Protocol of the Session on April 3, 2003

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir brauchen kein Wort darüber verlieren, wie dramatisch die finanzielle Lage der Kommunen in Bayern ist. Es ist dringender Handlungsbedarf.

Wir dürfen aber nicht dem verzweifelten Versuch unterliegen, den Sie machen, nämlich immer mit dem Finger auf andere zu deuten und die Schuld für die Misere der kommunalen Finanzen allein beim Bund zu suchen

(Glück (CSU): Aber so ist es!)

oder überwiegend,

(Glück (CSU): Zu 90%!)

denn das ist verkehrt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben heute das Konnexitätsprinzip angesprochen. Warum haben Sie es bis zum letzten Jahr in Bayern abgelehnt? Warum haben Sie es auf Bundesebene 16 Jahre lang nicht eingeführt? Warum nehmen Sie nicht zur Kenntnis, dass es erstmals diese Bundesregierung war, die das Wort „Konnexität“ überhaupt in den Mund genommen und in ihrer Koalitionsvereinbarung niedergelegt hat?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Warum nehmen Sie nicht zur Kenntnis, dass wir bei der Grundsicherung erstmals einen finanziellen Ausgleich vorgesehen haben bei einer Aufgabenbelastung der Kommunen? Was haben denn Sie gemacht, als Sie den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz formulierten mit uns gemeinsam? Damals war von solch einem finanziellen Ausgleich überhaupt nicht die Rede. Ich finde es schon sehr dreist, wenn eine Partei, die bis gestern das Konnexitätsprinzip für unnötig erklärt und stets abgelehnt hat, sich heute zum Lordsiegelbewahrer der Konnexität aufschwingen will.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Dürr (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN): Konvertiten sind alle so!)

Der zweite Versuch, den Sie unternehmen, heißt: ja, aber im Steuerrecht. Auch das ist falsch. Wenn zum Beispiel das Unternehmen BMW in München heute keine Steuer bezahlt, dann ist das nicht auf das Unternehmenssteuerrecht der sozialdemokratischen Koalition zurückzuführen, sondern auf Ihr Unternehmenssteuerrecht und auf nichts anderes.

(Wahnschaffe (SPD): Das ist Original Kohl!)

Warum sagen Sie das nicht und sind den Menschen gegenüber nicht ehrlich?

Dann kommt der dritte Versuch. Sie sagen: die Gewerbesteuerumlage. Das ist schon richtig. Aber wenn das so ein Teufelszeug ist, warum verzichten dann nicht Sie über Ihre Einnahmen aus der Gewerbesteuerumlage? Warum warten Sie, bis die andern Länder das ändern, wenn Sie gar nicht mitziehen? Sie haben doch keine Mehrheit in der Länderkammer. Aber Sie können selber 180 Millionen e jetzt sofort an die Kommunen zurückzahlen. Sie wollen es doch sowieso. Sie wollen doch diese 180 Millionen e zurückerstatten. Das ist doch der Hintergrund Ihrer Bundesratsinitiative.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Kein Mensch hält Sie auf!)

Sie können es doch tun, also tun Sie es doch bitte schön. Weil Sie es nicht tun, erweist sich Ihre Initiative als scheinheilig, und das sollten wir den Kommunen auch sagen.

(Beifall bei der SPD)

Also fragen wir lieber: Was kann der Freistaat Bayern in seinen Finanzbeziehungen zu seinen Kommunen tun, um die Situation, die so prekär ist, zu verbessern?

(Dr. Bernhard (CSU): Die Berliner Katastrophe auszugleichen, das ist allerdings schwierig!)

Schauen wir mal in Ihren Antrag hinein, Herr Bernhard. Da finden wir wieder nur den Blick nach Berlin.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Nichts anderes!)

Das kann man ja machen. Aber warum fällt Ihnen kein einziger Punkt ein, den Sie korrigieren könnten?

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Genau!)

Warum sagen Sie denn nicht: Der Bund tut bereits einen ersten Schritt, er erstattet den Kommunen das Geld zurück, das in die Flutopfersolidaritätshilfe einbezahlt wurde?

(Frau Deml (CSU): Das ist ja eine Selbstverständlichkeit!)

Das machen wir, das macht der Bund. Das ist eine Selbstverständlichkeit? Liebe Frau Kollegin, wenn der Bund und die Länder gemeinsam verabreden, dass die Flutopfersolidarität durch alle Gebietskörperschaften der Republik geleistet werden soll, und der Bund zahlt und die Länder zahlen auch, und man erstattet aus Rücksichtnahme auf die Finanzen der Kommunen nur der kommunalen Ebene allein die Kosten zurück, dann ist das keine Selbstverständlichkeit, sondern dann ist das eine großartige Geste und ein Zeichen der politischen Anerkennung der Kommunen.

(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CSU)

Selbstverständlich. Sie könnten das mit Ihren Einnahmen aus der Gewerbesteuerumlage auch tun.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: So ist es!)

Sie können es genauso machen wie der Bund. Verhalten Sie sich so wie der Bund, dann geht es den Kommunen morgen schon besser. Das ist die einzige Antwort auf Ihre Frage.

(Beifall bei der SPD – Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Allerdings!)

Warum kommt in Ihrem Antrag plötzlich nichts mehr vor von den Kosten der Deutschen Einheit? Warum nehmen Sie dazu überhaupt keine Stellung?

Es war Herr Schnappauf, der als erster diese gute Idee hatte. Herr Schnappauf hat vorgeschlagen, den Kommunen in Bayern ihren Beitrag zur Finanzierung der Deutschen Einheit zu erlassen. Er hat nur eines nicht bedacht: Er hat geglaubt, er könnte den Schwarzen Peter dafür in Berlin finden. Dann hat er gemerkt, dass dafür aber das Land Bayern zuständig ist und durfte diesen guten Vorschlag nicht mehr unterbreiten. Also haben wir folgende Situation, die ich an einem einzigen Beispiel kurz erläutern will: Der Oberbürgermeister von Neustadt bei Coburg sagt mir Folgendes: Er hat mittlerweile noch 3 Millionen e Gewerbesteuereinnahmen und

er muss 2 Millionen e davon in den Solidaritätsfonds „Deutsche Einheit“ einbezahlen. Dann schaut er zum Rathausfenster raus und merkt, wie noch der letzte Umzugswagen eines Handwerksmeisters nach Thüringen umzieht. Und diesen Umzug zahlt er auch noch aus diesen 2 Millionen e, die er sich vorher – und das ist ja der Wahnsinn – bei der Bank geliehen hat. Das ist doch Irrsinn! Warum stellen Sie diesen Umfug denn nicht endlich ab zugunsten der Kommunen in Bayern?

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Erlassen Sie den Kommunen in Bayern ihren Beitrag zur Finanzierung der Deutschen Einheit, dann ist sofort geholfen. Das ist gerecht, das können nur Sie tun; denn die 38%tige Beteiligung der Kommunen an diesen Einheitskosten sind hier in Bayern geregelt, von diesem Hause. Und das wollen wir ändern, uns genügt es, wenn man bei den Grenzlandkommunen beginnt, aber dann bitte Schritt für Schritt für alle Kommunen in Bayern.

Warum nehmen Sie dazu nicht wenigstens einmal Stellung, was Sie von einem solchen Vorschlag denn hielten?

Ein letzter Punkt, weil ich mit der Zeit doch ein wenig haushalten will. Was mich ganz verwundert ist die Stellungnahme in Ihrem Antrag zur Kommission zur Neuregelung der Gemeindefinanzen in Deutschland.

Sie sagen, das werde durch den Bund verschleppt; dann sagen Sie aber gleich weiter: Es muss erst noch gründlich geprüft werden, bevor wir Stellung nehmen. Also was jetzt?

(Meyer (CSU): Zügig, Herr Kollege!)

Ja, Sie sagen zügig, Sie schreiben es doch selbst; lieber Kollege Meyer, was ich mir gewünscht hätte und was ich hier vermisse, ist Folgendes: Warum findet sich in Ihrem Antrag kein Ja zur Fortführung der Gewerbesteuer? Das fällt auf. Denn in dieser Kommission gibt es eine einzige entscheidende Frage im Augenblick und die lautet: Wird das Modell der kommunalen Spitzenverbände zum Zuge kommen, ja oder nein, und nur wenn dieses zum Zuge kommt, wird es in Zukunft eine Gewerbesteuer in Deutschland überhaupt noch geben.

Wir meinen, es muss auch in Zukunft eine Gewerbesteuer geben

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

als Grundlage der kommunalen Finanzen. Die Union weiß nicht, was sie will. Herr Teufel, so lese ich heute, will die Gewerbesteuer abschaffen. Herr Koch unterstützt die Forderung der kommunalen Spitzenverbände. Und da wäre es doch schön, wenn man erführe, Herr Faltlhauser, welche Position die Bayerische Staatsregierung hat. Ich möchte hier und heute wissen, ob die Bayerische Staatsregierung und ob der Bayerische Landtag das Modell der kommunalen Spitzenverbände, das im Augenblick mehrheitlich in dieser Gemeindereformkom

mission befürwortet wird, unterstützt und mitträgt. Das ist heute die Stunde, wo Sie das erklären müssen. Ich warte darauf.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich vermisse das in Ihrem Antrag. Herr Beckstein ist heute nicht da, darum erspare ich mir seinen Part, denn das, was er gestern zur Finanzlage der bayerischen Kommunen oder vorgestern in dem Bulletin der Staatsregierung geäußert hat, das ist doch wirklich ein Treppenwitz.

(Zuruf von der CSU: Der betet für euch auf der Synode!)

Das würde ich jedem Stadtkämmerer zuleiten, nämlich die Formulierung: Die Finanzlagen der bayerischen Städte und Gemeinden, Landkreise und Bezirke stellt sich nicht zuletzt wegen der kommunalfreundlichen Politik der Staatsregierung besser dar als in den meisten Ländern. – Diese Formulierung ist so wunderbar, die würde ich jedem Stadtkämmerer gerne zuleiten, der keinen ausgeglichenen Haushalt mehr aufstellen kann und keinen genehmigungsfähigen Haushalt mehr zustandebringt.

(Dr. Bernhard (CSU): Das ist doch richtig oder nicht?)