Protocol of the Session on October 9, 2019

(Abg. Reinhold Gall SPD: Zwischen Tür und Angel! Das ist keine Art! – Zuruf des Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE)

Doch jetzt zum zweiten Punkt meiner Kritik. Vielleicht gibt es einen Grund und eine Motivation für Ihre Gesprächsver weigerung.

Sie von den Regierungsfraktionen bringen nach dem Frühjahr 2019 binnen eines Jahres nun bereits zum zweiten Mal eine Änderung des Wahlrechts ein, und erneut schaffen Sie es nicht, ein inklusives Wahlrecht für alle einzuführen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Selbstverständlich hätten wir das Gespräch über das Wahl recht für alle eingefordert.

Artikel 29 der UN-Behindertenrechtskonvention – der Arti kel über die Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben – sieht vor, dass Menschen mit Behinderungen ihre politischen Rechte, insbesondere das Wahlrecht, gleichberechtigt mit al

len anderen wahrnehmen können müssen. Bis heute ist dies in Baden-Württemberg nur unzureichend gewährleistet. Wir werden dies so lange kritisieren, bis alle zu ihrem Recht kom men.

In Baden-Württemberg wurden und werden Menschen vom Wahlrecht ausgeschlossen, nur weil sie bestellte Betreuerin nen oder Betreuer und sogenannte Vormünder haben. Sie ent halten Bürgerinnen und Bürgern unseres Staates Menschen rechte und Bürgerrechte vor. Das, liebe Kolleginnen und Kol legen, ist ein handfester Skandal.

Immer noch halten Sie an einem Provisorium fest. Ihr Provi sorium, mit dem Sie diesen Menschen das Wahlrecht zugeste hen, hätte gerade einmal bis zur nächsten Landtagswahl Be stand, nicht länger. Danach kehrt das Wahlrecht – nach aktu eller Gesetzeslage – automatisch zum alten, verfassungswid rigen Zustand zurück.

Wir fordern Sie noch einmal auf, den Weg für ein inklusives Wahlrecht frei zu machen. Wir stehen mit der Forderung nach einem inklusiven Wahlrecht nicht allein da. Bürgerrechtlerin nen und Bürgerrechtler, die Behindertenverbände, die Bun desregierung, die Mehrzahl der anderen Bundesländer und schließlich auch der Gemeindetag sehen dies so. In seiner ak tuellen Stellungnahme zu Ihrem Gesetzentwurf bittet Sie der Gemeindetag sogar, zu prüfen, ob hier nicht eine Angleichung an das Bundestagswahlrecht vorzunehmen ist, weil es eben diese Chance dazu gibt.

Doch nicht einmal das interessiert Sie. Sie verpassen wieder einmal die Chance für ein modernes und inklusives Wahlrecht im Einklang mit Menschen- und Bürgerrechten.

Die Stellungnahme der Partei Bündnis 90/Die Grünen zu die ser Diskussion schlägt aber meiner Ansicht nach dem Fass den Boden aus. Dort heißt es, sie bedaure es zutiefst, dass es nicht zu einer umfassenden Wahlrechtsreform komme. Und über ihren Koalitionspartner, die CDU, steht dort, es sei bitter und enttäuschend, dass die Landtagsfraktion der CDU mit ihrer Blockadehaltung die längst überfällige Reform verhindere.

Liebe CDU, wie lange wollen Sie sich diesen Umgang durch Ihren Koalitionspartner noch bieten lassen, und liebe Grüne, wie doppelzüngig muss man denn sein, wenn die eigene Landes partei der eigenen Fraktion so etwas ins Stammbuch schreibt?

Und was fehlt auf den zwei Seiten Ihrer Stellungnahme? Ein Wahlrecht für alle.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Jetzt hat Herr Abg. Dr. Kern für die FDP/DVP-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Bei der prognostizierten Bevölke rungsentwicklung im Wahlkreis Tübingen ist es recht wahr scheinlich, dass der Wahlkreis bei der kommenden Landtags wahl um mehr als 25 % über der durchschnittlichen Größe der Wahlkreise im Land liegen wird. Aufgrund der geltenden Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs wäre damit der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit verletzt. Dieser verlangt u. a., dass der Stimme von Wählern annähernd das gleiche Ge

wicht zukommt. Dies wäre aber nicht der Fall, wenn ein Wahl kreis deutlich mehr Menschen repräsentieren würde als ein anderer.

Vor diesem Hintergrund haben wir, die FDP/DVP-Fraktion, Verständnis dafür, den Zuschnitt der Wahlkreise Tübingen und Balingen zu modifizieren. Nur so stellt man sicher, dass die kommende Landtagswahl auch rechtskonform abläuft.

Dennoch bleibt die Vorlage von Grünen und CDU nur ein kurz anhaltendes Provisorium und bringt keine langfristige Lösung. Denn der Wahlkreis Tübingen wird auch nach dieser Verklei nerung noch deutlich größer bleiben als der Durchschnitt der Wahlkreise. Bei gleichbleibender Bevölkerungsentwicklung würde daher spätestens in einem Jahrzehnt wieder eine Ver kleinerung des Wahlkreises erforderlich sein. Eine derart weit gehende Zersplitterung eines Landkreises auf mehrere Wahl kreise kann den dortigen Einwohnern aber nicht zugemutet werden. Der vorliegende Gesetzentwurf bleibt so unvermeid lich Stückwerk. Nachhaltig ist er gewiss nicht.

Wir Freien Demokraten fordern, dass der Landtag zu Beginn der neuen Legislaturperiode interfraktionell eine nachhaltige und langfristige Reform der Wahlkreiszuschnitte auf den Weg bringt. Diese Reform ist unumgänglich. Dabei muss versucht werden, die Zersplitterung von Landkreisen in mehrere Wahl kreise möglichst klein zu halten und auch die künftige Bevöl kerungsentwicklung zu berücksichtigen.

Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Nun hat die Regierung das Wort. – Herr Innenminister Strobl, Sie wollen nicht sprechen.

(Minister Thomas Strobl: Nein, das ist Sache des Par laments!)

Gibt es noch weitere Wortmeldungen? Redezeit ist noch vor handen. – Das Wort wird nicht mehr gewünscht.

Dann schlage ich vor, dass wir den Gesetzentwurf Drucksa che 16/6692 zur weiteren Beratung an den Ständigen Aus schuss überweisen. – Damit sind Sie einverstanden. Es ist so beschlossen.

Punkt 7 der Tagesordnung ist erledigt.

Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:

a) Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktion GRÜ

NE, der Fraktion der CDU und der Fraktion der SPD – Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes – Drucksache 16/6982

b) Antrag der Fraktion GRÜNE, der Fraktion der CDU

und der Fraktion der SPD – Reform der Altersversor gung der Abgeordneten – Beitritt des Landtags von Ba den-Württemberg zum Versorgungswerk der Mitglie der des Landtags Nordrhein-Westfalen und des Land tags Brandenburg; hier: Zustimmung zum Vertrag über das Versorgungswerk – Drucksache 16/6992

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat folgende Rede zeiten festgelegt: für die Begründung zu den Buchstaben a und b fünf Minuten und für die Aussprache fünf Minuten je

Fraktion. Die Fraktion der CDU, die Fraktion GRÜNE und die Fraktion der SPD sind übereingekommen, die für die Be gründung zur Verfügung stehenden Redezeiten aufzuteilen.

Zuerst spricht für die Fraktion GRÜNE Herr Abg. Sckerl.

(Abg. Anton Baron AfD: Zettel zustecken!)

Sehr geehrte Frau Präsi dentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben hier im Landtag vor rund drei Jahren einen Diskussions- und Klä rungsprozess über die Altersversorgung der Abgeordneten be gonnen. Wir hatten dabei – das darf ich für meine Fraktion nochmals ausdrücklich bemerken – mit der voreiligen Be schlussfassung über die Rückkehr zu einer staatlichen Alters versorgung zweifelsohne einen Fehler gemacht. Diesen Feh ler haben wir korrigiert. Danach galt es aber, das Thema gründlich aufzuarbeiten und unter Beteiligung von Öffentlich keit und Einbeziehung von Expertenmeinungen ein Modell einer Altersversorgung zu finden, das den Systemwechsel der Jahre 2007/2008, nämlich weg von der staatlichen Versorgung hin zur privaten Vorsorge, beibehält und verstetigt.

(Zuruf des Abg. Udo Stein AfD)

Das war das entscheidende Ziel. Ansonsten ging und geht es natürlich darum, dass auch für Abgeordnete eine angemesse ne Altersversorgung erreicht wird und dass in der Diskussion – was immer schwierig ist, wenn es um Angelegenheiten von Parlamentsabgeordneten geht – auch eine gewisse gesell schaftliche Akzeptanz dafür erzielt wird. Das ist ein schwie riges Thema, weil Abgeordnete im Gegensatz zu anderen Be rufs- und Bevölkerungsgruppen eben aus Verfassungsgründen gehalten sind, über ihre Angelegenheiten letztendlich selbst zu entscheiden. Diese Entscheidung nimmt uns niemand ab. Die Altersversorgung soll dabei – so will es unsere Verfassung – angemessen und unabhängigkeitssichernd sein. Der Abge ordnete soll in seinen Entscheidungen frei sein.

Es gab jetzt wichtige Bedingungen und Stationen für diesen Prozess. Diese will ich noch einmal skizzieren, weil es kein gewöhnliches Verfahren, sondern ein neues Verfahren gewe sen ist. Wir haben eine unabhängige Expertenkommission ein gesetzt, bzw. die Präsidentin hat das auf unseren Vorschlag hin gemacht.

(Abg. Anton Baron AfD: Was hat das gekostet, Herr Sckerl?)

Diese Kommission hat Kriterien für eine angemessene Ver sorgung aufgestellt und möglichst konkrete Vorschläge ge macht. Wir haben weitere Sachverständige in Form einer öf fentlichen Anhörung beteiligt. Wir haben – das war meiner Fraktion besonders wichtig – die direkte Einbeziehung von Bürgerinnen und Bürgern in Form eines Bürgerforums durch geführt. Das war eine sehr gute Veranstaltung mit 25 nach dem Zufallsprinzip, aber dennoch repräsentativ ausgewählten Bür gerinnen und Bürgern aus Baden-Württemberg, die mit sehr großem Engagement und erarbeitetem Sachverstand vier Ver sorgungsmodelle vorgeschlagen haben, von denen jetzt letzt endlich nach derzeitiger bundesrechtlicher Situation für uns nur das Versorgungswerkmodell tatsächlich umsetzbar ist.

Die Tätigkeiten von Expertenkommission und Bürgerforum waren für uns wesentliche Bausteine für den heute vorliegen

den Vorschlag. Dafür möchten wir an dieser Stelle den Betei ligten, gerade auch den Bürgerinnen und Bürgern – es ist kei ne Selbstverständlichkeit, dass sie für diese Tätigkeit Sams tage opfern –, nochmals sehr herzlich danken.

(Beifall bei den Grünen, der CDU, der SPD und der FDP/DVP sowie des Abg. Klaus Dürr AfD)

Für uns war immer klar: Wenn es Empfehlungen gibt, werden wir uns an diese halten. Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass dies auf jeden Fall richtig ist. Das lösen wir heute auch ein.

Es gibt ein paar Kriterien, die wirklich wichtig waren und wichtig sind: Die Altersversorgung soll gerecht, im Gesamt verhältnis zur Altersversorgung anderer Bevölkerungsgrup pen aber auch angemessen sein, die Kosten müssen unbedingt verhältnismäßig bleiben, es muss Generationengerechtigkeit, Beständigkeit und Kontinuität geschaffen werden, es muss aber auch transparent zugehen.

Es gab dann noch einen weiteren längeren Prozess, Recher chen, Diskussionen, Prüfungen. Das hat letztendlich dazu ge führt, dass das Präsidium des Landtags dem Landtag mehr heitlich empfiehlt, dem Versorgungswerk der Mitglieder des Landtags Nordrhein-Westfalen und des Landtags Branden burg beizutreten. Das ist auch Grundlage der heutigen Ent scheidung. Es gab Verhandlungen der Landtagsverwaltung mit dem Versorgungswerk, mit Ergebnissen über Beitrittsbe dingungen, Kosten im Verwaltungsbereich. All das ist Grund lage der heutigen Entscheidung und Grundlage dafür, dass Grüne, CDU und SPD den vorliegenden Gesetzentwurf ge meinsam eingebracht haben.

Ich habe Verständnis dafür, dass eine Versorgungswerklösung nicht den Vorstellungen aller Abgeordneten und Fraktionen entspricht. Keine Frage, da kann man hier natürlich auch an ders votieren. Ich habe Verständnis dafür, dass die Fortsetzung der bisherigen privaten Vorsorge auf der Basis persönlicher, individueller Verträge gewünscht wird, oder aber auch, dass eine ganze Reihe von Kolleginnen und Kollegen – das sind mehr, als man auf Anhieb vermutet – ihre Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung beibehalten wollen. Aus die sem Grund – das war uns wichtig – gibt es für alle Kollegin nen und Kollegen, die dem Landtag jetzt bereits angehören, ja auch eine lange, zehnjährige Übergangsfrist.