Protocol of the Session on July 10, 2003

Sie erleben es schon länger. Ich bin gespannt, wie lange wir es noch aushalten.

Wie wichtig der Strukturwandel für Oberfranken ist, wie wichtig auch die politische Begleitung dieses Strukturwandels ist und wie wichtig sie in den letzten Jahrzehnten gewesen wäre, darüber haben wir gestern schon sehr ausführlich debattiert. Ich bin Kollegen Dr. Rabenstein sehr dankbar dafür, dass er hier die Zahlen und Fakten auf den Tisch gelegt hat, wie es im Lichte der gesamten Bundesrepublik Deutschland betrachtet wirklich um diesen Regierungsbezirk bestellt ist. Sie sollten endlich aufwachen. In den letzten Jahrzehnten haben Sie es verschlafen, den Strukturwandel zu begleiten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Sie handeln nach dem Prinzip: Wenn ich selbst nicht weiß, wie ich weiter mache, dann rufe ich nach Berlin. Das haben wir gestern erlebt. Sie sind sich nicht zu schade, Äpfel mit Birnen zu vergleichen, wenn es um Fördermittel für die einzelnen Regionen geht – das hat uns gestern der Umweltminister vorgeführt –, nur um zu verschleiern, was tatsächlich Fakt ist. Ihre Unterstützung für die Region ist mangelhaft.

Ein ganz besonders beschämendes Beispiel haben wir Anfang des Jahres erlebt: Im Jahr 2003 beginnt die Bayerische Staatsregierung mit einer Leitbildsuche für Oberfranken. Das ist ein Armutszeugnis. In diesem Jahr, vor dem Wahlkampf, wachen Sie auf und fangen mit einer Leitbildsuche an. Was soll das bringen? – Sie soll helfen, gezielt Investitionen nach Oberfranken zu bringen. Ich sage Ihnen: Damit fangen Sie früh an. In einem Wahljahr beginnen Sie damit, eine Aufgabe zu lösen, die Ihnen seit Jahrzehnten gestellt ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie gründen eine Projektgruppe „Zukunft Oberfranken“. Das ist geradezu lächerlich. Was ist das für eine Regierung, die im Wahljahr eine Arbeitsgruppe gründet? – Haben Sie keine Ministerien, keine Bezirksregierungen, keine zuständigen Minister, die diese Aufgabe erfüllen müssen? – Dafür brauchen Sie eine Projektgruppe, die ad hoc ein Konzept entwickelt. Das ist ein Armutszeugnis für diese Regierung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Ich bin auch im Europaausschuss. Dort haben wir eine Debatte geführt über die Verlagerung des Bundesnachrichtendienstes von Pullach nach Berlin. Sie alle kennen Pullach, Sie wissen, wie die Häuser dort aussehen. Sie wissen, welche Autos dort geparkt sind, wenn sie über

haupt auf der Straße stehen und nicht in den Dreifachgaragen der Villen. Sie alle wissen, wie es um den Lebensstandard der Leute, die dort leben, bestellt ist. Im Ausschuss haben wir ein Lamento hören können – im Übrigen von einem oberfränkischen Abgeordneten – was man diesen Beamten zumutet, wenn sie nach Berlin umziehen. Das sind hochbezahlte Bundesbeamte, die mit allen Hilfen, die man sich nur denken kann, nach Berlin umziehen. Warum sage ich das hier? – Ich führe es an, weil ich den jungen Leuten in unserer Region seit Jahren sagen muss: Wenn Ihr eine Lehrstelle wollt, dann müsst Ihr gefälligst umziehen. Das sage ich zu Sechzehnjährigen. Das muss ich mir hier immer wieder anhören. Aber diesen hochbezahlten Beamten, denen ist das nicht zuzumuten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

So sieht es aus, Sie messen mit zweierlei Maß. Die Leute in Oberfranken, gerade die jungen, die können das ruhig verkraften, aber uns, die wir das alles haben, uns geht es gut, und uns soll es weiter gut gehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Unsere Konzepte für Oberfranken sehen anders aus. Das habe ich bereits gestern ausführlich dargelegt. Was hier immer wieder auf beiden Seiten des Hauses passiert, funktioniert nach dem Motto: viel hilft viel. Das ist aber nicht das Problem, das wir in Oberfranken haben. Ich habe gestern schon gesagt, dieser bayerische Staat hätte genug Geld, um Oberfranken nach vorn zu bringen. Wenn wir uns einmal betrachten, was Sie in diesen Jahren alles in den Sand gesetzt haben, das habe ich gestern schon gesagt, dann sind das hunderte von Millionen Euro. Damit hätte man Oberfranken wunderbar entwickeln können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Geld ist also eigentlich genug da. Aber in welche Richtung soll es gehen? Ich sage Ihnen ehrlich, ich habe große Zweifel an der Sinnhaftigkeit neuer Institutionen, neuer Zentren, neuer Netzwerke, neuer halbprivatisierter oder teilprivatisierter GmbH, die Wirtschaftsbeförderung betreiben sollen. Ich habe große Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieser Einrichtungen. Ich habe auch große Zweifel, gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion, an der Sinnhaftigkeit von Gründerzentren. Wir haben in dieser Legislaturperiode mehrfach nachgefragt, was diese Gründerzentren eigentlich ganz konkret an Arbeitsplätzen und Wirtschaftsförderung gebracht haben. Die Antwort lautet weitestgehend: Fehlanzeige. Sie wissen es nicht, Sie evaluieren es nicht. Im Grunde führen Sie nichts anderes ein hilfloses Klammern an gutklingende Dinge vor. Sie alle wissen aber nicht, ob diese Dinge wirklich etwas bewirken. Wir jedenfalls haben große Zweifel daran.

Nun zu den Forderungen, die im SPD-Antrag gestellt werden. Einiges davon finde ich sehr sinnvoll und richtig. Einiges davon gibt es bereits, einiges haben wir schon

länger vorgeschlagen, bis es die SPD jetzt auch gemerkt hat.

(Unruhe bei der SPD)

Nun zu den Punkten im einzelnen. Ich weiß nicht, ob wir neue Technologietransfereinrichtungen in Oberfranken brauchen. Wir haben Universitäten, wir haben Fachhochschulen: wir haben also die Strukturen. Was wir brauchen ist vielmehr die Vernetzung der bestehenden Strukturen und ihre Stärkung. Was nützt uns eine neue Einrichtung, an die ich hochbezahlte neue Leute setze, die aber auch nicht mehr bewirken können als das was bisher passiert ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu den Gründerzentren: Ich habe schon gesagt, dass es in Zweifel zu ziehen ist, was sie bringen. Was mich aber ganz besonders ärgert ist das Konzept, das auf beiden Seiten des Hauses vorgelegt wird, um Oberfranken nach vorn zu bringen. Schauen Sie doch nur einmal die Verkehrspolitik an. Das sind die alten Rezepte, die Sie vertreten. Auf beiden Seiten dieses Hauses fordert man den Flughafenausbau Hof. Man will eine Fichtelgebirgsautobahn – mit Ausnahme des Kollegen Wolfrum. Das kann ich wohl sagen, – nicht beim Flughafen, aber bei der Autobahn sind wir uns einig. Alle anderen Politiker in der Region aber fordern ohne die Frage nach dem Sinn im Hinblick auf Ökologie und Ökonomie den Bau einer neuen Autobahn in Oberfranken. Als ob das die Region nach vorne bringen würde.

(Frau Steiger (SPD): Bis jetzt war Ihr Beitrag gut, aber jetzt reden Sie Käse!)

Das sind doch die alten Rezepte, und das selbe gilt für den Flughafen in Hof. Aber noch eines: Sie haben eben gemurrt, als ich sagte, wir haben diese Vorschläge schon lange gemacht. Als wir hier im Landtag einen oberfränkischen Verkehrsverbund gefordert haben – ich selbst habe diesen Antrag gestellt –, da hat die SPD ihn abgelehnt. Herr Kollege Schläger hat damals gesagt, so etwas brauchen wir in Oberfranken nicht. Kaum aber ist ein Jahr vergangen, da wird der Antrag von Ihnen vorgelegt und plötzlich ist er der Weisheit letzter Schluss.

(Unruhe bei der SPD – Frau Biedefeld (SPD): Der Antrag wurde schon gestellt, als Sie noch nicht im Landtag waren, Frau Gote!)

Unser Antrag wurde ein gutes Jahr vor Ihrem Antrag gestellt. Sie haben unseren damals abgelehnt. Jetzt, ein Jahr später, bringen Sie ihn wieder ein. Jetzt reisen Sie übers Land und verkaufen ihn als Ihre Idee, das finde ich blamabel.

Ich freue mich aber, dass wir zu einem Punkt gekommen sind, wo wir übereinstimmen. Ich hoffe, wir werden auch in der nächsten Legislaturperiode weiter für eine Verbesserung des Nahverkehrs und für den Verkehrsverbund in Oberfranken kämpfen.

Schauen wir auf die Energiepolitik. Auch hier muss ich sagen: Energiewende, das ist Zukunftstechnologie. Wir

haben in Oberfranken einige Firmen, die diese Wende voranbringen. Das sind große Firmen, zum Teil sind es auch kleine. Wissen Sie übrigens, was Thyssen Krupp Solartech in Hof betreibt? – Das ist Zukunft Das ist Zukunftstechnologie, anders als ein Autozulieferungsbetrieb, der überall gebaut werden kann und der nie nach Hof kommen wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Doch hiervon findet sich kein Wort in Ihren Konzepten. Ich kann mir jetzt leider nicht verkneifen, hier einen Seitenhieb auf die Rede meines Kollegen aus Bayreuth zu machen; wir sitzen dort beide im Stadtrat. Dort können CSU-Mitglieder noch immer sagen: Fotovoltaik in Oberfranken geht nicht, weil hier nicht die Sonne scheint. – Und keiner widerspricht! Auch der sozialdemokratische Oberbürgermeister widerspricht nicht. Er sagt sogar: „Ich will auf meiner Autobahn keine PV-Anlage, weil so ein technisches Bauwerk den optischen Eindruck von Bayreuth beeinträchtigen könnte.“ – Da sehen Sie doch, wie es um die Region bestellt ist, und das trifft beide Seiten des Parlaments in gleicher Weise.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Von zukunftsfähiger Politik, von Zukunftsvisionen, keine Spur. Ich sage, genau das ist es aber, was wir in Oberfranken brauchen. Wir brauchen keine neue Autobahn, wir brauchen nicht mehr Straßen und keinen Flughafen. Wir brauchen eine innovative Energiepolitik, wir brauchen Bildung, und wir brauchen diese Bildung in der Fläche. Wir brauchen nicht nur das eine Prestigeprojekt, wir brauchen Bildung in der Fläche. In Oberfranken gehen viele Hauptschüler ohne Abschluss von der Schule ab. Das ist ein Skandal. Das trifft diejenigen, die es am dringendsten brauchen. Ich sage Ihnen, wir brauchen in Oberfranken mehr Ganztagsschulen als in Oberbayern. Wir brauchen mehr gute Betreuung, mehr MontessoriSchulen und mehr Freie Schulen. Wir brauchen mehr Vielfalt im Bildungssystem. Das wäre ein Standortfaktor für Oberfranken. Mit viel Kraft haben wir endlich durchgesetzt, dass wir in Bayreuth jetzt eine MontessoriSchule bekommen. Das wird die zweite in Oberfranken sein. Wissen Sie, wie viele es davon in Oberbayern gibt? Wissen Sie, wie viele Familien, die Familiemitglieder an den Universitäten oder in Unternehmen in Oberfranken haben, genau das nachfragen? – Sie fragen: Wie stellt sich der Schulstandort Oberfranken dar? Wo werden meine Kinder betreut? – Das sind die Fragen, die Oberfranken nach vorn bringen könnten. Das ist ein wichtiger Standortfaktor, doch er wird sträflich vernachlässigt.

(Prof. Dr. Gantzer (SPD): Wir brauchen aber keine Oberlehrer!)

Auch für diese Projekte war die Unterstützung von beiden Seiten des Hauses äußerst mau. Ich sage Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD: Ich warte auf die innovativen Projekte. Sie fordern viel Geld, Sie haben auch einige sinnvolle Forderungen in Ihrem Antrag, aber im wesentlichen kann ich nur die alten Rezepte erkennen. Ich kann Ihrem Antrag deshalb nicht zustimmen. Wir haben eine ganz andere Vision für Ober

franken, und dafür werden wir in den nächsten Jahren kämpfen.

Kollege Nadler hat um das Wort gebeten. Herr Nadler, Ihnen stehen noch drei Minuten zur Verfügung.

(Unruhe und Zurufe von der SPD: Ton einschalten!)

Der Ton wird übertönt durch das Gerede und die Zwischenrufe.

(Allgemeine Heiterkeit)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Noch einmal zu Pullach, Frau Kollegin Gote. Hier geht es genauso wie beim Bundeswehrstandort in Bayreuth um eine Einrichtung, die wir Dank der Bundesregierung verloren haben. Hier geht es um Arbeitsplätze. Die Vergleiche, die Sie angeführt haben, kann ich nicht stehen lassen.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Gote (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

Bevor ich zum Antrag der SPD komme, frage ich mich, wie glaubwürdig ist eine Partei, bei der die Oberpfalz benachteiligt ist, Niederbayern benachteiligt ist, Oberfranken benachteiligt ist, ja sogar München benachteiligt ist, bei der sogar das ganze Land benachteiligt ist ? Oder wie sehen Sie das, meine Damen und Herren?

(Beifall bei der CSU – Unruhe bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist richtig, dass Oberfranken sicherlich mit vielen Problemen fertig werden muss. Vor allem müssen wir aber ein Problem angehen, nämlich das kollektive Jammern. Das sage ich vor allem in die Richtung der SPD. Ohne alles schönreden zu wollen, sind Politik und Wirtschaft aufgefordert, auch Optimismus zu verbreiten und die Standortqualitäten Oberfrankens darzustellen.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Biedefeld (SPD))

Liebe Frau Biedefeld, Sie sollten sich im Regierungsbezirk einmal umschauen.

Oberfranken ist das Zentrum der deutschen Porzellanindustrie. Fast die Hälfte aller Beschäftigten der deutschen Porzellanindustrie sind in Oberfranken tätig, Tendenz steigend. Oberfranken ist auch das Zentrum der deutschen Polstermöbelindustrie sowie einer von drei Schwerpunkten der deutschen Textilindustrie. Oberfranken ist ein Schwerpunkt der bayerischen Nahrungsmittelindustrie und wichtigster Standort der Kunststoffverarbeitung in Bayern. Darüber hinaus hat das kleine Oberfranken die drittgrößte Industriedichte der Europäischen Union. Oberfranken hat die größte Brauereidichte der Welt. Es hat doppelt so viele Beschäftigte im Textilsektor wie die Niederlande und mehr Beschäftigte im Kunststoffsektor als Dänemark. Es hat so viele Beschäftigte im Maschinenbau wie Portugal.

Wo wollen wir denn hin? Sicherlich haben wir einen Strukturwandel. Sicherlich sind wir auf dem Weg, von der Porzellan- und Textilindustrie weg zu neuen Bereichen. Wo sind denn die Gewinner? Gesundheitswesen: plus 6000 Beschäftigte, Handel: plus 5000 Beschäftigte. Altersheime plus 300 Beschäftigte, Rechts- und Wirtschaftsberatung: plus 2200 Beschäftigte, Tourismuswirtschaft: plus 2000 Beschäftigte. Das sind die Zahlen für Oberfranken.

Ich sage zum Schluss: Fünf Themen sind besonders wichtig, eines davon hat Frau Gote bereits angesprochen: die Aus- und Weiterbildung – überhaupt keine Frage –, die Forschung und Entwicklung – auf diesem Sektor sind wir unwahrscheinlich gut aufgestellt – und natürlich die Förder- und Strukturpolitik – da nenne ich die Gemeinschaftsaufgabe mit Blick auf Berlin. Wichtig ist auch die Verkehrssituation und die EU-Osterweiterung. Herr Kollege Rabenstein, wir befinden uns nicht kurz vor Torschluss, sondern am Beginn einer neuen Chance, nämlich der EU-Osterweiterung. Hier setzt die zukunftsorientierte Politik der CSU an.

(Beifall bei der CSU)