Protocol of the Session on February 1, 2000

(Zuruf der Frau Abgeordneten Münzel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Dann aber haben die Eltern nichts mehr mitzureden. Ein Jahr lang muss die aufnehmende Schule das Kind beschulen, aber nach diesem Jahr bestimmt die Schule, so Ihr Gesetzentwurf, wohin das Kind letztendlich geschickt wird, und das ist dann die bildungspolitische Treppe nach unten.

(Hofmann (CSU): So ist es! – Frau Radermacher (SPD): Wieso nach unten? – Gegenruf des Abgeordneten Hofmann (CSU): Weil sie scheitern!)

Ich meine, wir sollten unseren Kindern bildungspolitische Treppen nach oben verschaffen, und das ist das Ziel unseres Gesetzentwurfes.

Wir wollen, dass den Kindern entsprechend ihrer Entwicklung zu jedem Zeitpunkt eine Bildungschance gegeben wird, die nach oben führt und nicht nach unten.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Münzel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wer weiß, was es bedeutet, wenn Kinder mit 10, mit 11, mit 12 Jahren erfahren, dass sie auf der verkehrten Schule sind,

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Und jetzt?)

dass sie frustriert sind, der weiß, dass das nicht diejenigen sind, die später die Ärmel aufkrempeln und sagen:

Wir sind diejenigen, die die gesellschaftlichen Aufgaben übernehmen, wir sind diejenigen, die anpacken.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Rufen Sie jetzt die Revolution aus?)

Wir wollen motivierte Kinder, die ihre Chancen erkennen. Wir wollen keine Gleichmacherei, wie Sie sie in den anderen Ländern praktizieren. Deshalb, meine Damen und Herren, bedaure ich es noch einmal, dass wir heute inhaltlich sehr, sehr wenig diskutiert haben,

(Frau Münzel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben halt nicht viel zu sagen!)

sondern dass nur die Inhalte des Volksbegehrens diskutiert worden sind. Ich bitte um Verständnis, dass ich auf Ihre Ausführungen auch entsprechend antworten musste. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CSU)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Nächste Wortmeldung: Frau Götz. Frau Kollegin, bitte.

Ich heiße Goertz. Ich glaube, das hat sich allmählich herumgesprochen. Es gibt zwar einen Götz von Berlichingen, aber der hat ein bisschen etwas anderes gesagt.

(Hofmann (CSU): Was denn, gnädige Frau?)

Ich glaube, wir sollten jetzt über das diskutieren, was gerade auf der Tagesordnung steht. Im Übrigen werden Sie das Zitat kennen.

Herr Knauer hat gerade beklagt, dass es keine inhaltliche Auseinandersetzung gegeben hat.

(Meyer (CSU): Ihr habt ja keinen Inhalt!)

Aber ich muss sagen, das, was Sie gerade dazu beigetragen haben, hat auch nicht viel Erleuchtung gebracht.

(Beifall der Frau Abgeordneten Werner-Muggendor- fer (SPD))

Sie haben es sogar fertig gebracht, eine Ansprache an die Besucher zu halten. Das fand ich schon interessant, wenn man hier vorne am Pult steht und eigentlich sagt: Die Besucher sind jetzt wichtiger.

(Knauer (CSU): Dann darf man aber nicht ablesen, dann muss man frei sprechen!)

Vielleicht sollten wir es anders machen. Holen wir die Leute herunter und setzen sie hierher. Dann können wir die Debatten so führen, wie wir uns das gerade vorstellen.

Zurück zum Thema: Bessere Bildung für alle. Ich denke, das ist für uns Sozialdemokraten ein fundamentaler Grundsatz, ein Grundsatz, der auf eine gerechte Teilhabe aller an Bildungschancen und differenzierter Lei

stungsförderung baut. Im krassen Gegensatz dazu steht die konservative Bildungspolitik, eine CSU-Politik, die einseitig darauf fixiert ist, Spitzenbegabungen und Hochqualifizierte zu fördern. Wir dagegen haben ein Ziel: Chancengleichheit und Leistungsförderung in Gleichklang zu bringen.

(Meyer (CSU): Die Gesamtschule wollt ihr!)

Dies wird – davon sind wir überzeugt – die zentrale Aufgabe einer modernen Bildungspolitik im Zeitalter der Informations- und Wissensgesellschaft sein.

Chancengleichheit, liebe Kolleginnen und Kollegen, so stellen wir heute fest, ist in unserem Bildungssystem längst nicht überall gegeben.

(Beifall der Frau Abgeordneten Dr. Baumann (SPD))

Wir alle wissen: Es gibt zu viele Schulabgänger ohne Abschluss, Jugendliche ohne Ausbildung, Erwachsene ohne ausreichende berufliche Qualifikation. Wir wissen, es gibt erhebliche regionale Unterschiede bei der Verteilung von schulischen Chancen, es gibt noch immer Kinder aus Familien mit geringem Einkommen, die wenig in Gymnasien und Hochschulen vertreten sind, und besonders schwer haben es Ausländer- und Migrantenkinder. Diese vier Punkte verpflichten uns als politisch Verantwortliche, uns selbst einmal zu fragen: Was tragen wir dazu bei, alle Mitglieder unserer Gesellschaft zu integrieren oder Teile auszugrenzen?

Wir meinen, eine bessere Bildung für alle schafft Abhilfe, während ein gesellschaftliches Dreiklassenmodell, wie es die CSU gerade vertritt, die Situation vehement verschärfen wird.

Getreu Ihrer Linie beginnt die CSU jetzt bereits in der Grundschule, Kinder durch Notenbarrieren, erhöhte Auslese und Leistungsdruck kräftig auszusieben. Schonungslos werden sie in jungen Jahren auf eine Rennund Teststrecke für die weitere Schullaufbahn geschickt nach dem Motto – mein Kollege Irlinger hat es immer wieder erwähnt –: Friss, Vogel, oder stirb.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es bleibt keine Zeit, ihre Freude am Lernen zu erhalten, ihre Begabungen zu fördern und soziale Kompetenzen zu erwerben. Dafür haben Paukstudios Hochkonjunktur.

(Zuruf des Abgeordneten Knauer (CSU))

Laut Prof. Hurrelmann – hören Sie sich das genau an, liebe Kolleginnen und Kollegen – greifen inzwischen 45% aller Grundschüler regelmäßig zu Kopfschmerztabletten. Das sollte uns doch wohl zu denken geben.

Betrogen werden unsere Schulkinder mit der Mogelpakkung kind- und familiengerechte Halbtagsschule, die nicht in Bildung investiert, sondern in eine verlässliche Betreuung nach dem üblichen Unterricht. Das Verlässliche dabei garantieren Eltern und Kommunen, die mit 80% der Betreuungskosten zur Kasse gebeten werden.

Noch eines, liebe Kolleginnen und Kollegen: Kalt, würde ich sagen, kalt nimmt die CSU in Kauf, dass die Chancen besonders förderungsbedürftiger Kinder sinken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Knauer (CSU): So ein Krampf!)

Damit spreche ich den Bereich der Förderschulen an, die in der Schulhierarchie ewig am Ende stehen. An diesen Schulen soll aufgefangen, soll mit sonderpädagogischer Hilfe repariert werden. Was aber ist Fakt? Förderschulen weisen mit 2,8% den höchsten Schülerzuwachs aller Schularten auf. Der Trend, schwierige, verhaltensauffällige und schwächere Schüler und Schülerinnen nach unten abzuschieben, nimmt zu. Die Klassenstärken sprengen den vorgesehenen Rahmen, und der permanente Unterrichtsausfall löste den massiven Protest der Eltern aus. Von individueller Förderung, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann bei dieser dramatischen Entwicklung keine Rede mehr sein.

(Beifall des Abgeordneten Irlinger (SPD))

Besonders drastisch sind Kinder in den Diagnose- und Förderklassen betroffen. Deren Chance, wieder in eine Grundschule zu wechseln, sind durch den verstärkten Leistungsdruck in den dritten und vierten Klassen nahezu auf null gesunken. Fazit ist, so würde ich sagen: Die Schwächeren fallen einfach durch den Rost.

(Knauer (CSU): Belegen Sie das einmal!)

Bessere Bildung für alle – wann werden die Weichen so gestellt, dass endlich ein gemeinsamer Unterricht behinderter und nichtbehinderter Kinder selbstverständlich ist und damit dem Artikel 118 a der Bayerischen Verfassung zu mehr Leben verholfen wird? Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen, wir alle tragen Verantwortung dafür, dass das Recht auf individuelle Förderung und bestmögliche Bildung eines jeden Menschen durchgesetzt wird. In diesem Sinne möchte ich nochmals hervorheben: Wir Sozialdemokraten setzen auf bessere Bildung für alle, Bildung, die allerdings nicht vom Geld abhängig gemacht werden darf, vom „Bimbes“, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Nächste Wortmeldung: Herr Sibler, bitte.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! „Bessere Bildung für alle“, so heißt es. Das Adjektiv „besser“ ist arg strapaziert worden, in den letzten Wochen, heute in der Aktuellen Stunde und nicht zuletzt auch im Titel des Volksbegehrens: Die bessere Schulreform.

Ich möchte in diesem Zusammenhang einen Blick aufs Gymnasium werfen. Oberflächlich sieht es zunächst so aus, als würde es besser werden, denn der Übertritt an das Gymnasium soll nach der 4. und nach der 6. Klasse möglich werden. Das klingt zunächst gut, weil man dann