Protocol of the Session on April 13, 2000

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 14/3397 – das ist der Antrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – seine Zustimmung geben will, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie der Kollege Hartenstein. Die Gegenstimmen bitte ich anzuzeigen. – Das ist die CSU-Fraktion. Gibt es Stimmenthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist auch dieser Antrag abgelehnt.

Zur gemeinsamen Behandlung rufe ich auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Renate Schmidt, Dr. Hahnzog, Dr. Jung und Fraktion (SPD)

Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Augsburg in den Verfahren gegen Karl-Heinz Schreiber, Holger Pfahls und Max Strauß (Drucksache 14/3384)

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Paulig, Elisabeth Köhler, Kellner und Fraktion (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Aufklärung des Verschwindens der Festplatte von Max Strauß (Drucksache 14/3386)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Erste Wortmeldung Herr Kollege Dr. Jung.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Neben mir liegt nicht die gesuchte Festplatte, sondern die Strafprozessordnung. Sie ist auch nicht gelöscht, sondern in Deutschland Gott sei Dank immer noch gültig,

(Beifall bei der SPD)

aber leider nicht, wie weiter zu erläutern sein wird, im Freistaat Bayern in dem Maße, wie es geboten wäre, und wie ich selbst mit ihr als Staatsanwalt zu arbeiten gewohnt war.

Zunächst muss ein deutliches Wort der Anerkennung und des Respekts gegenüber den Kollegen der Augsburger Staatsanwaltschaft ausgesprochen werden.

(Beifall bei der SPD)

Namentlich sei besonders erinnert an den engagierten Behördenleiter Jörg Hillinger. Was von den Kollegen dort in Sachen Leisler Kiep & Co.

(Zuruf von der SPD: Und Kohl!)

aufgedeckt wurde, und mit welcher Hartnäckigkeit, das verdient Respekt, und diesen versagen wir in keiner Weise.

(Beifall bei der SPD)

Genauso aber muss deutlich angesprochen werden, wie skandalös und verheerend sich jetzt die Situation darstellt, wo es an das Heiligste in Bayern geht, nämlich an die Vorfälle um den Strauß-Clan. Hier wird man sich die Vorgänge im Wesentlichen noch einmal kurz vor Augen halten müssen. Das Drama beginnt im Dezember 1995, als Max Strauß über eine bei ihm bevorstehende Hausdurchsuchung vorweg informiert wird. Am Tag danach wird die wohl zwischenzeitlich berühmteste Festplatte Europas von Viren befallen und am 19. Dezember überraschend neu formatiert. Es erfolgt dann erst im Januar die Sicherstellung eben dieser Festplatte, nachdem unabhängige Richter beim Landgericht Augsburg eine Fehlentscheidung des Amtsgerichts korrigiert hatten.

Die Staatsanwaltschaft – so weit ist auch noch alles in Ordnung – beauftragt Gutachter mit der Rekonstruktion dieser Festplatte. Selbstverständlich macht das ein Staatsanwalt nicht selbst, sondern er bedient sich dazu gutachterlicher Unterstützung.

Und dann kommt man zur Auffassung, dass der Gutachter hier doch auch das bayerische Landeskriminalamt mithelfen lassen solle. Es war dies ausweislich der Aussage der Staatsanwaltschaft von Augsburg nicht allein die Idee des Gutachters, sondern der Gutachter handelte im Auftrag der Staatsanwaltschaft. Und jetzt muss ich das erste Mal das Gesetz neben mir bemühen. Die Strafprozessordnung sieht in § 161 eindeutig Folgendes vor:

Zu dem im vorstehenden Paragraphen bezeichneten Zweck

das ist das Ermittlungsverfahren –

kann die Staatsanwaltschaft von allen öffentlichen Behörden Auskunft verlangen und Ermittlungen jeder Art entweder selbst vornehmen oder durch die Behörden und Beamten des Polizeidienstes vornehmen lassen.

Jetzt kommt der entscheidende Satz:

Die Behörden und Beamten des Polizeidienstes sind verpflichtet, dem Ersuchen oder Auftrag der Staatsanwaltschaft zu genügen.

Diese Sätze gelten seit über 100 Jahren. Die Dienststellen der Polizei sind verpflichtet, dem Ersuchen der Staatsanwaltschaft nachzukommen.

Anders verhält sich aber das Bayerische Landeskriminalamt. Es erklärt in diesem Fall wörtlich, dass es nicht seine Aufgabe sei, Hilfsarbeiten zu leisten.

(Zurufe von der SPD: Unglaublich! Ungeheuerlich!)

Ein unglaublicher Vorgang ist dies, wobei ich mir heute noch nicht darüber im Klaren bin, wie die Staatsanwaltschaft so etwas auf sich beruhen lassen konnte, nachdem sie sonst doch immer bewusst darauf achtet, dass sie Herrin des Ermittlungsverfahrens bleibt.

(Beifall bei der SPD)

Wenn das Bayerische Landeskriminalamt schon sagt, dass es keine Hilfsarbeiten verrichten will, muss ich noch einmal aus dem Gerichtsverfassungesgesetz zitieren. Dort heißt es in § 152:

Die Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft sind in dieser Eigenschaft verpflichtet, den Anordnungen der Staatsanwaltschaft ihres Bezirks und der dieser vorgesetzten Beamten Folge zu leisten.

Auch wenn manchem bei der Polizei die Formulierung „Hilfsbeamte“ überholt erscheint – auch ich könnte mir ein schöneres Wort vorstellen –, den Kern der Aufgabenverteilung trifft diese Vorschrift. Das Landeskriminalamt ist als Polizeibehörde eindeutig auch dafür zuständig, Hilfsdienste für die Staatsanwaltschaft zu erledigen. Genau dies hat es aber verweigert.

(Beifall bei der SPD)

Es wäre undenkbar, dass sich ein fränkischer Staatsanwalt einen solchen Vorgang hätte gefallen lassen, es sei denn er wäre von oben gebremst worden.

(Beifall bei der SPD)

Mehr ist dazu aus meiner Sicht nicht zu sagen. Soweit die Sache mit dem Landeskriminalamt, hier erwarten wir Aufklärung darüber, wie die Generalstaatsanwaltschaft auf eine solche Eigenmächtigkeit der Polizeibehörde reagiert hat, welche Proteste es dagegen gab und welche Vorstellungen des Justizministeriums gegenüber dem Innenministerium es gegeben hat, denn das Landeskriminalamt kann sich doch kaum verselbstständigen.

Dann geht es aber noch weiter. Nachdem das Landeskriminalamt contra legem so gehandelt hat, musste Behördenleiter Hillinger selbst seine vorgesetzte Dienstbehörde täuschen und erklären, es sei nicht beabsichtigt gewesen, einen Sachverständigen zur weiteren Aufklärung beizuziehen. Normalerweise müsste der Generalstaatsanwalt dem Behördenleiter daraufhin erklären, dass er dem in der Strafprozessordnung verankerten Legalitätsprinzip verpflichtet sei, wonach er mit allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ermitteln und der Wahrheit auf den Grund gehen müsse. Der General

staatsanwalt müsste einem solchen Vorgehen auf das Schärfste widersprechen und den Behördenleiter zwingen, einen Sachverständigen einzuschalten. Welche Antwort kommt dagegen von Seiten des Generalstaatsanwaltes? Dieser Absicht wird nicht entgegengetreten. Im Juristendeutsch ist eine solche Aussage das Höchstmaß an Zustimmung und Lob, das man sich nur denken kann. Der Generalstaatsanwalt lobt eine Absichtserklärung, die zum Inhalt hat, dass man beabsichtigt, gegen Vorschriften der Strafprozessordnung zu verstoßen.

Jetzt kommt aber erst das raffinierte Verhalten des Behördenleiters. Heimlich verhält er sich doch rechtstreu. Er erfüllt die in der Strafprozessordnung vorgesehenen Aufgaben und schaltet doch einen Sachverständigen ein. Welches Klima muss in der bayerischen Justiz herrschen, wenn der Behördenleiter einer bayerischen Staatsanwaltschaft so agieren muss?

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Das ist der zweite Punkt, an dem sich Fragen nicht nur aufdrängen, sondern an dem Konsequenzen auf Seiten der Generalstaatsanwaltschaft unverzichtbar sind.

Jetzt kommt der vorläufige – ich sage bewusst vorläufige – Höhepunkt. Der bayerische Justizminister erklärt vor dem Untersuchungsausschuss in Berlin wörtlich, die Festplatte sei nach wie vor Beweismittel in einem noch laufenden Ermittlungsverfahren. Beweismittel in laufenden Ermittlungsverfahren sind aber nicht irgend welche Gegenstände, die bei der Justiz verwahrt werden, sondern Gegenstände, die besonders wichtig sind, für deren Aufbewahrung es auch wiederum Vorschriften und Regeln gibt. Diesmal ist die RiStBV einschlägig, das sind die Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren, also Anweisungen an Richter und Staatsanwälte, wie sie sich in solchen Verfahren zu verhalten haben.

Dort heißt es im Abschnitt „Behandlung der amtlich verwahrten Gegenstände“ – dazu zählte die Festplatte nach der Beschlagnahme eindeutig – unter der Überschrift „Sorgfältige Verwahrung“:

Gegenstände, die in einem Strafverfahren beschlagnahmt oder sonst in amtliche Verwahrung genommen worden sind, müssen zur Vermeidung von Schadenersatzansprüchen vor Verlust, Entwertung oder Beschädigung geschützt werden. Die Verantwortung hierfür trifft zunächst den Beamten, der die Beschlagnahme vornimmt; sie geht auf die Stelle (Staatsanwaltschaft oder Gericht) über, der die weitere Verfügung über den verwahrten Gegenstand zusteht. Die Verwaltungsvorschriften der Länder über die Verwahrung sind zu beachten.

Die Überschrift dieser Bestimmung weist also schon auf eine sorgfältige Verwahrung hin, und jeder Staatsanwalt bekommt bei seiner Einstellung eingebläut, dass das Asservatenwesen besonders wichtig sei. Es gibt eine Asservatenkammer, es gibt eigene Bedienstete für die Aufbewahrung der Asservaten. Es gibt eigene Listen, es sind eigene Unterschrifts- und Gegenzeichnungssysteme vorgesehen. Oftmals ist ein Staatsanwalt bei

einem Strafverfahren mehr mit der korrekten Abwicklung der Asservatenaufbewahrung als mit der eigentlichen Strafverfolgung befasst. In diesem Fall scheint aber alles dies nicht gegolten zu haben. Auch hier scheint sich entgegen dem Gesetz niemand um eine sorgfältige Verwahrung gekümmert zu haben. Niemand hat offensichtlich auf die Vermeidung von Verlust, Entwertung oder Beschädigung geachtet.

Geradezu erbärmlich klingt da, was das Justizministerium gestern auf seiner Pressekonferenz von sich gegeben hat. Zur Verantwortlichkeit hieß es nur, dass sich die Spur des Beweisstückes Ende 1996 verloren habe, und dass mit einiger Sicherheit die Festplatte nicht an die Staatsanwaltschaft zurückgegangen sei.

(Herbert Müller (SPD): Das ist doch unglaublich!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn ein bei einem Ladendiebstahl entwendetes Taschentuch aus der Asservatenkammer verschwindet, rollen Köpfe, zumindest in der Form von Versetzungen. Hier aber ist eine Festplatte seit Jahren spurlos verschwunden, man weiß nicht einmal, ob sie bei der Staatsanwaltschaft wieder eingegangen ist. Bei der Justiz gibt man darüber nur Bedauern zum Ausdruck, den Antrag der SPD will man trotzdem ablehnen. So kann es nicht sein.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erwarten heute gar nicht die Antwort darauf, wo sich im Augenblick die Festplatte befindet, ob auf dem Isargrund oder in sizilianischen Hochhausfundamenten gut in Beton gegossen oder vielleicht doch in irgend einer Schublade. Wir erwarten, dass sie unserem Antrag zustimmen und sich mit uns gemeinsam um Aufklärung bemühen.