Protocol of the Session on December 10, 2002

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit Blick auf die Uhr und darauf, dass noch weitere Redner von uns sprechen werden, werde ich jetzt zum Schluss kommen und bitte das Ministerium, alles daran zu setzen, zu prüfen und auch mit den Wissenschaftlern zu sprechen, ob unbedingt lückenlose BSE-Tests unter 30 Monaten notwendig sind oder ob wir uns nicht etwas Geld sparen können, ohne dass der Verbraucherschutz darunter leidet.

Jetzt möchte ich noch etwas ansprechen.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist doch gesetzlich vorgeschrieben! Wissen Sie das nicht?)

Ich weiß das schon. Gesetze kann man ändern, lieber Herr Kollege Dürr, falls Sie das nicht wissen.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber Sie nicht!)

Ich nicht, aber die Mehrheit in einer Demokratie.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nicht in diesem Hause!)

Hier nicht. Man kann aber über den Bundesrat darauf einwirken, und eventuell kann es ja auch dort Möglichkeiten geben.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Einwirken können Sie schon!)

Die EU ist da viel weiter als Sie. Wenn Sie glauben, dass Sie die Welt von Bayern aus verbessern können, sind Sie auf dem Holzweg.

(Beifall bei der SPD und beim BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN – Güller (SPD): Richtig! Das sagen wir schon lange!)

Ich habe „Sie“ gesagt. Sie müssen schon aufpassen, was ich gesagt habe. Ich habe „Sie“ gesagt.

Ich möchte noch etwas zum Tierarzneimittelverordnungsgesetz sagen. Ich bitte ebenfalls darum, dass die Staatsregierung aktiv wird und über den Bundesrat auf die Bundesregierung einwirkt. Über den einen oder anderen Punkt bei den Betreuungsverträgen muss diskutiert werden. Es kann nicht sein, dass derzeit Forderungen eingestellt sind, die in der Praxis ganz einfach nicht zu handhaben sind und die dem Verbraucherschutz nicht dienen und die am Ende eventuell zu einer Dokumentation führen, die nicht den Tatsachen entspricht. Wenn schon im Sinne des Verbraucherschutzes und unter Berücksichtigung der Qualität dokumentiert wird, sollte das dokumentiert werden, was den Tatsachen entspricht und was tatsächlich nachvollzogen werden kann. Ich glaube, dies sollte der Sinn und Zweck unserer Übung sein. Dann sind wir am richtigen Platz; ansonsten nicht.

(Beifall bei der CSU) – Christine Stahl (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN): Haben Sie Ihre Rede wissenschaftlich überprüfen lassen?)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat Herr Dr. Dürr. Bitte.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Nach diesem kabarettistischen Beitrag ist es schon schwer, wieder zum Ernst der Lage zurückzufinden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CSU)

Der Schock der BSE-Krise ist genau zwei Jahre her. Damals wurde für alle wieder einmal sichtbar, dass auch

in Bayern die Welt weder heil noch in Ordnung ist – im Gegenteil: Wegen kurzsichtiger wirtschaftlicher Interessen hat die Staatsregierung den vorbeugenden Verbraucherschutz sträflich vernachlässigt. Unsere Bäuerinnen und Bauern wiederum sahen sich von Regierung und Bauernverband hilflos den Machenschaften der Futtermittel- und Fleischlobby ausgeliefert. Ministerpräsident Stoiber hat letzte Woche an dieser Stelle von einer beispiellosen Vertrauenskrise zwischen Bürger und Politik gesprochen. Das war die BSE-Krise. Diese Vertrauenskrise war und ist heute beispiellos. Die Menschen in Bayern hatten jedes Vertrauen in die Staatsregierung und in den Ministerpräsidenten verloren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Willi Müller (CSU): Deshalb habt ihr die Wahl verloren!)

Agrarpolitik in Bayern war damals schon Chefsache. Der Ministerpräsident selber hatte sich vor der BSE-Krise zum höchsten Lobbyisten der Agrar- und Fleischindustrie ausgerufen. Er hat sich an die Spitze derer gesetzt, die alle vorbeugenden Maßnahmen zum Verbraucherschutz blockiert haben. Danach musste er dann das eigene Versagen möglichst schnell überspielen, und dafür hat er ein neues Ministerium aus dem Hut gezaubert, wobei, weil es gar so schnell gehen musste, unterwegs auch gleich der Minister verloren ging. Er hat dann einen anderen gefunden, und er legte schnell noch einmal 600 Millionen DM für die so genannte Verbraucherinitiative auf den Tisch. Heute wird dieser Tisch abgeräumt. Von der Verbraucherinitiative bleibt nichts mehr übrig.

(Beifall der Frau Abgeordneten Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Um nochmals Ministerpräsident Stoiber von letzter Woche zu zitieren: Ohne Glaubwürdigkeit der Regierung gibt es keine sinnvolle und zukunftsfähige Politik. Es ist genau umgekehrt: Nur eine sinnvolle und zukunftsfähige Politik schafft Glaubwürdigkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer wie Ministerpräsident Stoiber fundamentale politische Probleme mit ein paar Show-Effekten aus der Welt schaffen will, verschärft auf Dauer nur die Vertrauenskrise seiner Politik. An der Ausrichtung der grundfalschen bayerischen Agrar- und Verbraucherschutzpolitik hat sich in den vergangen zwei Jahren nichts geändert. Es sollte sich ja auch nichts ändern. Der Bauernverband und die Agrar- und Fleischlobby geben nach wie vor den Ton an, zulasten der bayerischen Verbraucherinnen und Verbraucher und zulasten der bayerischen Bauern.

Ich habe damals vor zwei Jahren kritisiert, die Staatsregierung handle nach dem Motto des Fürsten von Salina: Es muss sich etwas ändern, damit alles so bleiben kann, wie es ist. Genauso ist es gekommen.

Sehen wir uns einmal die beiden Kaninchen an, die der Ministerpräsident in höchster BSE-Not aus dem Hut zauberte: das so genannte Verbraucherministerium und die so genannte Verbraucherinitiative. Was haben sie

gebracht? Wie geht es weiter? Schon bevor die neue Streichungsliste kam, hat die „Main-Post“ getitelt: „Die Kunst der leeren Pakete – Verbraucherinitiative fällt dem Rotstift zum Opfer“. Die „Main-Post“ hat gespottet, von der Verbraucherinitiative ist außer einem teuren Ministerium nicht mehr viel übrig geblieben. Genauso ist es.

Gehen wir mal die einzelnen Punkte der Verbraucherinitiative der Reihe nach durch, so wie sie am 14. Februar 2001 vom Ministerpräsidenten vorgestellt wurden.

Erstens. Verstärkung und Kontrolle des Verbraucherschutzes vor Ort, 72 Millionen DM. Das ist einer der Kernbereiche des neuen Ministeriums. Minister Sinner erklärte dazu im September vorigen Jahres, die zusätzlichen 360 Stellen seien im Wesentlichen besetzt bis auf die 75 Veterinärassistenten, die zum 1. Oktober eingestellt würden – wohlgemerkt zum 1. Oktober 2001. Jetzt, Anfang Dezember 2002, kann Minister Sinner schon wieder einen Erfolg feiern: Er stellt das neue Berufsbild des Veterinärassistenten und dessen Ausbildung vor.

(Zuruf von der CSU: Sehr gut!)

Knapp zwei Jahre nach der Ankündigung sind die 75 Veterinäre schon in Ausbildung, aber es sind nur noch 71. Das ist eine tolle Leistung. Sie sollen Futtermittelproben nehmen und die Tierkennzeichnung kontrollieren. Wer hat diese Arbeit bisher gemacht? Gab es da eine Lücke im Verbraucherschutz, oder sind sie überflüssig?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens. Verbesserung der Schlachttechnik, 10 Millionen DM. Seit Ihren ersten Tagen als Minister, Herr Minister Sinner, haben Sie sich gerühmt, sichere Schlachttechniken eingeführt zu haben. Im Haushalt sind aber jetzt statt 5 Millionen e nur bescheidene 250000 e für Studien, Gutachten und Forschungsaufträge eingestellt. Das heißt doch, dass Sie entgegen Ihrer beständigen Prahlerei über das Versuchsstadium noch nicht hinaus sind. Heißt das nicht, dass hier eine eklatante Lücke im Verbraucherschutz klafft?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Drittens. BSE-Forschung, 20 Millionen DM. Hier sind wir noch keinen Schritt weiter – außer Kollege Kiesel, der sowieso schon alles weiß. Wir wissen aber bis heute nicht, warum BSE regional gehäuft und innerhalb Bayerns wiederum regional gehäuft auftritt. Wir wissen sogar noch weniger, als Staatsregierung und Wissenschaft bis jetzt behauptet und erklärt haben zu wissen. Inzwischen wird sogar vermutet, dass BSE nicht nur die Variante, sondern die klassische Kreuztfeld-JacobKrankheit verursachen könnte. Sie, Herr Minister, haben dem Landtag auf einen Landtagsbeschluss hin versprochen im Dezember einen Zwischenbericht über die Forschungsergebnisse vorzulegen. Jetzt ist es Dezember. Wo ist der Bericht?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Viertens. Verbraucherinformation, 13 Millionen DM. Daran, wie Sie, Herr Minister, diese Aufgabe missverste

hen, wurde im Haushaltsausschuss selbst von Ihrer eigenen Fraktion massiv Kritik geübt. Sie verstehen darunter offensichtlich in erster Linie Öffentlichkeitsarbeit und den medialen Tätigkeitsnachweis für Ihr Ministerium. Eine große Windmaschine ist aber noch lange kein Beweis dafür, das Sie tatsächlich etwas bewegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Gegenteil: Je mehr Wind Sie machen, Herr Minister, desto offensichtlicher wird, wie wenig Ihr Ministerium tatsächlich bewirken kann.

Fünftens. Qualitätssicherungssysteme. Kollege Kobler, mit 30 Millionen DM sollte die vielzitierte gläserne Produktion verwirklicht werden. Inzwischen gibt es ein so genanntes Qualitätssiegel für Rindfleisch aus Bayern; das ist das Nachfolgeprogramm des unsäglichen QHBs. Dieses Programm hieß garantiert BSE-freie Herkunft.

Mit diesem Programm wird die alte Tradition der Verbrauchertäuschung konsequent fortgesetzt; denn das neue Qualitätssiegel enthält im Wesentlichen Vorschriften, die schon jetzt – oder bald – gesetzlich verpflichtend sind, sagt aber nichts aus über die Art der Tierhaltung und gar nichts über die Herkunft der Futtermittel.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Ministerpräsident – bei „Ministerpräsident“ darf auch die CSU klatschen – hat vor knapp zwei Jahren erklärt:

Ziel unseres Umstellungsprogramms ist es, die Tierhaltung für alle Tiere zu verbessern. Zur Umsteuerung in der Landwirtschaft

damals hat er noch eine Umsteuerung in der Landwirtschaft gefordert –

gehört auch, dass wir unsere Tiere wieder mit heimischen, möglichst auf eigenem Hof angebauten Futtermitteln füttern.

Das ist ein richtiges und wichtiges Ziel, aber wer das wirklich anstrebt, Herr Minister, muss das auch im Qualitätssiegel „Geprüfte Qualität – Bayern“ festschreiben, nicht nur davon reden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sechstens, Umstellungsprogramm für die Landwirtschaft, 150 Millionen DM. Die darin versprochenen Hilfen zur Verbesserung der Lebens- und Aufzuchtbedingungen für alle Tiere wurden inzwischen genauso gestrichen wie die Mittel zur Verfütterung von weitgehend heimischen, möglichst am Hof angebauten Futtermitteln. Die Staatsregierung macht gar nichts mehr. Sie lässt lieber Brüssel und Berlin machen und Brüssel und Berlin zahlen. Nur gut, dass sich die bayerischen Bauern und Verbraucher wenigstens auf Franz Fischler und Renate Künast verlassen können.