Protocol of the Session on November 13, 2002

Wir lassen unsere Familien nicht im Stich. Wir unterstützen gerade die Mehrkinderfamilien und Alleinerziehende, weil das die diejenigen sind – blicken Sie in den Sozialbericht und in den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung –, denen es nicht besonders gut geht. Mit dem Landeserziehungsgeld nehmen wir angesichts der Dauer der Gewährung bundesweit eine Spitzenstellung ein. Es gibt übrigens kein SPD-regiertes Land, das Landeserziehungsgeld anbietet. Dort sollten Sie einmal hingehen und Ihre Forderungen stellen.

(Beifall bei der CSU)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Frau Staatsministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Lück?

Frau Ministerin, Sie legen einen so großen Wert auf die Höherbewertung der steuerlichen Absetzbarkeit. Welche Familien kommen denn in den Genuss dieser steuerlichen Vergünstigungen? Ist das die breite Masse der nicht gerade üppig Verdienenden, sind das die alleinstehenden Frauen, wer ist das denn?

In den Genuss kommen mehr Familien, als Sie denken. Viele Familien und alleinerziehende Mütter sagen: Das würde mir tatsächlich etwas bringen. Schauen Sie sich die Realität doch an.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Ja, genau!)

Abgesehen davon sagen wir immer: Wahlfreiheit der Frauen. Wir sollten das den Frauen, für die sich das Absetzen der Kosten für die Kinderbetreuung rentieren würde, gönnen.

Ich weiß, dass Sie Schwierigkeiten mit den Leistungsträgern in unserer Gesellschaft haben.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Gerade die Leistungsträger in unserer Gesellschaft werden zurzeit abgezockt.

(Wörner (SPD): Darum ist es bitter notwendig, dass man ihnen hilft!)

Ich möchte Ihnen noch etwas sagen: Trotz aller Sparzwänge haben wir Verbesserungen für die Geburten ab 2001 auf den Weg gebracht, nämlich die Erhöhung für das dritte und jedes weitere Kind von 256 Euro auf 307 Euro. Ich weiß, dass Sie das ungern hören. Damit haben

wir Verbesserungen für die Mehrkinderfamilien auf den Weg gebracht.

(Zuruf des Abgeordneten Schultz (SPD))

Auch für die Alleinerziehenden haben wir das Landeserziehungsgeld sozialverträglich gestaltet. Die Einkommensgrenzen im Verhältnis zu anderen Gruppen sind wesentlich höher.

Meine Kolleginnen und Kollegen, wir bleiben dabei: Langfristig ist die Weiterentwicklung des Familienleistungsausgleichs über das Familiengeld notwendig. Denn wenn wir die Familien tatsächlich finanziell besser stellen wollen, dann brauchen wir das Familiengeld.

Auf Landesebene haben wir weitere Maßnahmen zur nachhaltigen Armutsbekämpfung auf den Weg gebracht. Das ist zum einen die Unterstützung durch die Landesstiftung „Hilfe für Mutter und Kind“. Ich habe heute Morgen darauf hingewiesen. Kinderreiche Familien und Alleinerziehende, die unverschuldet in Not geraten sind, werden in Bayern unterstützt.

Im Übrigen möchte ich Sie darauf hinweisen: Eine gute Wirtschaftspolitik ist ein wesentlicher Baustein bei der Armutsbekämpfung. Wir haben in Bayern – und da haben wir exakt wieder die Zusammenhänge, die wir sichtbar machen können – eine geringere Kinderarmut im Vergleich zu anderen Ländern in Deutschland, mit Sicherheit auch aufgrund der erfolgreichen Wachstumsund Beschäftigungspolitik. Die Sozialhilfequote bei Minderjährigen liegt in Bayern bei 3,3% und auf Bundesebene bei 6,3%.

Lassen Sie mich noch ein Wort zur Kinderbetreuung sagen, wir haben es heute Morgen schon im Rahmen unserer Haushaltsberatungen diskutiert: Dass wir vor dem Hintergrund der schwierigen finanziellen Lage bis 2006 noch einmal 313 Millionen Euro für unser Gesamtkonzept ausgeben und 30000 Betreuungsplätze schaffen, zeigt doch, wie wichtig uns Familienpolitik, insbesondere der Ausbau der Kinderbetreuung, ist.

Aus dem Milliardenprogramm der Bundesregierung für die unter Dreijährigen – 1,5 Milliarden – fließt kein einziger Cent, kein einziger Euro. Das wissen Sie ganz genau so gut wie ich. Man lügt sich hier in die Tasche. Es wird kein Bargeld fließen. Das wissen Sie doch auch. Da sagen Sie ganz salopp: Die Kommunen sollen sich die Arbeitslosenhilfe sparen, um erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger schneller in Arbeit und Brot zu bringen. Es wird aber kein Pfennig fließen.

(Frau Radermacher (SPD): Pfennige fließen nicht mehr!)

Es fließt auch kein Cent, Frau Kollegin Radermacher. Hier lügt man sich in die eigene Tasche.

(Frau Radermacher (SPD): Frau Ministerin, wir haben heute schon viel von Lügen gesprochen! Es sollten keine weiteren Lügen ausgesprochen werden!)

Ich bin vorsichtig; ich bin der festen Überzeugung, dass in dieser Form kein Geld fließt. Ich spreche von den 1,5 Milliarden Euro für die Kinderkrippen für unter Dreijährige.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Wir werden sehen! Ich würde nicht vorher schon schreien!)

Ich möchte dazu auch sagen: Wir fördern bereits Mütterund Familienzentren und Netze für Kinder, wir honorieren bürgerschaftliches Engagement in der Kinderbetreuung. Die Zahl der staatlich geförderten Mütterzentren ist gestiegen, alleine in den letzten zwei Jahren von 70 auf 84 Einrichtungen. Wir planen die Förderung der Vernetzung der Mütter- und Familienzentren. Ich sage das immer wieder, aber offensichtlich trifft das auf taube Ohren.

Außerdem hat die Bayerische Staatsregierung die Tarifpartner in Fragen der Familienpolitik schon längst an den Tisch geholt. Sie kennen hoffentlich das „Forum Bayern Familie“. Hier haben wir schon konkrete Ergebnisse erzielt. Ich denke an das Modellprojekt in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft zur Förderung von sieben Kinderkrippen. 1,5 Millionen Euro hat uns der Verband der Bayerischen Wirtschaft dafür zur Verfügung gestellt. Das sind Modellprojekte mit der Wirtschaft, mit den Kommunen und dem Freistaat.

Wir fördern Beratungsstellen bei den klein- und mittelständischen Unternehmen für die Schaffung familienfreundlicher Arbeitsbedingungen. Das ist wichtig, und auch das ist dem „Forum Bayern Familie“ entsprungen. Daran sehen Sie, dass wir die Tarifpartner an den Tisch geholt haben, um die Lebensbedingungen für unsere Familien, aber auch für die Frauen, die erwerbstätig sein wollen, zu verbessern.

Das Sozialministerium fördert seit langem die berufliche Weiterbildung während der Erziehungsphase. Ich erinnere an die Orientierungsseminare „Neuer Start“, an die Qualifizierungsmaßnahmen im Rahmen des ESF und an die Aufwertung der Familienkompetenz. Wir haben mehrere Forschungsprojekte in Bayern auf den Weg gebracht. Wir haben Öffentlichkeitsarbeit dafür betrieben und zahlreiches Informationsmaterial zur Verfügung gestellt. Bayern übernimmt im öffentlichen Dienst die Vorreiterrolle. Ich denke an unser Frauengleichstellungsgesetz. Es ist ein bayerisches Schmanckerl, dass wir bei den dienstlichen Beurteilungen die Familienkompetenzen mit berücksichtigt haben.

Wir denken an die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit, Teilzeitarbeit, flexible Arbeitszeiten für Beschäftigte mit familiären Belangen, die Flexibilisierung von Arbeitszeitmodellen, Lebensarbeitszeitmodelle, die Schaffung von Wohnraum- und Telearbeitsplätzen. Ihr Antrag ist insoweit überflüssig. Sie sollten sich die Realität in Bayern anschauen und Ihren Antrag an die richtige Adresse schicken.

Völlig unverständlich ist die Forderung nach Angeboten zur familiengerechten Partizipation an politischen Entscheidungen auf allen Ebenen unter Einbeziehung der Diskussion über ein Familienwahlrecht. Hier sollte die

SPD wirklich Farbe bekennen. Was wollen Sie? Wollen Sie das Familienwahlrecht, ja oder nein? Renate Schmidt sagt das als Privatperson. Als Amtsperson hat sie das nicht vorgeschlagen.

Und da, Kolleginnen und Kollegen, sollten Sie schon sagen, was Sie tatsächlich wollen. Der erste Vorschlag kam ohne Frage schon von Otto von Habsburg. Man muss sich darüber Gedanken machen, um den Familien mehr Gehör zu verschaffen. Aber wir wissen auch, dass wir hier große verfassungspolitische Probleme haben.

Einen einzigen positiven Aspekt habe ich in Ihrem Antrag gefunden: die Verbesserung des Jugendschutzgesetzes. Darum haben wir uns in Bayern vor dem Hintergrund des völlig unzureichenden Gesetzes, das Frau Bergmann eingebracht hat, schon intensiv bemüht. Leider Gottes sind unsere Begehren im Bundesrat immer abgeschmettert worden, weil wir keine Mehrheit hatten. Mittlerweile waren wir mit unserem neuen Jugendschutzgesetz am 27. 09. dieses Jahres erfolgreich.

Für sehr wichtig halte ich – gerade vor dem Hintergrund der grauenhaften Ereignisse etwa in Erfurt – ein Vermietund Verleihverbot von schwer jugendgefährdenden Videofilmen und von Video- und Computerspielen, die verbindliche Alterskennzeichnung von Video- und Computerspielen, das Verbot von Videoverleihautomaten und so genannten Killerspielen. Nur so ist ein wirksamer Jugend- und Kindermedienschutz zu erreichen. Ich hoffe, dass ich da die SPD künftig als Mitstreiterin an meiner Seite finde, wenn sie sich denn für einen verbesserten Kinder- und Jugendmedienschutz ausspricht.

Lasse ich Ihren Antrag Revue passieren, finde ich darin weder neue Handlungsansätze noch konkrete Vorschläge, geschweige denn ein familienpolitisches Konzept, das nur annähernd den Lebensbedürfnissen unserer Familien gerecht wird. Die Forderungen sind in Bayern zum Teil überflüssig, zum Teil unverständlich und unklar. Daher beantrage ich, den Antrag abzulehnen.

(Beifall bei der CSU)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Die Aussprache ist damit geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 14/10798 seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie Kollege Hartenstein (fraktionslos). Gegenstimmen? – Das ist die Fraktion der CSU. Stimmenthaltungen? – Keine. Damit ist der Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

Ich rufe auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Dr. Dürr, Elisabeth Köhler, Münzel und anderer und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Versprochen – gebrochen: Finanzielle Belastung der Kommunen durch die Einführung der sechsstufigen Realschule ausgleichen (Drucksache 14/10799)

Ich eröffne die Aussprache. Erste Wortmeldung: Frau Münzel, bitte.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Die Staatsregierung hat 1999 die sechsstufige Realschule per Gesetz eingeführt und sich dabei im Vorfeld nicht gescheut, tief in die Trickkiste zu greifen.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Radermacher (SPD))

Einer dieser Tricks war die Schönfärberei, was die Kosten dieser unsinnigen Strukturreform anbelangt. Sie erinnern sich: Zunächst war von Kostenneutralität die Rede; denn man wollte die Realschule verschlanken, verlängern und zum Beispiel aus einer dreizügigen eine zweizügige Realschule machen, wodurch vier Klassen entfallen, aber dafür die Klassen 5 und 6, also vier Klassen, dazunehmen. Insgesamt sollte sich also zahlenmäßig nichts verändern. Man wollte alles straffen, verschlanken und verlängern, aber das hat nicht funktioniert. Dass das nicht funktionieren kann, haben wir auch von Seiten der Opposition immer wieder gesagt.

Im Laufe der Diskussion musste die Staatsregierung zugeben, dass die Reform doch etwas kostet. Im Gesetzentwurf wurde dann festgelegt, dass auf die Kommunen 85,4 Millionen DM, also ca. 43 Millionen Euro, zukommen. Als erfahrene und kompetente Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker, die die Realschulen vor Ort kennen, haben wir natürlich sofort gewusst, dass diese 43 Millionen Euro nicht reichen, sondern dass dafür sehr viel mehr Geld gebraucht wird. Deshalb haben wir bereits 1998 einen Antrag gestellt, in dem die Staatsregierung aufgefordert wird zu berichten, wie die finanzielle Unterstützung der kommunalen Gebietskörperschaften aussieht, wenn durch die Einführung der sechsstufigen Realschule Baumaßnahmen notwendig werden. Ich zitiere aus dem Bericht vom 18.03.2002. Darin schreibt die Staatsregierung:

Eine Umfrage des Staatsministeriums an den Realschulen hat ergeben, dass an den Schulen erstens Räume vorhanden sind, die über den aktuellen Bedarf hinaus als Klassenzimmer genutzt werden könnten, zweitens Räume vorhanden sind, die für die vorübergehende Verlagerung der Klassen in die nähere Umgebung gewonnen werden könnten und dass drittens Räume ohne größere Umbaumaßnahmen innerhalb der Schule zusätzlich gewonnen werden könnten. Insgesamt stehen den Realschulen unter den genannten drei Aspekten über 1000 als Klassenzimmer nutzbare Räume zur Verfügung, sodass Baumaßnahmen in großem Umfang nicht erforderlich werden.

Tenor war damals also: Alles das machen wir mit Bordmitteln und bezahlen sozusagen aus der Portokasse – welch eine eklatante Fehleinschätzung der Situation.

(Hoderlein (SPD): Sehr richtig!)

Denn jetzt ist klar, dass sich allein die Schulbauvorhaben im Zusammenhang mit der Einführung der R 6 auf 261