Protocol of the Session on October 25, 2002

Antrag der Abgeordneten Hirschmann, Dr. Hahnzog und anderer (SPD)

Integrationspolitik (3)

Zuwanderinnen und Zuwanderer und Gesundheit in Bayern

Vernetzung und Kooperation im Gesundheitswesen (Drucksache 14/9366)

Tagesordnungspunkt 18

Antrag der Abgeordneten Hirschmann, Dr. Hahnzog und anderer (SPD)

Integrationspolitik (4)

Zuwanderinnen und Zuwanderer und Gesundheit in Bayern

Gesundheitsberichterstattung (Drucksache 14/9367)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Gibt es Wortmeldungen? – Frau Hirschmann, bitte.

Frau Präsidentin, Kollegen und Kolleginnen! Wir haben im Zusammenhang mit der Integration von Migranten und Migrantinnen vor einem ganz bestimmten Hintergrund, nämlich vor dem Hintergrund der gesundheitlichen Befindlichkeiten, vier Anträge gestellt; zum einen, was die Prävention angeht, zum anderen, was die Aus-, Fort- und Weiterbildung der in medizinischen Heil- und Hilfsberufen Tätigen angeht, was die Vernetzung und

Kooperation im Gesundheitswesen und die Gesundheitsberichterstattung betrifft.

Ich denke, dass wir hier alle die Realität – auch wenn es uns schwer fällt; dabei, wie ich glaube, besonders Ihnen – anerkennen, dass wir mittlerweile zu einem Einwanderungsland geworden sind. Dies gilt auch für Bayern.

(Beifall bei der SPD)

Kollegen und Kolleginnen von der CSU, hier leben – auch wenn Sie das nicht gern wahrhaben wollen; aber hier kommen Sie auch nicht an der Realität vorbei – 1,3 Millionen ausländische Mitbürger und Mitbürgerinnen, die zum Teil schon seit Jahrzehnten bei uns leben. Dies entspricht exakt einem Anteil von 9,26% an der Gesamtbevölkerung.

Unstrittig dürfte sein, dass wir im Bereich der nachholenden Integration noch einen erheblichen Bedarf haben.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei den bisweilen heftig geführten Diskussionen über das Zuwanderungsgesetz haben Sie, Kollegen und Kolleginnen von der CSU, immer wieder darauf hingewiesen, wir müssten erst einmal die hier lebenden Migranten und Migrantinnen integrieren, bevor wir eine weitere Zuwanderung verkraften könnten. Das, liebe Kollegen und Kolleginnen, ist auch der entscheidende Punkt, dass Sie dies mittlerweile anerkannt haben. Das heißt in der Konsequenz aber auch, dass wir in diesem Bereich noch einiges leisten müssen.

Das hängt in erster Linie mit den politischen Versäumnissen in den letzten Jahrzehnten in Bayern und auch mit Ihnen zusammen, dass die Politik in diesem Bereich nur einseitig war.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben über viele Anträge versucht, unsere Hausaufgaben zu machen, und auch ein breites Antragspaket vorgestellt, das aber leider – wie so oft – von Ihnen abgelehnt wurde.

Anstatt Brücken zu bauen, damit Migranten und Migrantinnen in unserem Land auskommen und auch ankommen können, wurden Ihrerseits die Arbeitskräfte allzu oft gern angenommen, aber die dahinterstehenden Probleme, die oftmals auch auf der gesundheitlichen Ebene festzumachen sind, haben Sie vernachlässigt und vernachlässigen Sie auch weiter. Ich zitiere in diesem Zusammenhang aus der Berliner Rede des Bundespräsidenten vom Mai 2000: Integration kommt nicht von allein. Genau das ist der Punkt, weshalb wir Sie mit diesen Anträgen aufgefordert haben, die Menschen auch in dieser Situation unbedingt zu unterstützen.

So haben Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen bereits verschiedentlich darauf hingewiesen, dass in anderen Kulturkreisen völlig andere Vorstellungen von Krankheit und Gesundheit herrschen und damit zusammenhängend auch andere Krankheitsmuster auftau

chen. Wichtig ist mir in diesem Zusammenhang außerdem, dass viele Migranten und Migrantinnen psychisch und sozial verursachte Leidenszustände somatisieren, weil sie die entsprechenden Fachdienste zu spät oder oftmals gar nicht in Anspruch nehmen – entweder weil sie von deren Existenz keine Kenntnis haben, oder weil das Problembewusstsein noch nicht entwickelt ist. Deswegen ist es uns besonders wichtig, Brücken zwischen den hier lebenden Ausländern und Ausländerinnen und unserem Gesundheitssystem zu bauen.

(Beifall bei der SPD)

Gerade der effektive Aufbau interkultureller Kompetenz ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

Verehrte Kollegen und Kolleginnen, Sie werden mir mit Sicherheit zugestehen, dass dabei die Prävention im Bereich der Gesundheitspolitik einer der wichtigen Ansatzpunkte für jetzt, aber auch für die Zukunft sein wird. Wegen des Sachverhalts, dass die Migranten und Migrantinnen im Vergleich zur deutschen Wohnbevölkerung die bereitgehaltenen Präventions- und Gesundheitsvorsorgeangebote noch wesentlich weniger von sich aus annehmen, halten wir es für besonders wichtig, diese Angebote noch besser auf diese Zielgruppe zuzuschneiden. Leider – das muss ich an dieser Stelle sagen – sind auch diese Anträge im Fachausschuss abgelehnt worden.

Verehrte Kollegen und Kolleginnen von der CSU, Sie haben sich in diesem Zusammenhang gegen eine ZweiKlassen-Medizin ausgesprochen. Darin haben Sie unsere volle Unterstützung. Aber dann sorgen Sie bitte auch dafür, dass die vorhandenen Angebote von den momentan gesundheitlich immer noch schlechter Gestellten angenommen werden; denn wenn wir die ausländischen Bürgerinnen und Bürger nicht dazu bringen, weit stärker als bisher die Angebote der Prävention zu nutzen, werden wir es morgen und übermorgen mit noch mehr chronisch Kranken zu tun haben.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dass dies mit Sicherheit nicht billig zu haben sein wird, brauche ich an dieser Stelle nicht gesondert zu erwähnen. Dennoch sage ich Ihnen: Mit diesen Angeboten unterstützen wir nicht allein die hier lebenden Migranten und Migrantinnen, sondern auch alle, die in der Medizin pflegen und betreuen.

In diesem Zusammenhang erinnere ich daran, dass wir sehr viele Pflegekräfte haben, dass wir Ärzte und Ärztinnen aus diesem Bereich haben und dass hier sehr viele Patienten und Patientinnen die notwendige Hilfestellung brauchen. Ohne den Ausbau der interkulturellen Kompetenz werden sie weiterhin somatische Krankheiten haben, die auf psychischen und überwiegend auch auf sozialen Ursachen basieren. Deshalb möchten wir diesen Menschen auch ein wichtiges Instrument der Hilfe an die Hand geben, damit sie diesem Auftrag nachkommen können. Besonders herausstellen möchte ich in diesem Zusammenhang den Dolmetscherdienst im Schwabinger Krankenhaus. Dort gibt es eigens ausgebildete

Fachkräfte mit interkultureller Kompetenz, die im Pflegedienst arbeiten.

Erlauben Sie es mir, noch einmal auf die in den Ausschussberatungen gemachten Aussagen einzugehen. So, wie Sie es wollen, kommen wir den gesundheitlichen Problemen der Migranten und Migrantinnen, die in unserem Land leben, nicht bei.

Ich möchte nochmals auf die Asylbewerberinnen und Asylbewerber eingehen. Es stimmt nicht, dass sie, wie oft betont wird, einen besseren Gesundheitsschutz als Deutsche erhalten. Momentan ist es sogar so, dass die Migrantinnen und Migranten sowie die Asylbewerberinnen und Asylbewerber die Angebote – ich habe schon darauf hingewiesen – nicht ausreichend in Anspruch nehmen. Umso wichtiger ist der Ausbau der Prävention, doch dem haben Sie sich im Ausschuss widersetzt. Ich möchte deshalb an dieser Stelle an Sie appellieren: Lassen Sie uns gemeinsam auch im Gesundheitsbereich ein Signal aussenden und die Integration nachholen und vorantreiben. Dann können wir morgen und übermorgen mit Ihnen gerne darüber streiten, welches Angebot wir weiteren Zuwanderern machen wollen.

(Beifall bei der SPD)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Frau Kollegin Köhler, bitte.

Frau Elisabeth Köhler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) : Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Wir begrüßen und unterstützen die Anträge der SPD-Fraktion. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass auch wir zu diesem Themenkomplex ein Antragspaket mit ähnlichen Forderungen, die bereits den Landtag durchlaufen haben, eingereicht haben.

Unsere Fraktion hat sich im Rahmen eines interkulturellen Parlaments mit den Fragen der interkulturellen Öffnung unseres Gesundheitswesens, der psychosozialen Versorgung der Migrantinnen und Migranten sowie der Altenpflege beschäftigt. Während man in Fachkreisen, zum Beispiel bei den Wohlfahrtsverbänden, aber auch beim Verband der Bayerischen Bezirke und in anderen Bundesländern auf diesem Gebiet einen Handlungsbedarf sieht und entsprechende Initiativen ergreift, stellt man sich in Bayern – vor allem im Bayerischen Landtag bei der Mehrheitsfraktion – regelrecht taub. Mit einer kaum zu überbietenden Ignoranz und Arroganz werden die Anträge, die die Opposition dazu stellt, abqualifiziert und kommentiert.

Für den Kollegen Freiherr von Rotenhan, den Berichterstatter im sozialpolitischen Ausschuss, ist das Problem mit seiner Feststellung erledigt, dass die Gesundheitsversorgung aller Migranten in Deutschland wesentlich besser sei als die, die sie zu Hause hätten. Deshalb müsse man kein schlechtes Gewissen haben. Ob Herr Kollege Freiherr von Rotenhan oder die Mehrheit der CSU dabei ein schlechtes Gewissen hat oder nicht, interessiert nicht.

Es geht um die Fragen, ob die Migrantinnen und Migranten eine adäquate und bedarfsgerechte Versorgung vorfinden und ob unser Gesundheitswesen und die Altenpflege auf die Versorgung von Migrantinnen und Migranten vorbereitet sind. Dazu wurden in anderen Bundesländern Forschungen durchgeführt und Modellprojekte initiiert. Nach einer in Nordrhein-Westfalen erarbeiteten Studie nehmen Migrantinnen und Migranten die Regelangebote unserer Gesundheitsvorsorge nicht in dem Maße an wie die einheimische Bevölkerung. Ferner wurde festgestellt, dass die Diagnosen bei Migranten eine wesentlich höhere Fehlerquote aufweisen und dass diese Menschen folglich falsch therapiert werden. Dies kann uns nicht gleichgültig sein. Schließlich ist, so das Ergebnis der Forschung, der Gesundheitszustand der zugewanderten Menschen wesentlich schlechter als der der übrigen Bevölkerung.

Herr Arif Ünal, der Leiter des Gesundheitszentrums für Migranten in Köln, hat bei unserem Fachgespräch dazu Folgendes ausgeführt:

Die Stressoren der Migration und der Assimilationsdruck der Aufnahmegesellschaft begünstigen oder provozieren das Auftreten von Krankheiten. Vielfältige Diskriminierungen in verschiedenen Lebensbereichen, ungünstige Arbeitsbedingungen sowie die oft unsichere wirtschaftliche und soziale Lage haben die Gesundheit der Migrantinnen und Migranten negativ beeinflusst. Der verzögerte Zugang zum Gesundheitssystem sowie die mangelnde adäquate Versorgung führen bei extrem hoher psychosozialer und körperlicher Belastung zu einer im Durchschnitt zehn Jahre früheren Invalidität bei türkischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern als bei einer Vergleichspopulation deutscher Arbeitnehmer. Schwangerschaft und Geburt verlaufen aufgrund der Mehrfachbelastung als Migrantin, Frau und Arbeiterin ohne Mutterschutz oftmals riskanter als bei einheimischen Frauen. Frühsterblichkeit und Müttersterblichkeit sind bei Migrantinnen überdurchschnittlich hoch.

Des Weiteren hat man in diesem Zentrum festgestellt, dass bei den Migranten Informationsdefizite über Angebote in unserem Gesundheitssystem existieren. Deshalb gehen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses Zentrums zum Beispiel in Moscheen, um über unser Gesundheitssystem aufzuklären, und erscheinen entsprechende Artikel in türkischsprachigen Zeitungen. Es gibt – so stellen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses Zentrums fest – sprach- und kulturbedingte Zugangsbarrieren zu unserem Gesundheitssystem, und es existieren in der psychosozialen Versorgung Defizite. In einem Eckpunktepapier des Verbandes der Bayerischen Bezirke habe ich gelesen, dass der Verband der Bayerischen Bezirke dies auch in Bayern anmahnt und Modellprojekte fordert.

Das Gesundheitszentrum in Köln hat sich auf zwei Migrantengruppen konzentriert, und zwar auf die türkische und die russische Gruppe, weil sich hier nach einer Umfrage bei der Versorgung die größten Defizite ergaben. Ein großer Teil der russischen Migrantengruppe besteht aus Spätaussiedlern. Dies macht deutlich, dass auch die von Ihnen so gehätschelte Migrantengruppe

der Spätaussiedler letztendlich dieselben Probleme wie alle anderen Migrantengruppen hat.

Die CSU-Fraktion täte also gut daran, sich ernsthaft diesen Fragen zu stellen, anstatt, wie im Ausschuss geschehen, mit nur noch als dümmlich zu bezeichnenden Ausführungen zu kritisieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Bundestagswahl hat gezeigt: In wesentlichen gesellschaftspolitisch relevanten Fragen sind Sie nicht auf der Höhe der Zeit. Deshalb haben Sie die Wahlen verloren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD)

Wenn Sie nicht weiter abhängen wollen, führen Sie mit uns wenigstens über diese Fragen eine qualifizierte Debatte. Mehr verlange ich nicht von Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)