Aktuelle Debatte – Zur Coronalage in den baden-würt tembergischen Pflegeheimen – Ausbrüche und Impfquo ten – beantragt von der Fraktion der SPD
Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 50 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die Aussprache steht eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion zur Verfügung. Ich darf die Mitglieder der Landes regierung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Rede zeitrahmen zu halten.
Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Im Angesicht des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine erscheinen viele Probleme, viele Themen kleiner. In den letzten Tagen verschwinden sie sogar zusehends – und das zu Recht. Vieles muss verschoben werden, vieles muss dieser Tage neu priorisiert werden.
Sehr geehrte Damen und Herren, das gilt aber nicht für die Bekämpfung der Coronapandemie. Die Coronapandemie geht nicht weg, nur weil sie in den Nachrichten nicht mehr an ers ter Stelle genannt wird.
Diese Aktuelle Debatte ist gerade jetzt wichtig, weil in den Pflegeheimen hier im Land die Situation weiterhin besorgnis erregend ist, und zwar in Bezug auf die Infektionszahlen und auch den Impffortschritt. Auch dieses Problem löst sich nicht auf, nur weil es nicht mehr an allererster Stelle in der „Tages schau“ steht.
Das Robert Koch-Institut weist ausdrücklich darauf hin, dass die Tageszahlen der Ausbrüche in den Alten- und Pflegehei men in den letzten Wochen weiter zunahmen. Bundesweit sind derzeit in Pflegeheimen rund 6 500 Personen mit aktiven Aus brüchen beim RKI gemeldet. Von diesen 6 500 Personen sind 1 500 Fälle aus Baden-Württemberg. So meldet es unser Lan desgesundheitsamt.
Gut 23 % aller Menschen in Deutschland, die von Ausbrüchen in Pflegeheimen betroffen sind, kommen aus Baden-Württem berg. Das sind fast doppelt so viele, wie es dem Bevölkerungs anteil entspricht – fast doppelt so viele.
Deutlich mehr als ein Drittel aller mit und an Corona verstor benen Menschen waren bei uns in Heimen pflegebedürftig,
Jetzt wissen wir hier im Saal alle – fast alle –: Impfen hilft. Impfen hilft auch gegen Ausbrüche in Pflegeheimen, gegen schwere Erkrankungen, gegen tödliche Verläufe gerade bei vulnerablen, gerade bei schwachen Menschen.
Für Baden-Württemberg muss man feststellen: Die Ausbruchs zahlen sind überdurchschnittlich hoch – wie dargelegt –, und die Impfquote bei den Beschäftigten in Pflegeheimen ist im Durchschnitt noch immer viel zu niedrig.
Lassen Sie uns einmal die Zahlen von Baden-Württemberg von Mitte Januar mit denen anderer Flächenländer verglei chen. Mit Niedersachsen und Rheinland-Pfalz lässt sich das eigentlich ganz gut vergleichen. Der Anteil der Beschäftigten in den Pflegeheimen mit Zweitimpfung lag in Rheinland-Pfalz bei 92 %, in Niedersachsen bei 91 %. In Baden-Württemberg waren es 86 %.
Nun kann man sagen: „Okay, 86 % sind von den Ergebnissen in diesen anderen Bundesländern nicht so weit weg.“ Aber jetzt kommen wir zu den Boosterimpfungen. Mitte Januar: Niedersachsen 73 %, Rheinland-Pfalz 69 %, Baden-Württem berg 51 %. Mitte Januar waren fast die Hälfte der Beschäftig ten in unseren Heimen nicht geboostert.
Es ist auch nur ein geringer Trost, dass die Landesregierung in der letzten Woche gesagt hat: „Na ja, mittlerweile sind es nicht mehr 51 %, sondern 61 %.“ Ganz ehrlich: Der Impffort schritt darf keine Schnecke sein. Das ist sonst wirklich gefähr lich.
Da geht es um die Schwächsten in unserer Gesellschaft, um die Gesundheit der Schwächsten in unserer Gesellschaft. De nen fehlt der Schutz.
Weil wir die Debatte nicht zum ersten Mal führen, werden jetzt sicherlich Kollegin Krebs oder auch der Minister sagen: „Ja, was ist da wieder neu? Wir tun doch alles. Wir können doch gar nicht mehr tun. Was will die Opposition denn eigent lich?“ Ich sage Ihnen, was wir wollen: Wir möchten, dass Sie endlich mehr tun, um die vulnerablen Menschen in den Hei men zu schützen. Wir möchten, dass Baden-Württemberg nicht schlechter dasteht, was die Ausbrüche angeht, und wir möchten wirklich, dass Sie alles tun, was Ihnen möglich ist, damit die Impfquote steigt.
Wir verstehen wirklich nicht, dass das einzig Substanzielle, was dieser Landesregierung einfällt, die seit Herbst immer wiederholte Forderung nach einer allgemeinen Impfpflicht ist. Sie können die Sicherheit im Land nicht von einem Gesetz gebungsverfahren abhängig machen, das formal noch gar nicht begonnen hat. Das funktioniert nicht. Sie müssen jetzt handeln. Es muss jetzt etwas passieren. Wir können nicht war ten, bis das kommt, bis die Debatten kommen. Sie sind hier vor Ort dafür verantwortlich. Das übrigens wie andere Lan desgesundheitsminister in anderen Bundesländern auch, und die machen ihren Job.
Stattdessen beschweren Sie sich ein bisschen larmoyant, dass die Opposition Anträge schreibt und fragt, wie die Situation aussieht, wie es in den einzelnen Landkreisen aussieht. Das ist dann auch nicht recht. Ich glaube aber, wir haben in den letzten Tagen da doch einiges an Transparenz reingebracht. Das haben wir sehen können.
Wir sehen: Ja, es gibt viele Heime, die ihren Job gut machen. Da sind fast alle Betreuten, fast alle Beschäftigten geimpft. Die Boosterquote ist hoch. Da sehen wir auch, dass die Heim leitung ein sehr entscheidender Faktor dafür ist, ob das mit den Impfungen klappt oder nicht klappt, ob sie informiert, ob sie Informationen weitergibt.
Es gibt aber auch Heime – viel zu viele –, Herr Minister, in de nen es anders aussieht. Da ist die Boosterquote erschreckend niedrig. Das verteilt sich über das ganze Land. Es kann Sie doch nicht kaltlassen, wenn es z. B. – ich nenne jetzt einfach mal ein Beispiel – im Landkreis Ravensburg – den kennen Sie auch besser – Pflegeheime gibt, in denen 11 % der Betreuten eine Boosterimpfung haben. Das kann man doch nicht einfach so achselzuckend hinnehmen. Das ist kein Einzelfall. Hier geht es wirklich darum, dass man aktiv wird, damit sich das schnell ändert.
Ein anderes Beispiel in Radolfzell: 80 % der Beschäftigten in klusive der Heimleitung sind ungeimpft. Letztere, die Heim leitung, nimmt an den Spaziergängen auf dem Marktplatz teil. Zu solchen Fällen schreiben Sie auf unsere Nachfrage, dass Sie da nichts machen können. Da könnten Sie nichts anderes machen, als Impfungen anzubieten. Das heißt aber auch wie der, dass Sie diese Zustände achselzuckend hinnehmen. Das ist wirklich unerträglich.
Was glauben Sie, wie die Heimleitungen darauf reagieren, wenn Sie denen noch einmal schreiben? Die werden sagen: „Danke, ich habe ein Schreiben vom Ministerium bekommen. Ich habe ein Schreiben vom Gesundheitsminister bekommen. Jetzt überlege ich mir das ganz anders.“ Nein, das wird null Effekt haben.
Weil wir die Hoffnung nicht aufgeben und weil dieses Thema zu ernst ist, fragen wir die Landesregierung noch einmal: Was ist Ihr Vorschlag, Ihr Plan für einen besseren Schutz von Pfle gebedürftigen in Heimen? Wie kommen wir endlich zu weni ger Ausbrüchen? Wie kommen wir zu einer höheren Impfquo te? Und weil die „Südwest Presse“ gestern darüber berichtet hat: Bei vielen dieser Menschen wäre eigentlich schon eine zweite Boosterimpfung notwendig. Dazu liegen teilweise wohl gar keine Zahlen vor. Da stellt sich auch die Frage: Was ist die Strategie? Ich habe vom Land noch nichts dazu gehört, wie wir hier vorankommen. Denn der Schutz hält nicht ewig an. Die Leute, die im Oktober und November bereits zum ers ten Mal geboostert wurden, müssen jetzt teilweise zum zwei ten Mal geboostert werden.
Deswegen muss man eines fragen: Was können Sie tun? Wir schlagen vor: Gehen Sie in die Pflegeheime, und zwar nicht
Sie persönlich, sondern die Gesundheitsämter. Machen Sie aufsuchende Arbeit, führen Sie Beratungsgespräche mit den Beschäftigten, mit den Mitarbeitern, mit den Angehörigen und den Menschen, die dort leben. Das ist möglich.
Ich habe früher im zahnärztlichen Bereich gearbeitet – das wissen Sie –, da gibt es die LAGZ, die Gruppenprophylaxe betreibt. In Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt geht man in die Kindergärten und bringt den Kindern unter Betei ligung des Gesundheitsamts bei, dass man Zähne putzen muss. Es ist absolut richtig, dass man das tut.
Warum ist das in den Pflegeheimen nicht möglich? Ich glau be, Sie müssen da jetzt einfach Ihren Job machen. Es reicht nicht, auf die allgemeine Impfpflicht zu warten. Es reicht nicht, darauf zu warten, dass die einrichtungsbezogene Impf pflicht kommt. Denn davon wird noch kein Bewohner ge impft. Vielmehr müssen Sie letztlich Ihren Job machen. Wir müssen besser als z. B. Rheinland-Pfalz dastehen. RheinlandPfalz hat eine höhere Impfquote und weniger Ausbrüche. Rheinland-Pfalz hat keine andere Luft. Es liegt auch nicht da ran, dass sie besseren Wein hätten – den haben sie nämlich nicht –, sondern es liegt daran, dass die Leute dort ihre Ver antwortung wahrnehmen. Ich glaube, das sollten Sie hier auch tun.
Herr Präsident, sehr geehrte Da men und Herren! Es ist tatsächlich wichtig, dass wir hier und heute darüber reden, wie wir unsere pflegebedürftigen Mit bürgerinnen und Mitbürger jetzt in einer Pandemie besonders schützen. Denn das sind diejenigen, die besonders gefährdet sind und die vor schweren Krankheitsverläufen geschützt wer den müssen.
Das haben wir in der vergangenen Zeit auch getan und wer den es weiterhin tun, denn natürlich greift im Fall der Pande mie das Schutzversprechen des Staates. Dieser Prämisse folgt unser Handeln in der Pandemie von Beginn an. Die Leitfra gen sind und waren immer, welche Schutzmaßnahmen helfen und welche rechtlichen Grundlagen der Staat zur Verfügung hat, um dieses Schutzversprechen einzuhalten.
Ich möchte aber auch ganz ausdrücklich betonen: Die Krisen bewältigung der Landesregierung hat wirklich seit Stunde 1 der Pandemie jede denkbare Maßnahme ergriffen, um Bürge rinnen und Bürger zu schützen und um insbesondere jene mit einem hohen Schutzbedürfnis vor Ansteckung zu bewahren – und um diese geht es ja heute. Diesem Schutzbedürfnis füh len wir uns verpflichtet, und diese Verpflichtung nehmen wir ernst.
Ja, es ging bei der Bewältigung der Auswirkungen der Pan demie sehr oft um finanzielle und um wirtschaftliche Aspek te. Aber letztendlich ist das, worum es uns immer geht, die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger, denn dies rettet Le ben.
Sie zielen mit Ihrer Aktuellen Debatte auf die Coronalage in Pflegeheimen ab. Dazu könnte man wirklich weit ausholen; Sie haben ja einen Rundumschlag gestartet. Fakt ist – zumin dest für mich – aber schon: Seit Beginn der Pandemie hat das Sozialministerium mit der Taskforce „Langzeitpflege und Ein gliederungshilfe“ notwendige Schutzmaßnahmen umgesetzt und auch Teststrategien erstellt. Die Chronologie hierzu ist lang, die möchte ich Ihnen ersparen.
Es hat sich aber gezeigt, dass die Maßnahmen wirken. Viele Infektionsketten konnten frühzeitig unterbrochen und damit das Infektionsgeschehen unterbrochen und ausgebremst wer den – viele, aber leider nicht alle Infektionsketten. Das Virus ist tückisch. Leider gehört zur traurigen Realität, dass wir trotz intensiver Bemühungen nicht alle Menschen in den Pflege einrichtungen vor einer Infektion schützen konnten. Es gab Infektionsausbrüche, und Bewohnerinnen und Bewohner sind an dem Virus verstorben. Das schmerzt; das schmerzt uns sehr.
Aber mit der Möglichkeit einer Impfung, die wir seit dem Jah resbeginn 2021 hatten, sind deutlich weniger Menschen ge storben, es haben sich weniger infiziert. Das zeigt uns – da sind wir wahrscheinlich einer Meinung; Sie haben es gesagt, Herr Wahl –: Impfen wirkt, impfen hilft.
Ja, es ist Aufgabe der Landesregierung, Impfmöglichkeiten zu schaffen und zudem ein schnelles Boostern zu ermöglichen. Dieser Notwendigkeit sind wir schon früh nachgekommen.