Protocol of the Session on February 2, 2000

Ich rufe zur gemeinsamen Beratung auf:

Tagesordnungspunkte 9 a, 9 b und 9 c

Verfassungsstreitigkeiten

Schreiben des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 23. Dezember 1999 (Vf. 112-IX-99)

Vorlage des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 22. Dezember 1999 zum Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens über den Entwurf eines Gesetzes Unabhängige Richterinnen und Richter in Bayern (AIII/G-1021-4)

Schreiben des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 13. Januar 2000 (Vf. 2-IX-00)

Vorlage des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 11. Januar 2000 zum Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens über den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Mitwirkungsrechte der

Bürgerinnen und Bürger im Freistaat Bayern (AIII/G-1310/00-1)

Schreiben des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 17. Januar 2000 (Vf. 4-IX-00)

Vorlage des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 14. Januar 2000 zum Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens über den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Mitwirkungsrechte der Bürgerinnen und Bürger in Städten, Gemeinden und Landkreisen (AIII/G-1310/00-2)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Die Redezeit beträgt je Verfassungsstreitigkeit fünf Minuten pro Fraktion, insgesamt also 15 Minuten pro Fraktion. Wortmeldungen? –

(Herrmann (CSU): Kollege Kreuzer!)

Herr Kollege Kreuzer, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht um drei Verfassungsstreitigkeiten, die im Zusammenhang mit Volksbegehren stehen, nämlich einmal mit dem Volksbegehren „Entwurf eines Gesetzes Unabhängige Richterinnen und Richter in Bayern“, zum anderen mit den Volksbegehren über den „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Mitwirkungsrechte der Bürgerinnen und Bürger im Freistaat Bayern“ und über den „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Mitwirkungsrechte der Bürgerinnen und Bürger in Städten, Gemeinden und Landkreisen“. Alle drei Volksbegehren haben die notwendigen 25000 Unterstützerunterschriften überschritten, sind eingereicht und dem Innenministerium zur Prüfung vorgelegt worden.

Das Innenministerium ist bei allen drei Volksbegehren der Auffassung – ich werde auf die Einzelheiten zu sprechen kommen –, dass sie verfassungswidrig sind und somit nicht zugelassen werden können. Es hat deshalb die drei Volksbegehren dem Verfassungsgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt. Wir wiederum müssen heute hier entscheiden, ob, inwieweit und auf welche Weise sich der Bayerische Landtag an diesen Verfassungsstreitigkeiten, die beim Verfassungsgerichtshof anhängig sind, beteiligt.

Ich möchte die Sachverhalte kurz zusammenfassen: Der Entwurf eines Gesetzes „Unabhängige Richterinnen und Richter in Bayern“ zielt zum einen auf die Veränderung der Bestimmung und Zusammensetzung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs hin. Es wird gefordert, dass Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs mit Zweidrittelmehrheit gewählt werden. Es soll nur noch fünf hauptamtliche Verfassungsrichter geben, während wir heute 23 berufsrichterliche Mitglieder haben, die gleichzeitig andere Richterämter bei anderen Gerichten ausüben. Es soll die zehnjährige Amtszeit ohne Wahlwiederholung eingeführt werden. Gleichzeitig soll im Gesetzentwurf – hierauf kommt es bei der rechtlichen Würdigung entscheidend an – ein Richterwahlausschuss gebildet werden, bestehend aus acht Abgeordneten, fünf Richtern und zwei Angehörigen rechtsberatender Berufe, der über die Anstellung und Beförderung aller

übrigen Richter bei allen Gerichtsbarkeiten in Bayern entscheidet. In anderen Bundesländern gibt es dies zum Teil. Bei uns ist das Anstellungs- und Beförderungssystem anders geregelt.

Das Bayerische Staatsministerium des Innern ist der Auffassung, dass eine Verbindung dieser zwei Anliegen gegen das verfassungsrechtlich garantierte Kopplungsverbot verstoße, weil zwei völlig verschiedene Dinge in einem Volksbegehren zusammengefasst worden seien. Sie haben nichts miteinander zu tun. Es ist möglich, dass ein Bürger für das eine Anliegen ist und das andere aber ablehnt. In der Abstimmung kann er das nicht zum Ausdruck bringen, weil er nur mit Ja oder Nein stimmen kann. Deswegen liegt ein Verstoß gegen das Koppelungsverbot vor. Ich persönlich teile diese Auffassung. Ich bin der Auffassung, dass diese beiden Anliegen nicht verbunden werden können, da sie keine Beziehung haben.

(Dr. Hahnzog (SPD): Die haben eine Beziehung!)

Dr. Hahnzog sagt, die hätten eine Beziehung, weil berufsrichterliche – –

(Frau Radermacher (SPD): Um Gottes willen!)

Frau Radermacher, das ist eine schwierige Materie. Ich kann verstehen, dass Sie damit Probleme haben.

Die beiden Anliegen haben keine Verbindung, auch wenn zwei Richter in den Verfassungsgerichtshof berufen werden können und müssen. Dies verbindet die Anliegen nicht.

Wir sind der Auffassung, dass sich der Landtag an diesem Verfahren nicht beteiligen sollte, weil es den Volksgesetzgeber auf der einen Seite und die Exekutive, die prüfen muss, auf der anderen Seite betrifft, was eine reine Rechtsfrage ist. Der Landtag selbst als Gremium ist in seiner Funktion nicht betroffen. Unser Beschlussvorschlag lautet: „Der Landtag beteiligt sich nicht am Verfahren“.

Der zweite Streit betrifft die „Stärkung der Mitwirkungsrechte der Bürgerinnen und Bürger im Freistaat Bayern“. Darüber haben wir gestern schon im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN gesprochen. Dieser ist mit dem Gesetzentwurf des Volksbegehrens identisch. Wir sind der Auffassung, dass dieser Gesetzentwurf ebenfalls gegen die Verfassung verstößt. Ich habe das gestern ausgeführt. Er höhlt parlamentarische Grundsätze aus. Er ermöglicht, dass die Verfassung mit minimalen Minderheiten geändert wird. Er widerspricht diametral der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom letzten Jahr, mit der das Zustimmungsquorum auf 25% festgelegt wurde. Wir glauben, dass auch dieser Entwurf nicht dem Volk zur Entscheidung vorgelegt werden kann.

Hier sind wir allerdings der Auffassung, dass sich der Landtag am Verfahren beteiligen sollte, da eine Erweiterung der Volksrechte bei der Entscheidung direkt in die Möglichkeit der Gesetzgebung des Landtags eingreift, wir also nicht nur indirekt, sondern direkt betroffen sind.

Das Verhältnis liegt klar auf der Hand, zumal auch der Eingriff in das Budgetrecht vorgesehen ist. Deswegen schlagen wir in diesem Fall vor: 1. Der Landtag gibt im Verfahren eine Stellungnahme ab. 2. Der Landtag hält das Volksbegehren für unzulässig. 3. Zum Vertreter des Landtags wird der Abgeordnete Kreuzer bestellt.

Wir haben im Ausschuss für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen beschlossen, dass der Abgeordnete Kreuzer vor dem Landtag eine Stellungnahme abgibt. Diesen Beschluss müssen wir in „zum Vertreter wird bestellt“ umändern, da der Verfassungsgerichtshof in dieser Sache mündlich verhandeln will und bereits einen Vertreter des Landtags geladen hat.

Beim dritten Volksbegehren geht es um Veränderungen beim kommunalen Bürgerentscheid. Bekanntlich liegt auch hier eine Entscheidung des Verfassungsgerichtes vor, die gewisse Dinge des ursprünglichen Gesetzentwurfs für nicht recht- und verfassungsmäßig erklärt und somit andere Normen gesetzt hat. Das Volksbegehren versucht nun, diese Entscheidung zu revidieren, indem sie, beispielsweise eine einjährige Bindungswirkung von Volksbegehren im Zusammenhang mit einer Sperrbemerkung, wenn eine gewisse Anzahl von Unterschriften gesammelt wurde, in das Gesetz schreibt.

Wir halten diesen Gesetzentwurf für verfassungswidrig, da er nach unserer Auffassung gegen das kommunale Selbstverwaltungsrecht verstößt. Ich will dies nicht näher ausführen, sondern nehme auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes zum kommunalen Bürgerentscheid Bezug. Wir glauben also – genauso wie das Innenministerium –, dass dieser Volksentscheid verfassungswidrig ist.

(Dr. Hahnzog (SPD): Die sind nicht da!)

Aber sie können hoffentlich die ihnen vorliegende schriftliche Stellungnahme lesen, um die Meinung des Innenministeriums kennen zu lernen. Wir schließen uns dieser Meinung an, sind aber wie im ersten Volksbegehren der Auffassung, dass wir uns nicht am Verfahren beteiligen und keine Stellungnahme abgeben sollten, weil wir von diesem Verfahren – im Gegensatz zum zweiten Verfahren – als Gesetzgeber nicht direkt betroffen sind, sondern es handelt sich um eine Volksgesetzgebungsinitiative, die nun rechtlich geprüft wird. Ich beantrage also zu beschließen: Der Landtag gibt im Verfahren keine Stellungnahme ab.

(Beifall bei der CSU)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Nächste Wortmeldung: Herr Dr. Hahnzog. Herr Dr. Hahnzog, bitte.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben hier öfter Stellungnahmen bei Verfahren des Verfassungsgerichtshofes zu behandeln. Wir haben hier die einmalige Situation, dass das Innenministerium kurz hintereinander drei Volksbegehren nicht zugelassen hat, und zwar nicht aus rechtlichen Gründen, welche sehr vordergründig vorgeschützt sind, sondern weil Ihnen die Volksgesetzgebung nicht passt.

Wie ich gestern bereits gesagt habe, haben die großen Niederlagen der CSU leider nicht bei Wahlen stattgefunden – das kommt noch –, sondern bei zwei Volksentscheiden. Dies wurmt die CSU, und sie will solche Gelegenheiten in Zukunft möglichst nicht entstehen lassen; deswegen die vordergründige Nichtzulassung.

(Zuruf von der CSU)

Ich will nicht primär Wilhelm Hoegner anführen, auf den wir sehr stolz sind, sondern auch Hans Nawiasky, der in der letzten Nummer der Staatszeitung gewürdigt wurde. Diese Leute wollten ihre Erfahrungen der Nazi-Zeit in positives Handeln umsetzen. Deswegen ist die Bayerische Verfassung mehr als jede andere Landesverfassung von der Gleichwertigkeit von Parlamentsgesetzgebung und Volksgesetzgebung geprägt.

(Zuruf von der CSU: Das gab es doch auch in der Weimarer Verfassung schon!)

Dort heißt es ganz banal, der Landtag tritt im Herbst am Sitz der Staatsregierung zusammen. Die Entwicklung war, dass wir das ganze Jahr zusammensitzen. Ferner steht in der Verfassung: „Volksentscheide finden gewöhnlich im Frühjahr oder Herbst statt“; denn damals ist man davon ausgegangen, dass sehr viel mehr Volksentscheide stattfinden, nicht nur die zehn Volksentscheide, die wir in 54 Jahren erlebt haben. Dies war der CSU und der Staatsregierung bereits zu viel, daher versuchen sie, dies zurückzuschrauben.

Sie gehen von einem Ansatzpunkt aus, der vor allem bei den zwei weiteren Volksbegehren „Faire Volksrechte“ und „Schutz des Bürgerentscheids“ zum Ausdruck kommt. Sie gehen von einer Grundanschauung unserer Demokratie aus, die erstens nicht der Bayerischen Verfassung entspricht, aber mit einem unmodellierten Bild der Wirklichkeit gerechtfertigt wird, wie auch der jetzige Bundesverfassungsrichter Di Fabio sagt. Es war eine Zumutung, das Gutachten von über 100 Seiten, das bereits seit März vorliegt, innerhalb von sieben Tagen durchzulesen und sich damit zu beschäftigen, weil es das Innenministerium so lange zurückgehalten hat. Das ist eine tolle Fairness im Rechtsstaat.

(Zuruf von der CSU)

Di Fabio, damals noch nicht Bundesverfassungsrichter, sagt, die Bayerische Verfassung gehe von der Gleichwertigkeit der Parlamentsgesetzgebung und der Volksgesetzgebung aus. Da könne es aber Friktionen geben, und diese müssten wir nach dem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt der praktischen Konkordanz miteinander vereinigen. Die diesbezüglich angestellten praktischen Überlegungen Di Fabios führen auf der einen Seite zu Bewertungen – auch vom Innenministerium – der Volksgesetzgebung, sei es auf Landes- oder auf kommunaler Ebene, die den Anspruch erheben, es seien tatsächliche Erfahrungen. Da ist die Rede von der Gefahr des „demagogischen Missbrauchs“, von der „Lähmung“ der Kommunalparlamente und des Bayerischen Landtags und von der „Unverantwortlichkeit“ der Menschen, die solche Volks- oder Bürgerbegehren initiieren. Dies wird als tatsächlicher Maßstab genommen.

Wie aber ist die Situation? Welches der wenigen Volksbegehren hat jemals dazu geführt? – Demokratischer Missbrauch, Lähmung, Unverantwortlichkeit. Welche der 400 Bürgerentscheide in den wenigen Jahren, wo dies möglich ist, haben dazu geführt, dass diese Kategorien entstanden sind? Es ist, vordergründig genommen, eine völlig falsche Bewertung. Andererseits wird das Hohe Lied der funktionierenden Parlamente, Kreistage und Gemeinderäte gesungen. Das Innenministerium versteigt sich für die Funktionsfähigkeit und Stabilität dieser Institution darauf zu verweisen, dass nach der Bayerischen Verfassung zur Beschlussfähigkeit des Landtags die Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder erforderlich ist. Schauen Sie sich diesen Raum an: Wo ist die Funktionsfähigkeit des Landtags gegeben? Die 102 beziehungsweise 103 Leute sind doch nicht da, heute nicht und fast nie.

(Zuruf des Abgeordneten Kreuzer (CSU))

Herr Kreuzer, ich sage damit nur, wie unverantwortlich es ist, dieses als eine tatsächliche Wertung in das Verfassungsrechtliche zu übertragen. Die Funktionsfähigkeit unserer Parlamente, unserer Landtage und unseres repräsentativen Systems ist doch nicht durch die direkte Demokratie gefährdet, sondern durch das, was wir in den letzten Monaten immer wieder täglich im Fernsehen und der Zeitung erfahren, nämlich durch schwarze Kassen, Finanzskandale und durch eine verdeckte Parteienfinanzierung. Dies sind doch die Gefährdungen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abgeordneten Kreuzer (CSU))

Dies ist eine völlig einseitige Bewertung, um die verfassungsrechtlichen Brücken zur Unzulässigkeit zu schlagen.

Zweitens. Bei den beiden letzten Volksbegehren führte Herr Di Fabio ebenso wie das Innenministerium auf vielen Seiten immer als Argument an, in den anderen Bundesländern gebe es Quoren, keine Sperrfristen und so weiter.

(Dr. Kempfler (CSU): Das stimmt ja auch!)

Es stimmt, aber wir sind doch alle der Ansicht, dass ein Föderalismus Eigenständigkeit im eigenen Land beinhaltet, und da sagen Sie plötzlich: Weil die anderen Bundesländer solche Regelungen haben, dürfen auch wir keine anderen Regelungen haben als diese. Diesen Verzicht auf die Eigenständigkeit Bayerns untermauern Sie noch durch einen großen verfassungsrechtlichen Überbau? – Dies verstehe ich nicht.