Protocol of the Session on December 14, 2022

Herr Ministerpräsident, hier gilt das Gleiche, was ich vorhin gesagt habe. Sie haben vorhin die bildungspolitischen Errun genschaften der letzten Jahre angesprochen: Stärkung der frühkindlichen Bildung, Einführung der Gemeinschaftsschu le, Einführung der Ganztagsschule in Baden-Württemberg. Ich glaube, es ist kein Zufall, dass das zwischen 2011 und 2016 passiert ist.

Ich glaube, dass es richtig ist, an diesen Stellen weiterzuar beiten. Das ist leider ab 2016 nicht mehr passiert. Ich glaube, wir müssen, wenn wir die Ergebnisse der IQB-Studie ernst nehmen, jetzt ziemlich viel Energie und auch Geld in die Hand nehmen. Denn es gehört zur Wahrheit dazu: Geld allein löst nicht alle Probleme. Aber wenn die momentane Versorgungs situation an unseren Schulen dazu führt, dass nicht einmal mehr der Pflichtunterricht abgedeckt ist – und zwar an allen Schularten; am Gymnasium ist es noch am besten, aber die anderen Schularten sind deutlich schwächer unterwegs –, muss für uns doch die entscheidende Frage lauten: Schaffen wir es, die Schulen personell so auszustatten, dass der Unter richt zumindest stattfinden kann? Denn wo kein Unterricht stattfinden kann, braucht man sich über Qualität gar nicht mehr zu unterhalten.

Gehen Sie mal an Schulen. Dort sind – gerade auch wegen der aktuellen Krankheitsfälle – Lehrerinnen und Lehrer zwischen zwei oder drei Klassenzimmern unterwegs. Die können kei nen Unterricht mehr machen, die betreuen, verwahren, beauf sichtigen die Kinder. Wir brauchen uns in einer solchen Situ ation über die Ergebnisse dieser IQB-Studie nicht zu wundern, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Da müssen Sie, Herr Ministerpräsident, von Ihrem hohen Ross herunter. Damit meine ich Ihre immer wiederkehrende Äuße rung: „Viel hilft viel ist falsch.“ Es geht im Moment gar nicht um viel. Es geht im Moment um die Frage, ob überhaupt Un terricht stattfindet.

Wir können uns dann natürlich auch in wissenschaftlichen Diskursen darüber unterhalten, was richtig oder falsch ist. Aber die Schulen brauchen jetzt Entlastungen. Laut Kabinetts beschluss soll an 30 von 2 400 Grundschulen in Baden-Würt temberg der Einsatz von multiprofessionellen Teams sowie eine sozialindexbasierte Ressourcenzuweisung getestet wer den. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das kommt für Baden-Württemberg zu spät.

Es gibt jetzt an den Schulen das Problem, dass Lehrerinnen und Lehrer nicht mehr in ausreichender Zahl vorhanden sind. Ich prophezeie Ihnen eines: Früher ging man von einer Art Schweinezyklus aus: die Situation hat sich entspannt, dann hat sie sich wieder angespannt. Aufgrund des demografischen Wandels ist davon auszugehen, dass es in den nächsten Jah ren auch und gerade in den Bildungsberufen nicht mehr ge nügend Menschen geben wird, die an die Schulen gehen. Ich male jetzt nicht schwarz. Das sind Zahlen, die auf dem Papier stehen. Der Hamburger Bildungssenator, mit dem wir uns vor zwei Wochen unterhalten haben, hat die Größenordnung die ser demografischen Entwicklung benannt. Er hat gesagt, in Hamburg müsste in Zukunft jeder zehnte Abiturient erfolg reich ein Lehramtsstudium absolvieren, um den zukünftigen Lehrkräftebedarf abzudecken.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, uns al len ist klar, was es geschlagen hat. Wir brauchen jetzt ein Ver ständnis davon, dass Lehrerinnen und Lehrer dafür eingesetzt werden müssen, wofür sie da sind, nämlich für guten Unter richt und Förderung der Kinder. Die Schulen brauchen Ent lastung bei allem, was nicht zwingend Lehrkräfte machen müssen, angefangen bei der IT-Verwaltung – da brauchen Sie keinen Modellversuch über vier Jahre – über Aufgaben wie Schulsozialarbeit und Schulpsychologie bis zum Einsatz von pädagogischen Assistentinnen und Assistenten, die an jeder Schule benötigt werden, nicht nur 270 verteilt auf das ganze Land.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer jetzt nicht die Schulen und damit die Lehrkräfte in unserem Land entlastet, wird sich bei den nächsten Bildungsstudien, die es wieder ge ben wird, egal, ob in den Grundschulen oder den weiterfüh renden Schulen, nicht über schlechtere Ergebnisse wundern müssen. Der braucht sich auch nicht darüber zu wundern, wenn gerade Kinder mit schwierigeren Ausgangsbedingun gen, auch Kinder mit Migrationshintergrund, zukünftig keine guten Chancen haben werden. Wir müssen jetzt, und zwar „volles Rohr“, in Bildung investieren, wenn wir die Zukunft dieses Landes sichern wollen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Wenn es nicht um das Personal geht, geht es um die techni sche Ausstattung. Da geht es natürlich um Fragen der Digita lisierung, nicht nur an den Schulen, sondern auch in weiteren gesellschaftlichen Bereichen; Sie haben die Verwaltung ange sprochen.

Aber es geht mir darum, dass in der aktuellen Situation droht, dass im nächsten Jahr – das Thema Rezession wurde ange sprochen – möglicherweise in bestimmten Wirtschaftsberei chen auch Rückgänge zu verzeichnen sein werden.

Gerade aus dem Bauhauptgewerbe kommen ziemlich schwie rige Signale: Viele Privatleute investieren nicht mehr, teilwei se werden Baugrundstücke zurückgegeben, auch Unterneh men werden nicht mehr so stark investieren. Das bedeutet – das wird, glaube ich, im ersten Semester Volkswirtschaft ge lehrt –: In einer Situation, in der die private Investitionstätig keit und die Investitionstätigkeit von Unternehmen zurück geht, in einer Situation, in der auch der private Konsum zu rückgeht, muss der Staat die richtigen Investitionsimpulse set zen.

(Abg. Winfried Mack CDU: Nein!)

Und warum nicht die Dinge zusammenbringen, z. B. im Be reich des Schulbaus oder des Kitaausbaus? Wir haben 57 600 Plätze – das sagt die Bertelsmann Stiftung, Herr Mack, das sagt nicht Herr Stoch –

(Abg. Winfried Mack CDU: Nein! Was Sie erzählen, ist falsch!)

zu wenig im Kitabereich. Das sind 57 600 Fälle, in denen Kin der nicht die frühe Förderung bekommen, die sie dringend brauchen, um später an der Grundschule gut mithalten zu kön nen.

Deswegen: Nehmen Sie das Geld in die Hand! Unterstützen Sie die Kommunen! Wir brauchen jetzt nicht nur einen Aus bau beim Personal, wir brauchen jetzt auch eine gute Bil dungsinfrastruktur. Und wann, wenn nicht jetzt, ist der Zeit punkt dafür der richtige?

(Anhaltender Beifall bei der SPD)

Abschließend, meine sehr geehrten Damen und Herren, möch te ich sagen: Es geht nicht darum, schwarzzumalen oder die Situation schlechtzureden. Es geht darum, die Handlungsnot wendigkeit zu beschreiben. Diese Handlungsnotwendigkeit ist in vielen Bereichen sehr dramatisch, wenn wir es schaffen wollen, diese Gesellschaft auf eine gute Zukunft vorzuberei ten.

Ja, es ist Krise, aber Krise ist nicht in den öffentlichen Kas sen.

(Abg. Andreas Deuschle CDU: Ja klar, wenn man so Schulden macht wie ihr in Berlin, dann ist nicht Kri se!)

Herr Deuschle, dass Sie das nicht verstehen, das wundert mich nicht.

(Zuruf: Ganz souverän gekontert!)

Wir haben in den öffentlichen Haushalten, ob auf Bundes- oder Landesebene, volle Kassen, weil die Inflation dazu führt, dass die Steuereinnahmen steigen. Das weiß eigentlich jeder.

(Abg. Andreas Deuschle CDU: 300 Milliarden!)

Reden Sie also nicht nur von Krise. Der Staat hat jetzt die Auf gabe, dieses Land, diese Gesellschaft gut durch die Krise zu bekommen. Das gelingt nur in einem engen Schulterschluss zwischen Gesellschaft, Politik und Wirtschaft. Meine sehr ge ehrten Damen und Herren, vom Landtag von Baden-Würt temberg muss jetzt das Signal ausgehen: Baden-Württemberg muss eine gute Zukunft haben, auch in der Krise.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erhält der Vorsit zende der FDP/DVP-Fraktion, Herr Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke.

Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen! Sie haben, Herr Ministerpräsi dent, davon gesprochen, Baden-Württemberg sei bei der ProKopf-Verschuldung Spitze – also nicht die höchste, sondern die geringste Pro-Kopf-Verschuldung. Das ist allerdings nicht das Verdienst dieser Landesregierung. Das hat damit zu tun, dass in vielen Kommunen über viele Jahren gut und erfolg reich gewirtschaftet wurde,

(Zuruf: So sieht es aus!)

und es hat auch damit zu tun, dass in vergangenen Krisen – es ist ja nicht so, dass Ihre Regierung die erste Regierung wäre, die mit Krisen zu tun hat – andere Regierungen sich dennoch nicht uferlos verschuldet haben.

Aber Ihre eigene Haushalts- und Finanzpolitik der letzten zwölf Jahre hat wenig zu dieser niedrigen Pro-Kopf-Verschul

dung beigetragen. Sie hatten überwiegend goldene Zeiten, ha ben es aber in diesen goldenen Zeiten versäumt, Schulden zu rückzuführen.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Wir haben Schul den zurückgeführt! Das stimmt doch überhaupt nicht!)

Sie haben Haushaltspolitik gemacht nach dem Prinzip: Das, was wir haben, geben wir auch aus.

Parallel dazu ist eine Entwicklung eingetreten, die für den Fö deralismus höchst problematisch ist, nämlich immer weiter mit dem Bund zu verhandeln nach dem Motto: Wir geben Kompetenzen ab, wir lassen den Bund in alle möglichen Be reiche hineinregieren und wollen dafür vom Bund Geld. Die letzten Runden waren dafür wieder typisch. In diesen hat man gesagt: „Der Bund will dieses, also soll er Geld geben, der Bund will jenes, dafür wollen wir im Grunde genommen ei ne Bezahlung; Kompetenzen sind nicht so wichtig, Hauptsa che, wir haben Geld in der Kasse vom Bund, um auf jedes Problem quasi Geld draufwerfen zu können.“ Das war das Prinzip der letzten Jahre.

Wenn dann eine Situation mit multiplen Krisen eintritt, dann hat man natürlich die Rechtfertigung dafür, wieder zu sagen: Jetzt neue Schulden. Da hat der Kollege Stoch durchaus recht: Es geht so weit, dass man nach dem Eichhörnchen-Prinzip

(Abg. Dr. Markus Rösler GRÜNE: Eichhörnchen ist ein gutes Tier!)

Rücklagen anlegt und mit diesen Rücklagen dann auf noch schlechtere Zeiten wartet. Also wohlverstanden: Wir waren nicht der Auffassung, dass diese Neuverschuldung notwendig war, wir waren auch nicht der Auffassung, dass es gerechtfer tigt war, in den Nachträgen neue Schulden zu machen nach dem Prinzip: Vielleicht wird dann der nächste Haushalt schein bar schuldenfrei. Aber wenn Sie schon diese Mittel aufneh men, dann erwarten wir auch, dass Sie das Geld ausgeben, dass Sie das Geld in dieser Krise investieren, beispielsweise für die Bildung – die Zahlen zeigen ja, wo wir auf der Aufga benseite Hamburg hinterherhinken –

(Beifall bei der FDP/DVP – Vereinzelt Beifall bei der SPD)

oder für Liquiditätshilfen. Sie haben sich gerühmt, wie schnell sie gehandelt hätten. Also, was das anlangt, hat dieser Land tag in der Coronazeit schneller und unmittelbarer gehandelt. Über Wochen gab es eine Diskussion, in der aus der Regie rung zu hören war: „Nein, wir machen jetzt erst einmal nichts, wir warten auf den Bund, und wenn dann klar ist, welche Pro gramme der Bund auflegt, dann schauen wir einmal, ob es vielleicht noch Lücken gibt, wo wir dann Programme auf Lan desebene auflegen.“ So war die Argumentation über Wochen.

(Zuruf des Ministerpräsidenten Winfried Kretsch mann)

Erst, als der politische Druck gewachsen ist – in der Öffent lichkeit, aus der Wirtschaft, auch in diesem Parlament –, ha ben Sie plötzlich festgestellt: Wir machen jetzt doch ein Lan desprogramm mit Liquiditätshilfen. Man kann durchaus über den Sinn diskutieren.

Ihr Argument, Herr Ministerpräsident, das Ganze müsse bei hilferechtlich EU-konform sein, ist durchaus nachvollziehbar.

Ich habe auch zu denjenigen gehört, die den sogenannten Dop pel-Wumms nicht ganz unkritisch gesehen haben. Es ist na türlich auf der einen Seite schon problematisch, über Jahre den anderen europäischen Staaten zu sagen: „Gemeinsame Schulden wollen wir nicht, wir wollen einen vernünftigen Wettbewerb“, wenn dann Deutschland einen Doppel-Wumms mit einem Volumen von 200 Milliarden €, ohne Rückzah lungs- und Verzinsungsmodalitäten, macht

(Zuruf des Abg. Dr. Uwe Hellstern AfD)

und dann in Brüssel rechtfertigen muss, warum die Deutschen das tun und es andere nicht tun können.

(Abg. Dr. Markus Rösler GRÜNE: Wer ist da Finanz minister?)

Das ist wettbewerbsrechtlich nicht ganz unproblematisch. Das ist durchaus richtig. Deshalb ist es auch nicht zu kritisieren, dass Sie dies mit Ihren Liquiditätshilfen berücksichtigt haben. Aber für sich in Anspruch zu nehmen, Sie hätten da schnell gehandelt, das zeugt schon von einem relativ kurzen Gedächt nis, meine Damen und Herren.