Protocol of the Session on May 18, 2000

Auch der Mittelstand profitiert davon. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass die Presse am 9. Mai Folgendes schrieb:

„Stimmung im Mittelstand bessert sich. Das Geschäftsklima in den mittelständischen Betrieben hat sich nach Angaben des Verbands für eine Kreditreform spürbar verbessert. Deutschlands Mittelstand erweist sich als Kulturlokomotive“, sagt Kreditreform-Chef Helmut Rödel in Berlin bei der Vorstellung der Frühjahrsumfrage des Verbandes.

Auch im Mittelstand herrscht Aufbruchstimmung dank der Politik der Bundesregierung und dank der Steuerreform.

(Beifall bei der SPD)

Natürlich tut es Ihnen weh, meine Damen und Herren von der CSU, wenn Sie gerade in Fragen der Wirtschaftspolitik Ihre Kompetenz mittlerweile an uns Sozialdemokraten verloren haben.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Herr Piëch von VW sagt, uns gefällt nicht alles, aber wir treffen auf Sachverstand und den Mut zum Handeln, dann ist das ein ausdrückliches Lob für die Bundesregierung.

(Zurufe von der CSU)

Und es tut Ihnen natürlich weh, wenn Herr Wedeking von Porsche, ein sehr erfolgreicher Unternehmer, meint, das Bonner Steuerpaket sei eine hervorragende Leistung. Das sollten Sie, meine Damen und Herren von der CSU, auch anerkennen, was hier Hervorragendes geleistet wird.

Auch die Zahl der Pleiten geht zurück, nicht zuletzt im Mittelstand. Wir sind in einer Aufbruchstimmung; es geht vorwärts. Sie sollten diese Situation nicht schlechtreden.

Herr Kollege Dinglreiter, wenn Sie erklären, es kommt zu spät und es ist zu wenig, dann muss ich Ihnen sagen, in der vorletzten Legislaturperiode, im Januar 1994, hat die Bundesregierung ein Paket zur Steuerreform angekündigt. Im Herbst 1994 hat der Rat der Weisen eine Steuerreform angemahnt. Sie haben bis Januar 1997 gebraucht, um Ihre Petersberger Vorschläge vorzulegen. Sie sind 1982 an die Regierung gekommen. 15 Jahre haben Sie gebraucht, um ein Steuerpaket vorzulegen. Heute machen Sie uns Vorwürfe, dass die Steuerreform zu spät kommt.

(Beifall bei der SPD)

Zu dem Argument, das sei zu wenig, kann ich nur sagen, natürlich würden wir Sozialdemokraten den Bürgern

gern noch mehr Steuern nachlassen. Das ist klar; das macht jede Partei, auch Herr Möllemann mit seinen großen Sprüchen, er will die Steuer heruntersetzen.

(Frau Renate Schmidt (SPD): Sprüngen oder Sprüchen?)

Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass der Schuldenstand während Ihrer Regierungszeit von 1982 bis 1998 von 350 Milliarden DM auf 1,5 Billionen DM gestiegen ist. Erst die jetzige Bundesregierung hat mit Herrn Eichel die Weichen anders gestellt. Erst mit dem Sparpaket wurde es möglich gemacht, dass die größte Steuerreform in der Geschichte der Bundesrepublik jetzt umgesetzt werden kann.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich noch zu einem Punkt Stellung nehmen, auf dem Sie immer wieder herumreiten. Sie müssen sich auf eine Argumentation einigen. Herr Dr. Bernhard, Sie sagen, das Kapital werde eingesperrt, wenn man großen Kapitalgesellschaften Steuerfreiheit bei Beteiligungsveräußerungen gewähre. Der Finanzminister hat ein Konzept mit dem Titel „Die bessere Alternative“ vorgelegt. Und was steht drin? – Ich zitiere:

Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist die vorgesehene Steuerbefreiung von Veräußerungsgewinnen von Inlandsbeteiligungen deutscher Kapitalgesellschaften zu begrüßen. Sie erleichtert die notwendige Umstrukturierung deutscher Unternehmen.

Was wollen Sie eigentlich?

(Beifall bei der SPD)

Wird das Kapital eingesperrt oder der Mittelstand benachteiligt, oder wollen Sie, dass die Umstrukturierung in Gang kommt?

Herr Präsident, ein letzter Satz sei mir gewährt. Der Standort Deutschland hat einen guten Ruf bekommen. Vor einigen Jahren wurden noch Hohn und Spott über den Standort Deutschland und die reformunwilligen Deutschen ausgeschüttet. Jetzt gibt es eine Aufbruchstimmung. In der ganzen Welt wird der Standort Deutschland wieder gelobt, und zwar dank der Politik der Bundesregierung und dank der Steuerreform, die wir ausdrücklich begrüßen.

(Beifall bei der SPD)

Um das Wort hat Herr Staatsminister Prof. Dr. Faltlhauser gebeten.

Staatsminister Prof. Dr. Faltlhauser (Finanzministe- rium) : Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Bundesrepublik Deutschland ist in der Debatte um eine Steuerreform in einer –

(Dr. Kaiser (SPD): Aufbruchstimmung!)

besonders günstigen Situation.

(Beifall bei der SPD – Frau Kellner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Das hätte Ihr Vorgänger nicht sagen können!)

Frau Kollegin, ich bitte Sie: Konzentrieren Sie sich auf das Zuhören und nicht auf das Klopfen.

Seit 1949 hat es noch nie die Situation gegeben, dass die Opposition mit einem durchgerechneten Gesamtkonzept einen ausformulierten Gegenentwurf vorgelegt hat. Das ist für eine parlamentarische Demokratie der Idealzustand. Das ist eine besondere, hervorzuhebende Leistung der Opposition in Berlin.

(Zurufe von der SPD)

Es wäre gut, wenn Sie auf der linken Seite dieses Hauses öfter in dieser Weise Beispiel gäben und konkrete Alternativen zu den Entwürfen der Regierungsfraktion vorlegten. Das ist leider meistens nicht der Fall.

(Beifall bei der CSU)

Deutschland braucht bei den Steuern eine deutliche Entlastung, eine Entlastung für alle und eine gerechte Steuerentlastung. Die Vorgeschichte der Reform will ich ausdrücklich zur positiven Einschätzung erwähnen: Vor dem 21. Dezember letzten Jahres hatten die Bundesregierung und der neue Finanzminister Eichel eine Vorstellung, die man als „Mickymaus-Konzept“ bezeichnen könnte. Erst wegen des Drucks durch das Konzept der Opposition hat Herr Eichel seine Vorstellungen in Bezug auf die Größenordnung auf 44,5 Milliarden DM angehoben; heute sind es 45,5 Milliarden DM. Nebenbei bemerke ich, der Haupteinwand, den Herr Eichel täglich wiederholt, ist der, ein Steuerkonzept, wie es die Opposition wolle, sei völlig unmöglich, denn das wäre eine Steuerreform auf Pump. Aber der Unterschied beträgt nach den jetzigen Vorstellungen des Bundestags genau 5 Milliarden DM. Entscheiden diese 5 Milliarden DM tatsächlich über die Frage der Seriosität oder Unseriosität, des Heiligenscheins oder der Sünde? – Das ist doch lächerlich.

Angesichts der Tatsache, dass der Bundesfinanzminister in diesem Jahr noch die UMTS-Lizenzen versteigern lassen will und dadurch mit Sicherheit mehr als 100 Milliarden DM erwirtschaften wird, ist der Anstoß – ich sage: der Zwang – für den Bundesfinanzminister unausweichlich geworden, die Bürger noch deutlicher zu entlasten. Er kann nicht horten. Meine Damen und Herren, damit Sie mich nicht missverstehen: Ich will nicht Einmalerlöse für Dauerentlastungen verwenden. Aber die Entscheidungsspielräume des Bundesfinanzministers sind größer geworden. Wenn Sie morgen die Zeitung aufschlagen werden, werden Sie ein zusätzliches Argument finden. Heute Nachmittag wird das Ergebnis der Steuerschätzung bekannt gegeben. Ich kenne es noch nicht, aber wir haben ebenfalls gerechnet. Nach der Steuerschätzung wird der Bund deutliche Steuermehreinnahmen haben. Die Einnahmen der Länder werden stagnieren, wenn nicht sogar zurückgehen.

(Zuruf von der SPD)

Das hat nichts mit guter Politik zu tun. Was soll dieser unqualifizierte Zwischenruf? Das hat vor allem mit der erhöhten Mineralölsteuer zu tun, die allein dem Bund zufließt.

Meine Damen und Herren, das heißt, dass der Bundesfinanzminister den Spielraum hat, auf das Konzept der Union deutlich stärker einzugehen. Wenn man eine Entlastung zur Förderung der Wirtschaft und einen Anstoß zum Abbau der Arbeitslosigkeit haben will, hat es keinen Wert, ein „Stotterkonzept“ vorzulegen, das seine Wirksamkeit erst im Jahr 2005 entfaltet.

Meine Damen und Herren, der vorliegende Entwurf der Bundesregierung ist ungenügend und ungerecht. Ich will das anhand einiger Beispiele belegen. Der Entwurf von Herrn Eichel ist ungerecht für alle Steuerzahler. Unser Konzept sieht eine durchgehende Entlastung von 25% vor. Beim Entwurf von Herrn Eichel liegt der Spitzensteuersatz im Jahr 2005 bei 45%, und zwar bei einem Betrag von 98000 DM. Wenn heute jemand als Betriebswirt von der Hochschule abgeht, beginnt er im Dienstleistungsbereich üblicherweise mit einem Einkommen zwischen 65000 DM und 75000 DM. Nach dem Konzept von Herrn Eichel befindet sich dieser Hochschulabsolvent nach wenigen Jahren mit seinem Einkommen im Bereich des Spitzensteuersatzes, der ab 98000 DM greift. Das heißt, wenn er zusätzlich 100 DM verdient, werden ihm 45 DM aus der Tasche genommen. Bei uns wären es nur 35 DM. Derjenige, der Leistung belohnen und Anstöße in unserer Gesellschaft geben will, muss unser Konzept wählen und nicht das von Herrn Eichel.

(Beifall bei der CSU)

Eine weitere Ungerechtigkeit besteht zwischen Groß und Klein. Das Konzept der Definitivbesteuerung bei Körperschaften bringt ungeheure Verkomplizierungen mit sich. Ich habe mich mit den Leitern der Finanzämter in den beiden OFD-Bezirken über die Verkomplizierung, die das Konzept von Herrn Eichel bedeutet, unterhalten. Diese Beamten haben aus ihrer Sachkenntnis und ihrer Sorge heraus gesagt, es wird eine ungeheure Verkomplizierung geben. Das bedeutet, die bayerischen Finanzbeamten, die Steuerberater und die Bürger müssen es ausbaden, wenn ein derartiger Systemwechsel vorgenommen wird. Was bedeutet dieser Systemwechsel konkret? – Die Großen werden mit 25% Körperschaftsteuer belastet. Die Personenunternehmen – 85% aller Unternehmen, 6 Millionen insgesamt – werden in der Spitze mit einem Steuersatz von 45% benachteiligt.

Im Durchschnitt werden wir wahrscheinlich 10% auseinander sein.

Unser Ziel ist: Herunter mit dem Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer. Denn dadurch würden wir uns vernünftigen Belastungsgrößenordnungen wenigstens annähern. Erstaunlich ist vor diesem Hintergrund der Dringlichkeitsantrag des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 14/3581. Denn in Punkt 2 wird die Staatsregierung aufgefordert, im Bundesrat bei den zu erwartenden Verhandlungen im Vermittlungsausschuss folgende Kompromisslinie zu verfolgen – und dann im ersten Spiegelstrich wörtlich –: „Annäherung der bisher

unterschiedlichen Steuerbelastung bei Veräußerungen zwischen Personenunternehmen und Kapitalgesellschaften.“ Damit bestätigen die GRÜNEN im Bayerischen Landtag, in Berlin sind Sie Koalitionspartner der SPD, dass das Konzept der unterschiedlichen Behandlung von Körperschaften und Personenunternehmen falsch und korrekturbedürftig ist.

(Beifall bei der CSU)

Deshalb frage ich die Unterzeichner Frau Kellner, Herrn Dr. Runge und deren Fraktion: Warum habt ihr das denn nicht am Kabinettstisch in Berlin durchgesetzt? Warum wurde das in den langen Debatten des Finanzausschusses des Bundestages nicht korrigiert? Da habt ihr nur Millimeterkorrekturen durchgeführt und große Pressegespräche veranstaltet. Was ihr hier aufführt, ist ein scheinheiliges Gefecht. Oben in Berlin hättet ihr die Chance zur Korrektur gehabt, nur konntet ihr euch wieder einmal nicht durchsetzen, und deshalb braucht ihr euch nicht zu wundern, dass ihr permanent Stimmen verliert.

Das ganze Konzept ist ungerecht; denn es ist ein Stotterkonzept.

(Widerspruch bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wenn Steuerentlastungen nur langfristig versprochen aber nicht durchgeführt werden, wenn wirkliche Entlastungen erst im Jahr 2005 kommen sollen, müssen doch zwischenzeitliche Lohnerhöhungen einkalkuliert werden. Eine jährliche Lohnerhöhung von 2,5% bis zum Jahr 2005 unterstellt, ergibt für einen Angestellten, der 6700 DM verdient und 75% tarifliches Weihnachtsgeld bekommt, eine Steuerbelastung von derzeit 23,8%. Bei der Entlastung von Herrn Eichel zahlt dieser Angestellte im Jahr 2005, zwischenzeitliche Lohnsteigerungen eingerechnet, aber mehr Steuern, nämlich 24,1%. Folglich führt das Stotterkonzept im Jahr 2005 nicht zu einer Entlastung, sondern zu einer steuerlichen Mehrbelastung. So etwas nenne ich Betrug am Steuerbürger, meine Damen und Herren.