Körperschaftssteuer angerechnet wird. Sollte dies wegen Nachweisschwierigkeiten im Einzelfall nicht exakt möglich sein, so kann die Anrechnung über eine Schätzung erfolgen, bei der die Körperschaftssteuersätze der EU-Staaten als Anhaltspunkt dienen.
So ein Verfahren wünsche ich unserer Steuerverwaltung nicht. Die zweitbeste Lösung, sagt der Professor dann, wäre eine pauschale Berücksichtigung der Doppelbelastung, indem man, beschränkt auf ausländische Dividenden, wegen der Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Vorbelastung – all dies wird zugegeben – das vom Bundesfinanzministerium favorisierte Halbeinkünfteverfahren anwendet. Ein größeres Durcheinander kann ich mir gar nicht vorstellen. Alle, die Steuervereinfachung vor Augen haben, müssen einsehen, dass es Zeit ist, unser System europatauglich zu machen. Denn Steuerpolitik lebt auch davon, dass sie einfach anwendbar und durchschaubar ist.
Da können Sie noch so sehr hinauf- und hinunterreden und versuchen, Mitstreiter zu finden, die Ihnen mittlerweile abhanden gekommen sind. Denn die meisten Unternehmerinnen und Unternehmer im Land wünschen sich die Steuerreform. Sie haben ohnehin lange genug darauf warten müssen, weil die Vorgängerregierung nichts zu Stande gebracht hat.
Jetzt reisen Sie durch die Lande und versuchen, die Steuerreform madig zu machen. Jeder Einzelfall wird hervorgezerrt: Benachteiligung von Kleinanlegern, Mittelstandsbenachteiligung und, und, und. Ich habe die Modelle durchgerechnet und räume ein, dass es irgendwelche Einzelfälle geben mag, in denen man mit einer gewissen Schlechterstellung rechnen muss.
Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Frau Kollegin Kellner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Dr. Vocke? –
Frau Kollegin Kellner, sind Sie sich darüber im Klaren, was die Steuerreform für Einzelunternehmen und Personengesellschaften bedeutet, da GmbHs einseitig bevorzugt werden, ohne dass die Masse der Einzelunternehmen und Personengesellschaften in der Lage wäre, in GmbHs überzugehen, von Nachteilen im Erbschaftssteuerrecht, Haftungsrecht und anderen langfristig negativen Konsequenzen ganz zu schweigen?
Herr Kollege Vocke, auch Sie waren neulich beim Verband der Freien Berufe, wo diese Frage diskutiert wurde. Mit Blick auf die Ungleichbehandlung bei Veräußerungsgewinnen haben wir selbst erkannt, dass noch nachgelegt werden muss. Es steht Ihnen frei, sich ebenfalls dafür einzusetzen. Das Verfahren zwischen Bundestag und Bundesrat ermöglicht es, sich im Vermittlungsausschuss aufeinander zuzubewegen. Sie greifen aber, wenn man Ihnen nur einen Finger reicht, schon nach dem nächsten, weil Sie verzweifelt nach Gründen suchen, die Steuerreform ablehnen zu können.
Ich habe die Situation der Kleinaktionäre genau angeschaut und durchgerechnet, was herauskommt, wenn man einen Grenzsteuersatz von 40 oder 35% unter Berücksichtigung der Freibeträge unterstellt. Es stimmt: Man kann sich noch das eine oder andere vorstellen, damit keine Benachteiligung der Kleinen entsteht.
Beim Mittelstand muss berücksichtigt werden, was die Bundesregierung insgesamt für ihn tut. So wurde zum Beispiel endlich ein Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen eingeführt, wofür uns die Handwerker außerordentlich dankbar sind. Denn künftig müssen sie nicht mehr als Zwischenfinanziers von Unternehmen und Einzelauftraggebern fungieren. Außerdem wurden 1,5 Milliarden DM für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben bei kleinen und mittleren Unternehmen bewilligt.
Ihre Forderung nach Einführung einer Entfernungspauschale beantworten wir GRÜNE mit dem Satz: Auch wir sind für eine verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale, allerdings nicht in Form Ihres Modells mit seiner seltsamen Kombination aus Gewährung erst ab 15 Kilometern und Senkung des Pauschbetrags für Arbeitnehmer um 500 DM. Denn das bedeutet eine gravierende Benachteiligung der Arbeitnehmer. Wir müssen uns genau anschauen, wer von was und welche Einkommen betroffen sind. Grundsätzlich ist zu sagen, dass die rot-grüne Steuerreform das Ziel, kleine und mittlere Einkommen zu entlasten, erreicht und zur Steuervereinfachung beiträgt. Ich bin sicher, dass nach der Steuerreform jeder weniger Steuern als vorher zahlt – außer die Hinterzieher und Abschreibungskünstler. Ich gehe davon aus, dass auch Sie den Letztgenannten nicht zu Vorteilen verhelfen wollen.
Man mag im Einzelfall unterschiedlicher Ansicht sein. Trotzdem sollten Sie, Kolleginnen und Kollegen von der CSU, sich nicht weigern, die Steuerreform noch vor der Sommerpause umzusetzen, damit sie am 01.01.2001 in Kraft treten kann. Langsam beginne ich mich über Ihre Rolle zu wundern und fordere Sie auf, zur praktischen Politik zurückzukehren. Lassen Sie sich nicht von dem Theoretiker Merz dominieren. Sonst treten Sie ja auch wortgewaltig auf und spannen die Muskeln. Nur jetzt lassen Sie sich von Herrn Merz unter den Tisch drücken, und davon bin ich enttäuscht.
Meine Damen und Herren von der CSU, ich möchte Sie einmal sehen, wie Sie nach Berlin fahren und dafür sorgen, dass die Steuerreform noch vor der Sommerpause unter Dach und Fach kommt. Das erwarte ich von Ihnen.
Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Lassen Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Kollegen Dr. Vocke zu? – Bitte.
Meine Frage, Frau Kellner: Haben sich die GRÜNEN schon einen guten Anwalt gesucht? Denn über eines sollten Sie sich im Klaren sein: Die Verfassungsklage ist doch unabwendbar, wenn Sie eine Unternehmensart mit 45% besteuern und die andere nur mit 25%.
Ich frage Sie: Wo bleibt da die Chancengleichheit? Wo bleibt da die Wettbewerbsneutralität des Steuerrechts? Es ist ganz klar, dass sich das Verfassungsgericht mit dem wird befassen müssen, was Sie planen. Ich frage Sie, ob Sie das bedacht haben.
Herr Kollege Dr. Vocke, das hat die Bundesregierung sicherlich bedacht. Nicht umsonst hat sie die Senkung des Tarifs, die für das Jahr 2002 vorgesehen war, auf das Jahr 2001 vorgezogen. Soweit meine Antwort auf Ihre Frage.
Meine Damen und Herren von der CSU, ich sage es Ihnen noch einmal: Denken Sie daran, welchen Schaden ein Scheitern der Steuerreform gerade auch im Ausland nach sich ziehen würde. Konzentrieren Sie sich auf das Machbare. Konzentrieren Sie sich auf eine konstruktive und zügige Kompromissfindung im Vermittlungsausschuss, damit die Steuerreform am 01.01.2001 in Kraft treten kann.
Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Die nächste Wortmeldung kommt von Herrn Kollegen Straßer. Bitte, Herr Kollege.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Nachdem ich die Debatten der letzten Wochen und Monate verfolgt habe, glaube ich, dass der CSU überhaupt nicht bekannt ist, wo wir wirtschafts- und finanzpolitisch betrachtet stehen, oder dass sie es nicht begreifen will. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU-Fraktion, ich glaube, Sie hängen immer noch an irgendwelchen alten Ideologien. Sie sprechen von Selbstfinanzierungseffekten. Können Sie sich wirklich vorstellen, was Ihr Handeln bedeutet? In einer Zeit, in der wir wieder Vertrauen in die Politik geschaffen haben,